Archiv:Brautschau zu Ruthor (BB 44)
Ruthor, Firun 1044 BF. Seit Boron zwitscherten es die Spatzen von Ruthors Dächern: Frau Baronin ist auf Freiersfüssen und lud zum Ball um ihre Hand ein. Zahlreiche noble Herren (und auch Damen) gaben sich folglich am 20. Boron am Hofe zu Ruthor die Ehre. Nicht alle Gäste kamen dabei als Bräutigam der Baronin in Frage, war doch so ein Anlass immer auch ein wichtiger Treffpunkt des Adels, um Neuigkeiten auszutauschen, alte Allianzen zu überdenken, neue zu schmieden oder profane Geschäfte abzuschliessen. Je nach dem wer der Glückliche war, würden in der Septimana und in den angrenzenden Baronien tatsächlich politische Bündnisse und Gleichgewichte neu ausgehandelt und austariert werden, wie sich in der Folge zeigen sollte.
Favoriten unter den Adligen und den phexischen Buchhaltern des Sewamunder Casinos waren denn auch Merkan von Farsid und Selchion von Sewamund, beides Söhne von Herzog Cusimo Garlischgrötz. Würde einer von ihnen die Hand Oleana di Bellafoldis gewinnen, würde dies den Einfluss Grangoriens über den Sewak hinaus nach Süden vergrössern. Sehr zum Ärger des Hauses Aralzin, Lehnsherrin Ruthors. Mangels männlichem Verwandten konnte Gräfin Hesindiane bestenfalls gute Miene zur Brautschau machen und versuchen über ihre drei auf dem Ball anwesenden, noch unvermählten Schwestern Einfluss auf deren Ausgang zu nehmen. Wohl aus den gleichen Gründen wie der Garlischgrötz gaben sich auch Graf Perainhilf von Firdayon-Bethana sowie dessen Neffe Alborn, zweiter Sohn des Fürsten von Vinsalt, die Ehre. Eine solche Gelegenheit, den Einfluss des Fürstentums an die Bucht von Grangor auszudehnen, konnte schliesslich kein Fürst verstreichen lassen.
Als Ehrengast und – anders als Gerüchte verlauteten – keineswegs als Kandidat gab weiter der Comto Seneschall, Cordovan von Marvinko, dem Ball der Baronin mit einem besonderen Glanz. Und der Comto wurde in der Tat öfters in tiefgehenden Gesprächen mit der ein oder anderen Dame Aralzin gesehen. Als offizielle Kandidaten, doch bestenfalls als Aussenseiter komplettierten schliesslich Mazarino von Shumir, jüngerer Sohn des Baron von Shumirs sowie Cuzio Ardismôr und Viburn Geremoni, beides Offiziere der Fürstlich Vinsalter Gardereiter und Sprösslinge eines der Vinsalter Gründergeschlechter den Kreis der Galane. Eindeutig kein Kandidat war auch der höflicherweise zum Ball eingeladene Colmar Luntfeld. Der Condottiere sollte im Auftrag des Kirschblütenthrons in den Domänen Serillio und Sfiriando nach dem rechten sehen und einige vorwitzige Räuber aus dem Arinkelwald zur Strecke bringen, die sich offenbar auf den verlassenen barönlichen Gutshöfen breitgemacht hatten.
Nach drei Tagen Tanz, Spiel und Wettbewerben verschiedener Art, mittels deren die Baronin den geeignetsten Kandidaten für sie und für die Interessen Ruthors herauszufinden hoffte, stand die Wahl des Bräutigams fest: Es war überraschend: Cuzio Ardismôr.
Weshalb der Spross einer Baronsfamilie, die der Zusammenbruch des Bankhaus Bosparan ruiniert hatte, von Baronin Oleana als idealer Kandidat betrachtet wurde (oder hatte ihre Wahl womöglich andere Gründe?) darf als echte Überraschung gelten. Anderseits ist vielleicht die Brautschau zu Ruthor nur der Auftakt zu einem politischen Boltanspiel dreier der mächtigsten Comti des Reiches und ihrer Vasallen um Macht und Einfluss in einem der fruchtbarsten Landstriche des Reiches.
FZ