Chronik Ramaúds/Stapellauf/Nachtwache

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen
Die druckbare Version wird nicht mehr unterstützt und kann Darstellungsfehler aufweisen. Bitte aktualisiere deine Browser-Lesezeichen und verwende stattdessen die Standard-Druckfunktion des Browsers.

Auge-grau.png

Überblick   Auf der Werft   Im Efferdtempel   Bei der Nachtwache   In der Roten Krone   Auf dem Grünen Platz   Im Spelunkenviertel   Wieder auf der Werft   Stapellauf   Steckbrief   Rahjadas Brief    

Bei der Nachtwache

Draußen auf der Treppe wurden sie von Poldoron ya Papilio und einem Soldaten empfangen. Der unbekannte Mann trug über seiner Lederrüstung den dunkelblauen Überwurf der Nachtwache und an der Schulter die beiden aufgenähten, roten Lederschiffchen, die ihn als Corporal auswiesen.
„Signora, Meisterin“, grüßte der junge Herold aufgeregt: „Corporal Murakio überbringt neue Kunde von der Ramaúder Nachtwache.“ Der Soldat salutierte vor Rahjada, die sich bemühte, gerade zu stehen und hoheitsvoll zu wirken – nicht einfach vor dem kräftigen Burschen, der sie deutlich überragte.
Murakio Bailer, richtig?“ Der Mann nickte, erkennbar überrascht, dass sein Name der Adeligen bekannt war. „Ihr hattet in der Nacht auf den 7. Efferd Dienst und habt ein Feuer in der Werft verhindert.“ Er nickte erneut und schien vor Stolz noch ein Stück zu wachen. Rahjada bedeutete ihm zu sprechen.
„Euer Hochgeboren, die Nachtwache hält einen Händler fest, angeblich aus Drôl, weil mit seinen Papieren etwas nicht stimmt. Unter seinen Waren sind verdächtige alchimistische Zutaten. Mein Kamerad meinten, man sollte Euch damit nicht behelligen, doch ich finde, dass Ihr bei der Vernehmung dabei sein solltet. Darf ich Euch zur Wache geleiten?“
Rahjada hielt ihre Aufregung nur mühsam im Griff, nickte aber: „Ihr dürft. Aber sprecht mich doch mit 'Signora' an. 'Hochgeboren' steht eigentlich nur meinem Gemahl zu. Die meisten Ramaúder machen diesen Fehler“, ergänzte sie halblaut zu Alesia, während die kleine Gruppe stadteinwärts lief. Poldoron voran, dann Rahjada und Alesia, zwei Schritt hinter ihnen der Corporal.

Alesia hatte geschwiegen, ebenso von den Ereignissen überrascht wie ihre Gastgeberin. Während sie durch Ramaúds Straßen gingen, forderte Rahjada sie nun aber mit leiser Stimme zum Sprechen auf: „Was haltet Ihr von alldem? Von dem, was die Geweihte gesagt hat? Und von diesem Drôler Händler? Meint Ihr, Gerüchte und Befragungen führen uns weiter?“
„Der Drôler Händler?“, hob die Degano an, „Vermutlich eine Finte, vielleicht sogar vom Attentäter selbst gelegt, oder aber einfach nur Zufall. Und die unstimmigen Papiere? Möglicherweise schlichtweg Unachtsamkeit. Versteht mich nicht falsch, Signora, ich wünsche mir wirklich sehr, dass der Täter endlich gefasst ist, aber findet Ihr nicht auch, dass der in Verdacht geratene Händler etwas zu offensichtlich ist? Ich meine, er hat einen Anschlag verübt, ist dabei nicht erwischt worden oder gar aufgefallen und lässt sich jetzt aufgreifen? Einfach so? Seltsam, nicht wahr?“
Alesia hielt einen Moment inne und sann nach: „Ob eine Befragung weiter führt, ist fraglich, aber einen Versuch ist es wert, und vielleicht stellt sich die ganze Angelegenheit dann auf eine Art und Weise dar, die wir noch gar nicht in Betracht gezogen haben, bestenfalls ist sie geklärt, obgleich ich das sehr bezweifle. Für wahrscheinlicher halte ich jedoch das, was Ihre Hochwürden gesagt hat: Eine Bedrohung von außen und von innen zur gleichen Zeit.“ Bei ihrem ersten Besuch hatte sie zwar beides angesprochen, aber es zu isoliert betrachtet. Was wenn es beides war? Eine Bedrohung von innen und eine von außen? Die eine bedingte die andere, untrennbar miteinander verbunden wurde das ganze so zu einem undurchschaubarem Geflecht?
„Traut Ihr dem Bruder der entlassenen Secretaria zu, dass er Vergeltung an Euch übt? Oder irgendjemand anderem? Derjenige muss ja nicht zwangsläufig selbst das Attentat verübt haben – die Person könnte jemanden damit beauftragt haben, was alles allerdings nur ungemein schwieriger machen würde“, führte sie weiter aus. „Hoffnung setze ich in vielerlei Dinge, Signora. Am meisten hoffe ich dabei darauf, dass die von Euch getroffenen Schutzmaßnahmen Wirkung zeigen – alles andere liegt in der Hand der Götter. Hoffen wir einfach, dass sie uns beistehen, besonders der Herr Efferd.“ Die Degano schien einen Augenblick außerordentlich nachdenklich. Dann wandte sie sich an die Signora und wollte nun von ihr wissen: „Was haltet Ihr davon? Was haltet Ihr von dem, was Ihre Hochwürden sagte?“
Rahjada grübelte eine ganze Weile. Während sie durch die schmalen Straßen der Stadt dem Gebäude der Nachtwache zustrebten, bemerkte Alesia, dass die Signora kaum Aufsehen erregte. Wäre nicht der mit wichtiger Miene voran schreitende Herold gewesen, kaum jemand hätte ihr Platz gemacht.
Endlich sprach sie: „Ihr habt Recht. Das wäre zu einfach. Der Händler kann nicht der Täter vom Efferdmond sein, der zurückkehrt und sich einfach schnappen lässt“, stimmte sie Alesia zu. Ein angestrengter Ausdruck trat auf ihr Gesicht: „Eine Finte, meint ihr? Eine Volte? Ein Ablenkungsmanöver? Ich wünschte, Gishtan wäre hier, aber... wie Helaya sagte...“ Sie brachte den Satz nicht zuende, aber ihre Begleiterin verstand, was sie meinte: „Wir müssen auch ohne den Baron weiterkommen.“
Rahjada nickte: „Ich darf nicht untätig bleiben, auf die Gefahr hin, dass etwas Schlimmes geschieht. Aber im Moment ist der Händler unsere einzige offensichtliche Spur. Selbst wenn er nicht direkt in die Sache verwickelt ist, so kann sein Auftauchen kein reiner Zufall sein, und er muss etwas wissen, was uns weiterführt. Wir müssen ihn befragen“, sagte sie entschlossen und ihre Stimme wurde zum ersten Mal fest.

Das Quartett erreichte einen kleinen, gepflasterten Platz, auf dem gerade einige Verkaufsstände und Buden aufgebaut wurden. Alesia bemerkte, dass sämtliche angrenzenden Gebäude mehrstöckig und einheitlich mit grünen Ziegeln gedeckt waren. Ein ansehnliches Gasthaus fiel ihr auf, über dessen Eingang eine rote Krone aus Holz baumelte. An einer anderen Stelle sah sie eine Schenke, über deren Eingang an Ketten ein verrosteter Hammer hing. Die Fenster waren zugenagelt, aber ein Schild an der Türe besagte trotzig: „Wir haben geöffnet!“
Das auffälligste Gebäude war jedoch ein wuchtiger Steinpalast mit einer breiten Treppe und einem Balkon, der auf den Platz wies. An einer Seite ragte der viereckige Turm auf, der in Ramaúd fast von überall her zu sehen war. Darin hingen die Glocken, die den ganzen Tag über immer wieder zu hören waren. „Die Halle des Rats“, beantwortete Rahjada Alesias neugierigen Blick. „Dies ist Sitz der Stadtverwaltung und des Maestros von Ramaúd. Und der Rat – die Signoria – tagt darin.“
Ein wenig zu eilig schritt die Signora daran vorbei und bog hinter Poldoron in eine weitere Gasse ein. „Um Eure Frage nach Secretaria Waliburias Bruder zu beantworten: Die Weltinskwants sind eine der „Hohen“, das heißt: einflussreichen Familien der Stadt. Dass Mendolo schlecht auf das Haus re Kust zu sprechen sei, weil mein lieber Gishtan Waliburias Dienste nicht mehr benötigte, erschiene mir... abwegig. Jedoch...“ Sie zögerte einen Augenblick. „Jedoch hat mein Gemahl einmal angedeutet, dass die Secretaria in dem Prozess gegen den Verschwörer Pandolpho Weyringer ausgesagt hat, den ehemaligen Kastellan von Schloss Ramaúd, der versucht hat, ihn vor dem Duell gegen seinen Halbbruder Kalman zu vergiften. Ob das alles zusammenhängt, vermag ich nicht zu sagen. Wenn überhaupt, so hätte ich eher gedacht, dass die Familie Weyringer ob Pandolphos Verbannung verstimmt wäre. Indes scheinen sie vollkommen damit beschäftigt, den Einfluss der Familie Pechstein in Ramaúd zu schwächen – und umgekehrt.“
Alesia horchte auf. Die Signora schien ja doch Einblick in die politischen Ränke in der Stadt zu haben. Dann aber langten sie schon an einem aus groben Sandsteinen gebauten Haus an, das durch zwei Hellebarden links und rechts der Türe sowie eine Sturmlaterne über jener kenntlich gemacht wurde: „Dies ist das Haus der Nachtwache“, erklärte der Herold Poldoron überflüssigerweise.
Durch eine eisenbeschlagene Bohlentüre gelangten die Besucherinnen in die Wachstube, wo sie von einem schnauzbärtigen Sergeanten namens Bavo empfangen wurden. Er entschuldigte sich wortreich für „Corporal Murakios Übereifer“. Jener sei der Meinung gewesen, man müsse die Baronin unbedingt dazuholen – dabei habe sie doch fraglos Wichtigeres zu tun. Aber da Ihre Hochgeboren den Weg hierher auf sich genommen hatte, würde er sie natürlich nicht wegschicken wollen.
Durch einen düsteren Gang brachte er sie zu einer mit „Befragungszimmer“ beschrifteten Türe. Es roch nach Salzwasser, Moder, Schweiß und Langeweile. Bavo schob eine Klappe in Augenhöhe zur Seite, durch die die Frauen hineinblicken konnten. Ein grobschlächtiger Wachsoldat mit einem einzelnen roten Lederschiff auf der Schulter bewachte mit ausdrucksloser Miene einen grauhaarigen Mann mit Hakennase. Dieser saß an der einen Kante eines wackligen Tischs, zwei Stühle standen auf der gegenüberliegenden.
Sergeant Bavo schob die Klappe wieder zu und sah Rahjada erwartungsvoll an: „Wie wollt Ihr mit ihm verfahren, Hochgeboren?“ Die Signora wand sich unter dem Titel und der Erwartung und blickte zu Alesia: „Ja... wie wollen wir nun verfahren, Meisterin?“
„Ihn befragen!“, erwiderte die Degano da eilig und nickte, um das eben Gesagte zu bekräftigen, beeilte sich jedoch hinzuzufügen: „Am besten von einem der Wachleute.“ Damit hoffte sie mehr oder wenige elegant von sich selbst abgelenkt zu haben. Alesia konnte vielerlei Dinge – Verträge verhandeln, Schiffe konstruieren, Schiffe bauen – aber jemanden befragen?
„Signora re Kust, ich schlage vor den Verdächtigen zu folgenden Punkten zu befragen beziehungsweise folgende Punkte zu klären: Handelt es sich bei ihm tatsächlich um einen Händler aus Drôl? Falls nicht, muss geklärt werden um wen es sich handelt und was er hier tut. Warum stimmen seine Papiere nicht? Es ist gewiss interessant, seine Erklärung dazu zu hören. Was sagt er zu seinen verdächtigen Waren? Warum führt er sie mit sich? Handelt er schon immer mit ihnen? Falls ja, dann kann er sich möglicherweise an einen Käufer erinnern.“ Sie hielt einen Moment inne und dachte nach. „Was macht er ausgerechnet jetzt in Ramaud, da die Rahjalina kurz vor ihrem Stapellauf steht? Hat er nachvollziehbare Gründe dafür? Möglicherweise hat ihn jemand beauftragt, wozu auch immer. Was weiß er über die Rahjalina? Ist ihm bekannt, dass diese Karavelle hier gebaut wird? Ist ihm bekannt, dass auf sie ein Anschlag verübt wurde? Was sagt er, wenn man ihn mit dem Anschlag konfrontiert und ihm der Täterschaft beschuldigt? Seine Reaktion sollte dabei aufmerksam beobachtet werden. Sind ihm Gerüchte über jene Tat zu Ohren gekommen? Falls ja, welche? Wo hat er sich zum Zeit des Anschlages aufgehalten und gibt es dafür Zeugen? Kennt er den Baron? Möglicherweise gibt es eine Verbindung zwischen dem Baron und ihm.“ Erneut hielt sie inne, holte Atem. „Und dann, dann werden wir weiter sehen.“, sie wandte sich an die Baronin und senkte dabei ihre Stimme etwas, weil sie sie nicht erschrecken wollte, „Signora re Kust, habe ich etwas vergessen?“
Rahjada zuckte zusammen, als sie jäh wieder direkt angesprochen wurde: „Nein… oder… doch: Vielleicht noch, mit dem Verkauf welcher Alchimika genau er sein Geld verdient, und womit, noch konkreter, er hier in der Stadt handeln wollte. Und Soldat Azalio – das ist derjenige Nachtwächter, der drinnen steht und den Verdächtigen bewacht“, erklärte sie Alesia, „sollte ihn über Details zu dem Brandanschlag befragen. Immerhin hat er zusammen mit Corporal Murakio in jener Nacht das Feuer entdeckt und gelöscht – vielleicht erinnert er sich an Einzelheiten, die auch der angebliche Händler nur dann wissen kann, wenn er der Täter gewesen wäre. Sergeante Bavo, würdet Ihr, bitte…?“
Alesia wunderte sich im Stillen: Die Signora schien sich weit intensiver mit dem Geschehen auseinandergesetzt zu haben, als es anfangs den Anschein gehabt hatte. Und sie schien jeden der Nachtwächter zumindest namentlich zu kennen – ob das für alle Menschen in den Diensten der Stadt und des Barons galt?
Der schnauzbärtige Wachsergeant drückte seine tonnenförmige Brust heraus, setzte eine wichtige, strenge Miene auf und öffnete zuerst die Sichtklappe, dann die Türe, trat in das Befragungszimmer und schloss den Zugang wieder. Die Frauen sahen durch die Öffnung seinen Hinterkopf und hörten seine Stimme, als er Platz nahm und den Grauhaarigen zu befragen begann: „Genug geschwiegen, Alter. Du wirst jetzt einige Fragen beantworten. Und sprich deutlich, damit man dich gut versteht.“
Der Mann wirkte eingeschüchtert. Bavo schob einige Notizen vor sich auf dem Tisch herum ehe er zu fragen begann: „Du bist…?“ „Hakan Klapprer, Händler aus Drôl.“ „In diesem Zollpapier steht aber, dass du aus Ohzara im Großemirat Mengbilla stammst und Hakan ibn Tulaf heißt.“ „Ja, wisst Ihr, Herr… das stimmt auch...“ „Dann bist du unter falschem Namen in unsere Stadt gekommen!“ „Nein, das nicht, Herr… im Süden bin ich unter meinem Geburtsnamen tätig, im Horasreich als Klapprer, denn das ist mein Berufsname.“ „Das ist ja lächerlich!“ „Wenn Ihr das so empfindet, Herr, aber Klapprer merkt man sich hierzulande viel leicht, und es umgeht überflüssige Fragen, etwa ob ich zu de Zwölfen bete oder zu Rastullah.“
Bavo zwirbelte seinen Bart und schien zu überlegen, welche Fragen ihm Alesia noch aufgetragen hatte: „Das werden wir prüfen“, sagte er dann mit drohendem Unterton. „Bis dahin bleibst du unser Gast.“ Er lachte über seinen eigenen, schwachen Witz, und der an der Wand lehnende Azalio fiel ein.
„Genug davon. Erzähl mir, was du mit folgenden Waren in Ramaúd wolltest: Alaun. Kautschuk. Pech. Schwefel. Seifen. Steinöl. Zwergenkohlenstaub. Alles alchimistische Erzeugnisse, habe ich mir sagen lassen.“ Hakan faltete seine Hände und sagte fast entschuldigend: „Damit handle ich, Herr. Ich kaufe alchimistische Grundstoffe in Produktionsorten im Emirat, bringe sie mit Maultieren und Küstenseglern in horasische Städte und verkaufe sie dort mit Gewinn. Natürlich bezahle ich Zollgebühren, wenn ich die Grenze überquere“, fügte er hinzu und deutete auf ein Dokument, das vor dem Sergeanten lag.
„Aber in Ramaúd bist du zuvor noch nicht gewesen“, stellte der fest. „Das ist richtig, Herr. Ich wollte die Waren eigentlich an Abnehmer in Kuslik veräußern. Aber die Geschäfte liefen schlecht – da hat mir jemand geraten, die wenigen Meilen Weges nach Ramaúd auf mich zu nehmen: Für diese alchimistischen Stoffe gebe es hier Abnehmer.“
Der Nachtwächter frohlockte: „Das muss ja jemand gewesen sein, der hier bekannt ist. Der könnte deine Geschichte bestätigen. Wie hieß er?“ „Ich habe ihn erst in Kuslik kennengelernt. Er nannte sich Alricio Usitatus.“
Während Bavo das gewissenhaft aufschrieb, kam Leben in Signora Rahjada. Aufgeregt ließ sie Corporal Murakio das Verhör unterbrechen und seinen Vorgesetzten aus dem Befragungszimmer holen. Als die Tür geschlossen war, brach es aus ihr heraus: „Usitatus?! Nur Ungebildete lassen sich von einem solchen Namen täuschen! Das heißt auf Bosparano nichts anderes als 'Alrik der Gewöhnliche', also der übliche Verdächtige!“
„Signora, ich kann es nicht fassen. Ich kann es einfach nicht fassen, wie man so… so… so...“ Alesia rang nach Worten und hatte so einige im Sinn, doch kein einziges davon wollte sie vor der Baronin benutzen. Sie wollte sie nicht erschrecken oder viel mehr verschrecken, sie war doch so ein zartes, unschuldiges Ding. „…ungebildet sein kann! Wie kann man nur… so dumm sein!“
Einen Moment hielt sie inne, versuchte sich zu beruhigen: „Er soll diesen Alrik beschreiben, dann kann man versuchen nach ihm zu suchen, aber vermutlich wird auch das nicht der Täter sein, sondern nur ein Mittelsmann. Was meint Ihr Signora, wie soll es weiter gehen?“
Rahjada nickte: „Sergeant, tut wie die Meisterin vorschlägt. Der des Bosparano unkundige Drôler oder Mengbillaner soll seinen… Wegweiser so genau wie möglich beschreiben. Dann lasst Ihr die Beschreibung kopieren und allen Mitgliedern der Nachtwache verlesen, ebenso den Bütteln des Marktvogts...“ Bavo setzte zu einem Einwand an, waren sich Wächter und Büttel doch selten grün. Doch Alesias warnender Blick hieß ihn schweigen. „...und den Mercenarii der Baronsgarde, die mein Gemahl in der Werft postiert hat. Alle sollen Ausschau halten. Ach… ich werde einfach auch selbst eine Abschrift anfertigen.“ Mit einem Mal strahlte die Signora geradezu vor Tatendrang.
Hakans Beschreibung des „üblichen Verdächtigen“ wirkte überraschend genau: Ein drahtiger Mittelländer mit sonnengebräunter Haut, dunkelbraunem Haar und braunen Augen. Von der Kleidung her am Meer tätig, vielleicht als Seehändler. Hakan war der etwas harte Akzent aufgefallen, mit dem der Mann Horathi sprach, so als ob er lange in einer der Südkolonien gelebt habe. Und noch etwas: Der Fremde hatte eine Brühnarbe auf dem linken Handrücken gehabt, über welche eine eine schwarz-gelben Eidechse tätowiert war.
Rahjada rollte das kleine Papyr zusammen, auf das sie diese Worte in sauberer, kleiner Schrift fixiert hatte, um es in ihre Umhängetasche zu stecken. „Das ist doch schon mal etwas. Jetzt müssen die Wachen nur noch die Hände aller in die Stadt Kommenden überprüfen, dann haben wir vielleicht schon bald den Mittelsmann, wenn nicht gar den wahren Brandstifter“, sagte sie zuversichtlich. „Nun aber sollten wir eine Gaststätte aufsuchen und speisen, um bei Kräften zu bleiben. Welcher Spur sollen wir danach nachgehen?“, fragte sie unternehmungslustig.
Alesia war unschlüssig und zuckte mit den Schultern. Hätte Rahjada gefragt, wie man die Feuerfestigkeit des beim Bau der Rahjalina verwendeten Holzes noch weiter erhöhen könnte – die Antwort wäre rapide wie eine Rotzenkugel gekommen. Aber von criminalistischen Nachforschungen verstand sie als Schiffsbaumeisterin doch nichts.
Die Signora schien ihre Gedanken erraten zu haben: „Mit leerem Magen kommen auch mir auf fachfremden Gebieten nur schwer gute Ideen. Lasst uns in der 'Roten Krone' einkehren. Die Speisen sind ordentlich, und man hat aus dem Obergeschoss einen guten Blick über den Grünen Platz. Sicher fällt uns dort leichter, unseren nächsten Schritt zu überlegen.“