Archiv:Ein Staatsgast zu Besuch (BB 34)

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Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 34, Seite 22 Schildwacht.png Datiert auf: Travia 1030 BF


Ein Staatsgast zu Besuch
von Sinjara Acciaioli


Urbasi – das ist die Fürstliche Gemeinde des Heiligen Agreppo. Eine Stadtherrschaft, so hoch dekoriert wie kaum eine andere im Reich. Und doch ein beschauliches Städtchen, wenn es um auswärtige Besucher von Rang und Namen geht. Zwischen Seneb-Horas-Straße und Goldfelser Stieg gelegen, zwingt es kaum jemanden hier Station zu machen. Schon gar nicht die Hochadligen des Landes.

Horasio della Pena, ein Graf auf 'Staatsbesuch'

Wohl auch deshalb sollte der Aufenthalt des Grafen Horasio della Pena von Bomed im Traviamond 1030 BF ein derart bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Stadt werden.

»Dass der Graf im Silbertal weilen würde, erfuhren wir erst wenige Tage vor seiner Ankunft. Viel Planung schien nicht dahinter zu stecken. Es gab gar Gerüchte von einem Attentat, dem er gerade erst entkommen war [vgl. BB#32]. Im Grunde ging es ihm aber wohl darum Familieninterna zu klären – die Aufteilung der della Pena in ein älteres und ein jüngeres Haus nämlich.«
―Cerelio, Amtsschreiber des Maestro Hospitalum

Der sogenannte ‘Vertrag von Siburetta’, der die Teilung der Familie rechtskräftig machte, wurde am 17. Travia nach kurzen Verhandlungen im Castello Salmanya vor den Toren Siburs von Horasio und Leomar Romualdo della Pena unterzeichnet (siehe Artikel: Geteilt aber einig!). Der spät angekündigte Abstecher des Grafen nach Urbasi vor seiner Rückkehr in den Yaquirbruch sollte dann auf Drängen mehrerer Signori – darunter Auricanius von Urbet-Marvinko – kurzerhand zum Staatsbesuch deklariert werden.

»Die ganze Aufregung kam sehr überraschend. Ich war von der Meisterin zum Lageraufräumen eingeteilt gewesen, unten am Hafen. Was ich da im Zunftspeicher noch so alles fand … ähm … aber darum geht’s ja nicht. Ich habe jedenfalls erst von dem Trubel erfahren, als die halbe Stadt schon Richtung Siburer Tor unterwegs war. “Der große Condottiere kommt”, hieß es da. “Der Bezwinger Marschall Folnors”, “der große Bruder/Vetter/Onkel Leomars”, der ja bekanntlich schon der ‘Held von Urbasi’ ist. Und vor allem: “Der ist unverheiratet …” Da bin ich natürlich den Anderen hinterher, ist doch klar.
Habe sogar noch ‘nen Platz erwischt, von dem ich gut was sehen konnte, als er endlich ankam. Stolz war er, das sah man, trotz aller Wimpel und Fahnen, die über den Straßen hingen. Oder gerade deswegen … In seiner polierten Rüstung ritt er allen Begleitern voran, wie es ein rechter Krieger wohl tut. Und gerade als er nahe an meinem Standort vorüberkam, da hatte er ein … neckisches … Grinsen im Gesicht. Ja, wenn ich es doch sage!«
―Tsaiane, Gesellin der Gefäßzunft

Über das Zeremoniell des Empfangs seitens der Stadt gab es im Vorfeld einige Dispute, doch setzten sich jene durch, die sich für die Erweisung höchster Ehren aussprachen. Dazu gehörte eine unmittelbare Begrüßung durch den Gonfaloniere Miguel Flaviora im Silbernen Saal des Magistrats, eine persönliche Einquartierung im Palazzo Sathÿara (dem Gästehaus der Stadt) durch den Maestro Hospitalum Rahjalin Solivino sowie ein von der Signoria noch am selben Abend veranstalteter Ball in demselben Gebäude.

»Geschichten über den Palazzo kursierten in der Stadt ja viele, doch ich hatte mich bislang nicht einmal von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugen können. Dabei lag er unserem Familienpalast schräg gegenüber. Selbst der Fürst hatte dort, glaube ich, nur einmal eine Festlichkeit veranstaltet, bei der ich nicht dabei war.
All die Statuen, Fresken und Mosaike ließen mir dann bei erster Betrachtung einen Schauer den Rücken hinunterlaufen. Die Satyren waren so lebensecht dargestellt, dass man jederzeit mit einer Bewegung von ihnen rechnete – und sich doch jedes Mal getäuscht sah, wenn man sie in den Augenwinkeln dabei erwischt wähnte.
Der Ball selbst war zunächst sehr förmlich, wie es solche hochoffiziellen Angelegenheiten an sich haben. Daran vermochte auch der reichlich kredenzte Wein – aus dem Hause Solivino – nichts zu ändern. Irgendwann bin ich dann in den Kaskadengarten geflüchtet, der direkt unter dem Palazzo liegt. Dessen Wasserspiele sind nachts sehr sehenswert.
Wie lange ich dem Fest ferngeblieben war, weiß ich nicht mehr. Als ich aber zurückkehrte, traute ich meinen Augen kaum: Hohe Würdenträger, einige unserer Priori gar, lagen sich dort leutselig in den Armen, in einigen Nebenräumen wurde ungeniert und offen der Rahja gefrönt!
Das hat mich doch einigermaßen schockiert, so dass ich das Fest sofort verlassen habe. Am nächsten Morgen schien sich außer mir jedoch niemand mehr an dieses skandalöse Treiben zu erinnern …«
Vascinia da Brasi, Nichte des Signore Korrago

Den folgenden Tag verbrachte der Staatsgast mit einer kurzen Führung durch die Stadt, vor allem aber mehreren Besuchen privater Natur. Seinem Bruder Tarquinio, Priore pecunis Urbasis, stattete er den längsten derselben ab. Wichtigstes Thema schien die Zukunft der frisch abgespaltenen, jüngeren Pena-Familie zu sein. Dass diese über die beiden Brüder und deren noch junge Kinder hinaus spärlich besetzt war, war kein Geheimnis. Ebenso, dass Horasio noch immer verzweifelt nach Unterstützern seines Grafenanspruchs im ganzen Reich suchte.

Am Abend stand hingegen zum feierlichen Abschluss des Aufenthalts ein weiterer Ball an, diesmal vom Haus Urbet-Marvinko im familieneigenen Palazzo Casciano veranstaltet.

»Mein Onkel musste mich fast zwingen, nach den Erfahrungen vom Vorabend auch dem Ball des Fürstengeschlechts beizuwohnen. Nur so ließe sich der offensichtliche Alptraum überwinden …
Zum Glück gab es dort keine Satyrendarstellungen. Überhaupt war die Ausstattung des Palastes – im Gegensatz zu seiner imposanten Größe – regelrecht bescheiden. Der Tanzsaal, die Sala Traviana, war zwar prachtvoll hergerichtet, ebenso einige umliegende Räumlichkeiten, doch dass viele andere Teile noch im Bau waren, war ja allgemein bekannt.
Der Graf ließ es sich diesmal nicht nehmen, an der Seite des Gastgebers, selbst die letzten Worte zur Begrüßung der Anwesenden zu sprechen. Und wartete dabei gleich mit einer überraschenden Bekanntmachung auf: Sein neues Geschlecht sei keineswegs so klein, wie es viele Leute glauben mochten. Es sei ihm und seinem Bruder vielmehr gelungen, bislang verschollene Familienangehörige auszumachen, die mit ihnen eine ruhmreiche Zukunft begründen sollten!
Die Zweifel vieler Gäste standen diesen ins Gesicht geschrieben, doch dies schien den Grafen nur noch zu beflügeln und er stellte noch im selben Moment das erste der angesprochenen Familienmitglieder vor – seine Base Pira Rahjalina della Pena, die bei diesen Worten die Treppen der Eingangshalle herabgestiegen kam. Verschüchtert und jung war sie, doch auch bildhübsch. Fast mochte man neidisch werden auf dieses offensichtlich so plötzlich zu unerwarteten Ehren gelangte Geschöpf.
Dass sie den ganzen Abend über abschätzend beobachtet wurde, muss ich ja eigentlich gar nicht dazusagen. Irgendwann nahm sich dann auch der Bruder des Gastgebers, Rondralio, der unsicheren Schönheit an. Ob aus Mitleid oder Zuneigung, das vermag ich nicht zu sagen. Seine Gemahlin, die Torrem, dürfte es zumindest nicht erfreut haben.«
Vascinia da Brasi, Nichte des Signore Korrago

Einen weiteren Erfolg verzeichnete Horasio schließlich auf dem Höhepunkt der Feierlichkeit, als sich der Gastgeber Auricanius, Oberhaupt des Hauses Urbet-Marvinko, zur Unterstützung seiner Ansprüche gegen alle anderen Bomeder Grafenkandidaten bekannte. Und überdies das seinige zu tun versprach, dass diese Unterstützung baldmöglichst von der gesamten Fürstlichen Gemeinde ausginge. Leider ist nicht überliefert, welchen Gesichtsausdruck diese Ankündigung bei den übrigen Machthabern der Stadt hinterließ …

Armin Bundt