Briefspiel:Plötzlich Delegierte/In der Villa Ricarda V

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Stadt Urbasi.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi.png
Datiert auf: Frühjahr 1046 BF Schauplatz: Urbasi, Cassiena, Vinsalt Entstehungszeitraum: Sommer 2025
Protagonisten: Rahjada, Traviane und Rahjalin Solivino, Auricanius von Urbet u.w. Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Bella, Haus Urbet.png Gonfaloniere
Zyklus: Übersicht · Rahjadas Brief · Besuch im Tempel · Von einem Monsignore zum anderen · In der Villa Ricarda I · II · III · IV · V · Auricanius' Einladung · Treffen in Vinsalt I · II · III · IV · V · VI


In der Villa Ricarda - Teil V: Zu (be)strafen und (anzu)richten

Als Auricanius zu sprechen begann, senkte Rahjalin den Blick, auf alles gefasst und mit einer Art inneren Ruhe, die er sonst nur nach mehreren Stunden Meditation fand. Erst als die erwartete Verurteilung ausblieb, merkte er, dass er nicht nur mit ihr gerechnet … sondern sie sich herbeigesehnt hatte. Verdammt, er wollte verurteilt werden für das, was er getan hatte! Und Praios war der Gott der Gerechtigkeit, er wollte die gerechte Strafe von einem seiner Geweihten. Wer war besser geeignet als dieser Geweihte, der auch Rahjada kannte, die letztlich Betroffene?
Das alles begriff Rahjalin erst jetzt, dieser Hintergedanke, der Grund, warum er sich Auricanius überhaupt öffnete, ging weit hinaus über den einfachen Wunsch, gehört zu werden.
„Bitte …“ Rahjalin hob den Blick wieder. Tränen stiegen in seine Augen.
„… Monsignor, was muss ich tun? Welche Buße hat mir Praios auferlegt, was für eine Strafe für dieses Verbrechen, diesen Frevel der Verantwortungslosigkeit? Wie kann ich es vor ihm, seiner lieblichen Schwester, ja allen Zwölfen nur je wieder gutmachen? Ich werde jede Strafe mit Freuden annehmen, jedes Urteil. Ihr seid ein hoher Diener des Himmlischen Richters … bitte, wie richtet Ihr in seinem Namen über mich?“
Seine emotionsgeladene Stimme war erfüllt von Verzweiflung und Verlorenheit. Der Rahjani hatte Kopf wieder gesenkt, sodass die Tränen nun über seine Wimpern auf die Tischplatte tropften.

Auricanius musste das Gehörte erstmal verarbeiten. Mit dieser Reaktion Rahjalins hatte er nicht gerechnet – obschon dessen verwundbare Offenheit bisher verschiedene Richtungen, in denen das Gespräch sich weiter entwickeln könnte, überhaupt erst aufgetan hatte.
„Rahjalin“, sprach er den Hochgeweihten schließlich mit seinem Vornamen an, nicht mehr mit 'Monsignore', wie er es zuvor mehrfach getan hatte. „Es ist nicht an mir, über dich zu richten, auch nicht im Namen meines Herrn. Er ist zwar Richter, der höchste dazu, aber ebenso Teil einer Familie, der der Zwölfe nämlich.“
Auricanius' Worte gewannen erst nach und nach an Sicherheit.
„Versöhnung wird nicht durchs Bestrafen geboren. Eine Strafe kann – im besten Fall – zur Einsicht führen. Aber an Einsichtigkeit mangelt es euch …“ Er stockte kurz, berichtigte sich dann sofort: „… dir in dieser Situation ja am allerwenigsten. Ich beginne wohl erst zu erahnen, welch tiefer Schmerz dich wirklich umtreibt. Aber glaube mir bitte, dass keine Strafe oder Buße, die ich dir auferlegen könnte, dies lindern wird. Das kann nur Versöhnung tun, für die es Aufrichtigkeit braucht, jedoch nicht mir gegenüber, sondern allein die deiner Tochter direkt entgegengebrachte.“
Bei diesen Worten griff er nach den Händen seines Gastgebers und fixierte seinen Blick auf dessen Gesicht, wohl hoffend, dass der Rahjani den Kopf wieder aufrichten würde.

Ein leises Schluchzen durchfuhr Rahjalin. Er blinzelte mehrmals und sah dann auf, die Augen gerötet und tränennass.
„Das ist… wunderschön. Die Zwölfe als Familie zu sehen“, flüsterte er leise mit belegter Stimme. Bei jedem anderen Praioten hätte ihn diese Sicht auf das Pantheon gewundert, doch nicht bei Auricanius. Dieser Praiot saß gerade bei ihm, tröstete ihn und hielt seine Hand. Sanft erwiderte er den Händedruck des Geweihten.
„Ihr – du hast in allem Recht, was du sagst. Danke, Auricanius.“
Für ein paar Wimpernschläge brachte er nicht mehr zustande als diese Worte der Dankbarkeit. Abermals musste er schwer schlucken, bevor er wieder sprach.
„Du hast mich wahrscheinlich gerettet. Ich war an einem Punkt, an dem ich wohl alles getan hätte, was mir ein Entkommen von diesem Schmerz versprochen hätte, jedes Urteil angenommen hätte, auch von solchen, die mir nicht so wohlgesonnen sind wie du. Die Gefahr dieser Situation wird mir erst langsam bewusst. Eigentlich bin ich dafür da, die Anzeichen bei anderen zu bemerken und ihnen zu helfen, dabei habe ich wohl völlig ausgeblendet, dass ich auch einmal in so eine Situation kommen könnte.“
Keinen Augenblick ließ er Auricanius‘ Hände los, dankbar für die Wärme und den Halt. Während er sprach, normalisierte sich seine Stimme wieder, bis sie am Ende kaum noch so klang als hätte er gerade geweint. Wären da nicht die nassen Striemen auf seinen Wangen und die geröteten Augen, die ihn verrieten. Er zögerte.
„Rahjada will mich nicht sehen. Ihr … ihr letzter Besuch ist über einen Götterlauf her und da hat sie vor allem meine Schwägerin besucht. Und ihre Briefe gehen niemals an mich.“
Es kostete ihn sichtlich Überwindung, diese Informationen zu teilen. Trotz des normalen Tonfalls klang er verletzlich, zerbrechlich, als könnte ein Windhauch ihn wieder in den Abgrund zurückschubsen, aus dem der Praiot ihn gerade gezogen hatte.

„Möchtest du, dass wir sie besuchen? Zusammen?“
Auricanius hielt die Hände Rahjalins weiter fest umschlossen.
„Ich werde in Kürze ohnehin wieder in die Hauptstadt reisen, hätte deine Tochter so oder so besucht bei dieser Gelegenheit“, erläuterte er und versuchte die Idee dennoch nur als eine Option von vielen erscheinen zu lassen.
„Nur wenn du einverstanden bist natürlich. Und es deine Pläne zulassen, vor allem“, fügte er deshalb an.
Tatsächlich gingen ihm dabei schon Konstellationen durch den Kopf, wie ein solches Treffen vielleicht erfolgversprechender zu gestalten wäre.

Ein Moment verging, in dem Rahjalin sein Gegenüber nur anstarrte. Er nickte zaghaft. "Sehr gerne. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll ... für alles."
Er drückte Auricanius' Hand, lächelte unsicher.
Die Küchenmagd und der Diener, der ihnen stets den Wein serviert hatte, betraten den Speisesaal und tischten eine große Fischplatte auf. Verschiedene Süßwasserfische waren als Filets zubereitet: Forelle, Hering, Karpfen, dazu einige gekochte Flussmuscheln und Krabben. Als Beilage gab es eine würzige Knoblauchsoße, Pasta und mit Kräutern verfeinerten Salat. Ein schwerer Rotwein vollendete das Mahl.
Rahjalin betrachtete die Speisen nicht ohne Vorfreude. Er schien seinen Appetit zumindest teilweise wiedergefunden zu haben.

Auricanius lächelte zufrieden – ob der verbesserten Stimmung seines Gastgebers, aber auch der ihm von diesem dargebotenen Speisen. Die Gedanken zum nun wohl bevorstehenden Treffen mit Rahjada in Vinsalt wurden dabei jedoch nicht weniger. Eine Idee zumindest keimte – und die hatte auch mit dem heute schon mit Rahjalin besprochenen zu tun …


Kaum waren die zwei jungen Bediensteten zurück in der Küche, steckten sie die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln.
"Hast du gesehen, wie Hochwürden Rahjalin ausgesehen hat? Als hätte er gerade geweint! Die hohen Herrschaften müssen beim Essen ja über ziemlich persönliche Dinge gesprochen haben", flüsterte das Mädchen so geheimnisvoll, als ginge es darum, einen Hochverrat zu vertuschen.
"Und der Praiosgeweihte hat seine Hände gehalten! Vorhin habe ich Signora Aurelia mit Monsignor Rahjalin reden hören, da hat Seine Hochwürden abgestritten, eine, nun ja … intime Beziehung zu seinem Gast zu haben, aber die Signora hat ihm, glaube ich, nicht so ganz geglaubt", erzählte der Junge stolz von seiner Beobachtung.
Sie schlug sich eine Hand vor den Mund, um ein aufgeregtes Quietschen zu ersticken. "Ich bin mir sehr sicher, dass sie sich vorhin noch ganz förmlich angesprochen haben, davon war jetzt nichts mehr übrig. Da ist etwas im Busch! Oh, ich kenne eine ganze Menge Leute, die das interessieren wird. Mein Vetter arbeitet auch für die Solivino, in Urbasi ..."
"Und meine Schwester kennt jemanden, der für die Urbets arbeitet", fügte er verschwörerisch hinzu.
Die beiden kicherten los bei dem Gedanken, dass sich dieser Klatsch schneller als ein Lauffeuer verbreiten würde.