In Sachen Ramaúd/Rahjadas Offenbarung

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert eine Szene abseits des großen Treffens auf Gut Zweiflingen.


9. Rondra 1036 BF:

Praiosstündliche Ruhe war mittlerweile über Gut Zweiflingen eingekehrt, an diesem 9. Rondra, der so außerordentlich turbulent begonnen hatte. Die meisten Gäste befleißigten sich einer Mußestunde in ihren Gemächern oder im weitläufigen Garten, und auch die Bediensteten hatten die Gänge weitestgehend verlassen.
All das war Adeptus Cassian di Salsavûr-Torese gerade recht, mochte er doch keine größere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Er kam gerade von den Gemächern des Herrn Carson, den er heute Morgen nur durch schnelles magisches Eingreifen vor größerem gesundheitlichem Schaden bewahren hatte können. Nun gut, der junge Edle hatte eine gute Konstitution und würde es überleben.
Bliebe noch zu klären, woher die Zigarillos kamen. Cassian war sich zumindest sicher wer sie NICHT geschickt hatte. Und vor den Gemächern dieser Person war der Adeptus nun angelangt und klopfte an die Türe. Er musste nicht lange warten bis von drinnen ein fragendes „ja, bitte?“ erklang.
Ohne Zögern betrat daraufhin der Belhankaner das Gästezimmer von Rahjada ya Papilio. „Der schönen Göttin, deren Namen ihr tragt, zum Gruße, werte Domna. Verzeiht mein forsches, unangekündigtes Erscheinen, aber ich denke es ist an der Zeit, dass wir uns in privatam unterhalten.“ Während die junge Dame, die an einem Sekretär saß und wohl gerade mit Schreibarbeit beschäftigt war, noch leicht verblüfft ihren unerwarteten Gast musterte, hatte sich dieser bereits einen Sessel zurecht gerückt und der Schreiberin gegenüber Platz genommen.
Schmunzelnd fuhr Cassian sodann fort. „Vielleicht ist Euch bereits aufgefallen, dass ich in den letzten beiden Tagen ein gewisses Interesse für Euch hegte. Nun, dies geschah nicht von ungefähr.
Unser Gastgeber hat mich vor einiger Zeit gebeten, Nachforschungen bezüglich sehr spezieller Korrespondenz, die er seit einiger Zeit erhält, anzustellen. Werte Domna Rahjada, ich weiß, dass ihr die Verfasserin der geheimnisvollen Liebesbriefe seid.“
Als die junge Dame bei diesen direkten Worten tief errötete und sich beschämt auf die Lippen biss, hob Cassian beschwichtigend die Hände: „Oh bitte, kein Grund verlegen zu werden. Im Moment bin ich noch der Einzige, der über dieses Wissen verfügt. Aber die Ereignisse heute Morgen haben die Lage verändert. Jemand hat sich den Umstand, dass der Baron eine heimliche Verehrerin hat, schändlich zu Nutze gemacht und ihm das vergiftete Rauchwerk sozusagen in Eurem Namen geschickt. Ich bin mir sicher, dass Ihr, werte Domna, mit dieser Sendung in keinem Zusammenhang steht, aber es werden Fragen gestellt werden und früher oder später wird Eure Identität enthüllt werden. Mein Rat ist, kommt dem zuvor. Noch könnt ihr Euch in aller Diskretion dem Baron offenbaren.“
Wenn man die Secretaria genauer in Augenschein nahm, war sie nicht hässlich, fiel Cassian auf. Doch sie war in eine Aura der Unscheinbarkeit, Unauffälligkeit gehüllt, die es leicht machte, sie nicht weiter zu beachten. Ein Mauerblümchen, eine graue Maus, dachte er.
Nun schien sie förmlich in ihren Stuhl zu kriechen, die Flucht zu ergreifen ohne sich zu bewegen. Ihre braunen Augen huschten hilfesuchend zur Tür, dann wieder zurück zu Cassian. Der Magier ertappte sich dabei, dass der Beschützerinstinkt in ihm aufwallte und schalt sich selbst. Von ihm ging doch keine Gefahr aus.
Endlich zwang sich Rahjada zu einer stockenden, halben Antwort: „Ihr wisst...? Warum...? Niemals hätte ich...!‟ Ihre leise Stimme zwang den Gegenüber förmlich, ganz genau zuzuhören. „Ihr glaubt, der Erste Rat... und die anderen Gäste... weil jemand davon wusste, dass er die Briefe... jene Schreiben erhält... von denen Ihr da sprecht?‟ Verzweiflung zeichnete sich in ihrer Miene ab. Ihr Besucher merkte trotz der Aufregung in ihrem Wesen den Drang, erst mehr zu erfahren, ehe sie ganz offen zu ihm sprechen würde.
Einen Moment noch musterte Cassian die junge Dame forschend mit seinen intensiv saphirblauen Augen, dann aber milderte ein beruhigendes, freundliches Lächeln seinen gespannten Gesichtsausdruck. Begütigend begann er etwas weiter auszuholen:
„Dom Gishtan war natürlich bestrebt herauszufinden, wer ihn mit rahjanischen Grußbotschaften bedenkt. Damit dies möglichst diskret geschieht, hat er mich ersucht, Nachforschungen diesbezüglich anzustellen. Es war nicht ganz einfach, hinter Eure Identität zu kommen, aber nun, Ihr seid sine dubio die Schreiberin der Briefe, und in den letzten beiden Tagen bin ich des weiteren zu dem Schluss gekommen, dass Ihr sie auch verfasst habt. Ihr seid die geheimnisvolle Verehrerin unseres Gastgebers.
Leider konnte der Umstand, dass es diese Briefe gibt nicht komplett geheim gehalten werden. Nichts fördert Tratsch und Klatsch mehr als die Aussicht auf eine Amourette. Wer auch immer nun versucht, Dom Gishtan daran zu hindern sein rechtmäßiges Erbe anzutreten, hat sich heute Morgen diesen Umstand zu Nutze gemacht und das vergiftete Rauchwerk „im Namen der heimlichen Verehrerin‟ geschickt. Durch diesen Vorfall, bei dem ja mehrere Personen damnum ad corpus erlitten, werden wohl nun auch in der Öffentlichkeit Fragen nach der Identität der Schreiberin gestellt werden.
Werte Domna Rahjada, es ist nur eine Frage der Zeit bis andere Personen ähnliche Schlüsse ziehen wie ich. Ob diese dann Euch ähnlich wohlgesonnen sind wie meine Person, ist eine andere Frage. Ihr seid unglücklicherweise in diese Kabale um die Baronie Ramaúd hineingezogen worden, und mein guter Rat an Euch ist: Wartet nicht ab, ergreift selbst die Initiative und offenbart Euch dem Baron. Geht selbst zu Gishtan und erklärt ihm, dass Ihr mit dem Anschlag von heute Morgen nichts zu tun habt. Ich werde die Wahrhaftigkeit Eurer Aussage gerne bestätigen und untermauern.“
Cassians durchdringender, musternder Blick ließ Rahjada einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Ob sie nicht doch einfach versuchen sollte. durch die Tür...? Nein, sie würde nicht weit kommen. Immer tiefer versank sie in ihrem Stuhl, schien kleiner zu werden und hätte sich offensichtlich am liebsten sofort in Luft aufgelöst.
Doch dann zeichnete sich ein mildes Lächeln auf dem Gesicht ihres Gegenübers ab, welches die Secretaria, beinahe hörbar, erleichtert aufatmen ließ. Der Erklärung ihres Gegenübers lauschte sie aufmerksam und ob der „Enthüllungen‟ bewegte sich ihre Kinnlade nach und nach vor Erstaunen nach unten. Wie war er ihr auf die Schliche gekommen? Sie hatte niemals gedacht, dass man so leicht auf die Herkunft der Briefe würde schließen können.
Doch das war nicht das schlimmste. Die aktuellen Umstände sprachen gerade von ihr als jener Verbrecherin, die Gishtan schaden wollte! Sie, die ihn doch von ganzem Herzen liebte! Mehr und mehr fraß sich dieser Gedanke in ihren Geist. Das konnte und durfte er nicht von ihr denken! Nicht Gishtan! Was der Rest der Welt dachte, war der Schreiberin völlig egal, aber wenn Gishtan schlecht von ihr dachte, würde er nie...
Wirr kreisten die Gedanken in ihrem Kopf. Als Cassian ihr rät, selbst zum Baron von Ramaúd zu gehen und sich zu offenbaren, weiteten sich Rahjadas Augen: „Ihr meint ich soll... Aber ich kann doch nicht einfach... Was wird er von mir...‟, stammelte sie, während sie noch immer mit beinahe ängstlichem Blick da saß. Angst - nicht vor ihrem Gegenüber, sondern vor der Reaktion des Mannes, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, ohne es ihm jemals direkt zu sagen.
Was sollte sie nur tun? Sie konnte doch nicht einfach zu Gishtan gehen und sagen: „Hallo da bin ich. Ich hab dir die Briefe geschrieben. Aber das mit den Zigarren war ich nicht... und übrigens: ich liebe dich.‟ Die Angst in ihrem Gesicht wandelte sich zu Verzweiflung, Ratlosigkeit.
Andererseits, was sollte groß passieren? Schlimmstenfalls würde er sie abweisen. Das wäre hart, aber damit musste sie sowieso rechnen. Aber die Sache mit den Zigarren konnte sie nur so klar stellen. Also war jetzt wohl wirklich der Zeitpunkt, sich zu offenbaren. Sie hatte ja von Anfang an gewusst, dass sie nicht in alle Ewigkeit beim Briefeschreiben bleiben konnte. Irgendwann hätte sie sich sowieso offenbaren müssen. Warum also nicht gleich heute?
So änderte sich ihr Gesichtsausdruck wenige Augenblicke später komplett. Entschlossenheit und Hoffnung zeichneten sich in ihrem Gesicht ab. „Und ihr würdet...‟, beinahe hätte sie 'mir beistehen' gesagt, „bestätigen, dass ich die Wahrheit sage? Dann.... ist es wohl wirklich an der Zeit, dass ich mich zu erkennen gebe.‟ Ein leises Seufzen entfuhr der Schreiberin. Dieser Gang würde wohl der schwerste sein, den sie bisher in ihrem Leben gehen musste.
Geduldig und mit einem möglichst neutralen Gesichtsausdruck wartete der Adept ab, bis die junge Frau ihre Überlegungen abgeschlossen hatte. Fasziniert beobachtete der Schöngeist dabei, wie sich ihre Empfindungen und Gefühle auf ihrem Gesicht widerspiegelten und es zum Leben erwecken.
„Macht man sich die Mühe, Rahjada länger und eingehend zu betrachten, findet man die verborgene Schönheit einer Jasminblüte‟, sinnierte Cassian leise lächelnd. „Klein und unauffällig, einzeln wird sie kaum wahrgenommen, sie geht in der Masse unter. Aber aus der Nähe besehen ist sie weiß und wunderbar symmetrisch, perfekt in ihrer simplen Schönheit. Wäre nicht ihr betörender Duft, viele würden sie einfach übersehen. „Ja, es passt. Aber sie könnte mit wenigen Handgriffen sehr viel mehr aus sich machen. Nun, vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit...‟
Der Belhanker wurde in seinen Überlegungen von Rahjada unterbrochen mit ihrer Frage: „Aber natürlich. Seht Ihr, ich hätte auch direkt zu Gishtan gehen können, immerhin bat er mich darum Nachforschungen anzustellen. Aber nun... ich bin Romantiker und der Rahja sehr zugetan. Es ist Eurem Anliegen bei weitem dienlicher, wenn Ihr persönlich mit ihm sprecht. Ich bleibe gerne, so Ihr das wünscht, an Eurer Seite oder beflissen im Hintergrund.“
Aus einer Anwandlung jenes Beschützerinstinkts, den sie bei ihm auszulösen schien, legte Cassian der Secretaria begütigend die Hand auf den Arm: „Er wird euch sicher Glauben schenken und Euch für Eure Gefühle bestimmt nicht tadeln. Nur, wie es um ihn selbst bestellt ist, das werdet Ihr nur herausfinden, wenn Ihr diesen Schritt wagt.“
Mit einem kurzen, abschließenden, ermunternden Druck seiner feingliedrigen Finger erhob sich der Magier und deutete Richtung Tür: „Wollen wir? Die Gelegenheit ist günstig. Noch herrscht nachmittägliche Ruhe und wir treffen den Hausherrn bestimmt in seinen Gemächern.“
Rahjada benötigte noch einen Moment um sich zu sammeln, erhob sich dann aber leicht nickend und nahm den angebotenen Arm des Magus. Der Belhankaner lächelt sie freundlich und aufmunternd an. Er schien tatsächlich ihr gegenüber wohlgesonnen zu sein, obwohl sich Rahjada nicht ganz erklären konnte, warum eine so auffällige Erscheinung wie dieser gutaussehende Adept überhaupt Interesse an einer grauen Maus wie ihr hegen konnte. Nun gut, zumindest würde sie neben ihm kaum jemand anderem auffallen.

Bis Rahjada an der Seite von Cassian die Tür zu Gishtans Räumlichkeiten erreicht hatte, war alles noch gut. Der Entschluss stand fest und die junge Schreiberin war sich ihrer Sache sicher.
Doch schon als Cassian an die Tür klopfte und sich und seine Begleitung meldete, wuchs die Angst. Was machte sie hier überhaupt? Sie konnte doch nicht...! Aber sie musste! Würde er sie...?
Selbstzweifel und Angst nagten an ihr, ließen sie fast sichtbar kleiner werden. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, aber offensichtlich waren die Bodendielen ihr diesbezüglich nicht wohlgesonnen.
Sie erreichten Gishtans Arbeitszimmer, ohne von irgendwem behelligt zu werden. So als wisse er um Rahjadas Unentschlossenheit, ob sie wirklich diesen Schritt wagen sollte, klopfte Cassian ohne langes Zögern an die Tür. Mit dem „ja, bitte“, das als Antwort von innen erklang, bleibt auch nur noch der Weg nach vorne.
Überraschung, Verwunderung, Verwirrung – der Gesichtsausdruck Gishtan re Kusts hatte etwas von alldem, als er erkannte, wer da seine Aufmerksamkeit verlangte. Zum ersten Mal, seit Cassian den Horasier kannte, wirkte dieser angespannt. Die übliche Gelassenheit, fast schon Lässigkeit, mit welcher Gishtan sich selbst zwischen hochrangigen Adeligen bewegte, fehlte.
Der Hausherr legte einen großen, leeren Bogen Büttenpapiers über die Unterlagen auf seinem Tisch. Rahjada hatte noch kurz erkennen können, dass die Blätter darunter mit Stichworten und Namen bedeckt waren, teils umkringelt, teils mit Fußnoten versehen, teils mit Linien verbunden.
Anstelle des Humidors, den beide Neuankömmlinge von früheren Blicken in den mit überraschend wenigen Dokumenten und Büchern gefüllten Raum kannten, sahen die Schreiberin und der Magus eine halbvolle Schale mit verschiedenem Obst auf dem Schreibtisch stehen. Nur der Geruch von kaltem Rauch und vergilbte Seidenbespannungen der Wände zeugten von seinem Laster.
„Tretet ein, Adeptus Cassian und... Signora ya Papilio‟, sagte der Vogt von Zweiflingen. Ihm fällt nicht einmal ihr Vorname ein, bemerkte der Belhankaner. Interessant.
Zugleich bemerkte, er wie die Dame an seinem Arm schon wieder förmlich zu schrumpfen begann, und sofort verwarf Cassian die Idee, die beiden sich selbst zu überlassen. Das würde nur in einem Fiasko enden. Mit zwei galanten, aber energischen Schritten geleitete er Rahjada zu einem Stuhl und rückte ihr diesen zurecht: „Signora Rahjada, bitte nehmt doch Platz. Dom Gishtan, die Dame Rahjada hat sich freundlicherweise bereiterklärt mir zu helfen, etwas Licht in den Vorfall heute Morgen zu bringen. Sie kann nämlich eine Aussage dazu machen, wer die Zigarillos nicht an euch geschickt hat.“
Während dieser einleitenden Worte trat Cassian etwas zur Seite getreten, seine Person aus dem Fokus der Aufmerksamkeit zu nehmen. Nun nickte er Rahjada noch einmal auffordernd zu und griff sich dabei einige Trauben aus der Obstschale.

Für die einleitenden Worte war Rahjada dem Magus dankbar. Sie war froh, dass er sie hierher begleitet hatte. Auf sein freundliches Drängen hin nahm sie Platz. Der Stuhl schien ihr viel größer als normal. Immer wieder hob sie den Blick in Gishtans Richtung, nur um ihn im nächsten Augenblick wieder zu senken. Ach könnte sie ihm doch einfach um den Hals fallen und ihm ihr Herz ausschütten. Könnte sie doch einfach sagen, was sie fühlte, ihm ihr Herz schenken... so dass er auch wusste, dass es das ihre war. Aber sie konnte doch nicht einfach...
Cassians auffordenrndes Nicken durchbrach ihre Gedanken, die sich wild und wirr in ihrem Kopf drehten. Sie blickte auf, sah Gishtan an und hätte, wie vorher auch, am liebsten verlegen den Blick sofort wieder gesenkt. Doch es half ja nichts. Nun war sie hier und hatte eine wichtige Aussage zu machen und der Blick ihres Angebeteten ruhte auf ihr - was die Sache auch nicht wirklich einfacher machte. Sie schluckte und seufzte kaum hörbar, dann begann sie zu sprechen, leise, zögernd, unsicher.
„Ich... also... heute Morgen... das mit den... Zigarillos...‟ Sie schluckte erneut. „Also... das war nicht... Ich meine... ich habe nicht... ich würde nie... ich hab die Briefe doch geschrieben, weil ich...‟ Sie schluckte erneut. Ihr Mund war so trocken. „...und nicht, um... Ich würde doch nie...‟ Sie atmete tief ein. Die Schamesröte stieg Rahjada ins Gesicht. Was sollte Gishtan nur von ihr denken? Sie brachte ja nicht einmal einen einzigen zusammenhängenden Satz zustande.
Während sie sprach, wanderte ihr Blick immer wieder nervös hin und her, zwischen Gishtan und dem Boden, in dem sie am liebsten versunken wäre, der ihr diesen Dienst aber nicht gewährte. „Ich... ich liebe Euch doch! Ich habe die ganze Zeit versucht Euch, ...aber...‟ Beinahe erschrak sie selbst über ihre Worte. Hatte sie ihm das gerade wirklich gesagt? Direkt? Wort für Wort? Nun war es raus. Die Erkenntnis ließ kurz einen Funken Erleichterung aufkeimen, der sogleich der Angst wich, wie Gishtan wohl reagieren würde.
Der Signor, der schon bald Baron sein wollte, blickte Rahjada sichtlich überrascht direkt an – eine für sie schier unerträglich lange Zeit. Wenn er das noch länger täte, würde ihr das Herz unweigerlich zerspringen!, war die Schreiberin sicher. Auf Cassian hingegen wirkte es, als kämpfe Gishtan gegen etwas an.
Diesen Kampf schien er letztlich zu gewinnen. Ein unerwartet freundlicher, erleichterter Zug stahl sich in seine zuvor verwunderte Miene. Re Kust stand von seinem Schreibtisch auf, umrundete das Möbel und trat dann vor Rahjada. Cassian beherrschte sich, die bitteren Traubenkerne nicht aus dem Mund zu nehmen und lediglich still zu beobachten.
Unvermittelt sank Gishtan vor Rahjada auf die Knie. Er ergriff ihre linke Hand, führte sie erst an seine Lippen und dann zu seinem Herzen: „Es ist nicht leicht, ins Sonnenlicht zu treten, wenn man gewohnt ist, im Schatten zu wandeln, nicht?‟, stellte er mehr fest als dass er fragte. „Vier Götterläufe lang seid Ihr im Verborgenen geblieben – und wart doch oft so nahe, ohne mich das wissen zu lassen‟, erinnerte er sich an manche flüchtige Begegnung mit der unauffälligen, jungen Frau.
„Ich habe versucht herauszufinden, wer mir die „geheimnisvollen Briefe‟ schickte. Bis heute war dies ohne Erfolg. Doch obwohl ich mir oft gewünscht habe, das Geheimnis meiner heimlichen Verehrerin früher zu lüften, hättet Ihr kaum einen besseren Zeitpunkt wählen können, Euch mir zu offenbaren. Ich danke Euch dafür.‟
Der jungen ya Papilio schien eine Last von den schmalen Schultern zu fallen. Aber Gishtan war noch nicht fertig: „Ich glaube Euch, dass Ihr mir nicht schaden wollt. Um so perfider war der Giftanschlag auf mich und meine Gäste. Wog ich mich doch in Sicherheit, da die Cigarillen von meiner Verehrerin stammen sollten. Eure... Zuneigung zu mir derart zu missbrauchen ist infam und eine Schändung der Göttin, deren Namen Ihr in dem Euren tragt. Wer dies beauftragt hat, wird dafür büßen. Für die Verletzten – und für den Betrug an Euch, der Eure Intention schändlich verdrehte.‟
Er stand auf und zog Rahjada sanft von ihrem Stuhl hoch. Er hatte nun beide ihrer Hände ergriffen. Seine graugrünen Augen ruhten fest auf ihren grauen: „Wollt Ihr mir dabei helfen, nicht allein den Anstifter dieser Missetat dingfest zu machen, sondern all seine Pläne zunichte zu machen?‟
Die Signora nickte wortlos, und Gishtan fuhr fort: „Seid Ihr bereit, mein Wohl, mein Schicksal, in Eure Hände zu nehmen? Antwortet nicht zu schnell, denn ich müsste viel von Euch verlangen. Und womöglich werde ich bereits in drei Tagen ein Stern an Phexens Himmel sein, falls ich das Duell gegen meinen Halbbruder verliere. Wer würde Euch da verdenken wollen, wenn Ihr Euch nicht an mich binden wolltet?‟

In seiner Ecke hielt Cassian den Atem an. Um nichts auf Dere wollte er die beiden stören. Bei Rahja, was für eine ergreifende Szene!

Als Gishtan so da saß und augenscheinlich ihre Worte auf sich wirken ließ, während er sie musterte, kreisten Rahjadas Gedanken wirr. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie spürte förmlich, wie der Angstschweiß sich seinen Weg bahnte. Nun würde er sie sicherlich... dieser Blick... Nie und nimmer...
Dann kam endlich Bewegung in den Herrn, und Rahjada wusste nicht so recht, wohin sie ihren Blick wenden sollte. Ihre Anspannung, so hatte sie den Eindruck, war im ganzen Raum zu spüren.
Doch was nun geschah, damit hätte die junge Schreiberin nie im Leben gerechnet: Der Signor kniete vor ihr nieder und ergriff ihre Hand. Sanft spürte sie den Hauch seiner Lippen auf ihrer Hand, spürte den feinen Stoff seiner Kleidung, als er ihre Hand zu seinem Herzen führte. War das ein Traum? Geschah das grade wirklich? Rahjada spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss und wusste nicht wie ihr geschah. Sie hörte seine Worte, aber der Sinn erschloss sich ihr nur langsam.
Er hatte ihre Hand ergriffen... Diese Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Blitz, was sich nach außen hin in einem erstaunten, fast erschockenen Einatmen zeigte. Doch bewegte sich ihre Hand keinen Deut. Seine Berührung löste ein Kribbeln aus, brannte wie ein Feuer... aber ein angenehmes, wärmendes Feuer...
Wie lange hatte sie sich nach seiner Berührung gesehnt? Nun saß sie hier und er kniete vor ihr und hielt ihre Hand fest umschlossen. Bei den Zwölfen, konnte Satinav nicht die Zeit einfrieren, um diesen Moment, dieses Gefühl ewig währen zu lassen?
Er sprach von Sonnenlicht und Schatten, aber was er damit meinte, darüber konnte sie im Augenblick nicht weiter nachdenken, spürte sie doch noch immer, wie sich dieses Kribbeln weiter ausbreitete, nach und nach ihren ganzen Körper durchschauderte und sich dann irgendwo in der Magengegend konzentrierte, wie ein Schwarm Schmetterlinge, die wirbelnd und tanzend durch die Luft flatterten.
Dann stand Gishtan auf, ergriff ihre andere Hand, zog sie sanft nach oben und blickte ihr in die Augen. Oh, dieser Blick, diese Augen... Sie konnte ihren Blick diesmal nicht abwenden; wollte es auch gar nicht. Sie hätte sich in seinen Augen verlieren können...
Doch er sprach weiter, und auch wenn ihre Gedanken wild kreisten und sie kaum in der Lage war, den Worten zu folgen, weil ihre Gefühle sich eine wilde Hetzjagd im Glückstaumel boten und wirr kreisten, so verstand sie doch irgendwie, dass er ihr gerade zu verstehen gegeben hatte, dass er bereit war, sie als Gefährtin an seiner Seite zu haben. Diese Augen... Noch nie hatte sie gewagt sich so in ihnen zu verlieren. Doch dann drangen die letzten Worte an ihr Bewusstsein und rissen sie jäh aus dem Glückstaumel. Drei Tage... das Duell!

Kurz schloss sie die Augen und versuchte sich zu sammeln, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie atmete tief durch und sprach dann - ihm gegenüber das erste Mal heute in einigermaßen zusammenhängenden Sätzen: „Seit Jahren gehe ich still ich an Eurer Seite und habe im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten versucht, Euch Freude zu bereiten, Leid von Euch fern zu halten. Wie könnte ich Euch in diesen schweren Stunden alleine lassen? Ich... ich liebe Euch, Gishtan re Kust, egal was das Schicksal für Euch und mich geplant hat. Doch mögen die Zwölfe es fügen, dass ihr in drei Tagen... nicht... verliert.‟
Sie blickte ihm, während sie sprach, direkt ins Gesicht und ließ ihren nun standhaften Blick keinen Deut weichen. Glück und Sorge lieferten sich einen Kampf. Er hatte sie nicht verstoßen, nein, er würde sie sogar annehmen... aber was wenn er in drei Tagen...?! Nein, daran wollte sie gar nicht denken.
Unvermittelt ließ sie ihren Kopf an seine Schulter sinken, lehnte sich an ihn, atmete tief durch - war es vor Erleichterung? Wie gut er roch! Wie schön es sich anfühlte ihm endlich richtig nahe sein zu können, ihn zu berühren. Ihre Anspannung war verflogen. Sie stand nun da, den Kopf auf Gishtans Schulter, ein glückliches Lächeln im Gesicht und... glitzerte es da nicht feucht in ihren Augen?

Gishtan zog die zierliche Schreiberin an sich, schloss sie in seine Arme, wie um sie zu schützen. Vor der allzu oft nüchternen, ja, kalten Wirklichkeit würde er das nicht auf Dauer können, bedauerte er bei sich. Bald musste er sie erkennen lassen, auf welchen einsamen Pfaden mit Gefahren zu beiden Seiten er meist schritt, und was es bedeuten mochte, wenn sie ihn wirklich darauf begleiten wollte.
Doch diesen Moment, jetzt, wollte er Rahjada nicht nehmen. Er schnupperte lautlos und erkannte den Duft des teuren Parfüms, das stets an ihren Briefen gehaftet hatte. „Rahjas Hauch‟, hatte Cassian gesagt. Wie passend. Obwohl es für ihn jetzt eher „Rahjadas Hauch‟ sein würde.
Mit eindeutigen Blicken über den an seine Brust geschmiegten Haarschopf hinweg wies Gishtan den Magus zum Ausgang. Cassian lächelte, lautlos verstehend, und verließ das Paar. Für heute war sein Werk getan. Ohne Geräusch zog er die Türe von außen ins Schloss.


(cd, kae, wus)