Briefspiel:Eine ruhige Travienfeier/Zeremoniell
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Zeremoniell
Der 14. Peraine, Mittagszeit
Eine leichte Brise und der wolkige Himmel sorgten für einen kühlen Frühlingstag. Aurelia stand am Fuße des Stammsitzes ihrer Familie, der Villa di Asuriol, und blickte den Korridor aus Sonnensegeln hinunter. Seidene Wimpel, bestickt mit den Wappen der vertretenen Adelshäuser Shenilos und des Bundes zeigten, säumten die Baldachine: der Schmetterling der ya Papilio, der Hahn des Hauses Carson, die goldenen Häuser der Tuachall, [...]. Mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln quittierte Aurelia das Fehlen der Kelterpresse der Brahl. Weiter vom Haus entfernt hingen die Zunftwappen des Sheniloer Handwerks. Neben der Innung der Rebleute war auch die Riesenzunft, die engen Kontakt mit der Gastgeberfamilie pflegte, sehr zahlreich vertreten. In deutlich geringerer Personenzahl waren die restlichen Zünfte erschienen.
Aurelia blickte an sich herab. Ihr luxuriöses Kleid war in den Farben orange und grün gehalten. Die Hände, die sie ineinander gelegt hielt, erschienen ihr plötzlich fremd. Schließlich fand ihr Blick den ihres Vaters. Travin di Asuriol, vollständig in schwarzen Damast gekleidet, saß etwas abseits des Fokus der Veranstaltung. Mit einem leichten Kopfnicken gelang es ihm, seiner Tochter neuen Mut zu verleihen. Aurelia straffte sich, richtete ihren Blick wieder geradeaus. Die versammelten Gäste nahmen bisher scheinbar nur vereinzelt Notiz von ihr, schließlich hatte noch niemand von Rang und Namen die Zeremonie eröffnet.
Gegenüber, am anderen Ende des Korridors, am unteren Ende einer Treppe, stand Lessandero Horodan di Ulfaran. Der Sohn des Schwertmeisters Cusimo di Ulfaran fühlte sich ganz und gar Fehl am Platz. Jeden Moment würde das vereinbarte Signal ertönen, das Geschnatter der bisher vor ihm unsichtbaren Gäste würde verstummen, und sein Auftritt würde beginnen. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, doch schließlich erklangen Blechinstrumente. Mit einem Blick nach unten vergewisserte er sich vom korrekten Sitz des Wamses, rückte den schlanken Degen an seiner Taille sowie den Mantel auf der linken Schulter zurecht und erklomm die Stufen, die ihn zu seiner Braut führen sollten. Oben angekommen hielt er für einen Moment inne. Der Korridor, den er bisher nur im leeren Zustand durchschritten hatte, war nun gesäumt von Menschen. Er erkannte den roten Bullenkopf der Knochenhauergilde und die goldene Brezel der Bäckerzunft unmittelbar zu seiner Rechten.
Nach einem tiefen Atemzug schritt Lessandero zwischen den Baldachinen hindurch, unter den Blicken der zünftigen Handwerksmeister Shenilos. Er passierte die geflügelte Schlange der Parinorszunft, ein goldenes, geflügeltes Pferd für die Stutenzunft, dann die Innung der Rebleute, die Webschützen der Webergilde und zuletzt die Riesenzunft. Dann hielt blieb erstehen. Er hatte seine Braut erblickt. Bisher hinter den Leinenplanen vor ihm verborgen stand sie dort, die Villa ihrer Familie im Rücken, im zentralen Fokuspunkt der Baldachine. Kelch und Herdfeuer der di Asuriol flatterten auf einem Banner. Aurelia stand scheinbar regungslos da, ihre Hände hatte sie vornehm vor dem Bauch gefaltet. Allein ihre im Wind fliegenden Haare und Kleider verrieten ihm, dass dort keine Statue stand. Sie blickte ihn direkt an. Herausfordernd, als wollte sie seinen Mut auf die Probe stellen. In diesem Moment kam er sich unendlich klein vor. Lag Schande darin, den Blick zu senken? Den gestandenen Frauen und Männern, die er passieren musste, um Aurelia zu erreichen, nicht in die Augen zu sehen?
Orsino Carson
Rondriana blickte zu ihrem Vater: “Ein stimmungsvoller Auftakt, angemessen für den Anlass und die Beteiligten.” Orsino lächelte und versuchte zu ergründen, wie seine Tochter ihre Worte gemeint hatte, war es aufrichtiges Lob oder wollte sie betonen, dass es immer noch einen deutlich erkennbaren Unterschied gab zwischen der Hochzeit zweier Patrizier und derjenigen zwischen den Sprösslingen zweier Barone? Ihre eigene hatte immerhin damals einigen Aufwand mit sich gebracht, zu Schiff, mitten auf dem Yaquir… Orsino bewunderte die ebenso spitze wie scharfe Zunge, die seine jüngere Tochter sich auf der Rechtsschule angeeignet hatte und die sie offenbar weiter verfeinert hatte. Nun ja, wenn man seine Zeit damit verbringt, gelehrte Traktate über den Heiligen Geron zu verfassen. Wahrscheinlich war dies der Geist der Zeit, Konflikte verlagerten sich zusehends vom Feld der Ehre auf das Feld der Feder, außer natürlich in Sewamund. Die Schlachten wurden nun von Advokaten geschlagen, manchmal auch von Pamphletisten udn sicherlich auch von Diplomaten. Sein Blick traf auf den neuen Ersten Rat Shenilos, den Vater der Braut. Ob er wohl auch seine Konflikte zu meistern haben würde, wie seinerzeit, als Gishtan noch dieses Amt innehatte und es richtig zur Sache ging in der Gerondrata. Nun ja, lange her mittlerweile. “Du hast Recht, meine Tochter, sehr gelungen bis hierhin. Aber wenn Gastronomen und Winzer eine Feier ausrichten, sollte man doch nichts Geringeres erwarten dürfen.”
Lessandero spürte einen Stoß in seinem Rücken. Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte sich ein vornehm gekleideter Bannerträger hinter ihm eingereiht und trug den silbernen Adler auf grünem Grund, das Wappen seiner eigenen Familie. Dieser Mann war es, der ihm nun mit dem Kinn bedeutete, weiterzugehen. Lessandero schritt weiter, vorbei an den Wappen der Adelshäuser, vorbei an der vollständig versammelten Familie di Asuriol zu seiner Linken, seiner eigenen Familie zu seiner Rechten und nahm den für ihn vorgesehenen Platz an der Seite Aurelia di Asuriols ein. Das Wappen seiner Familie wurde hinter ihm aufgepflanzt.
An die folgenden Augenblicke konnte sich Aurelia im Nachhinein kaum erinnern. Als ihr Bräutigam seinen Platz an ihrer Seite eingenommen hatte, sie sich einander zuwandten und sich unter den Augen eines Traviageweihten der Göttin gefällige Schwüre leisteten, spielte sie die ihr zugewiesene Rolle. Die Worte, die sie bis zur Perfektion einstudiert hatte, waren ohne Gewicht von ihrer Zunge gerollt. Sie hatte ihre Pflicht gegenüber ihrer Familie getan. Die Versprechen, die sie geleistet hatte, waren für sie rein formeller Natur.
Erneut erklangen Fanfaren und das Paar wandte sich seinen Gästen zu. Hand in Hand schritten Aurelia und Lessandero einige Stufen hinab. “Liebe Freunde!” Die klare Stimme Aurelias erklang zwischen den Baldachinen. “Ich möchte euch nun, nachdem ihr Zeugen dieser Verbindung unserer beiden Familien geworden seid, einladen. Esst und trinkt, genießt Kunst und Musik, Wein und Speise, genehmigt all euren Sinnen den Genuss des Besten, was die Familie di Asuriol anzubieten hat!”
Dem Gesicht des pummeligen Residenten Horasio war abzulesen, dass ihn diese Aussicht erfreute. Bislang hatte er einen distanzierten Ausdruck gezeigt, nun Vorfreude auf erlesene Speisen und Getränke. Als erster nach dem Travienpaar strebt er dem ihm zugewiesenen Sitzplatz zu, seine bullige Begleiterin Morganellya weiterhin nur einen Schritt hinter ihm.
Hinter den Kulissen setzten sich Diener und Kellner in Bewegung. Knechte trugen lange Tafeln zwischen den Baldachinen der Adligen und Zunftmeister hindurch und bauten sie vor den Gästen auf. Am Kopfende, im Schatten der Villa di Asuriol nahmen die Mitglieder der Familien di Ulfaran und di Asuriol um das Brautpaar herum Platz, während Träger den ersten Gang auftischten. Zwischen kleinen, gebackenen Vögeln wurden glasierte Pasteten, gefüllt mit Wild und garniert mit Waldbeeren serviert, Weißbrötchen mit getrockneten Feigen türmten sich in Körben und jedem Adelshaus und jeder einzelnen der Zünfte stand ein Kellner zur Seite, der die Becher aus Silber stets gefüllt hielt.
Der Jüngling, der sich um das Wohlergehen Horsio ya Papilios kümmern sollte, sah sich einer unerwarteten Hürde gegenüber: Dessen Leibdienerin Morga verdeutlichte mit Blicken und körperlicher Präsenz, dass alles, was Horasio zugedacht, ihr zu reichen war und erst nach prüfendem Blick und Schnuppern ihrem Herrn vorgesetzt wurder. Ob dies sein eigener Wunsch oder eine Anweisung seiner Mutter? Horasio schien das gar nicht zu bemerken, er griff beherzt zu.
Nachdem die Träger und Knechte abgegangen waren, traten Musiker in den Mittelgang, welche das Festessen mit Streichern und sanften Holzblasinstrumenten begleiteten. Getuschel und Flüstern gingen in der Musik unter, bevor es benachbarte Gruppen erreichte. Jene Gäste, die Gespräche mit Mitgliedern anderer Familien führen wollten, konnten abseits des allgemeinen Fokus zwischen den Tischen wechseln.
Orsino Carson
Orsino beobachtete ein wenig, wie sich die anderen Gäste gruppierten und das Brautpaar die ersten Glückwünsche entgegennahm. Dann bewegte er sich mit einem Pokal guten Weines in der Hand zu Travin: “Mein Glückwunsch, eine gute Wahl, das Paar scheint mir vortrefflich zueinander zu passen. Travia, Rahja und die anderen zehn mögen sie segnen. Ihr könnt auf wahrlich erfreuliche Ereignisse zurückblicken, werter Erster Rat. ich will hoffen, dass eure Amtszeit ebenso harmonisch verläuft wie eine gute Ehe.” Er hob den Rokal: “Auf das Brautpaar und auf Shenilo, mögen die jungen Leute ebenso glückliche Zeiten erleben, wie wir es gerade hier tun!”
“Auf das Brautpaar!” Travin erhob seinen silbernen Becher und erwiderte Orsinos Gruß. Er hatte sich von seinem Sitz an der Seite seiner Tochter erhoben. Einige Verwandte Travins prosteten ihnen ebenfalls zu und einige “Hört hört” und "Jawohl" wurden ausgerufen. Als die zustimmenden Rufe leiser wurden, sprach Travin deutlich leiser weiter: “Ich danke euch, Signor Carson. Sowohl für eure freundlichen Worte als auch für euer persönliches Erscheinen. Es ist lange her, dass der Sitz meiner Familie eine solch ehrbare Gesellschaft willkommen heißen durfte. Und selbstverständlich erhält ein Travienbund seine Legitimität aus dem Ansehen derer, die ihn bezeugen können.” Travin neigte seinen Becher in Orsinos Richtung, bevor er einen weiteren Schluck daraus nahm.
Was Haus ya Papilio schenkt
Nach einer guten Zeitspanne schien Horasio ya Papilio gesättigt zu sein. Kaum eine Speise, von der er nicht ein Häppchen oder Schnittchen gekostet hätte. Auf dieser Grundlage steckte er auch die verschiedenen rahjageistigen Getränke gut weg, die er sich einschenken ließ. Er stand auf, einen halbleeren Weinkelch in der Hand, und ging ruhigen Schritts hinüber zum Hausherren. Morga folgte ihm unweigerlich dicht auf. Höflich wartete er außer Hörweite, bis Travins Austausch mit Orsino eine Pause nahm. Erst dann trat Horasio zu den beiden Familienoberhäuptern und verbeugte sich angemessen. “Travia- und hesindegefällige Grüße lässt mich Euch meine Frau Mutter überbringen, Excellenz”, sagte er zum Ersten Rat. “Sie wünscht Eurer Familie im Namen des Hauses ya Papilio, dass diese Ehe ein weiteres segensreiches Band schmiede, das den Zusammenhalt von Stadt und Contado stärkt.” Die älteren Männer suchten aus reiner Gewohnheit nach einer Doppelbödigkeit in diesen Worten. Doch Horasios freundliche Ernsthaftigkeit schien keine versteckte Anspielung in sich zu tragen.
Travin, der sich während dessen Gruß Horasio zugewandt hatte, hob die Hand die den Weinbecher hielt. Nachdem der Ältere sich mit einem langsamen, genüsslichen Schluck Wein die Kehle befeuchtet hatte, erwiderte er die Verbeugung mit einem würdevollen Kopfnicken. “Ich danke euch, und damit auch Damosella Atroklea, für die freundlichen Worte. Bitte richtet ihr auch in meinem Namen traviagefällige Grüße aus. So sehr ich ihre Abwesenheit am heutigen Abend bedaure, freut es mich dennoch, dass ich Euch, an ihrer statt sozusagen, das Willkommen aussprechen durfte. Ich hoffe, dass Euch unsere Gastfreundschaft zusagt und es Euch, Travia bewahre, an nichts fehlt.”
Nach seiner Aufwartung beim Gastgeber reihte ya Papilio sich geduldig in die Schlange der Wartenden ein, die dem Travienpaar gratulieren wollten. Seine muskulöse Begleiterin hielt hinter ihm eine kleine Holzkiste in ihren Händen hochkant. “Ich, persönlich und im Namen meines Hauses, möchte Euch, Edelgeboren Aurelia und Signor Lessandero, von Herzen zu Eurem Travienbund beglückwünschen”, begann Horasio, als er schließlich dem Stande nach an der Reihe war. “Mögen nicht nur die Herren des Heims, sondern auch die liebliche Stute und die Leben spendende Eidechse Eure Verbindung segnen.” Auf dieses Stichwort hin trat Morganellya neben ihn und streckte dem Bräutigam das Kistchen hin. “Als ein Gastgeschenk überreichen wir Euch einen Setzling des seltenen Rosenbäumchens aus dem fernen Trahelien”, fuhr der Esquirio fort. “Möge er bald blühen und Euch mit seinen Farben beglücken. Überdies findet Ihr in diesem Behältnis Steckzwiebeln, aus denen Tulpen in den Farben des Regenbogens wachsen werden. Onkel Philippe hat die ursprünglichen Zwiebeln vor einigen Jahren aus der Fracht des Uthuria-Fahrers “Yumin” erworben, die Nachzucht der Blumen ist unserem Haus inzwischen geglückt.” Gemurmel einiger Umstehender ließ erahnen, dass diese sich über den Wert der Gaben uneins waren. Doch Horasio war noch nicht zuende: “Um dieses Fest noch fröhlicher zu gestalten, wird meine getreue Morga sogleich ein Fässchen Brombeerlikörs sowie ein Fass Sankt Badilak Dunkel bringen. Beide Getränke werden von Haus ya Papilio hergestellt und sind dessen Freunden wohlbekannt.” Nun klang das Gemurmel erfreut. Der Resident zog ein gesiegeltes Pergamentkuvert aus seiner Weste und reichte ihn der Braut: “Darin findet Ihr ein Dokument, mit dem Euch Tante Sharane ein kleines Stück Land überschreibt. Ihr werdet kaum gewusst haben, dass diese Parzelle, gar nicht weit von Tederesco, uns gehörte. Darauf wächst eine mächtige Brombeerhecke, die jeden Sommer reiche Ernte trägt. Künftig sollt Ihr beide ihre Früchte genießen.” Horasio verbeugte sich und wartete lächelnd auf die Antwort der Beschenkten.
“Wir danken Euch für diese, wahrlich allen Göttinnen gefällige Gaben.” Aurelia neigte das Haupt, als das Travienpaar die Geschenke entgegennahm. Lessandero, der sich nach kurzem Zögern steif verbeugte, hatte das Gefühl, dass er ebenfalls etwas sagen sollte. Angesichts der Großzügigkeit der Geschenke, insbesondere derer, die das Haus ya Papilio dem Travienpaar, und damit auch ihm selbst, fühlte er sich jedoch vollkommen überwältigt und keine passenden Worte wollten ihm einfallen. “Diese Blumen werden sicher die Krönung unserer Gärten.” war alles, was er herausbrachte. Im Nachhinein fragte er sich, ob diese Bemerkung wirklich den besten Eindruck hinterlassen hatte. War der Müßiggang in Gärten wirklich das, womit er bei der Oberschicht Eindruck schinden würde? Aurelia schien ihm in solchen Angelegenheiten um viele Meilen voraus. Schließlich hatte Aurelia im mehr oder minder fernen Methumis studiert und stand mit beiden Beinen bereits fest im Geschäftsalltag der di Asuriol. Er selbst hingegen, der gerade einmal sechzehn Sommer gesehen hatte, fühlte sich nicht zum ersten Mal an diesem Tag völlig fehl am Platz. “Mit etwas Glück können wir bereits im nächsten Jahr unseren eigenen, wenn auch jungen Brombeerwein anbieten und Euch, das heißt, Haus ya Papilio, seine Freigiebigkeit vielfach vergelten”, war schließlich Aurelias Versuch, Lessanderos unrunden Ausdruck der Dankbarkeit abzuschließen. “Wir schätzen sehr, dass Ihr unserem Bund, dem Bund unserer Häuser, mit einem Stück Boden und den entsprechenden, darauf gedeihenden Früchten, Ehre erweist. Verbinden wir also das Schöne mit dem Praktischen: Mögen Rosen und Tulpen neben Brombeerhecken und Weinreben gedeihen und”, nach einer kurzen Atempause fuhr Aurelia deutlich lauter fort: “Lasst uns, heute wie in der Zukunft, eins wie das andere genießen. Rollt doch die Fässer herbei, damit wir beide anstechen können.”