Briefspiel:Fest der Freundschaft/Im Palast Rahjas auf Deren
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Im Palast Rahjas auf Deren
Autoren: Bella, Nebelzweig
Rahjalin Legari
Rahjalin Solivino, Rahjalin Legari und Lysandros schlenderten zielstrebig, aber nicht zu hastig in Richtung Anleger, von wo sie eine Gondel zum Palast Rahjas auf Deren bringen würde. Die letzten Tage waren stressig genug gewesen, also wollten sie die Sache jetzt etwas ruhiger angehen. Außerdem rauschte man nicht mit einer Laune wie die heilige Inquisition in den Haupttempel der Heiteren. Bei dem Gedanken musste Rahjalin schmunzeln. Ihm waren auf seinen Reisen mal ein paar Praiospriester begegnet und ein erschreckend großer Teil wirkte dauerhaft so, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. Nun ja, es gab auch ein paar ganz Anständige, die er jetzt ganz gerne an seiner Seite gehabt hätte. Ein Diener der Gerechtigkeit und Wahrheit, der nicht zu sehr einen Stock im Hintern hatte, wären jetzt sogar perfekt. Aber leider gab es vieles in Belhanka, nur keinen Praiostempel. Vermutlich waren den Praioten die Leute hier zu gut gelaunt.
Er betrachtete die Menge vor sich, ein heftig knutschendes Pärchen war auf dem Weg in eine ruhige Mauernische, ein dutzend Leute legten mitten auf der Straße in leichten, farbenprächtigen Kleidern einen Kreistanz hin, das die Haare nur so flogen, zu dem eine Gruppe übermütige Musikanten an der Straßenecke den Takt vorgaben. An der Ecke verkaufte eine kleine dünnte Frau Fruchtsaft. Definitiv zu gut drauf für Praioten.
Der Priester seufzte, in einem anderen Jahr hätte er sich, Rahjalin Solivino hinter sich herziehend, in den Kreis eingereiht, aber dafür hatten sie jetzt keine Zeit. „Was meinst du?“, riss Rahjalin Solivino ihn aus seinen Gedanken, als der sich an Lysandros wandte, „ist sie noch im Tempel? Im Palast ist es normalerweise ziemlich unübersichtlich. Könnten die Kavaliere oder Säbeltänzer sie irgendwo anders hingebracht haben?“ Der Akoluth, der wieder seine Prunkrüstung trug, vermutlich eher, um sich beim bevorstehenden Treffen mit seiner ehemaligen Geliebten sicherer zu fühlen, als das er dran glaubte dass er sie in einen Kampf brauchen würde, dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf „das ist ziemlich unwahrscheinlich, euer Hochwürden, alle Tempelwachen sind voll ausgelastet und jetzt Leute dazu abzustellen jemanden erst aus dem Tempel, dann auf eine Gondel und dann durch die Stadt zu eskortieren…“, er schüttelte den Kopf „Nein, dafür müsste man mindestens zwei Leute abstellen die auf dem Fest dringend gebraucht werden. So wie ich die anderen Kavaliere und die Säbeltänzer kenne werden sie sich einen Raum ohne Fenster suchen, die Tür verkeilen und irgendeinen Novizen, der eine Kleinlichkeit ausgefressen hat, davor stellen, um sicher zu gehen das nicht jemand versucht den Raum für ein Schäferstündchen zu nutzen.“ Sein Blick verlor sich kurz in der Ferne, vermutlich dachte er an seine eigenen Stelldicheins mit Yandriga, bis er schmerzhaft das Gesicht verzog und sich schüttelte, als wollte er die Erinnerungen loswerden. Die beiden Priester wechselten hinter seinem Rücken einen Blick, der Mann brauchte dringend einen Seelsorger. Rahjaorden waren viel härter im Nehmen als viele Rondrianer und Praioten dachten, aber solche Wunden saßen tief, schmerzten stärker als jeder Schnitt und konnten fürchterlich eitern, wenn sie nicht gut heilten. „Woher weißt du eigentlich, dass er Gastgeber der Leidenschaft ist?“, erkundigte sich Rahjalin Legari, damit ihr neuer Begleiter nicht wieder in düstere Gedanken abdriftete. „Wir haben dir doch gar nichts davon erzählt und es ist übrigens auch nicht nötig das du uns mit Titel ansprichst. Ich habe dann immer das Gefühl, dass gleich eine wirklich böse Überraschung des Wegs kommt.“ Der andere zuckte die Achseln „Seine Weihetätowierung hat eine Weinlaub Ergänzung und als ihr eben vor mir den Raum verlassen habt war es recht deutlich zu sehn.“ Rahjalin warf einen kurzen Blick auf das Oberteil seines Freundes, das einst aus mehreren Bahnen roter Seide bestanden hatte und zuckte die Achseln. Ihrer beider Kleider waren nicht im besten Zustand, gaben aber noch erheblich mehr her als das, was viele andere hier anhatten und sie enthüllten nichts, für das man sich hätte schämen können.
Den Rest des Weges legten sie größtenteils schweigend zurück. Zwar versuchten beide Priester immer wieder ein Gespräch, über das Wetter, die Weinernte, Pferde, Politik, Fechtkunst, Tanz oder Malerei in Gang zu bringen, aber alle er Versuche erstarben angesichts der schlechten Stimmung rasch.
Der Anleger war bedeckt mit zertretenen Blüten, Kleidungsstücken und weniger appetitlichen Dingen. Rahjalin seufzte innerlich als er über eine Lache aus Erbrochen stieg. Er bewunderte die Belhankaner für ihre Nervenstärke jedes Jahr nach dem Fest aufzuräumen und die Gäste im nächsten Jahr wieder mit offenen Armen zu empfangen. Sie mussten Rahja wirklich lieben. Wobei das Geld, dass die Feiernden ausgaben, wahrscheinlich auch nicht ganz unwichtig war.
Aber zumindest der Gondoliere war gut drauf und offensichtlich etwas beschwipst, so das er die gedrückte Stimmung einfach übersah und wie ein Wasserfall Witze und Anekdoten hervor sprudelte. Begleitet von diesem fröhlichen Hintergrundrauschen wurden sie durch die vollen Kanäle Belhankas gestakt. Vorbei an anderen mit Blumen geschmückten Gondeln auf denen Priester, Feiernde und Liebespaare unterwegs waren, manchmal handelte es sich um ein und dieselbe Person.
Schließlich erreichten sie Paradisela. Sie fuhren an der vor Anker liegenden Seestute vorbei und Rahjalin konnte nicht anders als den Hals zu recken um ein Blick aufs Deck zu erhaschen auf dem fleißig Vorbereitungen für ihr auslaufen getroffen wurden. Dann legten sie endlich an der Kaimauer des kleinen Hafens an und gingen nachdem sie den Gondoliere entlohnt hatten den Weg entlang zum Tempel. Rahjalin Legari nahm einen tiefen Atemzug. Er liebte seine Kirche. Selbst in ihrem Haupttempel an ihrem höchsten Feiertag hatte alles etwas offenes und leichtes an sich. Eine laue Briese trug Gelächter und den Duft der Rosengärten heran.
Und Yandriga hatte all diese Schönheit und Unbefangenheit ausgenutzt, um damit ein Verbrechen zu decken. Er erwartete eine verdammt gute Erklärung von ihr.
Rahjalin Solivino
Rahjalin atmete tief durch, als sie den Platz vor dem Palast Rahjas auf Deren überquerten. Das Forum war umgeben von unzähligen bunten Pilgerzelten und Stimmengewirr und Gelächter lagen in der Luft. Die Freude hier unterschied sich kaum merklich von der Stimmung in ganz Belhanka, doch irgendwie war die Atmosphäre hier noch feierlicher, fast heilig. Er fühlte sich trotz des Thermenbesuches schmutzig und zu unrein, um diesen heiligsten aller Orte zu betreten. Denn an den höchsten Feiertagen hatte er die Gebote seiner Göttin, zu feiern und Spaß zu haben, nicht beachtet. Eine innere Stimme sagte ihm zwar, dass er keine Wahl gehabt hatte und es schlimmer gewesen wäre, der Sache nicht nachzugehen, doch das war seinem Gewissen herzlich egal.
Die Rahjageweihten und der Ritter betraten die rosafarbenen, majestätischen Hallen. Rahjalin war zwar nicht zum ersten Mal hier, doch er konnte nicht anders, als den Kopf zu recken und den immens hohen Kuppelbau zu bestaunen. Die drei brauchten eine Weile, um sich durch den überfüllten Tempel bis in die Mitte vorzuarbeiten. Vor der vollendeten, marmonen Statue Rahjas fiel Rahjalin neben etwa fünf anderen Gläubigen auf die Knie und versank in ein minutenlanges, inniges Gebet. Er hätte hier gerne eine ganze Meditation verbracht, doch sie waren wegen etwas Anderem hier. Seufzend öffnete er die Augen und sah, dass seine Begleiter es ihm gleichgetan hatten: Lysadion hatte sogar noch immer die Augen geschlossen und seine Lippen bewegten sich während des stillen Gebetes. Wahrscheinlich fragte sich die arme Seele, was sie falsch gemacht hatte. Rahjalin tauschte einen besorgten Blick mit Rahjalin Legari, dann warteten sie, bis Lysadion fertig war. Der Tempelvorsteher hielt dem Rahjakavalier eine Hand hin und Lysadion ließ sich kraftlos aufhelfen.
Rahjalin Legari hielt derweil Ausschau nach einem Priester und führte dann seine Begleiter zielstrebig durch das Getümmel zu einer mittelalten Geweihten, die sich ihnen sofort mit strahlendem Lächeln zuwandte. „Rahja zum Gruße, meine Lieben, wie kann ich euch…“ sie stutzte, als sie ihre etwas zu wenig fröhlichen Mienen sah. „… helfen? Ist etwas nicht in Ordnung? Was macht ihr denn für Gesichter?“, fragte sie besorgt. „Schwester, wir sind so froh, euch gefunden zu haben!“, sagte Rahjalin. „Ihr habt Recht, wir sehen viel zu bekümmert aus für diese wundervolle Zeit. Das hat den Grund, dass wir zu einer Gefangenen namens Yandriga müssen. Unser Freund hier wurde vor zwei Tagen von ihr beinahe vergiftet.“ Bei den letzten Worten senkte er seine Stimme, so etwas im Palast Rahjas auf Deren herumzuschreien, schien ihm keine gute Idee.
Die Priesterin schlug sich die Hände vor den Mund. „Das ist ja schrecklich! Mein allerherzlichstes Beileid!“ Sie umarmte Lysadion überschwänglich.
„Könnt ihr uns zu ihr bringen, Schwester? Wir müssen unbedingt mit ihr sprechen.“, sagte Rahjalin Legari.
„Aber natürlich. Folgt mir. Sie müsste in einem Nebengebäude sein. Hier im Tempel werden keine Gefangenen gehalten.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und bahnte ihnen einen Weg durch die Menge zu einem Nebenausgang. Als sie den Kuppelbau verließen, wurde es augenblicklich ruhiger, obwohl man von Stille in Belhanka während des Festes der Freuden wohl kaum sprechen konnte. Die Geweihte führte sie durch eine hübsche Gartenanlage voller Rosenbüsche zu einem kleinen Nebengebäude, vor dem zwei Tempelwachen standen. Die Wachen traten sofort zur Seite, als sich die drei Priester und der Rahjakavalier näherten. „Meine Herren, in welchem Raum wird die Gefangene namens Yandriga festgehalten?“, wandte sich die Priesterin an die beiden.
„Yandriga… hm… Tut mir leid, den Namen habe ich in letzter Zeit nicht gehört.“, meinte der eine nur und kratzte sich am Kinn. Doch der andere nickte. „Du warst nicht dabei, als sie eingeliefert wurde, Amir. Sie ist in… ich glaube im zweiten Stock das erste Zimmer links.“
„Vielen Dank. Dann kommt mit und schließt den Raum auf.“, sagte die Priesterin zu der Tempelwache. Sie betrat das Gebäude und brachte ihre drei Begleiter zu dem Raum. Die Wache fummelte kurz an dem Schlüsselbund herum, dann öffnete sie die Tür zu einem kleinen, weiß getünchten Zimmer, dessen ganzes Mobiliar eine Pritsche und ein Stuhl waren. Mit dem Rücken zu ihnen stand Yandriga da. Ihre blonden Locken fielen strähnig und ungepflegt über ihre Schultern, die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt und wundgescheuert, so als hätte sie anfangs versucht, sich zu befreien. Sie drehte sich nicht um, ließ mit keiner Regung ihres Körpers erkennen, dass sie ihre Besucher bemerkte. Rahjalin beobachtete, wie Lysadion die Fäuste ballte. Der Rahjakavalier schluckte und versuchte, seine heftig aufwallenden Gefühle zu unterdrücken. Schließlich räusperte er sich. Unmerklich zuckte Yandriga zusammen, dann drehte sie sich langsam um, mit einem Gesicht, das genauso gut eine Maske hätte sein können. Kalt musterte sie Lysadion und die Rahjageweihten. Es herrschte ein lange Stille, die unangenehmste, die Rahjalin je erlebt hatte, trotz all der Stunden mit zerstrittenen Paaren, Sterbenden und seelisch Kranken. Lysadion musste sich immer mehr beherrschen, seine Hände zitterten. „Warum?“, brachte er schließlich hervor und starrte Yandriga anklagend an. Die Angesprochene stieß verächtlich den Atem aus. „Warum?“, sagte sie leise. „Nicht jeder wohnt in einer komfortablen Villa, hat alles, was er braucht und muss sich nur darum sorgen, was er zum nächsten Ball anziehen will.“
„Das ist keine Erklärung!“, schrie Lysadion sie an. „Doch.“, meinte Yandriga gleichgültig. „Ich wurde dafür bezahlt.“ Sie wandte ihren eisigen Blick Rahjalin zu. „Nicht jeder bekommt alles von den Göttern hinterher geschmissen. Für manche sind die Götter nie da.“ Rahjalin erkannte, dass sie Bezug auf seine Aussage nach dem Heiligen Befehl nahm und senkte den Blick. Yandriga schien das nur noch mehr zu befeuern. „Wo ist Rahja? Wo war sie mein ganzes Leben lang? Wo war sie, als ich als Kleinkind beinahe verhungerte und mich Verbrecher retten mussten? Wo war sie?!“ Rahjalin brachte es nicht über sich, den Kopf zu heben und ihr in die Augen zu sehen. Er wusste um das Elend in den Gossen der strahlenden Städte des Horasreiches und er wusste, dass er Yandriga nicht auf ihre Fragen antworten konnte. „Wo war sie?!“, schrie Yandriga, nun an alle in dem Raum gerichtet.