Briefspiel:Plötzlich Delegierte/Treffen in Vinsalt VI

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Stadt Urbasi.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi.png
Datiert auf: Frühjahr 1046 BF Schauplatz: Urbasi, Cassiena, Vinsalt Entstehungszeitraum: Sommer 2025
Protagonisten: Rahjada, Traviane und Rahjalin Solivino, Auricanius von Urbet u.w. Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Bella, Haus Urbet.png Gonfaloniere
Zyklus: Übersicht · Rahjadas Brief · Besuch im Tempel · Von einem Monsignore zum anderen · In der Villa Ricarda I · II · III · IV · V · Auricanius' Einladung · Treffen in Vinsalt I · II · III · IV · V · VI


Treffen in Vinsalt - Teil VI: Weitere Gäste ... und so viele Erinnerungen

Dieses Grabmal wollte er sich aus der Nähe ansehen! Und am besten auch diese besondere Abschrift des Rondrariums, mit dem er sich zu seiner Schande bisher nie genauer beschäftigt hatte.
Rohalion driftete in Träumereien ab, wie er in dieser vermuteten Bibliothek des Hauses Urbet schmökerte und mit Wissen über die Heilige Lutisana und den Theaterorden nach Vinsalt zurückkehrte, von dem seine Geschwister im Tempel nicht einmal träumen konnten …
„Esquirio Jaraldo, Signora de Monesta.“
Rahjada knickste und lächelte ihren ehemaligen Mitstudiosus an.
„Darf ich vorstellen: Grazioso Rohalion, Geweihter des Nandus.“
Sie trat ihm unauffällig auf den Fuß, nicht fest, aber doch so, dass er aus seiner Fantasievorstellung aufschreckte und rot anlief.
„Es … es ist mir eine Ehre“, brachte er heraus und verbeugte sich.

„Die Ehre ist ganz die meine“, gab der Großneffe der Direktorin der Oper zurück. Er musterte den Nandus-Geweihten kurz, schien einen Moment an dessen zerzauster Frisur hängen zu bleiben, und drehte sich dann doch zu seiner ehemaligen Kommilitonin hin.
„Rahjada, du bist nun Delegierte im Kronkonvent, habe ich gehört. Wer hätte das gedacht? Ist es dort so spannend, wie man annehmen kann?“
Abelmir sah die etwas Jüngere erwartungsvoll an. Er schien sich ehrlich für sie zu freuen.

„Das ist es“, strahlte sie. „Naja, es passiert selten etwas wirklich Unerwartetes, doch wenn es dann einmal einen Eklat gibt, oder die Bemerkung eines Wortführers, die zweideutig verstanden werden könnte, dann wird es ziemlich aufregend. Ich sitze teilweise stundenlang vor einer einzigen Aussage und versuche sie wie damals in der Nandus-Schule zu entschlüsseln und aus verschiedenen Perspektiven zu interpretieren. Meistens kommt nichts dabei heraus, doch die seltenen Male, in denen ich eine wahre Absicht hinter der scheinbar zufälligen Ellipse etwa der Stimme der Edlen herausfinden kann, wiegen die Fehlversuche wieder auf … Doch nun sollte ich dich nicht weiter langweilen, lass uns nicht von meiner Arbeit sprechen, sondern davon, wie es dazu kam, dass du heute in Begleitung dieser reizenden Dame hier bist?“
Rahjada hatte ihre Stimme verschwörerisch gesenkt, ihre Augen funkelten scherzhaft und verbargen, dass sie sich ein wenig davor fürchtete, wie Abelmir auf Fragen solcherart reagieren würde. Waren sie noch so gut befreundet? Oder war es unangemessen, das Gespräch darauf zu lenken, da sie selbst einmal an Elissas Stelle stand, damals in der Vinsalter Oper?

„Das ist bei weitem nicht so spannend wie deine neue Stellung, fürchte ich.“
Abelmir lachte ob des verschwörerischen Untertons Rahjadas einmal auf, allerdings nicht so laut, dass er dadurch die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden erregen musste.
„Ich kenne Elissa schon ewig, seit meiner Kindheit jedenfalls. Sie war eine von mehreren, denen ich von der heutigen Einladung erzählt habe. Und sie hat sehr schnell darauf bestanden, dass ich sie mitnehme.“

Währenddessen schien die Begleiterin Abelmirs die Aufmerksamkeit ihres Gastgebers, des praiosgeweihten Barons, ganz für sich in Beschlag nehmen zu wollen. Dass Elissa eine auf dem gesellschaftlichen Parkett der Hauptstadt schon überaus erfahrene junge Dame war, ließ sich nicht übersehen. Auricanius hatte sie kaum begrüßt, da lachte sie laut über eine eher auflockernde als zwingend witzige Bemerkung von ihm, hakte sich bald darauf bei ihm unter und führte ihn zum großen Monumentalgemälde der Theaterordensgründer, das er ihr anscheinend detailliert vorstellen sollte.
Die Bediensteten wandten sich zwischenzeitlich an die Luminifera, Rohalion und den Novizen Nepolemo, wohl um sie die Treppe hinauf ins Piano Nobile zum Ort der geplanten Abendgesellschaft zu lotsen.
Die ersten Gäste des Barons waren gerade an der Brüstung der oberen Galerie angekommen, als erneut die Türglocke läutete. Auricanius nutzte diese Gelegenheit umgehend, um sich gegenüber Elissa fürs erste zu entschuldigen – und gab den in der Eingangshalle verbliebenen Bediensteten Anweisung das Portal zu öffnen, konnte dies doch eigentlich nur der zweite wirklich wichtige Gast dieses Abends sein …

Inzwischen eher von einem dunklen rosa als von einem satten gold-orange breitete sich der Himmel einladender als jemals zuvor über ihm aus. Lutisanas sonst tief braun-rotes Haar hat damals golden geleuchtet, damals, als wir uns kennenlernten. Es war derselbe Himmel, genau derselbe, nur über Arivor, nicht über Vinsalt. Rahjalin sog die Abendluft ein, bevor er die Hand ausstreckte, um die Glocke zu läuten – und einen Wimpernschlag zögerte. In den vergangenen Stunden hatte er einiges erreicht. Seine Gefühle waren wieder die seinen, sie gehorchten ihm wie alte Kampfgefährten ihrem Offizier, mit ihrem eigenen Willen, doch am Ende immer zuverlässig, wie er es gewohnt war. Doch Zweifel nahm ihn freundschaftlich beiseite, flüsterte ihm Ratschläge ins Ohr, die er nicht hören wollte. Er stieß den hinterhältigsten seiner Gefährten beiseite, erinnerte ihn an seinen Platz – und er gehorchte unterwürfig.
„Danke, Herrin, danke!“, wisperte er nur zu sich selbst und zu dem ausklingenden Sonnenuntergang über ihm, von dem aus die Liebliche auf ihn achtete, wie sie es den ganzen Mittag über während der Meditation getan hatte. Der Hochgeweihte der Rahja läutete die Glocke des Palazzos. Das Portal wurde von einem Bediensteten geöffnet, während eine andere ihn willkommen hieß. Ihre Worte rauschten ungehört über ihn hinweg, denn er hatte seine Tochter erblickt, oben auf der Brüstung. Bewegungslos starrte sie auf ihn herab. Rahjalin stieß die Angst zurück, als sie halbherzig nach ihm griff und lächelte zaghaft. Sie war wunderschön, seine Tochter, wunderschön und intelligent, und hatte es so weit gebracht, er war so stolz auf sie.

'Sie beherrscht die Etikette wahrlich meisterhaft', dachte der junge Nandusgeweihte, der sich beim Läuten der Türglocke zu Rahjada umgedreht hatte, auf das schlimmste gefasst. Doch sie bewahrte einen versteinerten Gesichtsausdruck, während sie neben ihrem hochnäsigen Freund Abelmir Jaraldo stand und zu ihrem gerade hineinkommenden Vater herunterblickte. Rohalion sah ihn zum ersten Mal. Ein gutaussehender Mann, der um einiges jünger aussah, als er wahrscheinlich war, und zu seiner Überraschung mit einer ebenso gefassten Miene wie seine Tochter. Lächelte er sogar? Irgendwie hatte Rohalion sich das Aufeinandertreffen emotionaler … tränenreicher vorgestellt. Doch vage erinnerte er sich an eine Passage aus einem Buch über den Rahja-Glauben zu Zeiten des Bosparanischen Reiches: ... und besonders im Fokus unseres Glaubens liegt die Gefühlskontrolle, welche uns erlaubt, alles Schöne umso stärker und alles Schlechte schwächer zu erfahren.
Er vermochte sich kaum vorzustellen, was im Inneren des Rahjanis und seiner Tochter gerade für Schlachten ausgefochten wurden.

Er lächelt! Warum lächelt er? Auricanius erzählte doch, er sei reuevoll. Und jetzt lächelt er! Weiß er denn gar nicht, was er mir angetan hat? Was er ihr angetan hat? Es wäre grausam, einen Menschen für ein Lächeln zu verurteilen, vielleicht ist er einfach nur höflich. Nicht so grausam wie er war! Ich muss mich erinnern, was er getan hat, ich muss mich erinnern, darf nicht vergessen, darf sie nicht vergessen, aber das … Rohalion meinte, ich soll seine offene Hand ergreifen. Was weiß er schon! Nichts … nichts. Aber Auricanius … Nichts aber, es war ein Fehler, herzukommen. Oder waren die Jahre davor der Fehler? Bin ich die einzige, die nicht versteht, nicht verzeiht, nicht würdig ist?
Rahjadas Gedanken wirbelten schneller als sie ihnen hinterherhetzen konnte, von den Gefühlen ganz zu schweigen. Alles, was sie tun konnte, war, nichts davon an die Oberfläche dringen zu lassen. Unfähig zu sprechen war sie, aber ihre Hand konnte noch zittern. Sie ballte sie zur Faust, ließ alles an sich abprallen, bis nur noch Stille da war, atemlose Stille. Ein Warten darauf, dass irgendetwas geschah und die unerträgliche Spannung zerstörte.

Mit wenigen raumgreifenden Schritten war Auricanius am Portal, wo tatsächlich der erwartete Gastgeber der Leidenschaft nun hätte eintreten können … wenn er denn nicht wie erstarrt, mit Blick wohl zur Brüstung der Galerie, davor stehen geblieben wäre. Ohne sich umzusehen, erahnte Auricanius, wem der Blick Rahjalins dort galt.
'Nun zählt's', dachte er und trat noch einen weiteren Schritt näher an den Rahja-Geweihten heran – so nah, dass mancher Benimmlehrer den ob der Etikette angemessenen Abstand bereits verletzt sehen mochte. Dann räusperte er sich einmal laut.
„Monsignore, schön, dass ihr es geschafft habt“, begrüßte er Rahjalin laut mit einem Lächeln. Und der bewusst gewählten förmlicheren Anrede, vor allem um seine im weiteren Verlauf des Abends vielleicht noch wichtig werdende Neutralität zwischen Vater und Tochter zu bewahren.
„Wir waren gerade dabei, die anderen Gäste zum Ort des Spiels und auch des vorbereiteten Mahls zu führen. Ihr seid eben noch rechtzeitig gekommen, dass ich mir doppelte Ausführungen zu den Räumlichkeiten und ihrer Ausstattung sparen kann.“
Auricanius' Strategie war offensichtlich zunächst die Ablenkung von emotionalen Gedanken, die seinen Gast mutmaßlich umtrieben. Dass er ein drittes Mal zum Gemälde der Theaterordensgründer referieren würde, erwartete er ohnehin nicht. Dafür war für Rahjalin seine Tochter viel zu sehr Mittelpunkt des Raums.

Rahjalin blinzelte und drehte sich zu Auricanius. Nur die Hälfte der fröhlichen Begrüßung des Praios-Geweihten war bei ihm angekommen. Während er noch seine Gedanken sortierte, begann das Schweigen bereits äußerst unangenehm zu werden.
„Es ist mir eine Freude, Au... Monsignor, nochmals vielen Dank für die Einladung“, lächelte er schließlich.
Er bemerkte nicht, dass die junge Dame an Auricanius‘ Seite bei seinem kurzen Stolpern über die förmliche Anrede verwundert die Brauen zusammenzog. Erneut warf er einen schnellen Blick hinauf zur Brüstung.

Abelmir berührte sie zart am Arm.
„Rahjada? Alles in Ordnung?“, hauchte er. Sie hatte bis eben nicht bemerkt, wie fest sie die Brüstung umklammerte. Ihre Finger schmerzten, als sie sie losließ.
„Mir geht es gut“, log sie ebenso leise, ohne den Blick von Rahjalin zu nehmen. „Ich bin nur … nervös, weil mein Vater den Weg aus Urbasi hierher auf sich genommen hat, nur um …“
Sie verstummte. Ihr fiel keine gute Ausrede ein.
„Er ist dein Vater?“ Abelmir schaffte es trotz seiner Überraschung, leise zu bleiben. „Keine Sorge, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Meine Mutter besuchte mich zu meinem Abschluss in Methumis, da fühlte ich mich auch ziemlich auf die Probe gestellt. Doch er wird nichts an dir aussetzen können, glaub mir.“
Rahjada biss sich auf die Lippe. Beinahe hätte sie verzweifelt aufgelacht. Ach, wenn es nur das wäre, was gäbe sie dafür?

„Nichts zu danken“, griff Auricanius von der kurzen Erwiderung Rahjalins auf, was sich anbot.
„Euretwegen kam es doch überhaupt zu dieser Verabredung … dieser wundervollen Gelegenheit, das Spiel der Tugenden in Aktion zu sehen.“
Der Praios-Geweihte war sich nicht sicher, wieviele seiner Worte bis zum Rahja-Geweihten durchdrangen, was ihn aber nicht abzuhalten schien, weitere zu verlieren.
„Euretwegen, des Signors Jaraldo und auch seiner reizenden Begleiterin wegen“, korrigierte er sich dann selbst. „Signora Elissa de Monesta, wenn ich vorstellen darf.“ Er wies den Neuankömmling dabei auf die an seiner Seite stehende Patrizierin hin. „Und euch, Signora, Rahjalin Solivino, der Gastgeber der Leidenschaft im Tempel der Heiligen Ricarda zu Urbasi … und Seneschall der Mark Silbertal.“
Gerade letztere Hervorhebung schien bei der Angesprochenen ein wenig Eindruck zu schinden, wohl vor allem, weil sie unerwartet war. Mit einem formvollendeten Knicks bot sie daraufhin Rahjalin die Hand zur Begrüßung an.
„Wir wollten gerade den Weg ins Piano Nobile antreten“, ergänzte Auricanius noch. „Wäret ihr damit einverstanden, die Erläuterungen, die ich Euch zur Eingangshalle machen könnte, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben?“
In Erwartung einer Antwort sah er den Rahja-Geweihten an.

„Ja, natürlich.“
Rahjalin zog verwirrt die Brauen zusammen und hauchte einen Kuss auf die Hand der jungen Dame.
„Wie schön, Euch kennenzulernen, Signora“, hörte er sich selbst sagen, wie aus einer reflexartigen Gewohnheit heraus, ohne wirklich bei der Sache zu sein.
Sie antwortete etwas, lächelte reizend und hakte sich dann bei ihm unter. ‚Verdammt, konzentrier dich! Wie hieß sie doch gleich? El… Elissane, oder so ähnlich?‘
Sanft aber bestimmt zog sie ihn in Richtung Treppe, hinter dem Gastgeber hinterher.
„… denn in die wunderschöne Hunderttürmige? Man erzählt sich, Urbasi versuche, das zweite Vinsalt des Reiches zu werden, es müsste nur noch die zehnfache Anzahl an Türmen gebaut werden, dann könnte die Silberstadt uns ernsthaft Konkurrenz machen.“
Die hübsche Adlige, sie mochte etwa im Alter seiner Tochter sein, lachte hell auf. Er lachte mit.
„Stimmt, Urbasi verfügt über so einige Geschlechtertürme, doch es würde zuerst in Meridiana anfangen zu schneien, bevor Euch jemand Konkurrenz machen könnte in Eurer Schönheit.“ Rahjalin zwinkerte ihr zu.
Doch schon schweiften seine Gedanken wieder ab. Hatte er damals zu Lutisana etwas Ähnliches gesagt? Damals… es war so lang her und doch hörte er das Aufeinanderschmettern der Turnierritter in voller Platte wie als säße er noch immer auf dieser unbequemen Holzbank in Arivor vor über zwanzig Götterläufen. Er zuckte zusammen und warf einen Blick hinunter in die gähnende Leere der Eingangshalle. Da war niemand, die letzte Dienerin verließ sie gerade durch einen Nebenausgang. Rahjalin blinzelte verdutzt, als sich die letzten Errungenschaften seiner Meditation in Nichts auflösten.

Das berühmte Wappen der von Schreyens trug einst auch Rahjalins Mutter auf die Turnierbahn Arivors.

Das aufgeregte Volk machte einen ohrenbetäubenden Lärm. Entsetzen stieg in ihm auf, denn die Ritterin mit dem weißen Adler auf dem schwarzen Wappenrock, die da unten für den zweiten Lanzengang wendete, war seine Mutter. Der Ellbogen seiner kleinen Schwester Cerceri traf ihn schmerzhaft in die Seite. „Da hat jemand Interesse an dir, da oben!“ Sie kicherte, als er sich umdrehte, den Hals reckte, um die oberen Ränge zu erspähen. Er hätte sie wohl niemals erkannt, wäre sie nicht errötet und hätte schnell den Blick abgewandt. Eine junge Frau, ihr lockiges Haar goldrot wie der Sonnenuntergang über Belhanka bei seinem ersten Fest der Freuden, ihr schlichtes Kleid ließ sie hinreißender aussehen als edle Stoffe und Schmuck es jemals hätten vollbringen können.
Um ihn herum stöhnte seine Arivorer Verwandtschaft kollektiv auf, ein rondrageweihter Onkel schüttelte enttäuscht den Kopf, Cerceri stieß ein Wimmern aus. Er riss den Kopf herum, gerade rechtzeitig, um mitzubekommen, wie seine Mutter sich auf ihren Knappen stützend aus dem Staub hochkämpfte. Jubel für den Sieger brandete auf und Rahjalin schämte sich dafür, dass er innerlich mitjubelte, sich so leicht, so glücklich fühlte, als könnte er die ganze Welt umarmen.

Rahjada wandte missbilligend den Blick ab, als Elissa sich bei ihrem Vater unterhakte. Sie hatte wohl wirklich zu viel Vertrauen in Auricanius‘ Behauptung gesetzt. Reue war das letzte, was sie in Rahjalins Verhalten erkennen konnte. Machte er der Signora da etwa ein Kompliment? Die drei waren jetzt fast bei ihnen angekommen. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, bevor sie sich wieder umdrehte, um ihm ihre Meinung zu sagen. Was sie von ihm hielt. Wie sie sich damals in Urbasi gefühlt hatte, als er alle drei Monde mit einer neuen Frau ausging, von denen keine jemals ihre Mutter würde ersetzen können. Wie sie realisiert hatte, dass Lutisana nur eine in einer Reihe von vielen gewesen war.
Das und noch mehr wollte sie ihm entgegenschleudern, egal, wer alles zuhörte ... doch als sie ihn erblickte, zögerte sie einen Wimpernschlag lang. Ihre Entschlossenheit wankte. Rahjalin stand vor ihr und zum ersten Mal in ihrem Leben wirkte er verletzlich auf sie. Er starrte ins Leere … melancholisch, als hätte er das Gefühl Freude niemals kennengelernt. Dabei lächelte er doch immer. Sie kannte diesen Mann nicht, der da vor ihr stand. Ohne dieses verschmitzte Funkeln in den Augen, die ansteckende Heiterkeit, ohne diese beruhigende Aura, die Selbstsicherheit, ohne die Eigenschaften, die Menschen um ihn herum dazu veranlassten, ihn zu lieben oder ihm nachzueifern, war er nur eine leere Hülle.
Rahjada öffnete den Mund, doch bekam keinen Ton heraus. War es das, wovon Auricanius gesprochen hatte? War das ihr Werk? Hatte er sich das wirklich aus Liebe zu ihr angetan, aus Verzweiflung über ihre Ablehnung?