Briefspiel:Königsturnier/Wie zu Travianos besten Zeiten

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Horasturnier.png Geschichten am Rande des Königsturniers Horasturnier.png
Datiert auf: 25. Rahja 1038 BF Schauplatz: Arivor Entstehungszeitraum: August 2015
Protagonisten: verschiedene Mitglieder des Hauses Urbet Autoren/Beteiligte: Haus Urbet.png Gonfaloniere

Ungeduldig und missmutig: Baron Panthino von Urbet

Wie zu Travianos besten Zeiten

„Und er weiß, dass er sie mitbringen soll?“
Der Geweihte, dem diese Frage gestellt wurde, sog einmal tief Luft ein, die er sogleich wieder seinen Lungen entweichen ließ. „Weiß er es wirklich?“ Die Ungeduld des Fragestellers nahm langsam besorgniserregende Züge an.
Mein Bruder ist kein Idiot, Panthino“, antwortete der Geweihte nach einer Weile genervt, „auch wenn er sich manchmal wie einer aufführen mag …“
Der Baron neben ihm hatte dieselbe Frage – in leichten Variationen – schon ein halbes Dutzend Mal gestellt, seit sie beide auf der sich vor dem finalen Tjostwettkampf erst allmählich füllenden Tribüne Platz genommen hatten. Es war ausgemacht worden, dass alle wichtigen Familienmitglieder an diesem Tag in Arivor zugegen sein sollten – lange bevor seine Schwester so früh ausgeschieden war. Die Anwesenheit des jungen Horas und die bevorstehende ‚Krönung‘ eines Miles Horanthis gaben diesem Finale schon allein ein solches Gewicht. Natürlich wäre es ihnen lieber gewesen, zu dieser Gelegenheit einer Angehörigen des eigenen Hauses zujubeln zu dürfen. Diese Hoffnung hatte sich jedoch allzu schnell zerschlagen … und war der Sorge gewichen … der Sorge um die Schlüsse, die Yandriga daraus für sich selbst zu ziehen gedachte.
Dass die Cavalliera seit Tagen stumm knieend im Tempel der Herrin Rondra über dem Schwerterfeld ausharrte, war kein gutes Zeichen. Auricanius und Panthino hatten sie dort bereits aufgesucht, jedoch schienen all ihre Worte an der sturen Kriegerin abzuprallen. Nicht einmal eine Geste der Begrüßung ließ sie sich entlocken. Rondralio war darum nun ihre letzte Hoffnung, sofern er tat, was ihm in eiligen Briefen von Vinsalt aus aufgetragen worden war. Aber noch war er nicht in Sicht …
Auricanius‘ Blick suchte abermals die Kronstraße nach Süden ab, soweit die Gegentribüne dies zuließ. Sie hatten sich wohlweislich einen Platz gesucht, von dem aus man vor allem auch den Vorplatz des Tempels nicht aus den Augen verlor. Hunderte, ja Tausende Menschen bevölkerten das Schwerterfeld – und nur von hier schien man sie alle überblicken zu können.
„Contra torrentem“, erklang von weitem her schließlich ein Auricanius wohlbekannter Wahlspruch, der Wahlspruch des Lutisanerordens nämlich, dem sein Bruder vorstand. „Contra torrentem!“ Nochmal … und nochmal: „Contra torrentem!“ Und dann kam auf der Kronstraße auch endlich die Reisegruppe in Sicht, die diese Worte stolz herausbrüllte. Das riesige Banner mit der aufrecht schreitenden Löwin wehte ihnen voran, den Rittern in den polierten Rüstungen, ihren ebenso berittenen Waffenknechten … und den beiden achtspännigen Karossen, nach denen sich viele Umstehende umdrehten. Achtspänner waren dem Hochadel vorbehalten. Und auch wenn es davon am heutigen Tag nicht wenige in Arivor gab, minderte dies die Neugier der Popoli auf die Neuankömmlinge nicht merklich. Eine Gruppe staunender Reisender konnte sich erst im allerletzten Augenblick von der Straße retten, ehe die rücksichtslos durch die Menge galoppierenden Lutisaner herangeritten waren.
Auricanius wollte gerade etwas zum Baron neben sich erwidern, als er dessen missmütiges Kopfschütteln wahrnahm.
„Wie zu Travianos besten Zeiten …“, resümierte Panthino halb sarkastisch, halb resignierend. Dann kamen die Lutisaner vor der gewaltigen Freitreppe des Tempels zum Stehen. Einige sprangen von ihren Pferden und trieben Umstehende von den achtspännigen Kutschen weg. Rondralio selbst hingegen saß ab und schritt mit geradezu herrischem Gebaren und einer Handvoll Begleiter schnurstracks auf den wichtigsten Tempel Rondras im Horasreich zu …

Silberner Löwe auf Rot: das Banner des Lutisanerordens

„Und wenn ihr die Adjutantin des Erzherrschers persönlich wärt … das ist mir egal … meine Ahnin hat diesen Tempel schließlich erbaut!“
Der Valvassor von Urbet ließ die echauffiert aussehende Geweihte am Portal einfach stehen, während einer seiner Begleiter zurückblieb und sie zu beschwichtigen versuchte.
„Wo ist meine Schwester?“ Rondralios Frage schien mehr an ihn selbst gerichtet zu sein als an die Umstehenden, denn er suchte die große Halle bereits selbst nach der dunkelblonden Mähne Yandrigas ab. „Ah“, entfuhr es ihm ebenso unbewusst, als er sie kurz darauf entdeckte. Wenige entschlossene Schritte später stand er vor der im einfachen Wappenrock auf dem kalten Boden knieenden Älteren. Yandriga sah nicht einmal zu ihm auf, sondern schien gänzlich in ihren Gedanken versunken zu sein. Ihr Bruder musterte sie einige Augenblicke missbilligend.
„Wenn du glaubst, Yandriga, dass du deine Knappin bei mir loswerden kannst“, polterte er unvermittelt so lautstark los, dass ihm auch die Aufmerksamkeit der übrigen bislang in ihre Gebete versunkenen Anwesenden nun sicher war, „nur weil dich mal jemand zu früh aus dem Sattel geworfen hat, dann irrst du dich gewaltig!“
„Wie könnt ihr es wagen“, fachte dies zunächst den Widerstand der Geweihten im Hintergrund wieder an, die von den Begleitern des Valvassors aber geschickt von Bruder und Schwester abgeschirmt wurde.
Yandriga selbst brauchte einige Momente länger, ehe sie das Geschehen direkt vor ihr verarbeitet hatte. Zornesfalten zogen über ihre Stirn, als sie gewahr wurde, wer hier so tolldreist zu ihr sprach. ‘Du bist mein Bruder …’, schoss es ihr durch den Kopf, und sie wollte gerade gedanklich hinzufügen: ‘… gerade du solltest Verständnis für mich aufbringen …’
Rondralio aber polterte schon wieder los, wohl weil er unsicher war, ob seine Schwester ihn beim ersten Mal verstanden hatte: „Ich nehme dir deine Verantwortung nicht ab, Schwesterchen, nicht für deine Knappin und ebensowenig für deine Tochter, nur weil es dich in deiner Ehre kränkt, früh aus einem Turnier ausgeschieden zu sein.“
Die Angesprochene biss sich erbost auf die Zähne, sammelte noch Worte für eine Entgegnung, da fuhr der Valvassor bereits fort: „Ehrlich, Schwester, es interessiert mich einen Scheiß, was du dazu zu sagen hast. Erzähl’s deiner Knappin, oder deiner Tochter, wenn du willst … Ich hab dafür weder Zeit, noch verspüre ich Lust darauf, mir irgendeine Pseudo-Predigt anzuhören. Du bist keine Geweihte, Yandriga! Und du hast andere Verpflichtungen, die ich dir nicht abnehmen werde, nur weil du ein Turnier nicht gewonnen hast, von dem ich dir vorher sagte, dass sie es dich sowieso nicht gewinnen lassen werden!“
Yandrigas Gesichtszüge nahmen ob dieses respekt- wie skrupellosen Auftritts ihres Bruders eine zunehmend ungesunde Farbe an. Rondralio lächelte innerlich. Auf das nun unvermeidliche Wort-Gewitter war er indes weniger erpicht. Stattdessen winkte er seinen Begleitern, die daraufhin die Knappin und die Tochter Yandrigas vortreten ließen.
„Ah, guck, ich hab dir wen mitgebracht“, kam er seiner noch immer nach Worten ringenden Schwester gerade noch zuvor. „Ihr zwei bleibt bei ihr“, wies er die beiden jungen Damen an, „und du, Schwester, geh wohin du willst, aber die beiden hier, die nimmst du mit!“
Eine Antwort wartete er nicht mehr ab, sondern verließ den Tempel so plötzlich und überfallartig, wie er ihn betreten hatte.


‘Sie wird es sich überlegen.’
Rondralios Worte gingen Auricanius immer wieder durch den Kopf, seit er die jungen Comtessas am Vorplatz des Tempels in Empfang genommen und mit seinem Bruder im Grunde wenig mehr Worte als diese gewechselt hatte. Nachdem all sein eigenes Einreden auf Yandriga in den Stunden davor nichts gebracht hatte, gaben sie dem Geweihten Hoffnung. Sie machten ihn aber auch neugierig. ‘War es allein Tharindas Anwesenheit’, fragte er sich wieder und wieder, ‘die den Auschlag gab. Oder hat Rondralio einfach mehr Talent im Überzeugen, als ich es ihm bislang zutraute?’
Dann riss ihn das Zupfen Aurelianas an seiner Kleidung wieder aus den eigenen Gedanken. „Onkel, Onkel, ist das dort das Banner des Horas?“
Der Geweihte folgte dem Finger seiner jungen Toch… ähm … Nichte, und nickte dann zustimmend. „Genau das ist es, Aureliana, und das dort ist die kaiserliche Karosse, die einzige von zwölf Rössern gezogene im Horasreich.“
„Oh“, bekam er einen wortkargen Kommentar, der wohl auch der generell durchs Menschengewirr schweifenden Aufmerksamkeit der jungen Damen geschuldet war. Selinde flüsterte Rahjada währenddessen etwas ins Ohr, das diese kurz kichern ließ.
„Comtessa, Comtessa, Comtessa“, unterbrach der Geweihte die drei jungen Damen, „wisst ihr auch, was wir tun müssen, wenn das dort die Karosse des Kaisers ist?“
Er sah in fragende Gesichter.
„Wir müssen uns beeilen, denn der Horas scheint bereits hier zu sein … und wenn man eins nicht tun sollte, dann ist das was?“
„Ihn warten lassen?“ Diesmal war es Rahjada, die zögerlich zu einer Antwort ansetzte.
„Genau das sollte man nicht tun, richtig!“

Macht, was er will: Valvassor Rondralio von Urbet

Panthinos missbilligendem Blick entgegnete Auricanius direkt und mit einem entschuldigenden Lächeln: „Wir haben uns etwas aufhalten lassen.“ Dem eher gefühlskalten Baron war wohl bewusst, dass sein Vetter, der Geweihte, die allzu seltenen Gelegenheiten wie diese, die ihn mit den eigenen Nichten vereinten, sehr gerne auskostete. Einwände dagegen waren noch seltener, hingen aber fast immer damit zusammen, dass irgendein Zeremoniell oder Protokoll ‘unnötigerweise’ aufgehalten wurde. Hier beim Turnier würde derlei niemanden aufhalten, ein allzu spätes Erscheinen der eigenen Verwandtschaft auf der Tribüne wurde aber von vielen Umstehenden kaum weniger missbilligend registriert.
„Die Parade hat gerade angefangen“, wandte sich der Baron etwas versöhnlicher an Vetter und Nichten. Der Kriegeradel der Gerondrata ließ es sich traditionell nicht nehmen, vor dem großen Finale im Tjost dem Erzherrscher noch einmal seine Aufwartung zu machen. Die Anwesenheit des Horas hatte diesmal im Vorfeld einige Fragen aufgeworfen, ob sich dieser Teil des Zeremoniells aufrechterhalten ließe. Zumindest hier hatten sich die Traditionsbewahrer am Ende durchgesetzt.
„Ist der Horas überhaupt schon auf seinem Platz?“, fragte Auricanius den Baron, während er gleichzeitig hinter den Schleiern des kaiserlichen Podests mehr als nur Schemen zu erkennen versuchte.
„Sieht so aus“, kam als knappe Antwort zurück, ehe Panthino noch hinzufügte: „Die Tomraths und Taresellios haben auch schon eifrig vor ihm die Bücklinge gemacht.“
„Was die Parade weiter in die Länge zieht …“
„Allerdings.“ Panthino zuckte schicksalsergeben mit den Schultern.
„Contra torrentem“, ertönte da plötzlich wieder der Wahlspruch des Lutisanerordens und ließ die Familienmitglieder des Hauses Urbet ihre Köpfe nach den Verursachern umdrehen. Die Ritter des eigenen Hausordens bogen gerade auf die Turnierbahn ein, das gewaltige Löwinnenbanner stolz in den Himmel gereckt, die gerüsteten Streitrösser kurz am Zügel geführt.
„Das Paradieren beherrschen sie besser als je zuvor“, merkte Panthino weniger stolz als zynisch an.
„Müssen wir uns dafür schämen?“ Auricanius‘ Gegenfrage war rhetorischer Natur und erhielt auch keine Antwort.
Auf ein Zeichen Rondralios kam der ganze Zug zum Stehen. Der Valvassor selbst sprang behände vom Pferd, ehe er auf Höhe des Erzherrschers niederkniete.
„Mein Erzherrscher, ihr wisst, dass ich kein Freund vieler Worte bin. Dies sollte euch jedoch nie vergessen lassen, dass euch zuallervorderst meine unverbrüchliche Treue gilt. Und um dies mit mehr als nur ein paar Worten zu bekräftigen, habe ich euch ein Geschenk mitgebracht.“
Rondralio winkte wieder einem seiner Begleiter, der einen jungen Schimmel am Halfter führte.
„Dieses Geschenk erhaltet ihr von meinem Vetter, dem Baron …“ Rondralios Blick suchte und fand Panthino auf der Tribüne. „… und mir, dem Valvassor von Urbet. Dieses Hengstfohlen aus der Zucht von Leucano stammt von Netimueris ab, dem selbst ob der arkanen Angriffe des Hexagons unerschüttlichen Hengst Travianos, meines Bruders, des Fürsten von Urbasi. Es ist so furchtlos wie sein Vater und eurem eigenen Marstall darum gewiss eine besondere Zierde.“
Panthino erstarrte, als sein Vetter ausgerechnet auf den Fürsten zu sprechen kam. Der Erzherrscher gab durch eine kurze Geste jedoch zu verstehen, dass er das Geschenk annahm. Ein junger Ardarit nahm das Halfter des Fohlens. Rondralio saß auf, gab das Zeichen zum Aufbruch … und hielt erst inne, als er am Baldachin des Horas bereits halb vorbeigeritten war.
Die angedeutete Verbeugung vom Pferderücken vor dem Monarchen wirkte nicht einmal so, als wollte sich hier jemand besondere Mühe machen.
„Mein Kaiser“, fand der Valvassor diesmal tatsächlich nur zwei Grußworte, ehe er mit seinem Gefolge von der Turnierbahn verschwand …