Archiv:Ihr letzter Vorhang (BB 38)

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Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 38, Seite 27 Schildwacht.png Datiert auf: Efferd 1034 BF


Ihr letzter Vorhang

Maestra Yaquiria Avessina in Arivor hingerichtet

von Alverano ya Paredo


“Am Ende war es eine Tragödie”, fällte Reshemin Jaraldo, die Besitzerin der Vinsalter Oper, ihr trauriges Urteil. Und man merkte ihr den Kloß im Hals wie beinahe allen Anwesenden an. Es war der 1. Efferd 1034 BF, als auf dem Krammarkt von Arivor eine Meisterin ihres Fachs durch einen einzigen Schwerthieb des Henkers den Tod fand. Maestra Yaquiria Avessina, als Begründerin der Commedia Yaquiria berühmt geworden, war ihre Verwicklung in die so genannte ‘Theatrokratie’ von Montarena zum Verhängnis geworden.
Ein Blick zurück: Die Marudreter Fehde erschütterte in der ersten Jahreshälfte 1033 das Aurelat (BB#37). Im Konflikt zwischen Graf Croenar und der Fürstlichen Gemeinde geriet das yaquirseitige Hinterland Urbasis fast in Vergessenheit. Die Stadt Montarena lag wie eine reife Frucht da, die es nur zu pflücken galt. Für den Despoten Shenilos, Ludovigo von Calven, war das zuviel der Versuchung und er entsandte den urbasischen Verräter Corvino von Urbet, ihm die Stadt zu erobern. Ein Plan, der aufging, dem Tod des Tyrannen aber nur unwesentlich zuvor kam. Ende Travia war Corvino Herr seiner eigenen Stadt, doch ohne Unterstützer anderswo.
Wohl um (sich?) hiervon abzulenken, begründete er die ‘Theatrokratie’ und beauftragte Maestra Yaquiria, die als Gubernatorin Urbasis noch immer in der Stadt weilte, von nun an täglich Schauspiele aufzuführen, die bald zu nur noch dramaturgischen Erwägungen gehorchenden Audienzen Corvinos für ‘seine Untertanen’ verkamen. Der Theatrokrat degradierte eine ganze Stadt zu Statisten und applaudierenden Zuschauern seiner selbst. Yaquiria, die brillante Theaterzauberin, steuerte die effektheischerischen Illusionen bei. All dies hielt jedoch nicht der militärischen Macht des Hauses di Salsavûr statt, das Montarena für den gerade erst im Albornsburgfrieden zum Baron der Stadt ernannten Lorian zurückgewinnen wollte. Im Tumult in der Arena, als die Salsavûr-Garden am 7. Tag des Boronmonds die letzte Audienz Corvinos stürmten, entkam der Theatrokrat und nur Yaquiria wurde gefangen.
Dass sie selbst verführt, gezwungen oder genötigt worden sei, an dieser Episode mitzuwirken, hielten ihr viele zu Gute – nur ihre Richter nicht. Denn Yaquiria war ‘Wiederholungstäterin’, wie es der als Ankläger seines Hauses fungierende Advokat Gareno di Salsavûr ausdrückte. Bereits 1028 BF war sie in den Jaltekenaufstand in Urbasi verstrickt gewesen (BB#31). Alle Fürsprache des Hauses Urbet, dessen einstiges Familienoberhaupt Traviano sie bereits einmal begnadigt hatte, half Yaquiria daher nichts. Ende Praios 1034 fällte das Hochgericht des Erzherrschers in Arivor das Todesurteil wegen schwerer Anstiftung zum Aufruhr.
Die ‘Causa Yaquiria’ war zu diesem Zeitpunkt längst überregional bekannt geworden und erregte besonders unter den Kollegen der Dramaturgin die Gemüter. Impresarios aus dem ganzen Land waren wegen der bevorstehenden Theaterfestspiele nach Arivor gekommen und wohnten nun, freiwillig oder unfreiwillig, den Debatten um ihre Schuld und Unschuld bei. Es könne kein gutes Zeichen sein, wenn eine der größten ihres Fachs unmittelbar vor dem Start der Theatersaison gerade hier hingerichtet werde, mahnten viele. Und tatsächlich erwies ihr der Erzherrscher eine letzte Gnade: Einmal noch sollte die Maestra, unter Bewachung wohl, doch auf der berühmtesten Bühne des Landes im Theater von Arivor aufspielen dürfen. So gerieten die Festspiele im Rondra 1034 zu Festspielen einer Todgeweihten, deren letzter Vorhang mit Vorfreude herbeigesehnt oder vor banger Erwartung gefürchtet wurde.
Die 500 Mammutonbillets für Yaquirias ‘Perucettenbankett’ am 24. Rondra (am langjährigen Termin des Monumentalschauspiels von Montarena, das sie zuletzt so geprägt hatte) waren ihr Gewicht angeblich bald in Endurium wert. Und das zurecht, wie es nachher hieß. Die Dramaturgin erntete Bewunderung und Anerkennung für die Komödie, die sie allen Begleitumständen zum Trotz zur Perfektion gebracht hatte. Dass das drei Tage später erstmals unter dem neuen Baron Lorian di Salsavûr stattfindende Montarena-Schauspiel im Vergleich dazu verblasste, blieb eine Randnotiz. Denn Yaquirias Hinrichtung ließ nun nicht mehr auf sich warten.
Zur ersten Mittagsstunde im Efferdmond war es soweit. Der Krammarkt Arivors platzte aus allen Nähten. Kollegen der Dramaturgin waren da und einfache Arivorer Bürger; Pilger aus fernen Landen, die sich erst nach den Umständen erkundigen mussten, und Kunstliebhaber, die noch müde von der letzten Vorstellung des Vorabends ihr die Ehre erweisen wollten. Und dann waren da auch die Mitglieder jener zwei Baronshäuser, die sie angeklagt oder bis zuletzt verteidigt hatten: di Salsavûr hier, Urbet-Marvinko dort. Sie alle vernahmen der Maestra letzte Worte: “Meine Freunde, ihr seid das beste Publikum, das ich mir wünschen konnte!” Und sie lächelte dabei, bevor ihr doch eine Träne die Wange herunterlief. Dann fiel das Schwert – und mit ihm Yaquiria Avessinas letzter Vorhang.

Armin Bundt