Archiv:Es färben sich rot die Wasser des Sewak (BB 26)
In Zeiten wie diesen, da die stolzesten Reiche wanken, die größten Städte fallen und edelste Herrscherinnen, ungezählte Treue an ihrer Seite, vor Rethon stehen, da will sich all’ andere Zeitung, die den Menschen zu Ohren kommt, als gering und nichtig und zwergenhaft ausnehmen. Doch auch wenn Schmerz, Tod und Krieg, wie er seit nun einigen Monaten am Flusse Sewak tobt, sich im Vergleich zu obgenannten Dere erschütternden Ereignissen dem Cosmopoliten unserer Tage als gering erscheinen mögen; denn was gilt der Fall einer kleinen Feste, wenn man am gleichen Tage von der Zernichtung Wehrheims sprechen kann, was der Tod einiger Söldlinge und die Verheerung eines Dorfes, wenn man der Auslöschung ganzer Heere und des Verlustes blühender Provinzen gedenken muss? So gering sich all’ dies, was sich jüngst im Sewamund’schen zugetragen, also ausnehmen mag, so ist es doch der Schmerz und Tod und Krieg in unserer Mitte und so wollen wir unserer Chronistenpflicht genügen und getreulich berichten, was sich zugetragen hat, seitdem der Signor Tiro Tristano von Nupercanti im vergangenen Efferdmond mit List und Tücke die Landstadt Sewamund eingenommen hat.
Das schnelle und entschiedene Vorgehen des Nupercanti, der binnen nur eines Tages die Wehr der Stadt übermannte – wie man sagt vor allem Dank einiger Piraten in seinem Sold, die von See her die Verteidiger der Stadt überraschten – blieb in den nachfolgenden Tagen und Wochen nicht ohne Wirkung. Wer freilich gedacht hatte, nach diesem dreisten Streich werde der Herzog oder sein treuer Adel flugs herbeieilen und die verletzten Rechte Sewamunds wiederherstellen, der irrte. Vielmehr schien es, dass die Edlen des Landes von Schreck und Überraschung übermannt worden seien während die Aufmerksamkeit Herzog Cusimos sich ganz auf die Wirren im Windhag richtete – weit und breit rührte sich keine Hand, den Sewamundern zu Hilfe zu kommen.
Im Gegenteil erklärten die Familien Amarinto und Wiesen-Osthzweyg, alte Häuser aus den Sewamunder Landen und nicht ohne Einfluss in der Stadt und am Hofe des Herzogs, dass sie die Tat des Signors für gut befänden, habe die freie Stadt Sewamund sich doch in der Vergangenheit Rechte wider den guten Anstand und hergekommene Sitten angemaßt. Wenig später nur, am 12. Travia, würden die Häupter dieser Familien sogar eine Allianz mit dem Okkupanten Sewamunds schließen. Ob die Signora Alwene und der angesehene Darion Amarinto diese Pakte freiwillig oder unter der Drohung der Heeresmacht des Nupercanti eingingen, dies blieb uns bisher verborgen. In Farsid und Grangor, Ruthor und Shumir jedoch beunruhigte sich der Adel langsam. Denn nachdem nun die halbe Baronie Sewamund sich de facto in der Hand des Signors befand – und einige sogar spekulierten, der Baron von Veliris unterstütze Signor Tiros expansive Politik – da fragte so mancher sich, auf wessen Land oder welche Stadt der gierige Blick des Nupercanti demnächst fallen würde.
Während des in diesem Jahr besonders grimmen Winters konnte ein aufmerksamer Reisender also einen regen Verkehr zwischen den Städten, Palästen und Burgen rings um den Sewak beobachten. Die ersten Schachzüge im heraufkommenden Kriege würden jedoch sich der Diplomatie und Juristerey bedienen – die Stunde der Soldknechte war noch nicht gekommen. Der erste, der sich öffentlich gegen den Signor von Nupercanti empörte, war wohl Signor Amando von Streitebeck, der am Rande des alljährlichen Winterballes des Herzogs die Anwesenheit hoher und höchster Adeliger dazu nutzte, seiner Verärgerung wirksam Luft zu machen. „Die Ansprüche Signor Tristanos mögen gerechtfertigt sein oder nicht – ich will hier nicht präjudizieren,“ so erklärte hier der Signor. „Doch mit seinen blutigen Verstößen gegen die Setzungen des Landtages stellt der Signor sich außerhalb des Gesetzes und verwirkt damit allen Anspruch!“ Vor allem aber zeigte Wohlgeboren sich empört darüber, dass der Nupercanti es gewagt habe, sich bei dem Kampf um Sewamund der Hilfe von – soweit dies bekannt geworden ist – Piraten zu bedienen, womöglich gar aus dem Windhag. „Sollte sich dies bewahrheiten, kann ich nicht umhin, meinen tiefen Abscheu zu erklären,“ so die Worte Signor Streitebecks. „Wenn tatsächlich Windhager Piraten auf Geheiß Tiro Tristanos das Blut horasischer Bürger vergossen haben, dann muss ihm sofort und schärfstens Einhalt geboten werden!“ Der Herr von Streitebeck legte deshalb tags darauf dem Staatsorden eine Klageschrift vor, in der er eine Untersuchung der „staatsschädlichen Politik“ des Signors und des „skandalösen Verhaltens“ des horaskaiserlichen Hafencommandanten forderte.
Diese Vorwürfe blieben freilich nicht lange unbeantwortet. Vertraute des Signors von Nupercanti erwiderten nur amüsiert, dass der junge von Streitebeck wohl nur die Hoheit über seine scharfe Zunge habe – ein Spott, der darauf zielte, dass der gerade zwanzigjährige Amando nicht Herr im eigenen Hause ist, sondern immer noch die Vormundschaft seines Oheims Irion zu erdulden hat. Und aus dem Umfeld des Barons von Veliris hörte man böse Worte über die Familie Streitebeck, „die dem Geld des Bürgertums wohl mehr verpflichtet ist, als ihrem adeligen Stande.“
Zugleich aber fanden auch die Gegner des Nupercanti weiter zueinander. Im Tsamond kam es zu ersten, nicht mehr gar so heimlichen Treffen von Amaldo di Piastinza mit Esquirio Irion von Streitebeck, dem besagten Onkel des hitzigen Amando, und Baronessa Tsaida Tribêc, auf denen offensichtlich über ein Bündnis dieser drei einflussreichen phecadischen Häuser verhandelt wurde. Die grundlegenden Fragen schienen schnell geklärt: die Streitebeck und Tribêc würden gemeinsam eine offensive Nordfront gegen den Signor von Nupercanti führen, während Signor Amaldo, dessen Familie im Erzherzogtum Horasia über beträchtlichen Einfluss verfügt, zusammen mit der Signora Daria von Sewaklauf-Shumir und dem seiner Familie in vielfältiger Weise verbundenen Tarin von Salicum-Selzin – unseren Lesern sicherlich als langjähriger Schatzkanzler noch in guter Erinnerung – eine weitere, defensive Front südlich des Sewak eröffnen würde, um weitere Truppen des Feindes zu binden. Nach diesen anfänglichen Erfolgen zogen sich die Verhandlungen jedoch überraschend lange hin – beanspruchten doch die sich zuspitzenden Ereignisse im Windhag mehr und mehr das Augenmerk aller und mochte doch keiner der Adeligen sich just in einem Augenblick exponieren, da es täglich mehr so aussah, als würden sich die Phecadier bald an der Seite ihres Herzogs in einem Feldzug gen Norden bewähren dürfen. Und so rüstete man zwar vorsichtig dies- und jenseits des Sewak und rief die ersten Aufgebote zu den Waffen – doch so recht mochte niemand wissen, wann und gegen wen man losschlagen würde.
Erst im Ingerimmmonde, als schon niemand mehr mit dergleichen rechnete, brach plötzlich der Herrin Rondra Zorn über die Sewakauen hinein. Wie der wütende Rondrikan, so hatte auch dieser blutige und schreckliche Kampf ein stilles Beginnen. Denn niemand schenkte den Berichten große Beachtung, dass der ältere von Streitebeck den Signor Reon Phalaxan von Torrem, einen Gefolgsmann der efferdischen Baronin Eleanor, nach Venga geladen habe, um, wie es hieß, im Falle einer fortgesetzten mittelreichischen Provocation Herzog Cusimos Intervention im Windhag zu unterstützen. Dass Edelgeboren Reon, ein wahrhaft rondrianisch gesinnter Mann, einem solchen Rufe folgen würde, überraschte niemanden. Wohl aber argwöhnte der Signor von Nupercanti daraufhin, dass der Torrem, der nun mit kleiner aber erprobter Kriegsmacht heranzog, eine Finte im Schilde führe. Schließlich hatte die Herrin von Efferdas die Stadt Sewamund einst unter ihre Protection genommen – wer mochte also wissen, ob der Torrem, wenn er auf dem Wege nach Venga den Sewak passierte, nicht plötzlich die Waffen gegen den Okkupanten Sewamunds erheben würde? Also versagte der Signor dem Efferdier, als dieser am 20. Ingerimm am Südufer des Sewak aufzog, die Passage über den Fluss – woraufhin Reon von Torrem sogleich anhob, laute Klage zu führen: Als „borbaradesken Erzvogel“ beschimpfte er den Nupercanti in einer viel beachteten Flugschrift und bezichtigte ihn, nicht weniger zu sein als ein Reichsverräter. Angesichts der Anmaßungen und Verbrechen des Signor Tiro von Nupercanti sehe er es als eine Ehre an „das erstrebte Waffenhandwerk zum Wohle des gemeinen Wesens schon vor Sewamund zur Ausübung zu bringen,“ so sprach’s der tapfere Torrem und erklärte sich, die Ansprüche seiner Baronin wahrend, sogleich zum „Protector civitatis Sevamundiae ad interim“. Vernehmlicher schon wurde da, wie der Rondrikan sich erhob.
Bis zu dieser Stunde ist es aber eine Frage, die in den Salons Grangorias wie in den Schänken und Straßen des Landes eifrig diskutiert wird, wem das Verdienst zukomme, nach Monaten der Ruhe die zornigen Winde des Krieges zu wecken. War es der Esquirio von Streitebeck, der den Torrem unter einem Vorwand in den Norden lockte, um den Nupercanti zu provocieren? Dagegen spricht freilich, dass, wie sich noch zeigen wird, die Streitebecks von allen Beteiligten wohl von den kommenden Ereignissen am meisten überrascht schienen. Oder war es der Torrem, der unter klugem Vorwand die Eskalation des Konfliktes betrieb? Schließlich weiß man spätestens nach den jüngsten Verwechslungen in den Fehden zwischen Efferdas und Urbet, dass der Signor nie um eine List verlegen ist. Oder aber war es der Nupercanti selbst, der vielleicht übereilt gehandelt hatte – schließlich mochten die wohl nur 70 Mannen des Efferdiers ihn kaum tangieren – und so das Rad des Krieges ins Rollen brachte? Nach Abwägung aller Erkenntnisse will uns fast letzteres als wahrscheinlich gelten. Und so mag es also sein, dass Signor Tiro selbst es war, der dem schwachen Frieden den letzten Stoß versetzte, woraufhin bald der Blut saufende Kor durch die Lande am Sewak streifen würde.
Nachdem der Signor von Toricum in den folgenden Tagen die leichten Befestigungen des Nupercanti am südwärtigen Ufer des Sewak eingenommen und gesichert hatte – ein Übergang freilich war mit den derzeitigen Kräften nicht zu wagen –, versuchte er alsbald sich mit den anderen Contrahenten des Nupercanti ins Einvernehmen zu setzen und bei seinem Vetter Hesindiego, dem Landvogt von Shumir, weiteres Waffenvolk für die Befreiung Sewamunds zu sammeln. Die Familie Streitebeck, ein wenig kopflos, da Signor Amando an der Grenze zum Windhag weilte und sein Oheim unlängst nach Elenvina abgereist war, mühte sich in persona der jungen Edelmunde von Streitebeck – der Schwester des besagten Signors – deshalb um eine schnelle Übereinkunft mit der Familie Tribêc, unterstützte den Torrem derweil mit Geld und Gold und versuchte so schnell es ging so viele Mannen wie möglich unter ihrem Banner zu versammeln. Ein Unterfangen, dass sich freilich als schwierig erwies, denn in Phecadien hatte der Herzog nahezu alles Waffenvolk an sich gezogen, um für eine Intervention gen Harben gerüstet zu sein. Kaum mehr als ein halbes Banner hatte die Dame von Streitebeck also in diesem Augenblick unter Waffen, das Gelingen hing ergo völlig ab vom Handeln der Tribêc, die stark und mit großer Waffenmacht im Herzen der Baronie Sewamund standen. Und groß war darob wohl die Überraschung in ganz Phecadien und größer wohl noch der Schreck der gegen den Nupercanti Verbündeten, als in den ersten Tagen des Rahjamondes ruchbar wurde, dass Tsaida Tribêc ihre Alliierten verraten habe, die ohnehin nur geringfügigen Truppen des Hauses Streitebeck aufgerieben oder in die Gefangenschaft gegangen seien und die junge Edelmunde von den Tribêc zur Geisel genommen worden sei (siehe auch nebenstehende Meldung „Verrat und Hinterlist in Phecadien!“). Die nördliche Front, die eigentlich das scharfe Schwert gegen Signor Tiro hätte sein sollen – sie war mit nur einem Hieb zerschlagen und vergangen.
Die Häuser von Salicum-Selzin und di Piastinza wiederum erklärten, die Handlungen des Torrem nur „tolerieren, keineswegs aber unterstützen zu wollen.“ Denn die von dem Efferdier vertretenen Ansprüche der Baronin Eleanor mochte man nicht anerkennen und gedachte keineswegs Reon von Toricum die Hand zum Bündnis zu reichen, wollte dieser nicht auf Titel und Anspruch eines Protectors Sewamunds ganz und gar verzichten und implizit also den Anspruch seiner Herrin fallen lassen – eine Forderung, auf die der Signor zu diesem Zeitpunkt unmöglich eingehen mochte.
So kam es, dass der Efferdier plötzlich nahezu allein mit nur geringer Heeresmacht am Südufer des Sewak stand. Nur Signora Daria von Sewaklauf-Shumir, eine alte Feindin des Barons von Veliris und darob auch von dessen mutmaßlichem Verbündeten, Tiro von Nupercanti, mochte ihm noch beiseite stehen und bot ihm den Sewakturm als festen Platz, um in Ruhe und Sicherheit eine schlagkräftigere Streitmacht für einen Feldzug nördlich des Sewak zu formieren. So zog der Torrem also den Sewak hinauf und sammelte, unterstützt von Signora Daria und seinem Vetter Hesindiego, alles Söldnervolk um sich, dessen er nur habhaft werden konnte. Insgesamt über vierhundert Mann scharte er so in den nächsten Wochen um sein Banner.
Derweil hatte sich Esquirio Irion nach einer längeren Harikade* in Ruthor eingefunden. Denn im nördlichen Sewamund fand das Haupt der Familie Streitebeck nach seiner Rückkehr aus Elenvina eine unmögliche Situation vor: halb Sewamund in der Hand des Nupercanti, seine Nichte eine Geisel der Dame von Tribêc, die alten Güter der Familie okkupiert – selbst in seinem eigenen Palas an Herzog Cusimos Hofe musste der Esquirio sich von den Parteigängern des Nupercanti, den Tribêc, Amarinto und Wiesen-Osthzweyg, bedroht fühlen! Was blieb ihm also anderes, als sein Heil in der Flucht nach vorne zu suchen? Am 12. Rahja landete der Esquirio mit kleiner Entourage in Ruthor an und setzte sich mit Reon Torrem, Amaldo di Piastinza und Tarin von Salicum-Selzin in Verbindung, in der Hoffnung, doch noch ein Bündnis gegen den Nupercanti zu schmieden. Doch während der Streitebecker noch mit dem Piastinza um Rechte und Privilegien feilschte, die den verschiedenen Häusern im Falle eines Sieges zufallen sollten, handelte Signor Reon – den wohl der Unterhalt seines stark angewachsenen Söldlingshaufens bedrückte und der es vielleicht auch einfach vorzog, alleine vorzugehen: ohne den betulichen Streitebeck und den unzuverlässigen Piastinza, dessen anfängliche Zurückhaltung ihn wohl arg erzürnt hatte. Also ignorierte Signor Reon Torrem von Toricum die eindringlichen Schreiben aus Ruthor sich bis Anfang des nächsten Jahres zu gedulden und setzte bereits am 21. Rahja auf eigene Faust über den Sewak.
Diese von manchen Beobachtern als vorschnell gescholtene Offensive forderte in den nächsten Tagen einen hohen Blutzoll. Zwar gelang es dem Signor mit einigem Glück und viel Geschick seine Truppen über den Fluss zu bringen und sich dort, nach einem schweren Gefecht mit einem größeren Heerhaufen des Nupercanti und einigen Hilfstruppen der Häuser Tribêc und Amarinto, nahe dem Weiler Kosgarten – von einigen der Söldlinge ob des hohen Blutzolles auch „Kors Garten“ genannt –, festzusetzen (ausführlicher Bericht nebenstehend). Und ebenso blutig wie der Sieg war auch die nachfolgende Feier: nachdem der Feind für den Augenblick vertrieben worden war, erlaubte Signor Reon die Plünderung der Umgebung. Offenbar zwang seine klamme Finanzlage ihn dazu – anders mochte er wohl seine Soldknechte in dieser Stunde nicht zu entlöhnen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte er also nach erfolgreicher Bataille Sold und Plünderung verweigert.
Doch tatsächlich schien Signor Reon nur einen Muraksieg errungen zu haben: zwar konnte er die Stellung halten, doch gelang es dem Feind, ihm den Rückweg zum Flusse abzuschneiden. Und für die eigene Offensive fehlte es nach der Schlacht an Kraft und Energie; zumal der Signor selbst schwer verwundet worden und es nicht gelungen war, die Pferde seiner Reiterei rechtzeitig nachzuholen, so dass sein Haufen nur zu Fuß zu kämpfen vermochte und der schweren und leichten Reiterei des Feindes ein leichtes Opfer war, sobald man die sichere Deckung von Kosgarten verließ. Nach dem glücklichen Beginnen befand sich der Torrem so alsbald in einer verzweifelten Lage: vom Feind umzingelt, von jeder Versorgung abgeschnitten, verlor er in den folgenden Tagen wohl nochmals so viele Mannen wie in der Schlacht – die einen erlagen ihren Wunden, andere wurden in kleinen Scharmützeln vom Feind zerhauen oder aufgerieben. Das Söldnercontingent „Albins Spieße“ soll sogar vertragsbrüchig geworden und auf die andere Seite gewechselt sein. So nahten die Namenlosen Tage und mit jeder Stunde wurde die Lage verzweifelter, während Signor Reon im Fieber lag und kaum Herr seiner Sinne war.
Am 30. Rahja schließlich meldeten die Späher das Herannahen des Feindes, der wohl beabsichtigte diesem Trauerspiel noch vor den dunklen Tagen eine Ende zu machen. Unter Mühen, so geht die Fama, soll der Torrem sich daraufhin von seinem Lager erhoben und an die Türe des auf einer Anhöhe gelegenen Herrenhauses von Kosgarten geschleppt habe – und, als er die Banner und Wimpel des von Norden nahenden Haufen Heerhaufens erblickte, nur geseufzt haben: „Ich wünscht es wäre Nacht, oder der Streitebecker käme!“ In der Tat, wenn nicht seine Verbündeten in letzter Minute erschienen, konnte er nur, horribile dictu, auf die Mitternacht hoffen, wenn die Namenlosen Tage beginnen und eine Waffenruhe erzwingen würden. Denn kein Zwölfgöttergläubiger würde in den kommenden fünf Tagen freiwillig in ein Gefecht gehen wollen.
Tatsächlich aber handelten die Knechte des Nupercanti aus aufgezwungenem Willen: wenige Stunden zuvor war einige Meilen flussabwärts den Verbündeten des Torremers die Überquerung des Flusses gelungen: mit fast 250 Mann hatte Irion von Streitebeck den Übergang gewagt, an seiner Seite einen Neffen Signor Amaldo di Piastinzas, der nun doch die Hand zum Bündnisse gereicht hatte. Und derweil der Piastinza und Tarin von Salicum-Selzin mit starken Truppenverbänden südlich der Sewakmündung aufmarschierten und so Aufmerksamkeit und Truppen des Nupercanti banden, war der Esquirio von Streitebeck eilends, sobald er Nachricht von der verzweifelten Lage des Torrem erhalte hatte – die ihn wohl nur Dank der glücklichen Tat einiger Wagemutiger erreichte –, den Sewak hinaufmarschiert, hatte alle verfügbaren Truppen, darunter Kontingente der Dame von Sewaklauf-Shumir, ein halbes Banner unter dem Kommando Torvon di Piastinzas, ein Haufen unter dem Kommando des Landvogtes von Shumir, Hesindiego Torrem, und einige versprengte Einheiten des Efferdiers, an sich gezogen und befahl dann sogleich die Querung des Sewak. Der so überraschte Feind aber sah sich nun von zwei Seiten bedrängt und musste handeln. So drängten die Mannen des Nupercanti und der mit ihm verbündeten Häuser also eilends gegen Signor Reon von Toricum, in der Hoffnung zuerst diesen Opponenten zu zerschmettern und sich sodann mit ganzer Kraft gegen den anrückenden Streitebecker zu werfen. Jedoch, der Plan ging nicht auf – für den Nupercanti kam, welch’ Ironie, der Abend zu spät! Noch im letzten Lichte der untergehenden Sonne erspähte die in Kosgarten eingeschlossene Schar den nahenden Freund, wagte sodann den Ausbruch und konnte so den Tag für sich entscheiden. Besiegt, jedoch nicht geschlagen zogen sich die Verbände des Nupercanti von der Walstatt zurück. Vor dem Herrenhaus zu Kosgarten aber begegneten sich, von der Schlacht gezeichnet, Reon Torrem von Toricum, Torvon di Piastinza und Irion von Streitebeck und besiegelten in dieser Stunde des ersten Triumphes die Liga zur Verteidigung der Freiheit und Aufrechterhaltung der zwölfgöttlichen Ordnung im Lande Sewamund – im Volksmund schon bald ob ihrer Bündnisfarben auch die „rote Liga“ geheißen; und von dem Nupercanti und seinen Verbündeten sprach man darauf auch nur noch als von der „blauen Liga“, obwohl Tiro von Nupercanti, die Amarinto, Wiesen-Osthzweyg und Tribêc sich weder eine „Liga“ nannten, noch etwa blaue Wimpel führten. Doch was schert es den Volksmund, wenn er mit einfachen Worten komplizierte Dinge scheidet?
Der Schwur, der die rote Liga begründete, er ward auf dem Schlachtfelde von Kosgarten erbracht, auf dem die Alliierten mit dem Blute füreinander eingestanden waren. Und bei ihrem Blute, so der Eid, wollten sie nicht ruhen, bis Tiro von Nupercanti, der Reichsverräter geschlagen und ins Meer getrieben sei. Auf diese hehren Erklärungen ließ der Waffenbund auch sogleich Taten folgen – und trat in Waffenstillstandsverhandlungen mit Signor Tiro von Nupercanti ein! Dem Vernehmen nach gaben die Verbündeten dabei vor allem dem Drängen des Esquirios von Streitebeck nach, der schon in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder auf die Schwerniss der jüngsten Ereignisse im Mittelreich hingewiesen und deshalb eine einstweilige Waffenruhe gefordert hatte, um die Kräfte zu schonen, solange die Lage des Raulschen Reiches ungewiss und also eine mögliche Bedrohung des Imperiums nicht ausgeschlossen sei. Nun, nachdem die beiden Lager sich gemessen hatten und ein ungefähres Kräftegleichgewicht hergestellt schien, waren sowohl der Herr Nupercanti und seine Hilfskräfte als auch die Streiter der Liga bereit sich einstweilen zu vergleichen – „zur Wahrung eines höheren Interesses,“ wie man nicht müde wurde zur betonen. So wurde also am 1. Praios bei heiligen Eiden eine Waffenruhe auf dreißig Tage beschlossen. Signor Tiro machte hierin den Verbündeten das Zugeständnis, dass diese würden ihre Truppen durch die Baronie Sewamund nach Norden verlegen können, sofern sie für die Sache der guten Götter in das Mittelreich entsendet werden sollten. Überdies würde er Teile seiner Contingente aus der Signorie Sewadâl, worin auch die Hauptmacht der roten Liga stand, abziehen. Im Gegenzug verzichteten die Alliierten auf den Aufbau einer Nordfront, garantierten die Sicherheit der Güter des Nupercanti im Sewadâlschen und zogen ihre Truppen dort auf einen Brückenkopf vis-á-vis der Shumirer Lande zurück.
Zwei Wochen gingen so ins Land und schon hoffte man landauf, landab, dass vielleicht bald wieder Friede einkehren würde am Sewak. Schon sah man den Streitebeck und den Signor von Nupercanti bei den Festlichkeiten anlässlich der Vermählung des Herzogs mit der Enkelin des Reichsregenten einträchtig beieinander stehen, die ersten Gerüchte über geheime Verhandlungen zwischen Führern der roten Liga und dem Okkupanten Sewamunds machten die Runde. In Sewadâl jedoch, wo der schwer versehrte Signor von Toricum und sein Vetter Hesindiego immer noch mit großer – und teurer – Streitmacht standen (und diese dem Vernehmen nach sogar noch vergrößerten), mochte diese Entwicklung wohl nicht gefallen. Zuviel hatte die Familie in den vergangenen Wochen in das Abenteuer am Sewak investiert, als dass man sich nun durch Abmachungen der Phecadier schnöde übergehen lassen wollte. Ohne Vorwarnung, ohne auch nur die Verbündeten von ihren Plänen in Kenntnis zu setzen, brachen die Torrems darob am 15. Praios mit der gesamten Heeresmacht aus dem Brückenkopf aus, überrannten die nupercantischen Einheiten in Sewadâl und machten sich eilends auf den Marsch ‘gen Sewamund, in der Hoffnung durch diesen Schlag sich in eine günstige Lage zu versetzen und wenn möglich ein fait accomplis zu schaffen. Groß war darob nicht nur der Zorn des Nupercanti – der die Führer der Liga des Eidbruches bezichtigte; groß war auch die Empörung der Verbündeten des Torrem. Von Signor Amaldo di Piastinza etwa sind in diesem Zusammenhang Äußerungen überliefert, die wiederzugeben uns der Anstand allhier verbietet.
Das Glück, das vor Kosgarten noch treu an der Seite der Torrems gestanden, verließ sie jedoch bei dieser Eskapade. Nach erfolgreichem Beginnen wurde der Vormarsch bald durch geschicktes taktieren und verzögern des Feindes gebremst, am 18. Praios dann verweigerte der Hauptmann der streitebeck’schen Truppen den Gehorsam: er könne den fortgesetzten Eidbruch nicht dulden, sondern habe im Auftrag seines Herrn den Akkord mit dem Nupercanti einzuhalten. Und schließlich wurde am 21. Praios Hesindiego Torrem, der an Statt des immer noch lädierten Reon das Kommando führte, Opfer einer gefährlichen Lebensmittelvergiftung, manche sagen auch eines Giftanschlages von Hand eines Verräters im Dienste des Nupercanti. Ohne eine entschiedene Führung geriet der Vormarsch bald in Chaos und Auflösung. Diese desolate Lage nutzte der Gegner dann am 23. Praios zum Gegenschlag und vermochte in einem Hinterhalt fast die gesamte Vorhut des Heerzuges zu vernichten.
In solch bedenklicher Lage fand also Irion von Streitebeck am 25. Praios die Streitmacht der roten Liga vor. Zwar stand man kaum zehn Meilen vor Sewamund – doch nach der gegenwärtigen Lage hätte die Stadt auch am anderen Ende Aventuriens liegen können. Mit Unterstützung der übrigen Verbündeten riss er sofort das Kommando der Expedition an sich – angesichts der Lage vermochten die Torrems kaum sich dem zu widersetzen, man insistierte wohl nur auf einem schriftlichen Bündniscontract, um Interessen und Gesicht zu wahren. Irion von Streitebeck wiederum ließ nach dem Kommandowechsel erklären, dass die Waffenruhe durch einseitiges Handeln des Familie Torrem gebrochen worden sei, er selbst aber die geleisteten Schwüre achten wolle und nicht beabsichtige vor dem 1. Rondra in weitere Auseinandersetzungen einzutreten (was aber nicht etwa bedeutete, dass er die jüngsten Eroberungen des Torrem wieder preisgegeben hätte). Dem mochte der Signor von Nupercanti zwar nicht Glauben schenken, schließlich bezichtigte er auch weiterhin die rote Liga in ihrer Gesamtheit als eine „Bande blutrünstiger Eidbrecher“. Doch angesichts der für ihn immer noch ungünstigen Kraftverhältnisse – seine Position in Sewamund immer noch von Süden durch den Piastinza und Tarin von Salicum-Selzin bedroht, die Verbindung zwischen der Stadt und seinen Stammlanden im Osten nach dem Überraschungsangriff vollends kollabiert – verzichtete er doch einstweilen darauf, dem Feinde nachzusetzen und mühte sich um eine Stabilisierung seiner Positionen.
Die ersten Tage des Rondramondes sahen dann erst wieder kleinere Scharmützel zwischen den Truppen der roten und der blauen Liga. Doch erst am 9. des Mondes gab es wieder größere Bewegungen – offenbar war es den Offizieren des Streitebeckers gelungen, die Ordnung der Truppe wieder herzustellen und eine weitere Offensive ‘gen Westen, ‘gen Sewamund vorzubereiten. Vorsichtig und bedächtig wurde also der Vormarsch fortgesetzt – jedoch erwies sich allem Anschein nach der Widerstand als überraschend gering. Nach letzten Meldungen sollen die Einheiten der Verbündeten am 12. Rondra vor der Stadt gestanden haben, von Süden her nahte wohl auch Amaldo di Piastinza mit einer größeren Streitmacht, nachdem er den Übergang über den Sewak erzwungen hatte. Die weiteren Nachrichten über den Fortgang der Auseinandersetzungen sind jedoch im Augenblick wirr und rätselhaft. Angeblich soll Signor Tiro den Feind vor den Mauern der Stadt erwartet haben – was uns als eine schiere Tollheit erscheinen will. Weiterhin melden erste Depeschen, dass bald nach Beginn der Kampfhandlungen die streitebeck’schen Truppen, die den rechten Flügel der Front hielten, das Feld geräumt und ihre Verbündeten verraten haben sollen. Dies spräche für einen wahrscheinlichen Sieg des Nupercanti. Andere Meldungen wiederum besagen, der Streitebeck sei den Truppen der blauen Liga – wie auch immer dies bewerkstelligt worden sein soll – überraschend in die Seite gefallen und habe so den Siegeskranz errungen und den Feind in die Stadt gezwungen; bis zum endgültigen Sieg der roten Liga sei es also nur eine Frage von Tagen.
Die augenblickliche Lage erscheint also äußerst unklar – und angesichts der vielfältigen Ereignisse und Wendungen der vergangenen Monate wagen wir nicht Genaueres vorherzusagen. Das Bosparanische Blatt wird jedoch alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um Euch, verehrter Leser, nicht lange in Unkenntnis über die fürdere Entwicklung dieses Zwistes zu lassen.
BS