Archiv:Von Choral und Levthanstänzen (BB 20)

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen
Von Choral und Levthanstänzen

Der folgende Artikel sollte ursprünglich in der Neuauflage der Enzyklopaedia erscheinen und später in Kirchen, Kulte Ordenskrieger veröffentlicht werden, wurde aber aus Platzmangel gestrichen. Zwar soll er in dieser oder ähnlicher Form noch im Aventurischen Boten nachgereicht werden, der Leserschaft des Bosparanischen Blattes möchte ich ihn aber jetzt schon präsentieren.

Alle Rassen und Völker Aventuriens vom Moha bis zum Ork kennen Hymnen und Gesänge zu Ehren ihrer Götter. Insbesondere die Kirchen der Zwölfe pflegen eine große Zahl von heiligen Liedern und Melodien, die sowohl Lobpreisung wie derisches Zeichen der göttlichen Macht sind.
Die Musik der Praioskirche stützt sich seit einem halben Jahrtausend fast ausschließlich auf den heiligen Zyklus der Gurvanianischen Choräle, einer auf Priesterkaiser Gurvan Praiobur I. zurückgehende Sammlung von weit über 500 Gesängen. Ihre getragenen, stets einstimmigen Melodien bilden den Kern jeder Praiosmesse und sind die einzige eineme Praiospriester gestattete Form des Musizierens. Die alleinige Ausnahme bilden der jedem Tempel eigene Gong sowie die Praiosglocken, auf Schnüren in einen Rahmen gespannte runde Metallschalen von etwa einem Spann Durchmesser. Im Sonnenpalast zu Gareth gibt es 144 solche Praiosglocken von jeweils unterschiedlichem Klang, die in fast tranceartigem Zustand von einem einzigen Geweihten gespielt werden. Sieht man von ruhigen, würdevollen Zeremonien wie dem Sonnentanz zu Jahresbeginn ab, findet man in der Praioskirche kaum Tänze im herkömmlichen Sinn – nichtsdestotrotz sind die Bewegungen und Schrittfolgen während der Messe aber bis ins kleinste Detail vorgeschrieben.
Den Willen der Gottheit am deutlichsten zu vermitteln vermag wohl die heiße und sinnliche Musik der Rahjakirche. Während der Gesang eine eher untergeordnete Rolle spielt, findet man in den Tempeln der schönen Göttin ein reiches Instrumentarium, das von Fußklappern über Harfen, Flöten und einfache Streichinstrumente bis zu den berühmten Levthanshörnern reicht. Hinter diesem pikanten Namen verbergen sich zwei leicht zur Seite gekrümmte Schalmeien, deren Mundstücke durch einen Nackenriemen an den Lippen des Spielers gehalten werden, während er jedes Rohr mit einer Hand spielt. Dieses aus dem Güldenland stammende Instrument hat einen süßen, leidenschaftlichen Klang von drängender Intensität, die einem fast die Sinne schwinden läßt. Daher verwundert es auch nicht weiter, wenn die Tänze im Rahmen von Rahjamessen im Volksmund ob ihrer Hingabe und Freizügigkeit die Bezeichnung Levthanstänze tragen.
In der Rondrakirche herrschen imposante Kriegs- und Heldenlieder sowie wilde Schwerttänze vor, die Melodien erinnern oft an militärische Hornsignale. An Instrumenten findet man hier vor allem Posaunen und Fanfarentrompeten – letztere sind ein Privileg von Königen und Rondrakirche, weswegen in der weltlichen Musik die ähnlich (und noch schärfer) klingenden, aber aus Holz oder Zahn (daher der Name) gefertigten Zinken gebraucht werden.
Die höchste künstlerische Reife hat die Musik zweifellos in der Hesindekirche erlangt. Neben ausdrucksstarken Madrigalen und Messen für mehrstimmigen Chor und kunstvollen Sätzen für Clavichord (ältestes Tasteninstrument, mit zartem, aber ausdrucksstarkem Klang), Kithara (die güldenländische Form der großen Handharfe) oder kleine Ensemble versucht man in gewaltigen Oratorien für Solisten, Chor und Orchester, die auf den heiligen Texten der 'Annalen des Götteralters' basieren, alle sechs Künste zu vereinen und bereichert die Aufführungen dieser Monumentalwerke (die zusammen mit den unvertonten Mysterienspielen als die Vorläufer der Vinsalter Oper gelten) durch eigens geschaffene Statuen, Gemälde und den Vortrag erläuternder Texte im Versmaß altbosparanischer Oden.
Während Travia- und Perainekirche meist bäuerliche Volkslieder oder Tanzwaisen verwenden und mit neuen Worten versehen, baut die Geweihtenschaft von Efferd und Ingerimm eher auf Geräusche, um den Gläubigen das Wesen ihres Gottes näher zu bringen. So werden die metrischen Texte (Efferdslyrik ist für seine freien Formen, zwergische Stollendichtung dagegen für starre Regelmäßigkeit bekannt) von Muschelhörnern, Wind- und Wasserrauschen einerseits, von vorwiegend zwergischen 'Musikinstrumenten' wie Pauken, Angroschellen und Schmiedehämmern andererseits untermalt.
Über die erquickende Musik der Tsakirche läßt sich bedauerlicherweise nur wenig sagen, da fast wöchentlich neue Lieder und Instrumente Verwendung finden. Sie ist stark den regionalen Einflüssen unterworfen, ähnelt sonst aber den fröhlichen Klängen aus den Riten der Phexkirche, die traditionell vor allem Dablas und allerlei Glöckchen und Schellen verwenden. In den letzten Jahrhunderten haben aber auch allerlei akrobatische Springtänze aus Maraskan aventurienweit Eingang in den Kult gefunden, denn dort versteht man, das muntere Spiel des Mungos auf Schlangenjagd vor Augen, unter phexischer Kunst nicht den Diebstahl, sondern den Tanz.
Die Messen des Boron werden – in beiden Riten – von dumpfen, schwebenden Klangflächen getragen, die auf einer speziellen Gesangstechnik der Priester beruhen, die die Stimme um eine ganze Oktave tiefer erklingen läßt. Die Firunkirche schließlich verzichtet völlig auf den Einsatz von Musik, sieht man von im Wind klirrenden Glasstäben ab, die von manchen Tempelgiebeln herabhängen. Ähnlich verhält es sich mit den Predigern des Rastullah, die sich ganz auf die Kraft des gesprochenen Wortes verlassen, und den Geweihten von Rur und Gror, denen Messfeiern im herkömmlichen Sinne ohnehin unbekannt sind.
Zu erwähnen sind schließlich noch die munteren Aveslieder, die auf den Straßen von Riva bis Brabak gesungen werden (das ergreifendste Werk dieser Gattung ist wohl der Pilgerchor), sowie die Musik der inoffiziellen Horaskirche, des Ordens vom Heiligen Blut, die auf bombastische Repräsentation baut, wozu sie in den meisten großen Ordenshäusern bereits gewaltige Exemplare der vom Elfen Silberkind und dem Zwerg Ingrasch erdachten Orgel erhauen ließen.

Gregor Rot