Briefspiel:Der Tod des Patriarchen/Leichenschmaus

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Stadt Unterfels.png Briefspiel in Unterfels Stadt Unterfels.png
Datiert auf: Efferd 1046 BF Schauplatz: Unterfels Entstehungszeitraum: Winter 2024 bis Sommer 2025
Protagonisten: die Familie Bolburri, mehrere Patrizier aus Unterfels sowie Aurelio van Kacheleen Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Familie Bolburri.png Philburri, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Haus Sirensteen.png Erlan, Villaraja.png Dajin FamiliaAranjuez1.jpg Der Sinnreiche Junker, u.w.
Zyklus: Übersicht · Die Trauerfeier · Leichenschmaus


Leichenschmaus im Hause Bolburri

Am Nachmittag, nach dem Begräbnis, kamen alle Familienmitglieder im Palazzo Bolburri zusammen. Auch alle Mitglieder des Consilio della Signores, weitere Würdenträger der Stadt sowie enge Freunde der Familie waren eingeladen. Im großen Saal wurde ein reichhaltiges Buffet hergerichtet. Zu Beginn war die Stimmung noch bedrückt, aber schnell erfüllten die Gespräche der vielen Familienmitglieder und der Gäste den Raum. Dem verstorbenen Patriarchen war die Einheit der Familie immer das Wichtigste gewesen, dementsprechend ehrte man das Oberhaupt mit dieser familiären Zusammenkunft.

Endlich sitzen. Seufzend ließ sich Bassiano d.J. auf einen Stuhl fallen und trank einen kräftigen Schluck aus seinem Weinkelch. Er nickte dankbar seiner Gemahlin Fiora zu, die eben ihre Töchter Amene und Aurelia zu Gylvana, der alten Amme der Familie, in eine Ecke der großen Halle brachte. Kaum angekommen, fingen die Zwillinge direkt an, darüber in Streit zu geraten, wie so oft. Diese Kinder… Bassiano musste liebevoll schmunzeln. Seine Gemahlin kam mit strenger Miene zurück. ”Nicht einmal heute schaffen die beiden es, sich zu benehmen…” Mit einem Seufzen setzte sie sich hin. “Ärger Dich nicht. Der Tag war wirklich anstrengend, auch für die beiden.” Aufmunternd reichte er ihr ihren Kelch. Fiora wollte kurz etwas erwidern, überlegte es sich jedoch anders und nahm einen tiefen Schluck.

Bassiano ließ den Blick durch den Raum schweifen und konnte kurz seinen Vater beobachten, der sich natürlich vor allem um die Gäste kümmerte. Nun würde die Verantwortung auf seinen Schultern liegen, und Bassiano ahnte, dass sein Vater als Familienoberhaupt einiges anderes machen würde als sein Großvater. Dem blickte er mit gemischten Gefühlen entgegen. Bevor er sich jedoch weiter darüber Gedanken machen konnte, musste er sich schon wieder erheben, um die nächste Beileidsbekundung entgegenzunehmen.

Politische Plauderei

Eine dieser Gäste war Hasrolf von Culming. Er war mit der ganzen Familie angekommen, sprich seiner Frau Eslamuela und den fünf Kindern, der zehnjährigen Catalina Phexlana, der neunjährigen Tilliane Loris, der siebenjährigen Isora Aquelia, dem sechsjährigen Raúl Irizion und dem dreijährigen Icaro Horasio. Sie alle hatten feine schwarze und damit sehr borongefällige Trauer-Kleidung gewählt und wirkten so dem Aufhänger entsprechend passend, ihre Körperhaltung jedoch verriet, dass die meisten die Familientrauer der Bolburris nicht im gleichen Maße erwiderten. Zumindest Isora, Raúl und Icaro wirkten extrem gelangweilt und quengelten rum, Raúl spielte zudem ständig am wie bolle juckenden Faltkragen herum und drohte gleich eine Szene zu machen. Einzig Catalina und Tilliane schienen bereits zu wissen, wie man sich bei so etwas zu benehmen hatte. Eslamuela kümmerte sich um die jüngeren und versuchte so größere Peinlichkeiten noch zu verhindern, aber für einen Leichenschmaus waren die drei kleinen schon fast auffällig überaktiv. Entsprechend führte Eslamuela die Kinder zum Spielen in eine eher spärlicher belegte Ecke. Hasrolf selbst musterte vor allem das Buffet. Es wirkte, als würde er in Gedanken bereits ausloten, von welchen Köstlichkeiten er mindestens zweimal naschen würde und welche er wohl eher anderen überlassen würde. Als er Cassius Bolburri bemerkte und auch bemerkte, dass Cassius ihn bemerkt hatte, richtete Hasrolf seine Körperhaltung und ging strikt auf8 den neuen Soberan der Familie zu.

“Dom Cassius! Noch einmal mein Beileid für den Verlust. Hoffen wir, dass wir mit dieser Gedenkfeier sein langes und erfolgreiches Leben noch einmal gelungen feiern können. Wie geht es euch mit eurer neuen Aufgabe?” begann Hasrolf mit einer seiner Spezialitäten: Plaudern. “Signor, ich danke Euch sehr für Eure herzlichen Worte. Ich habe diesen Tag schon länger befürchtet und konnte mich dementsprechend vorbereiten. Trotzdem wird es noch ein paar Tage dauern, bis ich mich auf die neue Aufgabe konzentrieren kann. Heute überwiegt die Trauer und die Erinnerung an ihn. Ich bin mir sicher, er schaut erfreut und wohlmeinend auf unsere Zusammenkunft herab.” Cassius war müde und hatte wenig Lust auf leichte Konversation, deutete aber dennoch auf die Familie des Cavaliere und rang sich aus Höflichkeit ein wenig Interesse ab. “Wie geht es Euch und Eurer Familie? Die Kinder werden immer größer.”

“Es ist erschreckend, nicht wahr?” lächelte Hasrolf. Seitdem er die Kinder hatte, war er ein viel ruhiger Mensch geworden, er war in der Tat sehr stolz auf sie. “Ich kann auch kaum glauben, dass ich für die beiden ältesten mich schon um solche Sachen wie eine Ausbildung und ähnliches kümmern muss. Vielleicht vier fünf Jahre und für Catalina muss ich einen Ehemann finden. Ist das zu glauben? Aber wem erzähle ich das, ihr seid ja vor kurzem schon wieder Großvater geworden. Wie sieht es denn bei Domna Ella aus? Sie hat sich mit dem Nachwuchs ja bisher doch viel Zeit gelassen, aber eigentlich fehlt sie doch noch in der Reihe, um euch eine weitere Großvaterfreude zu schenken?" Cassius atmete kurz hörbar durch. “In der Tat, die Geburt der kleinen Tsadania war für uns alle ein Geschenk! Nun, meine Tochter hat leider noch keine Kinder bekommen, das habt Ihr vortrefflich bemerkt. Ich hoffe, es wird bald soweit sein. Was strebt Catalina denn für eine Ausbildung an?”

“Sie ist die älteste meiner Kinder, als solches lastet auf ihr natürlich der Druck, eines Tages in meine Fußstapfen treten zu müssen. Sie erwartet ein Leben der Staatskunst und des Handels denke ich, ebenso den Umgang mit rauhen Söldnern wie gewieften Condottieri. Aber die Entscheidung, wer dafür ein geeigneter Lehrmeister sein wird, ist nicht so einfach, wenn man ein Kind zweier Reiche ist. Als Mitglied des Hauses Culming sehe und kenne ich natürlich viele Möglichkeiten in Almada, meine Frau Eslamuela hingegen votiert auf Grund ihrer Herkunft natürlich für eine horasische Ausbildung. Und realistisch betrachtet wird meine Göttergattin wohl ihren Willen auch durchbekommen, denn Catalina hat ihr ganzes Leben in der Region Unterfels verbracht und will auch nicht wirklich weg.” zuckte er mit den Schultern. “Es ist wirklich kein einfaches Thema. Mein Bruder winkt zum Beispiel auch mit einer Ausbildung in Elenvina, wo er ja der Mundschenk des Herzogs und seiner almadanischen Frau geworden ist. Technisch wäre die Ausbildung dort wohl die beste… aber Elenvina? Bei diesen steifen Paragrafenreitern? Ich weiß nicht…” Cassius fand die langatmigen Ausführungen inzwischen zunehmend anstrengend und auch in dieser Situation respektlos, er ließ sich sein Missfallen aber natürlich nicht anmerken. Auch einen süffisanten Kommentar zur Entscheidungsfindung im Hause Culming behielt er bei sich. “Wie wäre es denn mit einem Studium in Methumis? Dort sind Eure verschiedenen Anforderungen an eine Ausbildung sicherlich zu erfüllen.”

“Mein Neffe ist aktuell in Methumis, genauer auf der Ingerimm-Schule. “ Dom Hasrolf zuckte mit den Schultern. “Mal sehen. Heute wird sich das alles eh nicht entscheiden und sollte auch nicht im Fokus stehen. Ich will euch auch gar nicht weiter aufhalten, ihr werdet sicher noch viele Hände schütteln müssen.” schielte er bereits auf den Servierteller mit einigen Canapes, die eine Magd durch den Raum umher trug. “Ihr werdet schon die richtige Entscheidung treffen.” Cassius hatte den Blick von Dom Hasrolf gesehen, gerade kam ihm aber noch ein Gedanke. “Bevor Ihr geht, habe ich noch eine Frage an Euch: Was denkt Ihr über die Nachrichten, die uns von den Unruhen aus Sewamund und Phecadien erreichen?” Hasrolf schmunzelte. “Die klingen, als seien sie gut für mein Geschäft. Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch unser neuer Graf sich diese Streitigkeiten auch ganz genau anguckt und sich bald mal aus seinem Schneckenhaus traut. Entsprechend sollten wir gut vorbereitet sein. Wie heißt es so schön, Glücklich ist die Stadt, die in Zeiten des Friedens an Krieg denkt. Und was denkt ihr darüber?”

Das neue Familienoberhaupt überlegte kurz. “Ohne die Einzelheiten zu kennen finde ich es gut, dass sich das Sewamunder Patriazat gegen die Benachteilungen durch den Baron wehrt. Allerdings wünsche ich mir für unsere Stadt keinen derartigen Konflikt. Wobei wir natürlich im Zweifelsfall für unsere Rechte kämpfen sollten.” Hasrolfs Blick wurde fast etwas mitleidig. “Ihr wünscht euch keinen solchen Konflikt? Wirklich? Wir sitzen hier in einer Stadt, die darauf ausgelegt ist, Konflikte zu haben. Und die meisten davon werden seit jeher mit Waffen ausgetragen. So ist das nun mal. Gerade in Unterfels bin ich mir nicht sicher, ob es einen Platz für Tsagefälligen Derenfrieden in unseren Wünschen geben kann. Denn wir haben uns auf Konflikte spezialisiert. Ihr solltet euch also besser wünschen, für den nächsten Konflikt in dieser Stadt gut vorbereitet zu sein.” Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. “Wenn ihr dazu ein paar talentierte Söldner braucht, um diesem Wunsch besser nachkommen zu können, ihr wisst, wo ihr mich findet. Ich kann euch sagen, es ist sehr entspannend, vor solchen Konflikten schlichtweg keine Angst haben zu müssen, aus einem Gefühl der Stärke heraus. Denn dann braucht es kein Wunschdenken mehr.” “Mir ist klar, dass unsere geliebte Stadt davon lebt, militärische Konflikte auszutragen. Ich habe eher an die eigene Heimat gedacht, die von einem Konflikt in Unterfels ganz anders betroffen wäre, vor allem, wenn wir uns gegenseitig bekämpfen müssten.” Cassius lächelte sein Gegenüber an. “Trotzdem ist es natürlich gut, vorbereitet zu sein, da gebe ich Euch Recht. Ich danke Euch herzlich für Euer Angebot und denke darüber nach. Wollen wir hoffen, dass die Zukunft Unterfels’ Ruhm, und Ehre für uns bereithält.” Er prostete Hasrolf zu.

Auch der Almadaner hob das Glas zum Trost. “Genau, auf dass auch auf uns eines Tages solche Reden gehalten werden.”

Väter und ihre Söhne

Horasio Amarinto stand vor der weit geöffneten, schweren Eichentür des großen Bankettsaals des Palazzo Bolburri. Der Geruch von Speisen und Getränken wehte ihm entgegen. Es war ein seltsames Gefühl, wieder in Unterfels zu sein, bei seinem letzten Besuch hatte er noch mit dem verstorbenen Bassiano Bolburri über die Verlobung seines Sohnes Hesindiago mit Bassianos Urenkelin Bellatrice verhandelt. Neben ihm scharrte sein Sohn schon ungeduldig mit den Füßen, die Hände lässig auf dem Gürtel. Der junge Mann trug die Farben der Familie Amarinto, doch sein Auftreten war alles andere als ritterlich.

„Vater, wie lange willst du hier noch stehen? Wenn ich noch einen Moment länger auf das Essen warten muss, werde ich noch verhungern,“ murrte Hesindiago leise, während er seine frisch gebügelte Weste zurechtrückte. Horasio warf seinem Sohn einen tadelnden Blick zu. „Beherrschung, Hesindiago. Das ist ein Leichenschmaus, kein Gelage. Du bist hier, um der Familie deiner Verlobten Mitgefühl auszudrücken.“ Hesindiago zuckte mit den Schultern und ließ den Blick durch den reich geschmückten Flur schweifen. Bellatrice, die junge Urenkelin des verstorbenen Bassiano und seine Verlobte, stand in einer Ecke und sprach leise mit einer Cousine. Hesindiago musterte sie mit einem Lächeln, das eher selbstzufrieden als zärtlich wirkte.

„Bellatrice sieht heute richtig gut aus.“ bemerkte er schließlich. „Vielleicht solltest du weniger an die äußere Erscheinung denken, als an die politischen Konsequenzen eurer Ehe,“ entgegnete Horasio ruhig. „Bassiano selbst hat diese Verbindung gesegnet, weil er deiner Herkunft vertraute und an deine Ehre glaubte. Enttäusche ihn nicht, auch nicht im Tod.“ Die Worte trafen Hesindiago, auch wenn er es nicht zeigen wollte. Seine Ehre war ihm trotz allem ein hohes Gut, welches er schon oft genug mit den Fäusten verteidigt hatte. Er nickte knapp, ließ jedoch die Augen weiterhin durch den Raum wandern.

Der Leichenschmaus war eine Mischung aus Trauer und Prunk. Die Familie Bolburri scheute keine Kosten, um den verstorbenen Patriarchen zu ehren. Der lange Tisch war mit feinstem Porzellan gedeckt, und die Speisen waren erlesen. Doch Horasio spürte, wie sehr diese Feier auch den Zweck verfolgte, das politische Netzwerk des neuen Oberhauptes der Bolburri zu festigen. Ein alter Bekannter trat zu ihm. Efferdan Rinaldo, der Kronvogt von Gugellabrück, war gekommen, um ebenfalls Abschied zu nehmen. Sein wuchtiger Schnurrbart zitterte leicht, als er sprach. „Horasio Amarinto. Wer hätte gedacht, dass wir uns bei einer solchen Gelegenheit wiedersehen?“ - „Die Wege der Götter sind unergründlich,“ antwortete Horasio mit einem kleinen Lächeln und reichte ihm die Hand. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise?“ Efferdan nickte und zog einen Schluck aus seinem Weinkelch. „Angenehm genug. Aber sagt, wie geht es Euch auf der Dalidaburg? Ich höre, ihr habt weiterhin Probleme mit Wüstenräubern?" - „Es stimmt, die Raubüberfälle häufen sich. Doch mit Disziplin und gezielten Patrouillen konnten wir die Lage etwas stabilisieren," antwortete Horasio ruhig. Efferdan lachte leise. „Also alles wie immer! Euer Sohn scheint sich gut in Unterfels eingelebt zu haben.“ Er deutete auf Hesindiago, der sich gerade in eine kleine Gruppe von Gästen eingereiht hatte und mit übertriebener Gestik eine Anekdote zum Besten gab. „Nun, er hat seinen eigenen Weg,“ gab Horasio trocken zurück. Efferdan hob eine Braue. „Ein Weg, der hoffentlich nicht allzu viele Umwege nimmt. Die Familie Bolburri wird sicherlich ein wachsames Auge auf ihn haben...und seine Mutter natürlich auch.“ Horasio nickte langsam und verzog seine Gesicht ein wenig. "Daran habe ich keine Zweifel."

Nachdem Efferdan Rinaldo zum Pastetenbüffet weitergezogen war, zog Horasio seinen Sohn beiseite. „Hesindiago, denk daran, die Bolburri erwarten mehr von dir als leere Worte. Deine Verlobung ist nicht nur eine Verbindung zweier Familien, sondern ein Versprechen. Bassiano glaubte an diesen Traviabund. Zeig Bellatrice, dass sie sich auf dich verlassen kann.“ Hesindiago runzelte die Stirn und nickte dann langsam. „Ich werde tun, was ich kann, Vater. Aber du weißt, dass ich nicht wie du bin.“ - „Ich weiß,“ sagte Horasio mit einem Anflug von Wehmut. „Aber du bist dennoch ein Amarinto. Lass uns die Ehre unserer Familie wahren, gemeinsam.“

Die Beiden blieben einen Moment schweigend stehen, während die Trauerfeier um sie herum weiterging. Es war ein stilles Bündnis, ein seltener Moment des Verständnisses zwischen einem Vater und seinem Sohn.

Kurz darauf trat Malvolio Bolburri, gemeinsam mit seiner Tochter Bellatrice, zu Horasio und Hesindiago und gab beiden die Hand. “Cavalliere, Signor, ich freue mich, dass Ihr gekommen seid. Willkommen.” Seine Geste schloss den gesamten Raum ein. “Meinem Großvater reicht diese Zusammenkunft wahrlich zur Ehre. Wie Ihr wisst, war ihm die gesamte Familie - und die Freunde derselben - immer äußerst wichtig. Und Ihr ehrt uns mit Eurer Anwesenheit.” Malvolio nickte Bellatrice kurz zu. Seine Tochter wollte ihren Verlobten daraufhin direkt in Richtung Buffet ziehen. Dieser zögerte kurz und verbeugte sich vor seinem Vater und zukünftigen Schwiegervater. “Signori, wenn Ihr erlaubt…?” Nach dem wohlwollenden Nicken seines Vaters zog er mit Bellatrice am Arm weiter. Malvolio sah beiden kurz nach und sagte dann zu Horasio: “Sie werden größer und selbstständiger…”, wobei er den zweiten Teil des Satzes schuldig blieb.

Horasio Amarinto musterte Malvolio Bolburri sorgfältig, während sie gemeinsam den Saal überblickten. „Selbstständiger, in der Tat,“ murmelte er mit einem Anflug von Skepsis. Die politische Verantwortung, die mit einer Verbindung zwischen den Amarinto und Bolburri einherging, war ihm bewusst. Sein Blick wanderte zu Hesindiago, der jetzt mit Bellatrice am Buffet stand. Er war sich nicht sicher, ob sein Sohn die Reife besaß einer solchen Verantwortung gerecht zu werden. Sein Sohn…unweigerlich drängte sich der Gedanke in seine Überlegungen, ob die Zwillinge jemals herausfinden würden, wer ihr wahrer Vater war, dann erinnerte er sich selbst daran, dass er geschworen hatte diese Gedanken nie die Liebe zu seinen Söhnen trüben zu lassen. Er schüttelte den Gedanken also unverzüglich ab.

„Signor Malvolio,“ begann Horasio, den Fokus wieder auf seinen Gastgeber richtend, „Euer Großvater hatte einen klaren Blick für die Tragweite politischer Bündnisse. Er wusste, wie wichtig Stabilität in Zeiten des Wandels ist. Ich habe ebenso versucht, dies meinen Söhnen weiterzugeben, sollten sie sich dem nicht würdig erweisen, so übernehme ich dafür die volle Verantwortung.“ Der Ordensritter straffte seine Haltung, seine Mimik war wie in Stein gemeißelt. Malvolio empfand großen Respekt vor dem Cavaliere. Die Eskapaden von Hesindiago waren stadtbekannt, außerdem war Horasio in der Regel nicht vor Ort in Unterfels. Es freute Malvolio, dass der kühle Ordensritter ein ähnliches Ehrverständnis hatte wie er selbst. “Diese Pflicht ist selbstverständlich, dennoch nötigt sie mir meinen Respekt ab, Signor. Wollen wir hoffen, dass unsere Sprösslinge sich ihrer Verantwortung bewusst sind und die Verbindung unserer beiden Familien zu Ehren gereicht.” Malvolio nahm seinen Kelch und prostete Horasio zu. “Auf unsere ...”

Er wurde allerdings durch ein etwas zu lautes Lachen unterbrochen. Lucio hatte sich mit den anderen Jugendlichen der Familie an einen der Tische gesetzt und in der Runde wurde gelacht, vor allem von seinem Sohn. Malvolio sah kurz zu Horasio und murmelte “Entschuldigt mich, Signor”. Malvolio ging rüber zu seinem Sohn und sagte gereizt: “Ich denke nicht, dass Euer - und insbesondere Dein - Verhalten der Trauer über den Tod Deines Urgroßvaters angemessen ist. Mäßigt Euch also.” Es wurde still im Raum, Malvolio und sein Sohn hatten die volle Aufmerksamkeit. Lucio funkelte seinen Vater an, sah feixend in die Runde seiner Geschwister und Cousins und sagte dann: “Das finde ich nicht. Wir ehren ihn auf unsere Weise, Vater. Bassiano hat doch selbst gerne getrunken und gelacht.” Malvolio wurde rot und man sah ihm an, dass es ihn seine ganze Kraft brauchte, sich zu beherrschen. Mit gepresster Stimme sagte er: “Sprich nie wieder so respektlos über Deinen Urgroßvater. Dein gutes Leben hast Du seinem Fleiß zu verdanken. Über die Konsequenzen für dieses unwürdige Verhalten wird noch entschieden. Und jetzt geh mir aus den Augen.” Lucio versuchte, mit seinen Blicken Verbündete zu suchen, musste aber schnell merken, dass er den Bogen überspannt hatte. Bellatrice schaute ihn missbilligend an, während ihr Verlobter sich ein Grinsen verkneifen musste. Federico stand auf und schüttelte verächtlich den Kopf. Von Horathio kam ein ablehnendes Schnauben. So stand Lucio auf und ging mit gesenktem Kopf auf den Gang.

Die Gespräche setzten langsam wieder ein, den meisten sah man die Missbilligung über das Verhalten des jungen Bolburris an. Malvolio trat kurz zu Horasio und lächelte ihn freudlos an. “Soviel also da zu. Bitte entschuldigt mich. Ich brauche frische Luft” Horasio Amarinto blickte ihn verständnisvoll an. “Natürlich.” Malvolio schaute kurz zu seiner Gemahlin Telora und ging aus dem Raum.

Ein unerwarteter Gast

Cassius Bolburri hatte einen seltenen Moment der Ruhe gefunden. Zwischen Danksagungen, kurzen Gesprächen und stillen Gesten gönnte er sich einen Schluck Wein, als ein ihm unbekannter junger Mann auf ihn zutrat – zurückhaltend, aber mit selbstverständlicher Höflichkeit. Die dunkle, edle Gewandung war borongefällig schlicht, kein Wappen zierte die Brust, keine Farben wiesen auf ein Haus. Und doch – etwas in Haltung und Blick sprach von Herkunft und Bildung. Cassius musterte ihn einen Herzschlag lang, in dem Gefühl, ihn kennen zu müssen, doch ohne Gewissheit.

Der junge Mann verneigte sich tief. „Signore Cassius Bolburri. Auf ein Wort.“ Seine Stimme war ruhig, klar, und trug jenen Tonfall, den man in den Sälen von Vinsalt ebenso wie in dem Palazzo della Signoria von Unterfels kannte. „Mein Name ist Amando Rahjin Sirensteen, Sohn von Erlan und Shahane Sirensteen.“

Cassius konnte seine große Überraschung gekonnt verbergen und hob nur dezent die Brauen. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Augen. Die kannte er. Wenn auch bei wem anders. Er deutete ein leichtes Lächeln an. Amando hatte die Situation beobachtet, niemand schien diesem Zwiegespräch jetzt die Aufmerksamkeit zu schenken. Das war auch in seinem Interesse - wobei er gar nicht wusste, warum eigentlich, denn natürlich hätte er auch unter vollster Aufmerksamkeit des gesamten Hauses das selbe gesagt.

„Ich bin in Vertretung meines Vaters anwesend – und ich bitte Euch, seinen ausdrücklichen Gruß und seine tief empfundene Anteilnahme noch einmal entgegenzunehmen. Jetzt durch mich. Denn eigentlich hätte mein Vater bereits gestern im Palast zu Vinsalt erscheinen müssen. Doch er ließ es sich nicht nehmen, noch an der öffentlichen Trauerfeier für Euren Vater teilzunehmen – als Zeichen des Respekts, der Verbundenheit und der aufrichtigen Wertschätzung. Erst unmittelbar nach der Zeremonie bestieg er einen Schnellsegler und reiste yaquirabwärts und bat mich daher ihn zu vertreten.“

Amando machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach: „Im Namen meiner Eltern – und in meinem eigenen – spreche ich Euch, Eurer Familie und dem ganzen Hause Bolburri unser tief empfundenes Beileid aus. Mein Vater sprach oft mit großem Respekt von Eurem Vater – als Mitstreiter für ein starkes Unterfels, als ruhenden Pol, als verlässlichen Partner und als Mann, dem man zuhören konnte, weil seine Worte wogen.“ Er senkte kurz den Blick, dann hob er ihn wieder. „Mein Vater bat mich ausdrücklich, Euch zu versichern, dass sämtliche Vereinbarungen und Verständigungen zwischen unseren Häusern selbstverständlich fortgelten – und auf Euren Wunsch hin gerne vertieft oder erweitert werden können. In bewegten Zeiten ist es umso wichtiger, auf vertraute Bande zu bauen. Und Verlässlichkeit habt Ihr beim Hause Sirensteen.“ Er trat einen halben Schritt zurück – eine höfische Geste des Respekts. „Zugleich darf ich Euch – im Namen meines Vaters und meiner Mutter – in den Palazzo Arindello einladen. Wann immer es Euch beliebt. Für ein Gespräch, für einen ruhigen Abend, für den Beginn dessen, was wir künftig miteinander teilen wollen.“

Cassius trat nun ganz an ihn heran, nahm Amandos Hand mit ruhiger Würde und hielt sie einen Moment lang fest. Dann sprach er leise: „Ich danke Euch. Und Eurem Vater. Seine Worte – durch Euch – bedeuten mir sehr viel. Und auch seine Geste, am Sarge meines Vaters zu stehen, wird mir unvergessen bleiben.“ Er beugte sich ein wenig vor, senkte die Stimme noch weiter – fast ein Flüstern: „Ich muss gestehen… ich hatte Euch erst nicht erkannt. Doch das grüne Feuer in den Augen – ganz der Vater. Und Eure Worte… ganz der Sohn des Diplomaten.“ Cassius ließ die Hand los, aber nicht die Wertschätzung, die in seinem Blick lag. „Habt Dank, Amando Rahjin.“ Letztgenannter ging ein paar Schritte zurück und nahm das Angebot eines livrierten Dieners ein Getränk zu sich zu nehmen gerne an. Mit dem Weinkelch ging er in dem großen Saal zum Rand hin, wo das Büffet aufgebaut war und einige Leute beisammen standen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie schon weitere Gäste dem neuen Familienoberhaupt ihre Aufwartung machten.

Familienbande Teil I

Aurelio van Kacheleen war bereits am Vortag nach Unterfels gereist. Hier traf er sich mit seinem Sohn Effario, der die Geschäfte der Familie in Urbasi verantwortete. Lange hatten sich Vater und Sohn nicht mehr gesehen und so gab es herzliches Wiedersehen in einem der Gasthäuser der Stadt, das sich im Quartieri Tuffino befand, der Altstadt von Unterfels. Effario hatte es zudem arrangieren können, dass ein Meister aus dem Hause der Brillenwerkstatt Sfagiano anwesend war, um die nachlassende Sehkraft von Aurelio genauer zu untersuchen. Auf dem Zimmer führte dieser seine Untersuchungen durch. Einige gute Weine später, war sich Aurelio durchaus sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben und gab eine schlichte Brille in Auftrag.

Vor der weit geöffneten, schweren Eichentür des großen Bankettsaals erspähte Aurelio am nächsten Tag die Vertreter der Amarinto. “Es ist der Bruder von Darion Amarinto” raunte er Effario leise zu. “Du weißt schon, der Vater von Drugon, dem Gemahl Deiner Schwester Svelinya.” Effario nickte nur stumm. Die Familienbanden waren schließlich mittlerweile sehr mannigfaltig, wofür das Haus van Kacheleen vielleicht bald einen eigenen Herold einstellen sollte. “Horasio Amarinto” sprach er den ihm bekannten Vertreter des Hauses höflich an “Es freut mich wirklich sehr, Euch hier zu treffen.” gedanklich musste er an Sewamund denken und an die Wirren, die dort ihren Lauf nahmen. “Wie war die Anreise?” gekleidet war Aurelio im traditionellen Grangorer Gewand. Schlicht und in dunklen Farben. Sein Sohn Effario hatte wohl denselben Schneider beauftragt und nur in der etwas helleren Farbe unterschieden sich ihre Gewänder.

Der Ordenskomtur zögerte einen Moment, dann erinnerte er sich. Er hatte Aurelio van Kacheleen in Sewamund bei einem Ball des Barons im Schloss Corello getroffen. Er verabscheute diese gesellschaftlichen Anlässe, aber sie ließen sich häufig nicht umgehen. Glücklicherweise hatte er ein gutes Gedächntnis. “Signor van Kacheleen, es ist mir eine Ehre.” Er verneigte sich steif. “Nun, dank der unermüdlichen Bemühungen meines Ordens sind die Wege in den Goldfelsen frei von Novadiräubern und anderem Gesindel. Derzeit jedenfalls. Daher hatten wir eine ereignisarme Anreise. Ich hoffe das gilt auch für Euch?”

Aurelios Blicke wanderten kurz umher, um Vertreter der Familie Bolburri zu erspähen. Effario half seinem Vater und deutete in eine andere Richtung. Bonifacio Bolburri kam den Beiden entgegen. “Signori, wie schön Euch zu sehen. Nach dem langen Tag habt Ihr Euch eine Stärkung verdient. Wir wollen gemeinsam meinem verstorbenen Urgroßvater gedenken! Es ist für unsere Familie eine große Ehre, dass Ihr den weiten Weg auf Euch genommen habt und nach Unterfels gekommen seid.” Der angehende Advokatus winkte einen der Diener herbei. “Bitte versorge Signor Aurelio und Signor Effario mit allem, was sie sich wünschen.”

Aurelio war hocherfreut, dem jungen Bolburri Sproß zu begegnen. Er war der älteste Sohn von Selina Bolburri, einer Tochter seiner Tante Myria van Kacheleen mit dem verstorbenen Bassiano Bolburri. Der Kreis schloss sich. An Tante Myria konnte sich Aurelio noch gut erinnern, eine starke und lebensfrohe Persönlichkeit. Meist suchte er bei den Bolburris nach Wesenszügen in ihren Gesichtern, die ihn an seine Tante erinnerten. “Werter Bonifacio, bitte nehmt mein tiefstes Mitgefühl entgegen.” Effario ergänzte “auch von meiner Frau Mutter und meinen Geschwistern darf ich Euch und der Euren Familie kondolieren.” Beide wirkten betroffen. “Zu selten kommt die Familie zusammen und meist sind es diese traurigen Anlässe, wie dem heutigen Anlaß, aber erzählt mir beizeiten von Eurem Studium und Euren Zielen.”

Der junge Bolburri verbeugte sich. “Vielen herzlichen Dank, Signori. Nun, ich sehe meinem Abschluss in diesem Jahr entgegen! Die Prüfungsvorbereitungen nehmen schon einen großen Raum ein, aber ich bin guten Mutes, dass sie erfolgreich verlaufen werden. Ich möchte möglichst schnell nach Sewamund kommen und Euch zu Diensten stehen. Besonders freue ich mich darauf, das Gelernte in Eurem Handelshaus einzubringen. Wie ergeht es Euch denn zurzeit in dem Konflikt mit dem Baron?”

Zwischen Trauer und Trost

Auch die Familie Rizzi machte der Trauerfeier ihre Aufwartung. Vertreten wurde die alteingesessene Familie, die enge familiäre Bande zu den Bolburris unterhielt, durch ihre Matriarchin und ihren Sohn, den Hochgeweihten der Unterfelser Travia-Tempel. Traviana Rizzi hatte sich bei ihrem großgewachsenen Sohn eingehakt und betrat würdevoll den Saal. Wie bereits bei der Trauerfeier selbst war sie immer noch in ein hochgeschlossenes, dunkelbraunes Kleid mit Stehkragen gewandet. Das inzwischen dunkelgraue Haar der betagten Dame war hochgesteckt und die Ohrringe regelrechte Blickfänge. Freundlich lächelte sie den bereits anwesenden Persönlichkeiten zu, während sie immer wieder kurze Worte mit ihrem Sohn wechselte. Ansvino Tamano Rizzi, der Hochgeweihte der gütigen Mutter Travia, war bei der Trauerfeier selbst verhindert gewesen, da es ihm aufgrund seiner Verpflichtungen im Tempel nicht möglich war, persönlich teilzunehmen. Dennoch wollte er mit einem Besuch auf dem Totenmahl der Familie seine Anteilnahme ausdrücken. Der großgewachsene, außerordentlich charismatische Tempelvater war in seinen Ornat gekleidet und der Blick aus seinen milden, braunen Augen war aufmerksam. Den Rizzi sagte man nach, dass sie unpolitisch seien. Eine Rolle, die Angehörige der Familie sehr gerne spielten, auch wenn sie nicht immer der Realität entsprach. Fakt war jedoch, dass die Rizzi sich in der Wahrnehmung bei ihnen handele es sich um unpolitische, selbstlose Gönner sehr wohl fühlte und es ihnen sehr zupass kam, grundsätzlich unterschätzt zu werden. Da sich viele der interessanten, anwesenden Personen bereits in Gesprächen befanden, die Traviana nicht stören wollte, ließ sie sich von ihrem Sohn zum Familienoberhaupt der Familie Cirrention führen. “Signor Targuin”, grüßte sie ihn mit charmanter Freundlichkeit in der Stimme. “Es freut mich Euch zu sehen, auch wenn die Umstände selbstverständlich erfreulichere sein könnten …”, kurz huschte ein beinahe schüchternes Lächeln über die Lippen der alternden Frau, “... wie geht es Euch und den Euren? Und was machen die Geschäfte?” Der gute Freund des Verstorbenen war gerade im Begriff, sich mit seiner Gemahlin Flavia sowie den Kindern Tiro und Valesca an einen der Tische zu setzen. Bei den Worten der Matriarchin hielt er inne und drehte sich um. “Signora Traviana, es mir eine Freude, Euch an diesem traurigen Tag zu sehen. Wir wollten gerade essen, setzt Euch doch zu uns. Der Bursche hier”, er deutete auf den Diener der Bolburris, “wird Euch sicherlich mit einer guten Auswahl der erlesenen Speisen überzeugen.”

Nachdem sich alle begrüßt und gesetzt hatten, nahm Targuin die Frage von Traviana wieder auf. Traviana merkte schnell, dass ihm seine sonst übliche Fröhlichkeit heute fehlte. “Wie soll es mir an diesem Tag gehen? Ich bin traurig und betrübt, dass Bassiano nicht mehr unter uns weilt. Aber ich fasse Eure Frage als Versuch auf, mich auf andere Gedanken zu bringen und danke Euch dafür. Nun… die beunruhigenden Nachrichten aus Phecadien von den Kämpfen um das Castell della Leonis erfüllen viele mit Sorge und Angst - vor allem entlang des Yaquirs und damit bei vielen meiner Geschäftspartnern. Unsichere Zeiten bedeuten schlechte Geschäfte, das wisst Ihr. Wie läuft es dahingehend bei Euch? Und was denkt Ihr über die Nachrichten aus dem Westen?”

Es war kein Geheimnis, dass Traviana nicht jene nahe Bindung zum Verstorbenen hatte, wie es bei Targuin der Fall war. Das wusste auch ihr Gesprächspartner. Dennoch empfand sie Totenfeiern nicht als Orte, an welchen man generell Tränen vergießen sollte. Die Matriarchin der Familie Rizzi kam der Einladung nach und setzte sich an den Tisch. “Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, Signor", versuchte sie sich an einer Erklärung, hatte sie die Irritation Targuins doch deutlich gespürt. “In unserer Familie sehen wir das Totenmahl als eine Feier, bei der wir den Verstorbenen hochleben lassen und gemeinsame Erinnerungen teilen. Ich hoffe Ihr nehmt keinen Anstoß an meinen Worten.”

Traviana ließ sich vom nahen Diener Wein einschenken. “Wie ihr es selbst auch sagtet, Signor. Die Kämpfe schlagen sich aufs Geschäft, wiewohl Krieg einem auch die eine oder andere Geschäftsmöglichkeit eröffnen kann”, die alternde Frau nippte an ihrem Kelch. Ihre Familie machte mit der Ankunft der Söldner in und um Unterfels einst ein kleines Vermögen. “Ruhige Zeiten wären mir jedoch auch deutlich lieber … Unruhe ist unplanbar und Unplanbarkeit ist immer ein Risiko. In vielerlei Hinsicht.” Wieder nahm die Rizzi einen Schluck aus ihrem Kelch und drehte diesen in ihren schlanken Fingern. “Aber genug der Politik und vom Geschäft, Signor. Wir sind hier, um dem Verstorbenen zu gedenken. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Vater mir Bassiano vorgestellt hat. Die beiden Männer waren eng befreundet und ich war eine junge Frau, gerade fertig mit meinem Studium in Kuslik … er war meinem Vater sehr ähnlich …”, erzählte sie.

“Das würde ich auch sagen, Signora.” Targuin versuchte sich zu erinnern. “Ich lernte Bassiano einst kennen, als wir nach Unterfels zogen. Als Schwiegeronkel von Ceras Pheccanio beriet er uns dabei rechtlich und wir verstanden uns auf Anhieb. Er hat uns damals sehr bei dem Neustart hier in Unterfels unterstützt. Ich habe immer seine geradlinige Art bewundert. Über die Jahre haben wir viel erlebt und einige Abende zusammengesessen. ” Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er schaute zu seiner Gemahlin Flavia. “Er wurde dann ja auch mein Schwiegeronkel. Auf Bassiano!” Sie erhoben ihre Kelche und auch Traviana tat es den beiden gleich. “Noch vor ein paar Tagen saß ich mit ihm zusammen… sein Tod war unausweichlich - trotzdem schmerzt es mich sehr! Er wird uns fehlen.” Targuin dachte einen Augenblick nach. “Signora, ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn jedes Jahr an seinem Todestag in allen Gasthäusern eine Runde auf sein Wohl ausgegeben wird? Natürlich übernehme ich die Kosten und auch die Versorgung mit den Getränken. Ihr könnt dies sicherlich über die Gilde organisieren, oder?” Erwartungsvoll sah er Traviana an.

´Hm´, dachte Traviana bei sich, ´eigentlich keine schlechte Idee´. “Das ist eine sehr gute Idee, Signor”, pflichtete die alternde Frau ihm bei. “Aber nur wenn Ihr mir die Ehre zusteht, dass ich die Familie Rizzi die Hälfte der Kosten übernimmt.”

Targuin zwinkerte ihr zu. "Natürlich lasst Ihr Euch so eine Gelegenheit nicht entgehen. Das hätte mich auch enttäuscht. Aber ich bin einverstanden. Unter einer Bedingung: es wird ausschließlich Cassianti ausgeschenkt, der Lieblingswein meines Freundes! Abgemacht?" Er streckte ihr die offene Hand zum Einschlagen entgegen.

Inkognito - und doch erkannt

Amando stand mit ruhigem Blick am Rand des großen Bankettsaals, den Rücken halb zu einer der Säulen gelehnt, die den Raum stützten wie diskrete Beobachter aus Marmor. Sein Weinkelch war halb geleert, doch seine Augen waren wach. Es war eine elegante Zurückhaltung, mit der er sich unter die Gäste mischte – nicht unsicher, aber bewusst unauffällig. Wer ihn nicht kannte – und das traf auf fast alle hier zu – mochte ihn für einen entfernten Vetter oder einen Schreiber eines der Häuser halten. Seine schlichte, dunkle Kleidung verriet nichts über Herkunft, und seinen Namen kannte jetzt augenscheinlich nur Cassius.

Wobei der Custos Lumini ihn natürlich auch kannte, aber bisher nicht erblickt hatte. Ging es nach Amando, sollte es auch so bleiben. „Nun, im Schatten erkennt einen die Sonne nicht“, dachte er mit einem Anflug von Ironie.

Neben ihm standen zwei Signores mittleren Alters, tief in ein Gespräch vertieft, das längst nicht mehr von Trauer geprägt war. „… und das war genau die Art, wie der Comto zu Bomed wieder mal alles ins rechte Licht rückte. Mit seinen ewig höflichen Formulierungen. Fast hätte man da vergessen können, dass er in Wahrheit die Politik wohl vor allem bei seinem Schwager gelernt hat“, raunte der eine und nahm einen Schluck aus seinem Kelch. Der andere nickte langsam und bestätigend. „Er war nur kurz hier, bei der öffentlichen Feier, wo alle ihn sahen. Damit hat er seine Botschaft hinterlassen. Mehr brauchte er wohl auch nicht. Ich frage mich nur, ob sein angekündigter Sohn wirklich noch kommt. Aber wenn der hier wäre, würden wir jetzt anders reden.“

Das leichte Lächeln auf Amandos Lippen wurde fast zu einem Grinsen, ehe er sich wieder zur Selbstbeherrschung zwang. Sein Bruder war hier tatsächlich bekannter als er, dachte er sich – und blieb still am Rand. Da hörte er plötzlich eine helle Stimme, die er nur zu gut kannte: „Amando!“ Vielleicht war sie einen Tick zu laut gewesen, jedenfalls drehten sich nun einige Köpfe erst in Richtung der Stimme und dann in seine Richtung. Diese drehten sich aber schnell wieder um: “Vermutlich sind wir nicht interessant genug”, dachte sich Amando.

Die Dame, vermutlich nicht einmal 30 Götterläufe alt, trug ein schlichtes, aber geschmackvolles Kleid in einem gedeckten Farbton – dem Anlass angemessen, doch mit feinen goldenen Stickereien am Saum, die ihre Herkunft nicht leugneten. Ein Strahlen lag auf ihrem Gesicht, offen, ungekünstelt, von warmer Wiedersehensfreude durchdrungen. Neben ihr ging ein freundlich schauender Mann mit offenem Lächeln, das aufrichtige Sympathie verriet. Amando trat einen Schritt vor, sein Ausdruck hellte sich sichtbar auf. Ohne Zögern umarmte er die junge Frau – fest, aber mit der kultivierten Zurückhaltung höfischen Anstands. „Bellariccia…“, sagte er leise, beinahe wie ein Aufatmen.

Dann löste er sich von ihr, nickte dem jungen Mann mit einem leisen „Ihr müsst Riccardo sein“ auf den Lippen. Keine Frage, eher eine Feststellung. Er warf einen raschen Blick über die Schultern der beiden in Richtung der Gäste. „Kommt“, fügte er ebenso leise hinzu, „lasst uns ein paar Schritte abseits gehen.“ Mit einer feinen Handbewegung deutete er auf einen kleinen, halb abgeschirmten Bereich nahe einer der hinteren Türen, wo sich die Stimmen der Menge nur wie gedämpftes Flüstern sammelten. In seinen Augen funkelte ein Moment stiller Erleichterung – endlich vertraute Gesichter inmitten der vielen, die ihn nicht kannten.

Stab, Schwert und Sonnenszepter

Im Laufe des Nachmittags war aus der anfänglich zurückhaltenden Zusammenkunft ein durchaus geselliges Treffen geworden, nicht zuletzt dank derjenigen Mitglieder der Familie Bolburri, welche nur unregelmäßig in Unterfels weilten und somit die Chance für den familiären Austausch nutzten. Viele Gespräche kreisten allerdings auch um die Neuigkeiten, die man aus Phecadien hörte.

Der Dienst im Tempel ging vor, so dass der Custos Lumini und die Luminifer etwas später im Palazzo eintrafen. Noch immer trugen sie eher schlichtes Ornat, welches durch Qualität statt Prunk auffiel. Der Weg vom Aldigon-Tempel war nicht weit, so dass sie auf eine Kutsche verzichtet hatten. Seit der Rückkehr von seiner Pilgerreise gen Beilunk, nahm Cerdon die Kutsche als Privileg seines Ranges ohnehin nur zu ausgewählten Anlässen in Anspruch. Sie sahen sich kurz um, nickten bekannten Gesichtern zu. Anstand und Höflichkeit geboten es, der Familie des Toten noch einmal die Aufwartung zu machen und zu kondolieren. Als sie mit Cassius Bolburri das neue Oberhaupt der Familie ausgemacht hatten, gingen sie langsam in seine Richtung.

Der neue Patriarch saß gerade an einem der Tische und gönnte sich einige Leckerbissen vom Buffet. Er sah zwar müde aus, schien aber unter all den Patriziern in seinem Element zu sein. Gerade sprach er mit Horasio Amarinto, der neben ihm am Tisch saß. “Es ist kaum zu glauben, dass der Baron von Streitebeck sich auf diese Weise durchzusetzen versucht. Dass die meisten Signori im Lilienrat darüber nicht erfreut sind, versteht sich!”

Der Ordenskomtur saß steif wie eine Säule des Horastempels zu Oberfels auf seinem Platz. Seine Stirn lag in Falten und nach einer kurzen Pause folgte seine Antwort, die er aufgrund seiner selbst auferlegten politischen Neutralität als Ordensvertreter sehr vorsichtig formulierte: “Baron von Streitebeck sieht offenbar das Recht auf seiner Seite, er besteht darauf dass es schriftliche Absprachen der herzoglichen Kanzlei unter Comto Chiranor della Tegalliani und dem Lilienrat gab, welche nun wieder aufgetaucht seien und von der Stadt Sewamund eingelöst werden müssten. Er hat daher die Rückendeckung der herzoglichen Kanzlei. Die Position des Lilienrates ist jedoch, dass viele dieser Vereinbarungen aufgrund der umwälzenden Ereignisse des Thronfolgekriegs und der chaotischen Zeit danach am Lilienrat vorbei verhandelt wurden und es daher fraglich ist ob diese überhaupt je Gültigkeit erlangt haben. Ihr müsst entschuldigen, dass ich die Details nicht kenne, für einen Advokaten wie Euch ist dies sicherlich ein interessanter Fall.”

Der Advokat lächelte wohlwollend. “Sicherlich. Wobei bei manchem Konflikt der neutrale Blick auch hilfreich ist. Ich danke Euch jedenfalls für Eure Einschätzungen.” Beide widmeten sich schweigend ihrem Essen. Dann erblickte Cassius den sich nähernden Cerdon und erhob sich. “Custos Lumini, wie schön dass es Ihr es noch einrichten konntet. Willkommen! Nach dem langen Tempeldienst habt Ihr sicherlich Hunger.” Seine einladende Geste ging von den Tellern auf dem Tisch bis zum reich gedeckten Buffet.

“Praios zum Gruße”, grüßte der Prätor freundlich, während seine [Iluminada Eslebon|Gemahlin]] dem neuen Oberhaupt der Familie zunickte. Den Ordenskomtur ignorierten beide bis auf ein äußerst dezentes Nicken, welches der Etikette gegenüber dem Cavalliere gerade ausreichend genüge tat. Die Kirche des Götterfürsten und sein Orden waren nicht gerade in inniger Freundschaft verbunden.

Der Komtur erwiderte das Nicken des Praiospriesters mit stoischer Miene. Es war bekannt, dass er unabhängig von den theologischen Vorbehalten seines Ordens gegenüber der horasischen Praioskirche zudem an religiösen Themen wenig Interesse zeigte und sich eher als horastreuer Ritter und Wächter der Grenze zu den Novadis betrachtete.

“In Travias Namen, die Einladung nehmen wir gerne an. Doch lasst mich auch persönlich noch einmal meine tiefe Anteilnahme zum Ausdruck bringen. Ein erfülltes Leben, ganz im Sinne der Familie und des Dienstes, fand sein Ende. Ich bin überzeugt, dereinst werdet ihr in den Paradiesen der Zwölfe wieder vereint sein.” Cassius schüttelte die ihm gereichte Hand. “Ich danke Euch herzlich für Eure Anteilnahme! Ich bin mir sicher, dass mein Vater, gemeinsam mit seinen Brüdern, im Heiligen Hain auf uns wartet. Heute wollen wir seiner gedenken und ich freue mich, dass Ihr diese Zusammenkunft mit Eurer Anwesenheit ehrt!”

Familienbande Teil II

Nach dem Gespräch mit Targuin Cirrention machte sich Traviana Rizzi wieder auf und mischte sich unter die weiteren Festgäste. Sie versuchte, bei diesen Anlässen stets präsent zu sein und sich viel zu bewegen, witterte die alternde Matriarchin doch ständig interessante Möglichkeiten für Geschäfte, Arrangements oder einfach nur anregende Gespräche. Dass ihr Schwager Cassius sich gerade von den Praiosgeweihten entfernte, kam Traviana sehr zupass und sie näherte sich dem neuen Patriarchen der Familie Bolburri. “Die gütige Mutter mit dir, Cassius”, begrüßte sie den Mann ihrer jüngsten Schwester. “Dein Vater wäre bestimmt stolz, wenn er sähe, wie viele ihm liebe Menschen sich heute hier eingefunden haben”, begann sie mit einer Floskel. “Mein herzliches Beileid zu deinem Verlust.”

Cassius ergriff ihre Hände und schaute sie dankbar an. “Ich danke Dir herzlich, liebe Schwägerin. Du hast Recht, die Verbindungen hier in Unterfels waren ihm immer sehr wichtig. Ich freue mich auch, dass Du und Deine Familie sich immer um ein gutes Verhältnis zu den Bolburris bemüht haben. Danke dafür! In diesem Sinne möchte ich Dich herzlich in den Palazzo Bolburri einladen, in Kürze, wenn es Dir passt, und in Ruhe nach dem ganzen Trubel. Wir sollten besprechen, wie wir unsere geschäftlichen und familiären Verbindungen in Zukunft ausgestalten und intensivieren.”

Die alternde Matriarchin der Familie Rizzi nickte ihrem Schwager zu. “Das wäre auch sehr in meinem Sinne, Cassius”, meinte sie im vertrauten Ton. Sie sah die Änderung an der Spitze der Bolburris tatsächlich als eine Chance, die Beziehungen der beiden Häusern weiter zu intensivieren. “Aber bitte nimm dir die Zeit, die du und deine Familie brauchen. Ich werde deiner Einladung sehr gerne nachkommen und dich und Julara in weiterer Folge auch gerne in den Palazzo Rizzi einladen. Es ist schon etwas her, dass meine kleine Schwester bei uns zu Besuch war.”

"Vielen Dank, Verehrteste. Aber sagt -" Cassius sah sie überrascht an. "seht Ihr meine Gemahlin nicht häufiger? Ich hatte gedacht, Ihr tauscht Euch häufiger über Wichtiges und Unwichtiges in Unterfels aus!"

Von den Sternen und ihrer Bedeutung

Auch Daria Bolburri hatte sich am Buffet versorgt und sich an einen der Tische gesetzt, gemeinsam mit ihrer Nichte Jesabella. Eben trat Ella Bolburri mit ihrem Gemahl Rondrigo Curameo hinzu, beide setzten sich nach einer kurzen, aber herzlichen Begrüßung ebenfalls. Die meisten Familienmitglieder hatten sich an den letzten Tagen schon mehrfach gesehen, Daria war allerdings erst gestern Nachmittag aus Methumis eingetroffen. Sie musterte ihre Cousine. Ella hatte ein gutes Verhältnis zu ihrem Großvater gehabt, ihre Trauer über seinen Tod konnte sie nicht verbergen. “Wie geht es Dir?” Ella seufzte schwer. “Ich bin froh, dass das Begräbnis überstanden ist. Es ist wirklich ein trauriger Tag heute… Also reden wir lieber über etwas anderes.” Sie blickte zu Daria. “Wie geht es in Methumis? Was machen Deine ” - sie lächelte kurz entschuldigend zu Jesabella - “oh Verzeihung - Eure Studien?” Die Adepta nickte ihrer Nichte zu und sagte: “Jesabella ist inzwischen eine wirkliche großartige Unterstützung! Aber nach vielen arbeitsreichen Tagen freue ich mich, dass wir ein paar Tage in Unterfels sein können. Wir sind immer noch dabei, die Veränderungen der letzten Monde zu dokumentieren und zu interpretieren.” Ellas Interesse verdrängte die Trauer um ihren Großvater. “Du meinst die Veränderungen am Sternenhimmel?” -”Auch! Aber es gibt seit einiger Zeit auch Veränderungen in den astralen Mustern um uns herum. Man könnte sagen, das magische Potential unserer Umwelt hat sich verstärkt, also die astrale Kraft. Die Tulamiden sprechen sogar von einem neuen Chal’ashtarra, einem magischen Zeitalter. Das alles, so ist eine verbreitete These bei uns an der Fakultät, scheint mit dem Ausrufen des Karmakorthäon vom Allvogel zusammenzuhängen.” - “Davon hattest Du mir schon mal erzählt. Da wurde eine neue Zeitenwende ausgerufen, richtig? Aber warum sollte es damit etwas zu tun haben?” Die Magierin unterstrich ihre Antwort mit offenen Händen, als Zeichen ihrer Unwissenheit. “Die Wege der Götter sind nun mal unergründlich. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Veränderungen, die wir sehen, so tiefgreifend sind, dass sie mit dem Karmakorthäon zu tun haben müssen!” Ella beobachtete einen Bediensteten, der das Geschirr wegräumte und dachte kurz über das Gehörte nach. “Das klingt plausibel. Wie werden denn die Veränderungen am Sternenhimmel an der Universität konkret gedeutet?” Daria machte eine weg wischende Handbewegung. “Das kommt ganz darauf an, wen Du fragst. Von den zwölfgöttlichen Kirchen bekommst Du zwölf Interpretationen. Die Rondrianer trauern dem Sarstern nach, der Schwertspitze in ihrem Sternbild, und sehen das Erlischen als böses Omen. Die Praioten sehen die Neuerungen als Warnung des Götterfürsten und die Phexjünger als göttliches Rätsel. Du kannst Dir also eine Interpretation aussuchen.” Sie zwinkerte ihrer Cousine zu. Ella schaute unschlüssig und Rondrigo nutzte die Gelegenheit, um sich am Gespräch zu beteiligen. “Und was sagt die Hesindekirche? Das Sternbild der Schlange hat sich ja auch verändert.” Daria nickte. “In der Tat. Die Schlange beißt sich in den Schwanz, so wird das Sternbild interpretiert. Weißt Du, was ein Ouroboros ist?” Rondrigo schaute fragend zwischen Daria und Ella hin und her und überlegte kurz. “Das ist doch ein Symbol aus der Alchemie, oder?” Daria nickte anerkennend. “Ja, das stimmt. Einige Alchemisten tragen es gerne, so wie auch die Schwesternschaft der Mada. Das Symbol der Hesinde konnte jedoch sogar in bosparanische Zeiten zurückverfolgt werden. Aber, um ehrlich zu sein, weiß ich um die weitere Bedeutung nicht. Wir sollten mal Cyrano fragen, der kann uns da sicherlich genaueres zu sagen. Vielleicht weiß Gandolfo auch etwas durch seine Studien.” Sie sah sich um, konnte aber keinen der beiden entdecken. "In den kommenden Tagen ist dazu sicherlich noch Zeit. Apropos!” sie sah Jesabella an. “Jesabella und ich wollen in den kommenden Tagen das Bolburrische Archiv prüfen. Vielleicht finden wir ja Hinweise in den astronomischen oder historischen Aufzeichnungen.” Sie schaute Ella fragend an. “Hast Du Lust, uns zu unterstützen?” Die Angesprochene schaute nicht sehr begeistert aus, nickte aber. “Du weißt ja, das Studieren von Büchern und Schriften überlasse ich lieber anderen. Aber vielleicht finden wir ja wirklich etwas heraus. Ich helfe Euch!” Daria freute sich. “Danke! Mit Cyrano und Gandolfo sprechen wir auch noch. Ich freu mich schon auf die Diskussionen.” Ella nickte und hob ihren Pokal. “Auf Hesinde! Möge sie uns bei der Suche nach Antworten leiten.”

Nachtgedanken

Als Amando sich auf den Heimweg machte, überlegte er, wie er seinem Vater berichten würde. Da er ahnte, dass sich ein persönliches Gespräch noch eine Weile hinziehen könnte, begann er, sich zu überlegen, was er seinem Vater berichten wollte. Da er nicht schlafen konnte, nutzte er im Palazzo Arindello die Bibliothek um sich dort in aller Stille einige Notizen zu machen. Er hatte diese nun ausformuliert vor sich liegen, während er dann versuchte anhand der Notizen die Sätze zu bilden, die er dann wohl demnächst sagen würde: „Vater, Ihr hättet Euch über die Zusammensetzung gefreut – nicht wegen der Vielfalt, sondern wegen der Transparenz, die sich zeigte, wo Worte flossen, ohne dass sie sich beobachtet fühlten. Die offiziellen Reden: würdig, fast alle. Signore Targuin sprach mit echtem Schmerz, und selbst Euer ganz besonderer Freund – Ihr wisst, wen ich meine – zeigte Respekt. Mehr, als ich erwartet hätte. Ihr selbst wart mehrfach Gesprächsstoff, stets hinter vorgehaltener Hand: Euer Name fiel oft – mit Anerkennung, mit Argwohn, aber fast nie gleichgültig. Ich halte das für ein gutes Zeichen.

Cassius… macht sich gut. Etwas steif noch, ja – aber klug. Er hört zu. Und er beginnt zu erkennen, wer ihm tatsächlich verbunden ist… und wer einfach nur mittrinkt. Ich denke, er wird nicht ewig nur „der Sohn“ bleiben. Bellariccia – so glücklich habe ich sie lange nicht gesehen. Scheint an diesem Riccardo zu liegen. Wenn ich ehrlich bin: Ich gönne es ihr. Er wirkt… aufrichtig. Wenngleich ich ihn weiter im Blick behalten werde.

Ich war still. Ihr hättet gelächelt – niemand erkannte mich. Und das war von Vorteil. Ich habe gelernt, was Menschen sagen, wenn sie glauben, dass keiner mitlauscht, der wirklich zuhört. Die Rizzis – wachsamer, als ihr Ruf es vermuten lässt. Der junge Amarinto – seine Haltung ist stolz, sein Blick aber… mysteriös. Und dann war da noch Dom Hasrolf. Er spricht viel – zu viel. Aber zwischen den Zeilen war etwas Echtes. Er nimmt Verantwortung ernst, auf seine Weise. Man kann mit ihm reden, wenn man bereit ist, Geduld mitzubringen. Vielleicht sogar mehr. Ich bin froh, geblieben zu sein. Ihr habt recht behalten: Wer nicht sieht, wie andere trauern, versteht nicht, wie sie kämpfen.“

Amando ließ den Blick über die Notizen schweifen, faltete sie langsam zusammen und legte sie in ein kleines Fach des Lesepultes. Er lächelte leise – und blies die Kerze aus, bevor er sein Schlafgemach aufsuchte.