Briefspiel:Träume von Salkya/Splitter-Séance im Haus der Schlange

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Briefspielgeschichte aus: Stadt Urbasi.png Briefspiel in Urbasi
Zyklus: Übersicht · Zeittafel · Nachforschungen · Karten · Aramir bei den dell'Arbiato · Splitter-Séance im Haus der Schlange · Cordovans Vision
Datum (aventurisch / irdisch): ab 18./19. Phex 1034 BF / ab September 2012
Beteiligte (aventurisch / irdisch): siehe Übersichtsseite / Familie Aspoldo.png Aspoldo, Familie Cirrention klein.png Cirrention, Haus dell'Arbiato.png Dellarbiato, Haus Doren.png Dorén, Haus Urbet-Marvinko.png Gonfaloniere, Familie ya Ranfaran.png Ranfaran, Haus di Salsavur.png Rondrastein, Familie Solivino.png Solivino, Familie Dalidion.png Storai, Familie Carasbaldi.png ZarinaWinterkalt
Schauplatz: Urbasi, ausgehend von der Vorstadt Camponuovo


Splitter-Séance im Haus der Schlange

Autor: Gonfaloniere

Der junge Novize Orlan verfolgte das Geschehen im Tempel seiner künftigen Herrin, dem Haus der Allweisen in Urbasi, gespannt und aufmerksam. Einen solchen Auflauf adliger Herrschaften und gleichzeitig ein solch heimlichtuerisches Drumherum gab es selten. Die Hohe Lehrmeisterin Ingalfa übersah die Vorbereitungen für die anstehende Zeremonie bereits den ganzen Tag akribisch: Kerzen mussten exakt positioniert, Salz über bestimmte Bereiche des Mosaikbodens inmitten der großen, noch unfertigen Halle verstreut und verschiedene Instrumente und heilige Gegenstände herangeschafft werden. Die von den Novizen auf ein Zeichen der Hochgeweihten auszuführenden Gesten – darunter selbst das ihnen schon lange in Fleisch und Blut übergegangene Zeichen der Göttin – hatten sie unter Aufsicht etliche Male einüben müssen. Nun aber stand der Höhepunkt des Tages unmittelbar bevor.

Nach und nach waren namhafte Gäste im Tempel erschienen. Thespia, die Gesandte der Matriarchin und Mutter des Horas aus Kuslik, war die erste gewesen. Cinzia, die Hochgeweihte des Ingerimm, auf besonderen Wunsch Ingalfas geladen, wie Orlan erfahren hatte, folgte als nächste. Danach kamen Aramir, der Zyklopäer, wegen dem sie wohl überhaupt alle nun hier waren, Ingalfas jüngerer Bruder Darian, der Custos Relicti Bosparani, und schließlich Camilla, die Ardaritin, der man die Skepsis ob des unsicheren Bevorstehenden am deutlichsten anmerkte. Sie alle reihten sich in einen Kreis um das Zentrum der großen Halle, in dem ein einzelner, eigentlich unscheinbarer Gegenstand in einer Schale lag: ein Metallsplitter, poliert, mit einer scharfen Schneide an einer Seite und nicht minder scharfen Bruchkanten an den anderen.

Mesella, die einfache Geweihte und Mentorin, trat als erste vor, drehte sich dann zu den anderen Götterdienern um und sprach, während sie mit den Fingern über ihre Schläfen fuhr: „Herrin Hesinde, Allweise, und ihr anderen Himmlischen … schenkt diesen Sterblichen die Gabe, die Wahrheit zu erkennen, die Weisheit zu erleben und die Irrtümer des sterblichen Geistes hinter sich zu lassen, auf dass ihnen die Herrlichkeit eurer göttlichen Ordnung offenbar werde!“ Ein Stoßgebet, mehr war dies nicht – und doch schauderte es Orlan bereits ob des göttlichen Segens, den die Geweihte so erfleht hatte. Erschöpft zog sie sich in die Reihe der Umstehenden zurück.

Cinzia, die in ihrer deutlich abweichenden Tracht zwischen den ganzen Hesinde-Geweihten besonders auffiel, tat als nächste einen Schritt nach vorne. Sie fixierte nun ganz den Metallsplitter in der Mitte, als sie begann: „Dies ist ein Werk, das aus Feuer und Erz geschaffen wurde. Ingerimm, mein Herr, höre mich an und sage mir: Ist es Gold oder ist es Blei wert, was ich nun schauen werde?“ Und als sie sprach, begann sie bereits, den Gegenstand zu ertasten, ihn zu drehen, aus jeder Perspektive zu begutachten. Viele Momente verstrichen, ohne dass es den Anwesenden wirklich auffiel. „Von einer Schwertklinge, ganz unzweifelhaft … von einer hervorragenden … eines wahren Meisters Werk … vielfach gefaltet … ein Werkstück, in das die ganze Kunstfertigkeit seines Erschaffers hineingeflossen ist … einer Königin würdig!“

„Ach ne …“, vernahm Orlan leise den Kommentar Darians, der sich von der Liturgie der Ingerimm-Geweihten offensichtlich mehr erwartete, als ihm – von der Untersuchung des ersten Splitters? – schon so bekannt war. Selbst Darian hielt aber bei dem bestimmten ‚einer Königin würdig!‘ mit seinem Urteil inne. „Das Werk ist zerbrochen …“, fuhr die Hochgeweihte entrückt fort, „doch es war nicht der Fehler des Werks oder seines Erschaffers, dass es zerbrach! Einwirkung von außen hat es bersten lassen … dunkles Wirken … Finsterkeit … Nebel … Leere …“ Dann brach Cinzia vor lauter Erschöpfung zusammen. Rasch eilten ihr einige der Umstehenden zur Seite, fächelten ihr Luft zu, hoben ihren Oberkörper an. Es dauerte quälend lange Augenblicke, doch dann erlangte sie das Bewusstsein wieder zurück. Nur Orlan stand wie versteinert an seinem Platz. Und das Schaudern, das sich erst ob des göttlichen Segens ausgebreitet hatte, wich nun einer unbewussten, inneren Furcht vor dem, was dieser Metallsplitter noch an Geheimnissen bergen mochte.

„Es hilft ja nichts“, riss ihn die Stimme seiner eigenen Hochgeweihten wieder aus seinen Gedanken, „wir können jetzt nicht auf halbem Wege innehalten. Und die Göttin wird mit mir sein, dessen bin ich mir sicher …“ Ingalfas Worte wirkten nicht ganz so überzeugend, wie sie wohl beabsichtigt waren. Doch die Entscheidung war gefallen: Die Zeremonie sollte weitergehen.

Es war die Hohe Lehrmeisterin selbst, die nun vortrat. Sie atmete einmal betont langsam ein und wieder aus, schloss dann die Augen und betete: „Allweise! Allwissende! O himmlische Schlange! Siehe auf deines Kultes Kind! Lass mich sehen, was zu sehen mir nicht gegeben ist. O Meisterin der Magie und Zauberei! Lenke meinen Blick auf deiner Tochter Gabe. O Führerin der Weisheit, ich bitte dich, gewähre deiner Dienerin Sicht auf Madas Welt!“

Dass Ingalfa mit dem letzten Satz die Augen wieder öffnete, hatte Orlan gar nicht mehr im Blick, da er gespannt den Metallsplitter in der Mitte fixierte. Wie lange, das vermochte er wohl ebensowenig zu sagen, wie die meisten anderen Anwesenden. Ein Räuspern der Hohen Lehrmeisterin holte ihn wieder ins Diesseits zurück.

„Der Splitter ist von einer Aura der Kraft umgeben, soviel ist sicher“, begann Ingalfa ihren Bericht, „doch diese ist weitaus schwächer, als ich es selbst vermutet hätte. Und sie verliert offensichtlich noch an Intensität. Die elementare Komponente sticht noch am ehesten heraus … Welches Element? … Ich würde sagen … ja, bin mir eigentlich recht sicher … dass es die Erdkraft … das Wirken des Elements Humus ist, die dem Splitter anhaftet!“

„Bringt uns das weiter?“ Darians Skepsis machte selbst vor der eigenen Schwester nicht Halt. „Ich meine, bei einem Gegenstand, der offensichtlich eine ganze Weile in der Erde vergraben war …“ Den anschließenden Disput verfolgte Orlan aber nicht weiter, sein Blick war wieder ganz auf den Metallsplitter in der Mitte gerichtet …

„Nun denn, das ist wohl unsere letzte Chance für heute, also gut!“ Ingalfa schien mit den anderen hohen Herrschaften noch eine letzte durchzuführende Liturgie durchgegangen zu sein. Der erfahrene, schon ergreisende Geweihte und Magister Fastrado trat vor. Er zögerte kurz, nahm dann aber den Metallsplitter aus der Schale und begann uralte Wortfolgen in Bosparano und Aureliani zu rezitieren. Die Umstehenden, jedenfalls die mit den Gebeten des Hesinde-Kults vertrauteren Geweihten, Novizen und Akoluthen, stimmten von Zeit zu Zeit in die Litaneien ein. Auch Orlan sprach die eingeübten Gebete und wirkte bei den unterstützenden Gesten mit – der Metallsplitter war ohnehin in den Händen Fastrados geborgen und für ihn daher erstmal außer Sichtweite.

„Einer Königin würdig“, schien der entrückte Geweihte das Urteil Cinzias wieder aufzugreifen, „… für eine Königin geschmiedet … ein Schwur unter Kriegern … das Schwert erhoben … das Land zu befreien … vom Dunkelsinn … der selbst Geschwister entzweit … für einen Feldzug gegürtet … durch viele Städte getragen … gegen Plünderer und Marodeure gezogen … in der Schlacht bewährt … in die Schlacht getragen … in der Schlacht gezogen … in der Schlacht gebrochen … mit der Königin gefallen … unter dunklem Wirken … Finsterkeit … Nebel … Leere …“

Orlan konnte sich die Beschreibung des älteren Geweihten geradezu bildhaft ausmalen, wollte schreien, das Grauen aufhalten, in das sie nun unzweifelhaft stürzen würden – doch kein Laut kam über seine Lippen.

Es war Thespia, die Gesandte Aldares, die den älteren Geweihten geistesgegenwärtig aus seiner sich so verdunkelnden Vision riss, als ihn sie an seiner Schulter durchschüttelte. „Nicht alles ist es wert, gesehen zu werden“, rechtfertigte sie sich gegenüber den Anwesenden in das entstandene Schweigen dafür – und fügte noch an: „Jedenfalls nicht zu diesem Preis!“


Es dauerte danach noch eine ganze Weile, bis sich die illustre Gesellschaft im Haus der Allweisen zu Urbasi auflöste. Das Madamal lugte bereits durch das noch allzu große Loch in der Kuppel des dereinst wohl prächtigsten Tempels der Silberstadt, wie Orlan dann gewahr wurde. Wieviele Stunden mussten hier während ihres Treffens vergangen sein? Nicht wenige jedenfalls!

Als sie, die Novizen, endlich mit dem Aufräumen der großen Halle beauftragt wurden, pochte es noch einmal am großen Portal des Tempels. Es war der Praios-Geweihte Auricanius, Turaniter-Inquisitor und Vorgänger Darians als Custos Relicti Bosparani, der die Hohe Lehrmeisterin in einen lautstarken Disput über Verantwortung und Verantwortlichkeiten verwickelte. Ob es ihm wirklich in erster Linie um die Paragraphen irgendeines Edikts ging, oder doch eher darum, dass er wohl zu einem sehr bedeutenden Treffen des urbasischen Klerus nicht eingeladen worden war, das vermochte Orlan allerdings nicht zu sagen …