Briefspiel:Im Land der echten Liebe/Gut Fecunda
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Das Gut Fecunda (von Timm)
Im letzten Aufglühen der Nachmittagssonne schreiten Tariano und Usanza durch einen Hain, der älter scheint als das Land selbst. Die Olivenbäume – krumm, verwittert, von Zeit und Wind gezeichnet – stehen wie stille Zeugen einer fernen Welt. Ihre silbernen Blätter flimmern im Atem des Westwinds, der den Duft von wildem Rosmarin, salziger Küste und uralter Erde mit sich trägt. Der Boden unter ihren Schritten ist weich, durchzogen von vergessenen Pfaden, die sich wie Adern durch das Herz dieses Landes winden. Die Schatten der Bäume tanzen über ihre Gesichter, und für einen Augenblick wirkt die Welt wie aufgehoben – als hätte die Zeit selbst den Atem angehalten.
In den Zweigen singt das Leben – Sperlinge, unsichtbare Insekten, das ferne Rufen eines Falken. Und über all dem der kaum hörbare Klang einer Tempelglocke, die in der Ferne die Stunde schlägt. Kein Lärm, kein Ruf, nur das tiefe, unerschütterliche Schweigen der Landschaft, das alles durchdringt. Dann das leise Rumpeln von Rädern auf altem Pflasterstein: der Karren, gezogen von zwei Maultieren, setzt sich in Bewegung. Holz knarzt, Eisen zittert, und langsam schieben sie sich weiter den Hügel hinauf – vorbei an Mauern aus grob behauenem Stein, an Terrassen, auf denen Weinreben und Oliven gedeihen, als wären sie von Peraines Hand gepflanzt.
Die Szenerie öffnet sich – ein Bild wie aus einem Fresko vergangener Jahrhunderte: Zypressen stehen Spalier, der Himmel flammt in Gold, und der Wind trägt den letzten Gesang des Tages mit sich. Hoch oben, auf dem Hügel, erhebt sich die Villa Fecunda. Kein bloßes Gebäude, sondern ein Manifest aus Stein und Wille. Ihre Mauern aus hellem Kalkstein leuchten im sinkenden Licht, das rote Dach brennt wie ein Fanal gegen den Abendhimmel. Und als der Karren durch das steinerne Tor rollt, kündigt das Knistern des Kieses mehr an als bloß die Ankunft – es ist das Echo unzähliger Heimkehrender, das sich in diesem Augenblick verdichtet. Vor dem Portal steht er: Thuan Varducchio. Wie ein Relikt aus einer vergangenen Ära – aufrecht, regungslos, in eine Toga gehüllt, die mehr an einen Konsul erinnert als an einen Verwalter. Der Umhang über seiner Schulter trägt Symbole, deren Bedeutung längst verschollen scheint, doch deren Kraft geblieben ist. Das Haar, von Silber durchzogen, glänzt noch feucht – als wäre er soeben aus einem rituellen Bad gestiegen, bereit, Gericht zu halten oder Weisung zu geben.
„Salvete, peregrini in terra fecunda!“ – seine Stimme hallt über den Vorhof, nicht laut, aber unwiderstehlich, als spräche sie mit dem Atem des Bodens selbst. Sie steigen ab. Usanza neigt das Haupt, Tariano erwidert den Blick – ehrfürchtig, doch wachsam. Thuan tritt vor, mustert sie mit einem Blick, der Jahrhunderte zu überblicken scheint. „Vos adfertis nimbos novarum dierum – et saporis ex mundo extra.“ Dann, in fließendem Horathi, wie beiläufig: „Verzeiht – der Klang des Imperiums ist mir vertrauter als der der Gegenwart.“ Mit einer ausladenden, fast zeremoniellen Geste öffnet er die Tore. Die Sonne bricht auf das schmiedeeiserne Beschlagwerk, als wolle sie den Moment segnen. „Tretet ein – in ein Haus, das nicht bloß aus Mauern besteht, sondern aus Erinnerung, Würde und dem Duft der Erde. Achtet auf die Zähne des Drachen, auf die Wandteppiche aus den dunklen Zeiten, auf die Fresken, die selbst Satinav vergessen hat. Und wenn ihr Durst habt: Der Wein aus dem westlichen Hain ist älter als mancher Eid.“ Ein Diener tritt hervor, kaum hörbar auf dem Stein, und nimmt sich des Wagens an. Ein zweiter gleitet wie ein Schatten durch das Haus – um Räume vorzubereiten, oder etwas anderes, das nicht genannt wird. Thuan bleibt stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Sein Blick ruht auf dem Horizont – dort, wo Himmel, Hügel und Meer ineinanderfließen. „Kommt. Ich zeige euch das Atrium. Und dann... dann sprechen wir über Öl, Ewigkeit – und Ordnung.“