In Sachen Ramaúd/Hesidions Angebot

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert die Begegnung Hesidion ya Côntris' mit Gishtan re Kust im Spielsalon "Mondlicht" am 8. Rondra 1036 BF.


Von einem Boten erhielt Gishtan an diesem Tag einen Brief:

Hochgeboren.
Riskiert nicht Eurer Leben für etwas, das bereits das Eure ist. Es gibt einen anderen Weg. Trefft mich morgen, am Wassertag, zur späten Phexensstunde im „Mondlicht“ östlich des Hesindetempels.
Ein Freund.

In der warmen Sommernacht herrschte selbst zu dieser späten Stunde in der Studiora noch keine Stille. Mancher saß noch vor seinem Haus an der Straße bei einem Glas Wein und grüßte die gelegentlich vorbei Spazierenden. So auch den Ersten Rat der Stadt Shenilo, der vom Mietstall in einer Nebenstraße her, worin er sein Pferd untergestellt hatte, in Richtung des Spielsalons „Mondlicht“ kam.
Ehe Gishtan re Kust die schmale Treppe zur Eingangstür hinab stieg, war er einen prüfenden Blick über die Schulter zurück, ob sein „Schatten“ noch da war. Er war es, und Gishtan signalisierte mit einem Nicken, dass alles in Ordnung war. Manjum Desihva, in der Stadt als sein Kutscher bekannt, würde in Rufweite warten. Es gab ihm Sicherheit, den Waldmenschen in der Nähe zu wissen.
Als er die glattpolierte Holztüre aufschob, drangen Rauch, gedämpftes Licht und leise Musik heraus. Bereits seit Einbruch der Dunkelheit saß der Rebec-Spieler Ogdan Zahin im Schankraum, ein weiterer Gefolgsmann re Kusts. Das fehlende Augenlicht machte dieser durch sein feines Gehör wett, und er fiel im „Mondlicht“ zudem nicht auf, weil dort immer wieder Musikanten aufspielten. Sein Dienstherr zweifelte nicht daran, dass Ogdan ihn am Geräusch seiner Kleidung und dem Takt seiner Schritte erkannte, als er eintrat.
Gerondrian, wie sich der momentane „Gastgeber“ des Spielsalons nannte, nickte dem Neuankömmling wortlos zu, als dieser vor dem Empfangstisch des Salons anhielt. Gishtan legte ein Goldstück und zwei Silbermünzen auf das rissige Holz: „Schenkt mir einen Becher Wein ein – vom Guten –, und einen für meinen Freund, der bald eintreffen wird“, sagte er in freundlichem Ton. „Oder wartet dieser schon auf mich?“
„Euer Freund erwartet Euch bereits‟, raunte Gerondrian dem Ersten Rat zu, während er mit einer flinken Bewegung seiner Linken die Münzen einstrich. Der „Gastgeber‟ griff nach dem Kerzenständer, der auf dem Empfangstisch stand und zwinkerte Gishtan zu. Dann wandte er sich um. Gerondrian schob einen weinroten Samtvorhang in der hinteren Ecke des Raumes beiseite.
Gishtan folgte ihm in einen schmalen, dunklen Gang. Nach einigen Schritten nahm er die Musik und das Gemurmel aus dem Schankraum nur noch gedämpft wahr. Der Gang war verwinkelt und von mehreren Türen gesäumt, allerdings gab es keine Fenster. Der „Gastgeber‟ öffnete die letzte Tür.
Gishtan re Kust fand sich in einem kleinen Hinterzimmer wieder. Er kannte den „Freund‟, dessen Einladung hierher ins „Mondlicht‟ geführt hatte. Der Raum war mit dunklem Holz getäfelt und nur von wenigen Kerzen erhellt. In der Luft hing der Geruch von schwerem Räucherwerk und Ilmenblatt. Bei dem „Freund‟ handelte es sich um niemand anderes als Hesidion ya Côntris, einen wohlhabenden Patrizier aus Côntris und ehemaligen Erbdrosten der gräflichen Vogtei Ober-Côntris. Gishtan kannte den älteren Herren bereits seit vielen Jahren, war dieser doch für lange Zeit auch Handelsmeister der Weinhandlung Yaquiria Shenilo gewesen. Seit seiner Parteinahme für Ludovigo von Calven-Imirandi während der Ponterranischen Landherrenhändel war Hesidions Stern jedoch stetig gesunken. Mit eiserner Faust sollte Hesidion damals als Statthalter Ludovigos die Einwohner von Côntris tyrannisiert haben – bis er von den wütenden Bürgern fast vom Leben zum Tod gebracht worden war. Seither hatte man von Hesidion ya Côntris nicht viel gehört, außer dass er sich auf sein Weingut zurückgezogen und eine junge Tochter aus dem Haus della Turani geehelicht haben sollte. Der Mann war in ein dunkles Wams gekleidet und seine Goldringe schimmerten im Licht der Kerzen. In seiner rechten Hand hielt der ältere Herr eine kunstvoll gewundene Pfeife, von der dicker Rauch aufstieg. Mit der linken Hand umklammerte er den beinernen Knauf eines Gehstocks.
„Baron Gishtan, Hochgeboren‟, begrüßte in der Côntriser mit leicht zittriger Stimme. „Verzeiht, dass ich Euch unter solchen Umständen treffe, und noch dazu in einem solchen Etablissement. Um so mehr freut es mich da, dass Ihr wirklich gekommen seit. Habt keine Sorge, Euch droht keine Gefahr. Ich bat Euch nur hierher zu kommen, weil das, was ich mit Euch besprechen will, für niemandes Ohren gedacht ist außer für die Euren. Gleicherweise muss ich Euch das Versprechen vor dem Götterfürsten abnehmen, über all das zu schweigen, was wir hier an diesem Ort besprechen.‟
Hesidion ya Côntris wirkte leicht fahrig und hob kurz seine zitternden Hände als er weitersprach. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Euer Bruder Euch nach dem Leben trachtet und nicht einmal davor zurückschrecken würde den Zwölfen zu freveln um seine Ziele zu erreichen. Gleichermaßen soll auch auf Kalman von Schelfing vor knapp einem Jahr ein Attentat verübt worden sein, für das er Euch nun zur Rechenschaft ziehen will.‟
Hesidion runzelte die Stirn. „Und wollt Ihr in wenigen Tagen einem gestandenen Kavalleristen im Duell entgegentreten – Baron Gishtan, mir bangt um Euer Leben. Doch wie Ihr schon in meinem Schreiben vernommen habt, gibt es einen anderen Weg. Wenn Ihr nur wollt.‟ Hesidions Stimme wurde leiser. „Jemand wie ich würde einem Ehrenmann, wie Ihr es seid, nie unlauteres Tun unterstellen. Und so will ich auch nicht glauben, dass Ihr etwas mit dem Attentat an Eurem Bruder zu tun habt. Und doch, Baron Gishtan, unritterliche Zeiten fordern bisweilen unritterliche Mittel. Euer Bruder ist Euch nicht wohlgesonnen, das wisst Ihr so gut wie ich. Wie sicher seid Ihr, dass der Kaiman nicht bereits einen mörderischen Vergeltungsschlag auf euch plant? Stellt Euch nur einen Moment vor, all Eure Probleme könnten im Verlauf einer Nacht gelöst werden. Heute Nacht ist diese Nacht.‟
Für einen Moment schwieg der alte Mann und sah Gishtan eindringlich an. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Für einen Moment war es Gishtan so als, sehe er ein verzücktes Flackern in den Augen des alten Patriziers. „Baron Gishtan, ich kenne Euch als ein Mann der Tugenden. Deshalb komme ich zu Euch um Euch eine schwere Bürde abzunehmen. Ich habe Freunde aus dem Süden, Ortsfremde, die sich der Sache annehmen würden. Ihr habt dabei nichts zu befürchten. Euer Bruder fiele einfach in den nächsten Tagen vom Pferd oder entschliefe auf einem anderen natürlichen Weg. Alles was ich dafür von Euch brauche ist euer ‚Ja‘.‟
„Sicherlich fragt Ihr Euch warum ich Euch mit so einem Vorschlag entgegenkomme. Ich versichere Euch, es ist die reinste Nächstenliebe wie von der Frau Travia gegeben. Wie könnte ich einem werten Freund und Bundesbruder einen solchen Dienst verweigern? Nur eine Bitte hätt‘ ich an Euch. So wie ich Euer Leben zu schützen trachte, schützt auch mein Leben und das Wohlergehen meiner Familie. Ich fürchte man trachtet auch mir nach Hab und Gut und Leben.‟ Wieder hob Hesidion kurz seine zitternden Hände. „Wie Ihr wisst bin ich der letzte Spross aus dem Geschlecht der Erbdrosten von Ober-Côntris, und damit der rechtmässige Herr des Albornshofes zu Côntris. Durch die Autonomie der Landstadt Côntris waren meine Rechte an Haus und Hof gesichert. Vor einigen Wochen musste ich jedoch erfahren, das der Baron von Côntris die Magistratur der Landstadt besticht. Durch solche Mittel will er seinen Einflussbereich auf die Landstadt ausweiten. Ich würde Euch als Ersten Rat bitten, alles in Eurer Macht stehende zu tun dies zu verhindern.‟
Mit dem Zeichen des Fuchses bekräftigte Gishtan die Vereinbarung, dass das hier Gesprochene zwischen ihnen beiden bleiben sollte, ehe er antwortete: „Ihr stoßt das Tor zu einer bequemen, breiten Straße auf. Auf den ersten Blick wirkt diese einladend. Ich könnte ohne übergroße Mühe ans Ziel gelangen, wenn ich darauf marschierte. Tatsächlich seid Ihr nicht der Erste, der mir den Schlüssel zu einem solchen Tor reichen möchte. Doch werdet Ihr gegebenenfalls auch nicht der Letzte sein, dessen Einladung zur anstrengungsfreien, raschen Reise ich in allem Respekt ablehnen werde. Von der breiten Straße zweigen viele Wege und Gassen ab, die in die Irre führen können. Ihr entlang lagern viele verborgene Gefahren. Der schmale, mühevolle Weg kann letzten Endes leichter und sicherer zum Ziel führen.“
Nach dieser verklausulierten Antwort senkte der Baron die Stimme etwas und führte weiter aus: „Ich danke für Eure Offenheit und diesen Vorschlag. Seid versichert, dass ich lange genug auf dem Parkett der politischen Belange tanze, um nüchtern zu erkennen, dass ein solches Vorgehen je nach Anlass, Situation und Zweck angebracht sein kann, ja, unter Umständen notwendig. Man kann in dieser Arena – um al‘anfanisch zu metaphorisieren – nicht immer rondrianisch fechten. Ihr versteht das“, schloss Gishtan den ersten Teil seines Gedankengangs.
Er legte in einer gewohnten Geste den linken Zeigefinger vor die Lippen, ehe er fortfuhr: „Was hätte ich bei einem solchen Vorgehen zu verlieren? Das einzige Schwert, das ich derzeit mit Wucht zu führen vermag – meinen guten Ruf -, und das Schild, das ich anstatt einer großen Hausmacht zur Verteidigung führe – den Glauben vieler an meine Integrität. Ich kann diese Waffen nicht leichtfertig von mir werfen, indem ich eine von Euch umrissene Maßnahme anordne, billige oder auch nur davon weiß und profitiere. Selbst wenn keine Mitwisserschaft meiner zu belegen wäre, so würde doch ein Rostfleck auf Schwert und Schild sprossen, falls dem Cavalliere etwas widerführe, was mir in Sachen Ramaúd nützte.“
Dann kam er zum wohl wichtigsten Punkt: „Nicht zuletzt ist Kalman der Kaiman – trotz allem – ein Blutsverwandter. Um meinen Bruder Oliphero trauerte ich sehr. Wie könnte ich mich da nicht dem Cavalliere stellen, der mir hinsichtlich des Verwandschaftsgrades fast genauso nahe steht, sondern einen Schlag von hinterrücks billigen? Sollte der Bruderkampf nicht zu vermeiden sein, nun, dann muss ich ihn eigenhändig austragen, kein Cavalleristo an meiner Statt. Und ich will Kalmans Leben soweit schonen als möglich.“
Schließlich ging er auf Hesidions Anliegen ein: „Auch wenn Ihr mir keine „Last“ von den Schultern nehmen, kein Tor öffnen, kein Hindernis von der Straße schieben könnt, so habt Ihr doch meine Aufmerksamkeit. Solltet Ihr Recht haben, und der junge Baron Einfluss auf Côntris‘ Stadtobere nehmen, würde mich dies überraschen. Phex‘sche Ränke schienen mir bisher noch nicht zu seinem Werkzeug zu zählen. Aber er mag gereift sein.
Aus realpolitischen Überlegungen heraus erschiene ein solches Vorgehen zielgerichtet. Gleichwohl wäre es kaum im Interesse der Sheniloer Patrizier, wenn der Baron Einfluss auf die Nachbarstadt gewänne. Daher werde ich meine Kontakte die Augen offenhalten und nach entsprechenden Entwicklungen Ausschau halten lassen. Allerdings sind meine Möglichkeiten in Côntris gering. Die direkteste Einflussnahme dort war bislang die Veräußerung der Villa Delgravo an das Handelshaus Changbari. Zusätzliche Gewährsleute würden es mir womöglich leichter machen, auf die eine der andere Entscheidung einzuwirken.“
Zitternd versuchte sich Hesidion zu erheben, doch die Erregung schien so groß, dass er sich wieder setzen musste. „Gewährsleute, Gewährsleute,‟ murmelte er und schüttelte dabei den Kopf. „Signor re Kust... seht nur die Zeichen der Zeit: Meine Verbündeten sind bereits dabei sich von mir abzuwenden. Mein eigner Neffe Daryl Brahl verleugnet unsere Allianz, weil er um seinen Ruf fürchtet. Der Schein ist ihm teurer als jeder Treueschwur. Seit geraumer Zeit bin ich im Palazzo Brahl kein gern gesehener Gast mehr. Und nun – vor einem Mond seid Ihr selbst Zeuge gewesen, wie Rahjadan Korbmacher, Gesandter der Wellen, ganz im Sinne des schändlichen Barons abgestimmt hat. Ganz wie dieser vermaledeite Daryl. Von meinem jungen Vetter Lucrezian Korbmacher habe ich erfahren, dass Dartan di Côntris den Korbmachers einen Reichtum an Pfründen versprochen hat, sollten sie sich bei den Magistratswahlen und in Côntris-Frage auf seine Seite stellen. Signore Gishtan, auf welche Gewährsleute wartet Ihr?‟
Wieder richtete sich Hesidion auf. Dieses Mal endgültig. Zitternd auf seinen Stock gestützt schlurfte er an Gishtan vorbei. Unter dem Türramen wandte sich Hesidion noch einmal um. „Noch bevor dieser Mond seinem Ende zugeht, wird Dartan di Côntris seine Ziele erreicht haben. Mögen die Götter uns gnädig sein, Signore Gishtan.‟ Mit einem letzten Nicken in Gishtans Richtung verließ der Alte ya Côntris den Raum.

(kb, wus)