In Sachen Ramaúd/Empfang auf Gut Zweiflingen

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert das Zusammentreffen einer Reihe von Unterstützern Gishtan re Kusts auf Gut Zweiflingen ab dem 7. Rondra 1036 BF sowie die Ereignisse, die sich dort zutragen.


Vor dem Duell (zusammengetragen aus den Berichten verschiedener Gäste)

Die ersten Gäste treffen ein (7. Rondra 1036 BF)

Gishtan re Kust hatte sowohl seine Sekundanten als auch eine Reihe seiner Unterstützer auf Gut Zweiflingen eingeladen. Dort herrschte seit dem 7. Rondra ein erst gemächliches, dann stärkeres Kommen und selteneres Gehen der Gäste.

Lamea Cordur und ihre betagte Mutter Selina waren unter den ersten, die dem angehenden Duellanten ihre Aufwartung machten. Die einstige Maestra von Shenilo ermahnte diesen, ja daran zu denken, die hiesigen Rondrageweihten als Schiedsrichter des Aufeinandertreffens hinzuzuziehen. Das erschien Baron Gishtan nicht nur sinnvoll und angebracht, es lag auch nahe, war Arana, Vorsteherin des örtlichen Tempels, doch eine Großnichte der alten Selina. Wer hätte Ihre Hochwürden da übergehen wollen?

Im weiteren Sinne rondrianischen Beistand brachte das Haus Menaris, aus dem frühzeitig Asteratus Menaris sowie Thalion Gabellano, Gemahl Geronyas, der einstigen Kampfgefährtin Gishtans, Einlass begehrten. Dem Gastgeber wie auch manch anderem Interessierten berichtete Thalion von der Kampfweise des Cavalliere von Schelfing.

Manch Beobachter vermerkte das frühe Eintreffen von Endor Dorén in Begleitung seines Sohns Sybaris auf Gut Zweiflingen. Ging doch lange das Gerücht, der Erste Rat habe dem damaligen Gransignor seine Untätigkeit im Vorfeld des Ludovigo-Umsturzes schwer angelastet. Doch das mochte ja auch stimmen – man konnte die Unterstützung Endors für den einstigen Weggefährten als Versuch verstehen, dessen Wohlwollen zurückzugewinnen. Und tatsächlich führten die beiden mehrere Gespräche hinter verschlossenen Türen – erst viel später konnte der eine oder andere zumindest erahnen, worum es dabei gegangen war.

Spürbar ernsthafter als noch wenige Wochen zuvor bei der Flußfahrt den Yaquir hinab, an welcher die beiden mit der Loge beider Yaquirien teilgenommen hatten, ging deren Vorsitzender Armato della Pena mit dem Gastgeber um. Mancher mochte sich wundern, dass der Lebemann zu einem doch eher unerfreulichen Anlass gekommen war. Vielleicht vertrat er ja seinen Onkel Leomar, der womöglich nicht ganz so offen Parteiung für Baron Gishtan nehmen wollte. Ganz gewiss aber wollte er die Herstellung des Edlen Perlweins nach Bosparanjer Art auf Gut Zweiflingen in Gaumenkost nehmen, die letztendlich ein Grund war, weshalb die Rahjakirche die Errichtung einer Kapelle für die Heilige Rahjalina an diesem Ort gebilligt hatte.

In den Abendstunden des 7. Rondra traf mit einer Eilkutsche aus Belhanka ein weiterer Gast auf Gut Zweiflingen ein, den man in der Loge beider Yaquirien kannte: der Magus Cassian di Salsavûr-Torese. Wie bei allen Neuankömmlingen stellte Baron Gishtan diesen den schon Anwesenden persönlich vor, die ihn noch nicht kannten. Dies schien zumindest der jungen Secretaria Rahjada ya Papilio unangenehm zu sein, die im Auftrag ihrer Tante Sharane die weitverzweigte Familia auf Zweiflingen vertrat. Sie sah sich plötzlichem Interesse ausgesetzt, als der Belhanker ihr vorgestellt wurde. Dieser hatte bei der Nennung ihres Namens überrascht und erfreut aufgemerkt und interessiert nach ihrem Vetter Federico gefragt.
Schon bald nach der offiziellen Begrüßung zogen sich Cassian und Gishtan jedoch in das Studierzimmer zurück. Die anderen Gäste konnten nur vermuten, was sie zu bereden hatten. Sollte Gishtan Selina Cordurs Empfehlung folgen und das anstehende Duell von einer Rondrianerin überwachen lassen, mochte der Magier vielleicht die arkane Schiedsrichterschaft übernehmen und prüfen, dass keine unerlaubte Zauberei gewirkt werde.

Im weiteren Sinne rondrianischen Beistand brachte das Haus Menaris, aus dem frühzeitig der bucklige Asteratus Menaris sowie Thalion Gabellano, Gemahl Geronyas, der einstigen Kampfgefährtin Gishtans, Einlass begehrten. Dem Gastgeber wie auch manch anderem Interessierten berichtete Thalion später an diesem Tag von der Kampfweise des Cavalliere von Schelfing: "Kalman von Schelfing ist vor allem anderen ein Cavalliere", hörte man Thalion, den Vogt von Oloneo und zweiten Ehemann der designierten Matriarchin der Menaris gewichtig feststellen, als schon der ein oder andere rote Tropfen die Kehlen hinuntergeflossen war. "Ein Reiterkrieger! Kein garethischer Ritter in Brünne und Schwert, aber auch kein Vinsalter Vagant mit Linkhand und Umhang." Thalion spreizte die Oberschenkel und hob seinen Weinkelch in Pose. "Er kämpft vom Pferderücken, aber Signore Gishtan, Ihr solltet nicht hoffen, dass er auf einen Lanzengang vorbereitet erscheint!" Er hob den Kelch an, als sei er eine Waffe. "Seine Klinge war und ist, zumindest in den Duellen, von denen ich reden hörte oder denen ich beiwohnte, deshalb auch der Säbel eines Reiters. Diesen weiß er geschwind und geschwungen zu führen." Einige Gäste japsten und hielten dann beruhigt inne, als der Gabellano es unterließ mit dem gefüllten Kelch Hiebbewegungen nachzuahmen. "Gerne treibt er seine Gegner vor sich her und versucht durch rasche, von oben und den Seiten geführte Hiebe zu Treffern zu gelangen." Thalion nahm einen Schluck und nickte schwer. Dann weiteten sich seine Augen und er fixierte seinen Gastgeber. "Vielleicht, aber nur vielleicht wird er in einem Augenblick der Unachtsamkeit oder des Triumphes eine Stellung einnehmen, die verrät, dass er einen Pferdeleib unter sich wähnt. Dann mag er für Attacken auf die unteren Bereiche seines eigenen Leibes empfänglicher sein." Er deutete mit der Hand in die entsprechenden Gegenden seines eigenen Körpers. "Zumindest dann, wenn er seine eigene untere Deckung ebenso wenig achtet, wie die seiner Pferde." Thalion machte ein düsteres Gesicht. "Denn noch nie habe ich davon gehört, dass Kalman auf das Wohl seiner Reittiere besonderen Wert legt. Sicher, er schützt sie, weil sie ihn tragen, aber er hat schon so manches Ross verschlissen, wenn es dabei half, einen Sieg im Feld oder im Zweikampf davonzutragen. Seine Pferdeknechte haben früher immer darüber geklagt und ich glaube nicht, dass sich das geändert hat."

Der Rat sucht Rat (8. Rondra 1036 BF)

Am folgenden Tag trafen die Sekundanten ein, die Gishtan im Praiosmond benannt hatte, zuerst Esquirio Gianbaldo Carson, der von seinem Onkel Orsino begleitet wurde. Letzterer erschien ungeachtet des Anlasses in bester Laune auf Gut Zweiflingen. Nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre, bei denen Gishtan ihm oftmals mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte, wirkte er gelöst und schien sich auf das bevorstehende Ereignis zu freuen, das so ganz seinem Geschmack entsprach. Mit manchen der Anwesenden suchte er eine kurze Plauderei und war nicht selten zu einem Scherz oder einer Anekdote aus dem Drachenkrieg aufgelegt - eine Seite Orsino, die wohl nur den Älteren schon bekannt war.

Sein Neffe Gianbaldo teilte die rondragefälligen Vorlieben seines Onkels und hatte keinen Moment gezögert hatte, sich als Sekundant zur Verfügung zu stellen. Ohnehin hatte Gianbaldo in den vergangenen Jahren nahezu jede sich bietende Gelegenheit ergriffen, sich als aufstrebender Offizier und Krieger zu präsentieren. Sollte es dem Gastgeber tatzsächlich gelingen, den Gegner aus Pertakis im Waffengang zu besiegen, würde sicher auch das Ansehen seiner direkten Unterstützer in Shenilo wachsen, vermuteten manche der eher stillen Gäste. In den unvermeidlichen Wetten der Stadtbürger und vielerorts in der Ponterra ging es oft längst nicht mehr um einen familiären Hader, sondern um eine Sache der Ehre zwischen den beiden Nachbarstädten.

Baronet Ciro Galeno ya Mornicala zu Phecanostein, dem zweiten Sekundanten Gishtans, konnten solche Überlegungen weitgehend gleich sein. Seine Familie, beheimatet in Sewamund, und insbesondere er persönlich als deren Oberhaupt, unterstützte schon viele Jahre den Ersten Rat der Stadt Shenilo, ohne in der Geronsstadt je direkt Einfluss genommen zu haben. Doch es war keine Frage gewesen, dass er persönlich dem Verbündeten zur Seite stehen wollte. Ganz entsprechend seiner Wesensart beteiligte Ciro sich an den verschiedenen Diskussionen vorwiegend als Zuhörer, der bei mancher Spekulation lediglich lächelte und nur bisweilen mit sehr präzisen Worte das Gespräch bereicherte.

Ebenfalls in Sewamund hatte Batiste d'Imirandi in den vergangenen drei Götterläufen Wurzeln geschlagen. Gemeinsam mit Baron Gishtan und weiteren Horasiern hatte er 1032 BF eine Delegation zum Consilium Draconis gebildet und in Amhallah manche Gefahr überwunden. Die beiden damaligen Kampfgefährten hatten sich danach nur noch wenige Male gesehen, nicht zuletzt weil Batiste anlässlich des Empfangs auf Zweiflingen erstmals überhaupt seit 1033 BF wieder in der Ponterra weilte. Umso freundlicher war die offizielle Begrüßung des Gastgebers, die ihm galt – eine weitere Gelegenheit, den schattigen Platz im halbverwilderten Park des Guts aufzusuchen, auf dem mit Steinen der Grundriss der geplanten Sancta-Rahjalina-Kapelle aufgezeigt wurde.

Diesen nahm auch Leophex von Calven in Augenschein, der treffend anmerkte, die versprochene Beteiligung des Fürsten von Almada an diesem Bauwerk müsse sich sehen lassen können. Als der Rechtsgelehrte erstmals von diesem Plan gehört hatte – bei einem seiner Besuche, bei denen er und Gishtan die Sache Ramaúd diskutierten -, war lediglich von einem Schrein die Rede gewesen. Doch die Gedanken des Calveners, der überhaupt erst die Wiederaufnahme des Verfahrens um das Erbe der Trabbacantes ermöglicht hatte, wurden bald auf ein anderes Thema gelenkt: Sein Berufskollege Sybaris Dorén nahm ihn in Beschlag, um den Streit um das Erbe aus fachlicher Sicht zu erörtern.

Später am Vormittag traf Esquiria Ilora Alissa Changbari ein, eine Tochter des Patriarchen Massimiliano. Sie befand sich als Botschafterin der belhankanischen Republik Efferdas auf dem Weg von Westenende nach Unterfels. Ihre Familie hatte dank Vermittlung Gishtan re Kusts vor einigen Götterläufen eine Niederlassung in Côntris einrichten können, in der Villa Delgravo, von der lange das Gerücht gegangen war, dass es dort spuke. Iloras Besuch war deshalb für manchen eher ein Ausdruck dieser geschäftlichen Verbundenheit als persönlicher Teilnahme; doch eine Möglichkeit zur Kontaktpflege ließ sich eine Frau wie sie natürlich nicht entgehen.

Wieder eher rondrianisch als phexisch waren hingegen die Beweggründe des Herrn Karinor Degano, der aus Tolkram anreiste und das Banner seines Hauses hochhielt. Ihm hatte wohl sein Bruder Holdur von dem nahenden Kampf zwischen Shenilo und Pertakis erzählt, der selbst vollauf mit seinem derzeitigen Schiffsbauvorhaben beschäftigt war. Allerdings war Cavalliere Karinor als Söldnerführer bekannt; so wollten Andeutungen nicht enden, dass er und seine Leute bereitständen, bei einem zweideutigen Ausgang des Kampfs der Halbbrüder Baron Gishtans Herrschaftsanspruch Nachdruck zu verleihen.

Die einflussreichen Familien des Sheniloer Bundes ließen es sich zu einem guten Teil nicht nehmen, spätestens zum ausgedehnten Mittagsschmaus mit namhaften Mitgliedern zu erscheinen. Zuvorderst war dies Guiliana di Matienna-Aurandis, die Baronin von Arinken und Oberhaupt des Hauses di Matienna. Zweifellos wollte sie diesen gesellschaftlichen Anlass zun Pflegen von Bekanntschaften nutzen, und dass sie seit langem eine solche mit dem Gastgeber hatte – an Ehrgeiz stand dieser der Eisernen Dame wohl kaum nach. Doch auch in der Sache selbst stand sie nicht abseits: Sie warnte Gishtan, Kalman von Schelfing könnte sich wegen des Attentats dazu berechtigt sehen, schmutzige Tricks anzuwenden.

Für einige Überraschung, nicht zuletzt bei den beiden Doréns, sorgte Dartan di Côntris. Der vormalige Präfekt und jetzige Baron, vor kurzem 22 Götterläufe alt geworden, kam ohne großes Aufheben auf das Gut. Dass der Vogt von Zweiflingen eine Domäne pflegte und nutzte, die dem Haus Côntris gehört, war vielen bekannt; dass Baron Dartan aber wenig Besitzergeist zeigte, sondern mehr daran interessiert schien, wie Vogt Gishtan in Kürze eine eigene Domäne gewinnen könnte, verwunderte doch.

Später traf mit Horathio auch ein Vertreter der Familie Brahl ein, der vor allem Interesse an der Zweiflinger Perlweinherstellung zeigte. Mit Travin di Asuriol, dem direkten Konkurrenten der Brahls, rechneten viele, hatte er es doch gar nicht weit, um wenigstens auf einen Kolonialtee und eine Cigarille vorbeizukommen. Indes, man wartete vergebens, und manchem Gast, etwa Horathio Brahl, war es sicher auch ganz recht, dass der Asuriol fernblieb. Konnte es sein, dass er seine Niederlage bei der Wahl zum Ersten Rat vor zwei Götterläufen dem alten und neuen Amtsinhaber noch arg nahm und er sich deshalb bitten ließ?

Doch das Spekulieren über solche Dinge fand gegen Abend ein Ende, als die Tageshitze etwas nachließ und mancher sich schon auf ein Bankett mit künstlerischen Darbietungen freute. Gishtan re Kust und ein leicht verlegen wirkender Endor Dorén traten vor die unter den Arkaden Versammelten, die gerade noch Rebec-Klänge und Kokosplätzchen genossen hatten: "Liebe Gäste, Freunde, Bekannte – ich bedarf Eures Rats. Soeben wurde mir eine überraschende Nachricht zugetragen. Die Leondrisgarde habe vor kurzem einen Schurken gefangen, der bei seiner Befragung Erstaunliches kund getan haben soll. Er habe das Attentat auf Kalman von Schelfing in dessen eigenem Auftrag ausgeführt. Der Cavalliere habe diese Tat inszenieren lassen, um sie als von mir beauftragt darstellen zu können."

Erstaunte, erboste, in der eigenen Meinung bestätigte, zustimmende, ablehnende oder sogar belustigte Rufe gingen in der Versammlung durcheinander. Für einen Moment fühlte mancher sich wie bei einem Adels- oder Logentreffen – denn wann immer sich eine größere Schar bedeutender Persönlichkeiten versammelt wird unweigerlich etwas Überraschendes geschehen. Doch Gishtan verschaffte sich mit aus vielen Kronkonventsdebatten geübter Stimme sogleich wieder Gehör: "Diese Behauptung habe ich lediglich aus dritter Hand erhalten, kann somit keine fundierte Einschätzung dazu abgeben. Erst recht will ich weder voreilig noch ohne weitere Erkenntnisse darüber urteilen. Doch eine Frage drängt sich mir auf, deren Beantwortung ich durch diese Versammlung angesehener und mir wichtiger Personen erhoffe: Soll unter diesen unklaren Vorzeichen der Waffengang zwischen Kalman von Schelfing und meiner Person überhaupt ausgetragen werden? Ich bitte um Eure Wortmeldungen."

„Ehrenwerte Signores und Ehrenwerte Signoras, Monsignores und Monsignoras, Freunde Gisthans' und Unterstützer in einer gerechten Sache“, fing Endor als erster zu sprechen, über welchen diese Nachricht wohl nach Zweiflingen gelangt war, ehe er eine kurze Pause machte, um sich den Aufmerksamkeit aller sicher zu sein. Mit solchem Elan hatten einige Anwesende wohl nicht gerechnet, hatte der Sohn Nestors doch in vor der Ludovigo-Krise wenig Entschlussfreude gezeigt. Endor trug eine Garether Platte mit dem Drachenwappen des Hauses Dorén, darunter ein blauen Brokatwams mit betonten Schulterstücken und einen weißen Kragen aus Dròler Spitze, kniehohe Stiefel aus dunklem Kalbsleder dazu eine leicht gepluderte Hose aus feinem, gefärbtem Elfenbausch. Gegurtet trug er das Schwert Aurelias – was sicherlich den Ernst der Lage unterstreichen sollte. „Ein Freund und langjähriger Gefährte für dessen Worte ich Bürgschaft übernehme, aus den Reihen der Leondrisgarde unseres schönen Shenilo, hat mich zur 2ten Mittagsstunde informiert, es sei ein Schurke und Halsabschneider durch die tapferen Mannen der Garde aufgegriffen worden, bei einem Verbrechen auf frischer Tat ertappt. Wohl um die Strafe zu mindern gestand er das Attentat auf Capitan Kalman von Schelfing - dieser habe ihm eine Hand voll Vinsalter Dukaten als Entlohnung dafür versprochen. Der Schurke sollte sich an der Belen-Horas-Straße, vor den Toren Perainidâls' auf dem Dach eines alten Hauses postieren, so die Anweisung des Pertakisers und, sobald Capitan von Schelfing im Vorbeireiten das vereinbarte Zeichen gäbe, auf ihn schießen. Der Schurke befindet sich an einem sicheren Ort, einige meiner Langschwerter unterstützen die Mannen der Leondrisgarde bei der Bewachung. Der ehrenwerte, neugewählte Gransignor und das Consilium Draconis bitte ich meinen Eifer und Eingreifen in dieser Sache zu entschuldigen, keinesfalls wollte ich oder mein Haus sich zu irgendwas anmaßen.“ Endor wurde durch einen Soldaten in den Farben der Dorén unterbrochen, dieser trat an ihn heran verneigte sich kurz, flüsterte ihm etwas zu und überreichte ihm ein Sack aus hellem Leinen. Der Präfekt von Côntris griff mit einer Hand hinein und holte einen Kurzbogen von einfacher Machart hervor, streckte den Arm in die Höhe, sodass ein jeder die Waffe sehen konnte: „Im Unterschlupf des Schurken wurde die Tatwaffe des schädlich inszenierten Attentats auf den Pertakiser Capitan gefunden. Angesichts dieser Wendung fordere ich, unter Berufung des neuen Beweises und aufgrund der Niederträchtigkeit, eines Pertakiser würdig, das Duell zwischen Hochgeboren von Ramaúd, Gisthan re Kust und dem Intriganten Capitan Kalman von Schelfing abzusagen und von Schelfing im gesamten Sheniloer Bund zur persona non grata zu erklären. Ich werde für das Haus Dorén, auf unseren Gütern und Ländereien gern den Anfang tun.“ Damit endete die Rede des doch leicht erzürnten Dorén und er trat zurück an die Seite Gishtan re Kusts. Dieser wirkte von der unerwarteten Enthüllung perplex.

Ein weiterer Gast erhob sich unverzüglich: „Werter Signor ya Ramaúd“, platzte es aus dem jungen Baron Dartan von Côntris heraus. „Auch wenn es nunmehr Eure Ehre ist, welche gekränkt ist und nicht die des Schelfings, so ist es doch noch viel mehr Eure Pflicht, diese zu verteidigen. Ein Sieg würde nicht nur Euch vollends legitimieren, sondern auch einen Kalman von Schelfing für immer vom gesellschaftlichen Parkett verbannen. Mir ist im übrigen zu Ohren gekommen, dass jetzt auch mein Onkel zweiten Grades, der durchtriebene Cavalliere Francidio das Anliegen Kalman von Schelfings unterstützt. Verzagt nicht und macht ein Ende mit diesem Geschmeiß!“

Nach diesen leidenschaftlichen Worten wirkte es, als ob die nächste Sprecherin lieber im Boden versinken wollte, statt vor der Versammlung zu reden. Und manchem der Gäste schien es sogar so, als ob er sie aus selbigem emporgestiegen sei und er ihre Anwesenheit erst jetzt bemerke. Rahjada ya Papilio rang die Verlegenheit in ihrer Stimme nieder, die sich aber dennoch an ihren geröteten Wangen zeigte: „Excellenz Gishtan, ich widerspreche Baron Dartan und pflichte Signor Endor bei: Ihr solltet nicht fechten und Euer Leben riskieren. Ich... man... Shenilo braucht Euch. Ich weiß, dass ich nur so lange für das Haus ya Papilio spreche, bis meine Tante Sharane am morgigen Tage hier eintrifft, doch ich bin sicher, dass sie als ehemalige Schöffin und damit Eure Collegin Euch nahe legen würde, den Weg des Praios und des Rechts zu gehen: Bevor Hauptmann Vistelli nicht be- oder widerlegt hat, dass mit diesem Bogen auf Euren Halbbruder geschossen wurde, und ob jener diese Tat selbst angestiftet hat, muss der Zweikampf aufgeschoben werden. Womöglich wird dieser sogar überflüssig, falls sich Kalman der Kaiman als Verschwörer erweist und als Erbe von Ramaúd für den Comto Protector untragbar wird“, schloss die ungewohnt wortreiche Frau hoffnungsvoll. Die alte Selina Cordur schüttelte nur herablassend den Kopf. Was will dieses Gänslein?, mochte die einstige Maestra denken, als sie sie vortrat und empfahl: „Natürlich sollte man den Termin des Duells wahrnehmen und den Kontrahenten kommen lassen. In den wenigen Tagen, die noch verbleiben, können die Vorwürfe über den gestellten Attentatsversuch kundige Personen nachprüfen. Und sollten sich diese als wahr herausstellen, kann man den Gegner damit am Duelltag konfrontieren. Wenn sie unwahr sind oder es sich einfach nicht genug Beweismaterial beschaffen lässt, sollte man das Duell auf rondragefällige Weise austragen. Rondra wird sicherlich dem Richtigen ihre Gunst schenken.“

Da nickte auch Ilora Changbari: „Ich bin auch der Meinung, dass auf eine Forderung eingegangen werden muss. Dies ist eine Ehrensache. Die Frage nach dem Verlauf eine andere. Ein Absagen des Duells scheint mir nicht in Frage zu kommen.“

Guiliana di Matienna hingegen musterte den Bogen mit abschätzigem Blick, der nun auf einem Tischchen neben Gishtans Tobakrollen-Kästchen ruhte: „Eins ist sicher, Kalman ist kein unnötiges Risiko eingegangen, sich aus Versehen zu Boron befördern zu lassen.“ Einige der kampferfahrenen Gäste nickten zögerlich: Ein mit diesem Kriegswerkzeug abgeschossener Pfeil musste in einem günstigen Winkel auf einen Brustpanzer treffen, um diesen zu durchschlagen. Zu Gishtan gewandt fuhr die Baronin fort: „Er wird natürlich dies alles abstreiten und auf dem Duell bestehen. Nutzt die Gelegeheit, lehnt den Kampf ab, verzögert die Entscheidung. Das wird ihn wütend machen. Männer, die zornig sind, machen Fehler.“

Adeptus Cassian schwieg lange und hatte denen sehr aufmerksam zugehört, die bislang gesprochen hatten. Schließlich räusperte er sich aber doch: „ Eines zumindest wird klar: Von Schelfing hat sich viel Mühe gemacht, einen plausiblen Grund für diese Duellforderung zu schaffen. Er muss sich also sehr sicher sein, den Waffengang, denn einen Ehrenhändel mag ich das Ganze lieber nicht mehr nennen, zu gewinnen. Wenn er schon vor solch schurkischen Methoden wie einem fingierten Überfall nicht zurückschreckt, dann wird er sicherlich auch unlautere Mittel bei dem Zweikampf einsetzen. Außerdem kommt mir seine Vorgehensweise doch recht verzweifelt vor. Er macht auf mich den Eindruck eines Garadan-Spielers, der weiß dasd er in wenigen Zügen verloren haben wird und deshalb das Brett kippt. Wenn ich richtig informiert bin, dann habt ihr gute Aussichten, Ramaúd auf dem Gerichtsweg zugesprochen zu bekommen nicht wahr? Gishtan, ihr habt bei diesem Duell weit mehr zu verlieren als euer Kontrahent, der noch dazu alles daran setzen wird zu gewinnen. Rein rational betrachtet solltet ihr darauf verzichten den Kampf auszutragen. Aber nun, oft ist die Ratio nicht der Weisheit letzter Schluss. Emotionen, Ruf und Ansehen spielen ebenso eine wichtige Rolle, aber was das angeht, kann ich Euch nicht raten. Was euer Herz Euch gebietet, ist allein Eure Sache.“

„Woh...lgesprochen, Maji... Magister!“, schallte es da aus einer Ecke der Arkaden, aus der sich nun sichtlich beschwingt Thalion, der Vogt von Oloneo und Helas Ruh und Cavalleristo der Gabellano], zu den Diskutierenden gesellte. Geselligkeit war wohl auch sein Anliegen während der vergangenen Stunden gewesen, wovon man sich schon anlässlich seiner sehr lebhaften Beschreibung des Kampfstils Kalmans von Schelfing hatte überzeugen können. Rasch eilte ihm da Asteratus, der auch ohne den Einfluss von Vergorenem kaum gelenkigere Nandus-Geweihte, zur Seite, um eine Schmälerung der Grandezza zu vermeiden. „Denken kann man Vieles und lange, aber am Ende ist es die Tat, die sprechen muss!“, zog Gabellano nun die Reste seiner Redekunst aus den weingetränkten Untiefen seines Verstandes. „Streckt ihn nieder, wenn ihr müsst, sage ich!“ Offenkundig mit heftiger Unterstützung der anderen Gäste rechnend, schwieg Thalion und blickte sich dann mit zunehmend ratloserer Miene um.
Sein Schluckauf wurde von einem lauten Räuspern Asteratus' Menaris übertönt: „Signore Thalion spricht nicht ohne Weisheit, die zu erläutern ich mir allerdings erlaube.“ Der Nandus-Geweihte lächelte schwach. „Wenn mir auch nichts ferner liegt, als den Worten der tapferen Leondrisgarde oder des Präfekten von Côntris zu misstrauen, so mag die Liebe zu ihrer Stadt und den Hass auf die unsere den Pertakisern solche Einsicht verblenden. Man wird die Überbringer dieser Anschuldigung in Zweifel ziehen, gar Euch, Signore Gishtan, der Feigheit bezichtigten.“ Er wies mit einer leichten Neigung des Kopfes auf den Adeptus Cassian. „Die Worte des Herren Magus sind mir jedoch im Ohr geblieben und man sollte sie beherzigen. Was Hesindes Weisheit mir an Einsichten gewährt hat mag ich den Fähigkeiten von Euch, Adeptus Cassian, hinzufügen um zu verhindern, dass der Leuin fremde Taten auf das Duell einwirken mögen.“ Mit ernster Miene wandte er sich wieder an seinen Gastgeber „Und sollten sich die Anschuldigungen gegen Euren Herrn Halbbruder als richtig erweisen, dann wird er auch im Falle seines Sieges niemals einen Fuß nach Ramaúd setzen, dafür werden ich und alle, die heute Zeuge sein wollen, Sorge tragen.“

Der Gastgeber hatte den Worten derjenigen, die ihre Meinung kundtaten, schweigend gelauscht und selbst auf Nicken oder Kopfschütteln verzichtet, um die Diskussion nicht in die eine oder andere Richtung zu lenken. Nun aber griff er mit neuer Ruhe in das seit Beginn des Empfangs sichtlich leerer gewordene Befeuchterkästchen und holte eine frische Tobakrolle heraus. Er entzündete die kurze, daumendicke Cigarille an einem Kohlebecken, und sprach, nachdem er einen kräftigen Zug genommen hatte: „Ich danke Euch allen für Eure Offenheit. Ich vernahm drei Stimmen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen dafür sprachen, den Kampf zu verschieben oder abzusagen. Zwei von euch legen mir nahe, es genau abzuwägen, für den Waffengang aber gegen unlautere Mittel vorbereitet zu sein. Vier aus dieser Versammlung appelieren an Ehrgefühl und Zuversicht, das Unvermeidbare nicht aufzuschieben.“ Der alternde Diplomat atmete schwer ein. „Wie gerne ich den Zweikampf vermeiden würde. Der Weg des Worts und des Rechts war immer der meine. Noch dazu muss ich die Klinge gegen einen Blutsverwandten ziehen. Wahrlich, es wäre mir wohler, wenn diese neuerliche Hürde auf dem Weg nach Ramaúd mit Pergament, Tinte und Siegelwachs zu überwinden wäre!“
Gishtan re Kust griff zu einem Tonbecher, der nicht mit Wein, sondern mit Tee gefüllt war, und hob ihn zum Gruß: „Freunde, Unterstützer! An dieser Sache Ramaúd hängt mehr als nur der Streit zweier Halbbrüder um ein lange vorenthaltenes Erbe. Es geht auch um die Ehre, und darum, wer bereit ist, für seine Sache einzustehen – im wahrsten Wortsinne. Welches Zeichen würde ich gen Pertakis senden, wenn ich das Duell unter Berufung auf Sachverhalte absagte, die noch gar nicht sicher geklärt sind, und vom Außenstehenden als fadenscheiniger Grund missgedeutet werden können? Nein, ich muss in vier Tagen auf die Brücke treten, unter welcher der Bach aus dem Mährenforst an Mesaverde vorbei gen Yaquir fließt und die gedachte Grenze zwischen Shenilo und Pertakis darstellt. Dort wartet Kalman von Schelfing auf mich. Ich muss ihm und seinen pertakischen Unterstützern zeigen, dass ich bereit bin, ihn auch zu seinen Bedingungen zu besiegen.“
Damit gab Gishtan seiner Haushofmeisterin Waliburia Weltinskwant ein Zeichen, dass nun das geplante Bankett vorzubereiten sei. Fast alle für diesen Tag erwarteten Gäste waren mittlerweile eingetroffen, und bei wohlschmeckenden Speisen sollten diese seine Entscheidung gelassener bereden können. Und er selbst war zumindest gespannt, welche künstlerischen Darbietungen Ogdan Zahin hatte vorbereiten lassen – Musik, Tanz und Illumination würden auf jeden Fall ein Säckchen Gold kosten.

Im Laufe des Abend unterhielt sich der Salsavûr-Torese mit den meisten der anwesenden Gäste und führte auch die ein oder andere der Damen zum Tanze. War dies zumeist dem Amüsement der anderen Gäste geschuldet, so hatte er doch in Bezug auf eine gewisse Dame Hintergedanken. Es war keine Überraschung für den Parfümeur, als er den Duft, den er mittlerweile gut genug kannte – Rahjas Hauch -, um ihn unter Dutzenden zu erkennen, an Rahjada ya Papilio wahrnahm. Neugierig, wie ihre Reaktion wohl ausfallen würde, machte er ihr diesbezüglich ein Kompliment, das die schüchterne junge Dame deutlich aus der Fassung brachte. Ihre Wangen erglühten im schönsten Rahjarot und ihr fehlten schier die Worte, um dem Kompliment angemessen zu begegnen. Cassian, ganz Kavalier, half ihr flugs aus der Bredouille und brachte das Gespräch wieder zurück zu ungefährlichen Themen. Er hatte in Erfahrung gebracht, was er wissen wollte. Die heimliche Verehrerin des Barons war in der Tat so schüchtern und zurückhaltend, das es schon schier an ein Wunder grenzte, das sie ihrem Herzen zumindest postalisch Luft gemacht hatte. Aber wie es seine Art war, behielt der Adept seine Erkenntnis zunächst für sich. Zum einen hatte der Hausherr gerade andere Sorgen und zum anderen wartete Cassian immer gerne auf den „richtigen“ Augenblick, um mit Neuigkeiten aufzuwarten.

Gisthans Testament (9. Rondra 1036 BF)

Der nächste Morgen war neblig und für die Jahreszeit kühl. Dennoch hatte schon zur frühen Stunde ein Botenreiter zu dem Gutshof in Sichtweite der Sheniloer Stadtmauern gefunden: Secretaria Waliburia Weltinskwant brachte Vogt Gishtan ein sorgfältig geschnürtes Päckchen, das für ihn an der Tür abgegeben worden war.
Er öffnete es im Beisein einer Reihe seiner Gäste, die darin ein hölzernes Kästchen voll daumendicker, duftender Tobakrollen erblickten. Sie drängten ihn zu erfahren, wer ihn solcherart beschenkt hatte, bis der Hausherr einwilligte. Etwas ratlos zeigte Gishtan das mit kalligrafischer Kunstfertigkeit beschriebene Papyr, das der Sendung beilag: „Genusz wuenscht dir: deine heimliche Verehrerin.“
Methumis-Tobak“, schnupperte Gishtan, ohne auf die Absenderin einzugehen, und klappte mit Bedauern das Kästchen zu. „Nicht meine gewohnte Sorte, aber auch nicht schlecht.“ Doch der Genuss musste warten. Zuerst galt es, mit Sharane ya Papilio eine weitere, angesehene Besucherin zu begrüßen. Während Gishtan sich über die Qualität der Tabakröllchen äußerte, streifte der Blick des Belhanker Parfümeurs Cassian die Gästeschar, aber er konnte die Person, die er suchte, anscheinend nicht entdecken.
Sharane, das De-Facto-Oberhaupt der Familia Papilio hatte sich von ihrer Nichte Rahjada über alles in Kenntnis lassen, was sich bereits zugetragen hatte. Dass das Mädel sich in diesem Fall mit solchem Feuereifer gegen das Duell aussprach, wunderte die Cavalliera ein wenig. Da sie aber der gleichen Meinung war, wandte sie sich alsbald an den Gastgeber: „Werter Gishtan, meine Nichte hat mich bereits informiert und berichtet, dass Ihr den Rat der Anwesenden gesucht habt. Sie sprach in meiner Abwesenheit für das Haus ya Papilio, und ihr Wort hat auch heute, da ich anwesend bin, noch seine Gültigkeit. Ich bin durchaus der Meinung, dass Ihr Eure Ehre wieder herstellen solltet. Allerdings nur wenn dies auch wirklich nötig ist. Denn wenn ihr gegen einen ehrlosen Lumpen antretet... Wartet ab, wie Praios entscheidet. Wenn sich herausstellt, dass die Anschuldigungen nicht rechtens waren, könnt Ihr noch immer eure Ehre verteidigen.“
„Praios oder Rondra – darauf läuft es scheinbar hinaus“, erwiderte re Kust. „Aber wie Ihr wisst, setze ich stets zuerst auf Phex. Vielleicht eröffnet mir der Schlaue einen Schleichweg, auf dem ich zu Praios' Recht gelangen kann, ohne vor Rondra mein Gesicht zu verlieren. Es ist ja noch etwas Zeit.“ Er dankte seiner einstigen Mit-Schöffin für den Rückhalt, eher er alle Anwesenden um sich scharte.

Während sich Sharane ya Papilio und Gishtan sofort solcherart in ein angeregtes Gespräch vertieften und manch anderer Gast sich den gereichten Erfrischungen widmete, gesellte sich Adeptus Cassian mit zwei Tassen Tee zu Rahjada ya Papilio, die aus höflicher Distanz das Gespräch ihrer Tante mit dem Gastgeber beobachtete: „Einen der Rahja gesegneten guten Morgen wünsche ich euch, werte Domna. Erlaubt mir, Euch einen Schluck Tee anzubieten. Ihr scheint mir schon des Längeren auf den Beinen zu sein und wirkt als könntet ihr eine Erfrischung gebrauchen.“
Rahjada lächelte verlegen, als der charmante Herr mit der feinen Nase ihr einen Tee anbot: „Das ist sehr aufmerksam von Euch. Ich bin in der Tat schon ein Weilchen auf den Beinen. Meine Tante weiß schon dafür zu sorgen, dass mir nicht langweilig wird.“ Sie rieb sich ein wenig die Schreibhand, hatte sich doch kurz zuvor noch für ihre Tante einen Brief an deren Vater verfasst, der diesen davon unterrichtete, was sich so zugetragen hatte und wie es seiner Tochter ging. Immerhin wollte der alte Herr ja auch informiert bleiben, wenn auch seine Gesundheit ihn mittlerweile von Aktivitäten wie diesem Empfang fern hielt. Das Reisen war einfach zu mühsam geworden. "So ein Tässchen Tee wäre wirklich fein", meinte sie scheu.
Freundlich lächelnd reichte ihr der Adept daraufhin die zweite Tasse und bemerkte beiläufig:„Dieser Tag scheint ja ein durchaus aufregender zu werden. Wenn der Morgen bereits vor dem Frühstück mit Überraschungsgeschenken aufwartet, bin ich gespannt was noch alles folgen mag.“
Als die junge Dame ihm daraufhin einen fragenden Blick zuwarf, fühlte sich Cassian an seinem Tee nippend bemüßigt, die Sache näher auszuführen: „Unser werter Gastgeber hat ein Präsent erhalten, ein Kistchen Zigarillos, von seiner heimlichen Verehrerin, als kleiner Gruß vor dem Duell, eine gar liebreizende Idee, findet ihr nicht?“

„Zigarillos?“ Halblaut entschlüpft Rahjada dieser Gedanke und sie fixierte wieder ihr Gegenüber, den freundlichen Magier. „Davon weiß ich nichts.“ Nickend und einen weiteren Schluck Tee nehmend erwidert Cassian: „Nicht weiter schlimm, aber ich denke wir sollten nun zuhören, was der Herr Baron zu sagen hat.“

Unter den Gästen kursierte das Gerücht, ihr Gastgeber wolle die Versammlung auch dazu verwenden, sein Testament bekanntzugeben. Dies blieb jenem nicht verborgen, und er sah sich genötigt, diesen Moment zu nutzen, zu dem erneut sehr viele unter den Arkaden zwischen Haupthaus und Voliere versammelt waren, um diese Fama zu kommentieren: „Ich habe nicht vor, in der von Cavalliere Kalman erzwungenen gewaltsamen Fortsetzung des seit langen Jahren mit Worten gefochtenen Konflikts um Ramaúd zugrunde zu gehen. Daher bestände keine Notwendigkeit, schriftlich niederzulegen, was mit den weltlichen Dingen geschehen soll, die ich in einem solchen Fall hinterließe.“
„Ohnehin“, fuhr der Erste Rat der Stadt Shenilo mit hörbarem Bedauern fort, „fiele es mir schwer zu entscheiden, wer mein Erbe erhalten sollte. Einen legitimen Nachkommen habe ich noch nicht, und entgegen anderslautenden Geredes gibt es weder im Horasreich noch in Almada eine Frau, die mir den Travienbund versprochen hätte.“
„Aber was könnte ich einer Gemahlin und einem Erben an derischen Dingen auch hinterlassen? Seht Euch um, Freunde, Unterstützer, Gäste: Die wieder einladende, heimelige Casa Zweiflingen gehört nicht mir, sondern wurde mir lediglich von der Signoria als Bleibe und zur Versorgung zugesprochen – ein Akt der Anerkennung und des Mitleids zugleich, der mich bis heute verlegen macht. Mein Haus in Vinsalt – samt Einrichtung und Bediensteten ist es lediglich gemietet. Nennenswerte materielle Reichtümer habe ich niemals angehäuft. Und dass mir der wertvollste Besitz noch verwehrt wird, die Stadt und Baronie Ramaúd, ist Euch allen bekannt. Was also wollte ich in ein Testament legen?“
„Aber ich will diejenigen, denen ich bedeutsam genug bin, dass sie mir vor der nahenden Stunde Gesellschaft leisten, dennoch nicht unbeschenkt lassen. Drum sprecht frei heraus: Was kann ich Euch geben, was noch für Euch tun, ehe der Tag der Entscheidung anbricht?“

Hatte sich Cassian zu Beginn der Rede des Gastgebers noch mit Rahjada ya Papilio unterhalten, so merkte er im Verlauf doch auf und nippte nur noch nachdenklich an seiner Teetasse.Wie nicht anders zu erwarten machte sich nach den Worten des Gastgebers über sein Testament zunächst einmal betretenes Schweigen breit. Was sollte man auf so etwas auch sagen? Neben ihm schien die junge Dame etwas zu flüstern, aber es war zu leise, nur zwei Worte konnte der Parfümeur erahnen.
Nun, das unauffällige Persönchen war wohl noch nicht so weit, ihrem Herzen öffentlich Luft zu machen. Aber Cassian würde handeln, denn durch sein kleines Gespräch mit Rahjada hatte sich sein Verdacht erhärtet

Rasch antwortete Endor Dorén: „Gisthan, ich bin mir sicher, dass ihr Euch wie kaum ein anderer um die Landstadt Shenilo verdient gemacht habt und deshalb war es ein Akt der Anerkennung, Euch zur sicheren Versorgung ein Gut in Blickweite Shenilo zu überlassen. Auch mein Haus, in dessen Dienste ihr lange Zeit standet, hätte sich bestimmt erkenntlicher zeigen können und man sah Euren treuen Dienst stehts als selbst verstanden an.
Sicher bin ich mir auch, dass es nicht notwendig sein wird, Euer Erbe heute und hier zu regeln. Nicht weil es da nichts vererben gäbe, nein, weil Capitan Schelfing sich gefälligst an das horasische und Sheniloer Recht zu halten hat, zumindest solange das Duell auf Grund und Boden des Sheniloer Bundes statt findet, was der Pertakiser in seiner Heimat zu tun pflegt soll mir egal sein. Ich verweise hier auf den Codex Duello und den Erlass des Rats der Stadt Shenilo vom 1. Rahja 1022 nach dem Fall des hundertürmigen Bosparan, der ausdrücklich Duelle all'extremo, bis zum dritten Blut verbietet.
Zum Duell begleiten Euch genug Eurer Freunde und Unterstützer, die nur darauf warten, dem Pertakiser eine Lektion zu erteilen. Also fragt nicht, was Ihr für andere abschließend tun könntet sondern seht, das wir alle hier sind etwas für Euch zu tun!“
Da gab es verhalten gemurmelte Zustimmung, und tatsächlich schien niemand der Anwesenden etwas von dem Ersten Rat zu wollen. Keiner erhob die Stimme zu einer Bitte.

Erst der Belhanker Adept Cassian räusperte sich schließlich laut und vernehmlich in die Stille hinein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Seine Teetasse geziert zur Seite stellend, konstatierte er brottrocken: „Nun, werter Gishtan, wenn Ihr schon so direkt fragt, dann erbitte ich mir das Kästchen Zigarillos, welches ihr just heute morgen bekommen habt. Mag der Methumiser auch nicht Eure gewohnte Sorte sein, so bin doch ich immer wieder entzückt, welch überraschende Geschmacksnuancen er gelegentlich zu entwickeln vermag.“
Der Erste Rat der Stadt Shenilo wirkte verwundert. Er schien einen Moment zu überlegen, ob er Adeptus Cassian schon einmal hatte rauchen sehen. Es war über die Grenzen des Horasreichs hinaus bekannt, dass er selbst ein leidenschaftlicher „Rauchtrinker“ war, wie die wilden Oijaniha in den Kolonien sagten. Und er ließ gerne Freunde und Bekannte an dieser Leidenschaft teilhaben. Doch erlebte er es gelegentlich, dass diese das angebotene, teure Rauchwerk dankend ablehnten oder ihn gar mahnten, das Qualmen einzustellen – selbst eine Rahjageweihte aus dem Mittelreich hatte vor Jahren dieser Gewohnheit kein Verständnis entgegengebracht.
Dann glätteten sich seine grübelnden Züge, das allen wohlbekannte, zufriedene Grinsen des Gishtan re Kust zeigte sich und er nickte in die Runde: „Aber natürlich, eine gute Idee! Was soll ich diese Gabe einer Unbekannten aufheben, wo ich Sie mit Euch allen genießen kann?“ Er klappte das Kästchen auf, nahm eine der Tobakrollen zwischen die Zähne, wies auf die bereitstehenden Schwefelhölzchen und bat seine Gäste zuzugreifen: „Bringen wir Rondra gemeinsam ein Rauchopfer!“ Er trat mit dem Cigarillen-Behältnis auf Cassian zu, doch bis er diesen erreicht hatte, war dieses bereits zur Hälfte geleert und wohl ein halbes Dutzend Rauchkringel stiegen zur Decke des Arkadengangs empor.
„Der Rest sei Eurer, Meister des Wohlgeruchs“, sagte Gishtan zu Cassian und ließ sich nicht von dem einzelnen, wiederkehrenden Husten stören, das hinter ihm erklang. Esquirio Gianbaldo Carson war den wuchtigen Methumis-Tobak offensichtlich nicht gewohnt.
Erst als Cassians zunehmend erschrockener Blick an ihm vorbei ging, drehte Gishtan sich um und sah die in unterschiedlichem Grad entsetzten Gesichter seiner Gäste: Hustend, nach Luft ringend, mit bleichem Gesicht, die Hand an der eigenen Kehle, sank der junge Carson zu Boden. Einen Moment sagte niemand etwas, und unweigerlich richteten sich alle Augen auf die Cigarillen, die Gishtan und eine Reihe der Anwesenden noch immer sanft rauchend in ihren Händen und in ihren Mündern hielten.

Dann stürzte Orsino Carson herbei, um seinem Lieblingsneffen zu helfen. Lauthals rief der Baron nach einem Medicus. Er stützte den Kopf des immer noch hustenden Gianbaldo und murmelte düster: „Schelfing...!“ Ein Medicus war es nicht, der als nächster bei dem Hilfsbedürftigen kniete: In einer Duftwolke eilte Adeptus Cassian heran und presste seine gepflegten Hände auf den Brustkorb des nach Luft Ringenden: „Klarum. Purum. Kräutersud“, konnten Orsino und die Nächststehenden vernehmen. „Frei von Gift wird alles Blut“, deklamierte der Zauberer. Schweißperlen traten auf seine Stirne.
Asteratus Menaris war unter jenen Umstehenden, die zuerst lediglich auf den zu Boden gegangenen Leutnant der Drachenreiter starrten. Aber sein Verstand arbeitete gewohnt präzise: Ein starker Mann eigentlich - litt Ginbaldo womöglich unter einer Unverträglichkeit gegenüber dem Tabak? Oder war mit dem Kraut aus dem Süden eine Sumpfkrankheit eingeschleppt worden?
Die Rufe und Handlungen der anderen Gäste wurden zu einem Summen, zwar lästig, aber nicht weiter die Gedankensprünge des Nandus-Geweihten beeinträchtigend. Dabei übersprang er den nur kurz durch seinen Geist blitzenden Gedanken, dem Carson segnend die Hände aufzulegen. Der Adept würde sicher dafür Sorge tragen. Dann erwog er, zu seinem Vater Canyzethius zu eilen, der sich mit Kräutern, Krankheiten und manchem Gifte deutlich besser auskannte, als er selbst. Doch das hätte zu lange gedauert.
Endor Dorén, der eilig seine Zigarre weggelegt hatte, etwas blass war aber wohlauf wirkte, schien in eine ähnliche Richtung zu denken und rief den Helfenden zu: „Das Therbunitenspital liegt näher als das Ordenhaus der Madaschwestern. Bei Vergiftungen sind letztere die erste Wahl“, empfahl er.
Ob es wirklich ein Gift war? Asteratus gestand sich ein, dass er wirklich wissen wollte, ob etwas und falls ja, was den Tabak verunreinigt hatte. Der Blick des Nandus-Geweihten wurde klarer, als er nach dem zu Boden gefallenen Zigarrenkistchen griff. Er setzte das Gestell seiner Augengläser zurecht und murmelte. „Die Aura der Form sollte Genaueres verraten!“
Damit wandte er sich ab, um einen etwas weniger lauten Ort für sein Gebet ausfindig zu machen. Schon halb im Gehen begriffen richtete sich der leicht bucklige Geweihte mit einem Mal hastig auf und drehte sich noch einmal zu den um den Gefallenen versammelten Gästen um: „Ihr mögt es für weise halten, Signori, die Rauchgüter nicht weiter als Genussmittel zu verwenden. Niemand kann wissen, welches meridianische Morbus oder mengbillanische Maleficium womöglich versehentlich in dieser Kiste in die Yaquirlande gebracht worden ist.“ Sprach's und schickte sich an, einen ruhigen Raum für ein erhellendes Gebet zu finden.
Derweil zeigten Cassians Bemühungen ersten Erfolg: Die verkrampften Züge des jüngeren Carson entspannten sich ein wenig, der Husten ließ nach. Orsino verfolgte erschüttert, wie ein Hausdiener auf Anweisung des Belhankers feine, rote Tröpfchen aus dem Bart des jungen Manns wuschen. Endlich zeigte sich, dass die erste Gefahr überstanden war: Der Adeptus riet, Gianbaldo zur weiteren Pflege und Beobachtung in eines der Gästezimmer bringen zu lassen.
Nun erst erhob sich Orsino und schritt auf Gishtan zu, das Gesicht von fahlem Schrecken zu rotem Zorn wechselnd: „Das galt euch, Gishtan! Hier geht es nicht um Duell oder nicht Duell! Das alles ist hinfällig, keine Ehre hat euer Gegner. Rondras Zorn möge ihn treffen. Er ist es nicht wert, einen ehrenhaften Kampf auszufechten und wohl auch nicht willens, wie man sieht. Dies ist ein Fall für das Gericht! Dies muss Konsequenzen haben. Für Ramaúd in jedem Fall, wenn nicht darüber hinaus.“
Er klopfte Gishtan auf die Schulter: „Nun ist es klar... Baron!“ Dann folgte er dem hilfreichen Zauberkundigen und den Helfern, die Gianbaldo, der kaum mehr bei Bewusstsein war und dem kalter Schweiß dick auf der Stirn stand, aus dem Zimmer brachten.

Nach dem Giftanschlag (9. Rondra 1036 BF)

Ein knappes Stundenglas später versammelten sich der Gastgeber und seine Unterstützer im Salon des Gutshofes. Außer Gianbaldo, der in einen heilenden Schlaf gefallen war, schien es die alte Selina Cordur am heftigsten getroffen zu haben. Lamea hatte die Matriarchin nach Hause bringen lassen, war aber selbst auf dem Gut geblieben.
Bei Dartan di Côntris, Horathio Brahl und auch Karinor Degano hatte die rasche Behandlung gut angeschlagen. Die drei hatten zugegriffen, um sich in der geselligen Morgenrunde eine Zigarre anzustecken, und jeder von dem schädlichen Brodem in seine Lungen gesaugt. Nun husteten sie zwar noch gelegentlich, konnten sich an der rasch einberufenen Unterredung aber beteiligen.
Sonst schien niemandem etwas geschehen zu sein. Jenen aber, die entweder kein Rauchwerk ergriffen, dieses nicht entzündet, keinen Qualm eingeatmet oder aber schlicht das Glück gehabt hatten, nicht eine der nur wenigen mit einem giftigen Pulver versehenen Rollen zu nehmen – etwa Ilora Changbari oder Leophex von Calven - war der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben. Selbst Gishtan re Kust verzichtete in diesem Moment auf seinen geliebten Tobak, was seine Unruhe noch zu verstärken schien.

Endlich stieß auch der Nandus-Geweihte Asteratus Menaris zu der Versammlung. Er zeigte eine ernste Miene und schaute genau, wer anwesend war. Dann ließ er sich nicht lange bitten, seine Erkenntnisse kundzutun: „Der heilige Nandus hat mir Wissen zuteil werden lassen“, eröffnete er und erhielt sogleich noch gespanntere Aufmerksamkeit. „Ich bin mir nun gewiss, dass keine Krankheit oder Verschmutzung des Tabaks die Gesundheit des Esquirio angegriffen hat.“
Adeptus Cassian nickte bestätigend: „Die Kraft, die es gebraucht hat, um die schädliche Einwirkung auf Gianbaldos Lunge zu beenden, ist beträchtlich gewesen. Auf jeden Fall größer als es ein Schimmelpilz oder eine Pflanzenkrankheit bedingt hätte. Es muss ein Gift gewesen sein, dessen Wirkung sich im Rauch entfaltete, sobald die damit präparierten Zigarillos entzündet wurden.“
Asteratus hielt sich mit solchen Details nicht auf: „Nandus hat mich die letzten vier Personen schauen lassen, die das Kistchen in Händen hielten, das den giftigen Rauch in dieses Haus gebracht hat.“ Orsino Carson ballte die Faust: „Gut. Euer Wort wird vor Gericht genügen, um Kalman von Schelfing auf den Richtblock zu bringen. Nicht auszudenken, was in einem geschlossenen Raum hätte geschehen können, wenn das Rauchwerk nicht unter den Arkaden angezündet worden wäre. Wir hätten alle verletzt werden können – oder schlimmer.“
„Nicht zu eilig“, bremste der Bucklige ihn. „Durch Kalmans Hände ging das Kistchen nicht. Baron Gishtan hielt es, um die Zigarren an seine Gäste zu verteilen. Davor Secretaria Weltinskwant. Ihr gab es ein reitender Bote. Jener erhielt es aus der Hand eines Fremden, offensichtlich seines Dienstherrn. Doch der Letztgenannte war nicht Kalman. Und es war auch keine geheimnisvolle Verehrerin.“ „Das hätte mich auch sehr überrascht“, kommentierte Cassian di Salsavûr-Torese, laut genug dass ihn einige Umstehenden vernehmen konnten. „Dieses Ablenkungsmanöver ließe sich leicht als solches enttarnen – schon ein Duft könnte verraten, dass jemand anderes das Päckchen auf den Weg gebracht hat.“

Gishtan re Kust blickte kaum grimmiger als zuvor Orsino Carson: „So spielt eine dritte Parteiung ein falsches Spiel. Jemand versucht, mich aus dem Weg zu räumen und zugleich den Verdacht auf den Naheliegendsten als Täter zu lenken. Womöglich ist der unbekannte Dritte derselbe, der schon den Angriff auf Kalman angestiftet hat. Jemand hat von den „geheimnisvollen Briefen“ erfahren – wohl aus der gleichen, indiskreten Quelle, die darüber in Shenilo Gerüchte gestreut hat - und sich dieses Wissen zunutze gemacht, um einen perfiden Anschlag auf mich und damit auf meine Unterstützer zu verüben.“
Er sah jeden der Anwesenden genau an: „Hochgeboren Orsino hatte Recht: Es geht nicht länger darum, ob ein Duell zu fechten ist oder nicht. Ich muss mich Kalman stellen. Aber aus unserem Aufeinandertreffen soll kein Gelichter einen Nutzen ziehen. Doch, meine Freunde, auch Eure Leben sind durch diese ganze Affaire nun in Gefahr geraten. Darum will ich nicht entscheiden, wie ich weiter vorgehe, ohne Eure Meinung einzuholen: Was soll ich, was sollen wir!, als nächsten Schritt tun?“

„Unerwartete Neuigkeiten! Eine dritte Partei, die mit ungewöhnlichen Mitteln kämpft“, bemerkte Guiliana di Matienna mehr für sich selbst. Liebend gern wollte sie herausfinden, wer dafür verantwortlich sein könnte.
„Ich sage, das Duell sollte vorerst warten, hier scheint dringenderes Handeln geboten“, fuhr sie fort. „Wenn wirklich jemand drittes Euch UND Kalman nach dem Leben trachtet, wird letzterer es womöglich verstehen und das Duell aufschieben, solltet ihr ihn rechtzeitig in Kenntnis setzen.“ Unvermeidliches Gemurmel brach an, ebbte aber schnell ab.
„Wenn es nicht völlig von Sinnen klänge, könntet ihr gar mit Kalman etwas aushecken, um dem dritten Mann eine Falle zu stellen. Mir schwebt auch schon etwas vor, ich will es nur hier nicht ausbreiten, könnte doch der Absender des Kistchens einer von uns sein...“ Im folgenden Getöse und empörten Aufbrausen versuchte Guiliana, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wer sich keine Tabakrolle genommen hatte: Asteratus Menaris, Batiste d'Imirandi, Cassian di Salsavûr-Torese, Lamea Cordur, Orsino Carson, Rahjada und Sharane ya Papilio, Sybaris Dorén, Thalion Gabellano und Waliburia Weltinskwant waren dies gewesen.

Karinor Degano war noch nicht wieder ganz auf der Höhe nach dem „Genuss“ der Zigarre, sah aber keineswegs ein, dies zu zeigen. Ganz wie es ein älter werdender Kampfhund macht, der immer mehr merkt, dass jüngere nachrücken, spielte er seine Rolle. So hatte er, als sie alle erneut zusammentrafen, erneut einen glimmenden Tabakcigarillo zwischen den Zähnen - als ob er sagen wollte: „War was?“
Bei den folgenden Beratungen hielt er sich wie meistens eher etwas im Hintergrund. Man sah Karinor durchaus an Körper, Haltung und Körpersprache an, dass er kein Mann der Worte war. Er war einer derjenigen, die in der Versammlung um Gisthan für's Grobe zuständig sein wollten.
Nichtsdestotrotz hörte er genau zu, was gesprochen wurde. Auch er wollte den richtigen treffen, wenn es darum ging die Vergiftung zu vergelten. Seine Pläne für die nächsten Tage kündigte er mit relartiv knapp an: „Signor Gisthan, ich werde meine Schildraben herholen und, wenn Ihr dann sicher wisst, wer das war, werde ich demjenigen mal gemeinsam mit meinem Schwarm einen Besuch abstatten. Wollen doch mal sehen ob nach dem „Rauch“ hier in unserer Runde nicht der Rote Hahn im Haus des Vergifters umgeht!“.

Nachdem der Tumult wieder abgeklungen war, meldete sich der in dunkle Kleidung gewandete Sybaris Dorén zu Wort: „Eine schändliche und ehrlose Tat... Signor Gisthan, ein Duell zu diesem Zeitpunkt halte ich für falsch. Wer weiß, welche Fäden diese namenlose, dritte Parteiung noch gezogen hat oder gedenkt zu ziehen, um das Duell zu beeinflussen. Ich gebe Baron Carson Recht, dass die Verantwortlichen für dieses schändliche Attentat den Richtblock verdient haben. Die Rechtslage dürfte nach dem Wehrheimer Index eindeutig sein, hier wird mir mein gelehrter Kollege Signor Leophex sicher zustimmen. Nur: haben wir genug Beweise, um eine Anklage vor einem Hochgericht anzustreben?“
Sein Blick fiel auf Cassian di Salsavûr-Torese und ruhte dort einen Augenblick. „Vielleicht sollte auch die Verehrerin des Signors Gishtan bekunden, dieses Kästchen nicht geschickt zu haben, um sich selbst zu entlasten und nicht Ziel weiterer Ermittlungen zu werden.“ Über Sybaris' Gesicht huschte ein kurzes Lächeln.
Der charmante Parfümeur hatte gleich eine Antwort parat: „Oh, diese Dame vermag bereits ich von jeglicher Mitschuld an diesem Anschlage frei sprechen. Ad primo hat, wie wir durch Ihro Gnaden Asteratus erfahren haben, ein Mann das Kästchen an den Boten ausgehändigt. Ad secundo wird eine Schriftvergleich zwischen der beigelegten Grußkarte und einem der Briefe der geheimnisvollen Unbekannten keine Übereinstimmung ergeben. In diese Richtung zu ermitteln ist ergo lediglich eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen und würde zu nichts führen. Mehr Aufklärung erhoffe ich mir davon, den Boten zu befragen, von wo er das Paket abgeholt hat, und dann die Nachforschungen in dieser Richtung voranzutreiben. Da wir nun das Gesicht des Boten kennen, müsste es doch möglich sein, diesen ausfindig zu machen.“ Fragend blickt der Belhanker in die Runde.

Auf diese Worte herrschte eine kurze Stille. Asteratus Menaris schien einem flüchtigen Gedanken nachzuhaschen und schaute in die Ferne – bis ihn Sybaris Dorén direkt ansprach, sein Cousin: „Asteratus, hat Euch der Meister des verborgenen Wissens noch mehr über den Besitzer des Kästchen sehen lassen, der es an Rat Gishtan gesandt?“ Seine Gemahlin Argelia hatte ihn mit ihrem Stiefbruder bekannt gemacht und er schätzte dessen Gesinnung.
Der Geweihte nickte bedächtig und kratzte sich am Nasenrücken, als er das Gesehene ins Gedächtnis zurückrief. Zugleich dachte er auf einem anderen Feld weiter und entschied sich, diese Überlegung zuerst mitzuteilen: „Signore Gishtan, was Ihr sagt ist wahr, ja, mehr noch, es ist auch weise. Es geht nicht mehr um das Duell. Stellen müsst ihr Euch Eurem Halbbruder. Aber ich frage mich: auch zum Duell? Wäre es nicht weise, den Constabler Pertakis' jetzt davon zu überzeugen, dass nicht Ihr es gewesen seid, der Bolzen auf ihn hat abschießen lassen, genausowenig wie dieser die Hand im Spiel hatte, als diese gefährlichen Brandkräuter verteilt wurden? Bei all seinem Streben nach Ramaúd werden doch Stolz und Ehre nicht zulassen, dass Kalman zum Erfüllungsgehilfen einer unbekannten, aber zweifelsohne sinistren Gruppierung werden wollen würde!“
Sybaris war von dieser jähen Wendung des Gedankengangs verwirrt gewesen, nickte nun aber eifrig: „Ich stehe in dieser Sache treu hinter Euch, Gishtan, aber wie schon Asteratus und Signora Guiliana andeuteten: Habt Ihr bedacht, was von Schelfing zu dieser Sache zu sagen hat?“ Gemurmel und Getuschel wurde laut.
Endor Dorén schob einige der Anwesenden zur Seite und stellte sich zu seinem Sohn. „Vielleicht…“, rief Sybaris über die Unruhe hinweg, „...vielleicht ist er ob dieser schändlichen Tat ebenfalls so überrascht wie wir es sind? Ich kenne von Schelfing nur aus meinen Kindestagen auf Schloss Myrendie. Unter meines Vaters Befehl hat Capitano von Schelfing gedient - vielleicht wäre dieser der Richtige, eine Delegation nach Pertakis zu führen?“
Endor ergriff das Wort: „Capitano von Schelfing hat bereits in der Shumirkrise unter mir gedient und ich halte es für eine gute Idee, ihn mit den Geschehnissen der letzten Tage zu konfrontieren. Ich würde aber auch dazu raten, ihm gleich einen Aufschub des Duells anzubieten, bis der ominösen dritten Partei das Handwerk gelegt wurde. Vielleicht schlummert in Von Schelfing noch eine der Tugenden, die er früher besaß, und der Anblick seines früheren Herren führt ihn ein Stück in unsere Richtung. Ich biete mich an, eine unbewaffnete Delegation zum Castello Liliendis, die Garnison der Pertakiser Reiter zu führen. Wer wäre bereit mit mir zu kommen?“

Bevor aber auch nur der erste Heißsporn aufspringen und sich melden konnte, durchschnitt der Hausherr mit einer energischen Geste die Diskussion: „Ich bin froh, dass Ihr so einig scheint, meine Freunde, und Eure Empfehlungen in die gleiche Richtung weisen. Und ich will dieser Empfehlung gerne folgen. So sei es denn: Ich werde mich am Morgen des 12. Rahja Kalman stellen, nicht aber um das Rapier zum Streich gegen ihn zu erheben.“
Baron Gishtan nahm ein kandiertes Ingwerstäbchen, führte es aber nicht zum Mund, sondern ließ es abwesend von der einen in die andere Hand und zurück wandern, als er fortfuhr: „Was ich nicht wünsche ist, dass Dritte ihre Verbundenheit zu mir derart auslegen, dass sie sich sogar womöglich in Gefahr bringen. Entweder weil Kalman ihr Fürsprechen missverstehen will und sie bedroht oder gar gefangen nimmt; ähnliches ist schon einmal bei ähnlicher Gelegenheit geschehen, woran mancher von euch sich fraglos erinnert.“ Er blickte direkt Asteratus Menaris, Lamea Cordur, Leophex von Calven und die daraufhin noch verlegener zu Boden sehende Rahjada ya Papilio an.
„Oder weil jener unbekannte Dritte mit einem solchen Vorgehen rechnet und bereits seine Schergen auf solche Gesandten lauern lässt. Niemand soll mehr an meiner Statt verletzt werden!“, versetzte er mit Nachdruck. „Wenn Ihr etwas für mich tun wollt, Signor Endor, so bringt Euch nicht selbst in Gefahr, sondern begleitet mich anstelle des verletzten Gianbaldo Carson als zweiter Sekundant zur Brücke bei Mesaverde.“

Thalion Gabellano hatte die bisherige Diskussion nur am Rande verfolgt. Er rieb sich den Kopf, entfernte den Mühlstein, der seinen Kragen zuzuschnüren schien und tupfte sich gedankenverloren mit einem in der Wasserschale befeuchteten Tuch die Stirn. Die Unruhe und die Diskussionen umher ließen das dumpfe Dröhnen hinter seinen Schläfen stetig anschwellen, aber immerhin fühlte er nicht mehr den Drang, sich Kalman von Schelfing selbst entgegenzustellen, um das bloße Reden über die Ehrenhändel zu beenden. Das Ganze wollte ihm nicht so recht schmecken, soviel war sicher. „Eine dritte Partei?“, warf er nun ein, um überhaupt etwas zu sagen. „Aber wer sollte denn ein Interesse haben, den Ersten Rat tot zu sehen?“
Diese Frage ließ den Nandus-Geweihten Asteratus wieder aufhorchen, der die letzten Augenblicke damit verbracht hatte, sich die nebulösen Gesichter der vormaligen Träger der Zigarrenkiste ins Gedächtnis zu rufen. Zusammen mit Gishtans Einwurf kam ihm nun eine wilde Theorie als Antwort auf die Frage des Cavalleristo der Gabellano in den Sinn: „Womöglich die gleichen Maleficanten, die sich nicht scheuten, einen Götterdiener einzukerkern um die Kunde von der Rechtmäßigkeit des Erbes zweier Halbbrüder aus Ramaúd zu tragen!“, glaubte er nur zu denken, doch offensichtlich hatte er diesen Verdacht laut gesprochen.
Gishtan re Kust schaute den Menaris erst erstaunt, dann mit zunehmendem Grimm im Blick an: „Ich ahne, wen Ihr meint. Jener, der nicht wollte, dass das Hausgesetz der Trabbacantes das Archiv von Schloss Ramaúd verlässt und nach Horasia gebracht wurde. Und ich glaube, Ihr könntet Recht haben. Wollt Ihr seinen Namen nennen?“
Asteratus zögerte keinen Moment: „Der Kastellan der Feste der Familie Eures Vaters, Signore Gishtan. Pandolpho aus dem Hause Weyringer.“
Re Kust ballte in seltener Gefühlsheftigkeit die Fäuste und nickte bekräftigend, ehe er Augenkontakt zu jeder und jedem einzelnen der Versammelten suchte, wie um noch einmal Bestätigung zu finden. „Ich danke Euch allen dafür, dass Ihr mir mit Verstand, Gespür, Gebet und Weisheit geholfen habt, in den schwierigen Überlegungen zu den Hintergründen der Sache Ramaúd voranzukommen. Ohne Euch wäre vieles im Verborgenen geblieben, nicht zuletzt der Weg, den ich nun weitergehen muss.“
Gishtan wies mit einer einladenden Geste über Casa, Park und Weinberge: „Ihr seid mir nach diesen Erkenntnissen weiterhin als Gäste auf Gut Zweiflingen willkommen. Wer nicht bereits aus Gründen seiner eigenen Sicherheit zuvor abreisen möchte, mag mich gerne als Zuschauer zum Ort des Zusammentreffens mit Kalman von Schelfing begleiten. Bis dahin sind noch zwei Tage, in denen ich über die besten Argumente sinnieren kann, meinen Halbbruder davon zu überzeugen, dass es in unserer beider Sinne liegt, einen gemeinsamen Weg zu finden - und manche Dinge mit dem einen oder der anderen unter Euch beraten, zu denen es lediglich vier oder sechs Augen bedarf.“

Gishtan re Kust, Erster Rat der Stadt, Vogt auf Zweiflingen und rechtmäßiger Baron von Ramaúd nickte den Versammelten ein letztes Mal zu, dann drehte er sich auf dem Absatz um und enteilte in Richtung seines Arbeitszimmers. Als die Tür hinter ihm zufiel, setzte sogleich aufgeregtes Reden seiner Gäste ein. Welch erstaunliche Wendungen sich in den vergangenen Stunden und Tagen ergeben hatten! Und mancher vermutete bereits da zurecht, dass auch die Begegnung der Trabbacantes-Söhne nicht das letzte Kapitel in Sachen Ramaúd sein würde.


(wus, mit Beiträgen zahlreicher Spieler aus Shenilo und anderen Städten des Horasreichs)