In Sachen Ramaúd/Gishtan zu Gast im Palazzo di Matienna

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen

Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert die Unterredung Gishtan re Kusts mit Guiliana di Matienna im Garten des Palazzo di Matienna am 23. Rahja 1033 BF.


Die Nacht bricht herein

“... und wir bedauern euch mitteilen zu müssen, von einer Person dieses Namens nichts zu wissen... “ Guiliana wandte ihre Augen von einem auf billiges Papier geschriebenen Brief ab. “Wieder nichts!” Sie wandte sich Hauptmann Randers zu: “Ich strapaziere nur ungern eure Geduld, Hauptmann, doch fürchte ich, euch bald nach Grangor entsenden zu müssen. Etwas passt da nicht zusammen, ihr müsst diese seltsamen Medici, die anscheinend niemand kennt, finden und...” Prishya, ihre Kammerzofe kam herbeigerauscht, nicht ohne wie üblich dem Hauptmann einen verführerischen Blick zuzuwerfen. Bevor Guiliana sie zurechtweisen konnte, kündigte Prishya mit lauter Stimme an: “Anscheinend ist Signor re Kust eingetroffen und wünscht euch zu sehen!” Überrascht erhob sich Guiliana. “Das ging schnell. Die wievielte Stunde ist es?” “Um die achte Stunde, würde ich sagen.” antwortete diese. Erst jetzt bemerkte Guiliana, dass es schon dunkel wurde. Wie schnell doch der Tag vergangen war. Zu Prishya bemerkte sie: “Wie bitte, schon so spät? Nun gut, ich werde ihn hier im Garten empfangen, im Haus ist es ohnehin nicht auszuhalten. Sorg dafür, dass das Abendessen zubereitet wird, am besten genug für zwei.” Die Dienerin verschwand im Haus. Guiliana zerknüllte den Brief zu einer Kugel und warf ihn in das Wasserbecken. Gishtan war also tatsächlich ihrer Einladung gefolgt. Als sie ihre Gedanken für das Angebot, das sie Gishtan zu machen beabsichtigte ordnete bemerkte sie, dass der Hauptmann noch anwesend war. Sie drehte sich zu ihm um: “Die wichtigsten Angelegenheiten sind beendet, Randers, alles andere lasse ich per Post schicken. Ihr solltet nach Arinken reisen, ich muss mich um meinen Besuch kümmern.”

“Sehr wohl Signora.” Hauptmann Randers begann damit, die Dokumente auf dem etwas schief am Fuße der Bosparanie stehenden Tisch durchzugehen und bestimmte Papiere in seine geräumige Ledermappe zu stecken. Die verbleibende Zeit nutzte Guiliana noch, die Stühle ordentlich für ein Zwiegespräch aufzustellen und ihre Kleidung glattzuziehen. Den soeben eintretenden Ersten Rat nun versehentlich in dieser privaten Gewandung zu empfangen, dann auch noch am Abend, zumal sie in der Einladung nur von einem nicht näher bestimmten “Angebot” geschrieben hatte, konnte einen falschen Eindruck hinterlassen, hatte aber einen gewissen Reiz. Ihr Blick folgte dem Hauptmann, der den Garten zum Stall hin verließ, an den Blumenbeeten vorbei, aus denen mittlerweile die Grillen zirpten. Wie, als ob sie überrascht worden sei, wandte sie sich ihrem Besucher zu: “Seid gegrüßt, Gishtan, ich bin erfreut euch hier zu so später Stunde empfangen zu können. Ich war nicht sicher, ob Ihr meiner etwas ungewöhnlichen Einladung folgen würdet. Doch manche Dinge beredet man besser, wenn Boron das Land mit Dunkelheit bedeckt.”

Gishtan re Kust verbeugte sich, trat näher, ergriff die gereichte Hand und deutete einen Handkuss an: „... und Madas Scheibe unter Phexens Sternenbanner steht. Sehr richtig“, stimmte der alternde Diplomat zu. „Um so mehr danke ich für Eure freundliche Geste, mich in solch informellem Rahmen, hier, und zu jeder Zeit zu empfangen, wie es in Eurer Depesche stand. Leider hat es länger gedauert, bis ich einige Dinge geordnet bekam, und ohne Hast losreisen konnte, um Euch zu treffen. Zu Pferde wäre es wohl schneller gegangen, doch in unseren Ämtern muss man ja immer auch an die Außenwirkung denken: 'Sind Excellenz die Straßen zu holprig, sodass er nicht mit der Kutsche, sondern hoch zu Ross reist?', könnte das Landvolk sagen. Und man will ja den Straßen der Ponterra nur dort ein schlechtes Ansehen geben, wo Pertakis sie nicht ausreichend unterhält.“

Die Gastgeberin nickte wissend, ging aber zugleich in Gedanken jene Stellen in ihrem Herrschaftsbereich durch, die einer Ausbesserung bedürfen könnten. Dann lächelte sie distanziert und bat dem Ersten Rat, auf einem der beiden Stühle Platz zu nehmen, die sie zuvor zurchtgerückt hatte. Ganz ohne Gebaren lehnte Gishtan seinen Gehstock an die Wand und legte seinen Hut auf den Tisch, wie um den nicht förmlichen Charakter ihrer Begegnung zu betonen. Dann setzte er sich Guiliana gegenüber: „Es ist erbaulich, Euch in Sachen Ramaúd hinter mir zu wissen, Euer Hochgeboren. Nun bin ich erwartungsvoll, welche phexgefällige Handreichung Ihr mir geben möchtet. Nach den ersten Berichten aus Ramaúd scheint es vereinzeltes Widerstreben gegen mein gerechtes Ansinnen geben.“

Guiliana schaute überrascht auf zu ihrem Gast auf: “Tatsächlich? Um wen handelt es sich dabei?” Gishtan antwortete nur kurz: “Die Stadtmeisterin Pechstein, und Richter Weyringer.” Guiliana nickte verständnisvoll “Klangvolle Namen. Sie stehen für Reichtum und Gier, nicht wahr?” Gishtan wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte, doch Guiliana fuhr im selben Atemzug fort: “Solche Leute finden sich überall. Erst angezogen von Reichtum und Macht, machen sie es sich an den Fleischtöpfen bequem und sind schwer zu entfernen, sobald sie sich dort festgesetzt haben. Dort heißen sie Weyringer und Pechstein, hier wisst ihr ja selbst, wie ihresgleichen heißen. Ich kann nicht sagen, dass ich euch beneide, werter Gishtan. Ich bin nicht sicher, ob ich euch damit sofort helfen kann. Mein Vorschlag bezieht sich auf euer womöglich gefährlichstes Hindernis, passenderweise direkt vor unserer Haustür gelegen.” Guiliana brachte aus dem Haufen Papiere vor ihr ein Exemplar des Sheniloer Hesindeblatts zum Vorschein und reichte es Gishtan, der zwar in der fortschreitenden Dunkelheit wenig davon lesen konnte, die Ausgabe aber dennoch sofort erkannte. “Ich nehme an, ihr kennt diese Ausgabe sehr gut. Wie es aussieht habt ihr nicht nur in Ramaùd Gegenspieler.” Gishtan nickte. Hatte er etwa zuletzt dieses Problem zu sehr vernachlässigt? Der kurzzeitig eisige Gesichtsausdruck seiner Gesprächspartnerin gab ihm ein mulmiges Gefühl. Vorsichtig fragte er nach “Wie glaubt ihr, Kalmans Ansprüche vermindern zu können?” “Nicht vermindern.” Guilianas Stimme näherte sich einem Flüsterton an: “Für immer ein Ende setzen.” Gishtan begann zu ahnen, worauf sie hinaus wollte. Ihm ging durch den Kopf, dass er nur deswegen jetzt Guiliana gegenüber saß, weil Yasmina von Streitebeck unter immer noch ungeklärten Umständen verstorben war und tödliche Unfälle in der Familie seiner Gastgeberin allzu häufig vorkamen. War es möglich...?

Seine Gedanken wurden von Guilianas Dienerin Prishya unterbrochen, die einen Korb voll Gebäck und einen Tonkrug voller Wein auf den Tisch stellte und sich dann anschickte die im Garten verteilten Laternen anzuzünden, was einige groteske Schatten an Wände und Säulen warf. Guiliana hatte indes begonnen, ausführlicher zu werden: “Seine Position als Offizier von Pertakis macht ihn sehr verwundbar. Ein provozierter Grenzzwischenfall, ein nächtlicher Überfall, und schon kann er...” sie vergewisserte sich, dass die Dienerin schon gegangen war “... in Borons Hallen sein. Denkt darüber nach: Er hat keine Familie, keinen Rattenschwanz an vor Dukaten platzenden Weyringers oder Pechsteins, die Vergeltung üben könnten. Nur Pertakis, ohnehin unsere Feinde. Was hätten wir... hättet ihr also zu verlieren? Und ich denke, die passenden Mittel zu haben.”

Der Erste Rat nahm einen Schluck des leichten, zum Sommerwetter passenden Rotweins, ehe er antwortete. Das gib ihm einige Augenblicke Zeit nachzudenken und nicht vorschnell in die eine oder andere Richtung zu entscheiden. Einen Versuch, sein Unbehagen zu überspielen, unternahm er jedoch nicht, wie Hochgeboren di Matienna bemerkte. Er schien mit offenen Karten zu spielen. „Ihr seid eine durchsetzungsfähige Herrin, wie es sich jedes Haus, das eine Zukunft haben soll, an seiner Spitze nur wünschen kann. Ich danke Euch für Eure Offenheit und diesen mutigen Vorschlag. Seid versichert, dass auch ich lange genug auf dem Parkett der politischen Belange tanze, um nüchtern zu erkennen, dass ein solches Vorgehen je nach Anlass, Situation und Zweck angebracht sein kann, ja, unter Umständen notwendig. Man kann in dieser Arena – um al'anfanisch zu metaphorisieren – nicht immer rondrianisch fechten. Ihr versteht das“, schloss Gishtan den ersten Teil seines Gedankengangs. Er legte in einer gewohnten Geste den linken Zeigefinger vor die Lippen, ehe er fortfuhr: „Aber Ihr fragt zurecht, was ich bei einem solchen Vorgehen zu verlieren hätte. Ich will Euch das gerne unverbrämt beantworten: Das einzige Schwert, das ich derzeit mit Wucht zu führen vermag - meinen guten Ruf -, und das Schild, das ich anstatt einer großen Hausmacht zur Verteidigung führe - den Glauben vieler an meine Integrität. Ich kann diese Waffen nicht leichtfertig von mir werfen, indem ich eine von Euch umrissene Maßnahme anordne, billige oder auch nur davon weiß und profitiere. Selbst wenn keine Mitwisserschaft meiner zu belegen wäre, so würde doch ein Rostfleck auf Schwert und Schild sprossen, falls dem Cavalliere etwas widerführe, was mir in Sachen Ramaúd nützte.“ Er bat seine Gastgeberin noch weitersprechen zu dürfen, als sie schon zu einer Erwiderung ansetzte: „Im Moment würde ein solch direktes, zumindest gedanklich für Dritte nachvollziehbares Vorgehen meiner Sache mehr schaden als nutzen. Und dadurch könnte ich womöglich derjenigen, die diese Methode eröffnet, auch nicht auf die Weise meinen Dank zollen, der ihr gebührte.“ Gishtan legte demonstrativ die Hand auf den Knauf seines Rapiers, den er entgegen seiner Gepflogenheit bei öffentlichen Auftritten in privatim sehr wohl an der Seite führte. „Derzeit erscheint es mir aussichtsreicher, mich in Geduld zu üben und eine Möglichkeit zu suchen, den zweiten Aspiranten auf andere Weise davon zu überzeugen, dass er nach gutem Recht und mangels Durchsetzungsmöglichkeit seinen Anspruch fallen lassen sollte. Ich glaube, zumindest im Moment, dass der Cavalliere mit seiner Ehre besiegt werden kann.“

Guiliana lauschte gespannt Gishtans Erläuterungen, erst mit Enttäuschung in den Augen, dann nickte sie jedoch verständnisvoll. In diesem Punkt hatte sie Gishtan nicht richtig eingeschätzt, sein Verlangen nach dem Erbe, seine Verzweiflung überschätzt. Nach einem Augenblick des Schweigens beschloss sie, es doch noch einmal zu versuchen und richtete das Wort an ihren Gesprächspartner: „Ihr habt recht, Gishtan, zu verlieren habt ihr viel. Ich kenne dies, womöglich besser als ihr denkt. Wenn Randulfio sich im Winter den Dumpfschädel holt, schauen mich die Leute im Theater jedes Mal vorwurfsvoll an. Fällt jemand auf Burg Banquirfels die Treppe runter, wird getuschelt und um Sewamund mache ich lieber einen Bogen. Doch eben das ist es, wieso gerade ich euch dieses Angebot mache.“ In Guilianas Gesicht sah Gishtan den Laternenschein flackern, im Zwielicht sah Guiliana ihrer Mutter ähnlich, doch lag eine gewisse Härte in ihrem Blick, ein fehlender Glaube an das Gute auf Deren. Guiliana fuhr fort: „Im Gegensatz zu euch habe ich nicht mehr viel zu verlieren,“ sie zuckte mit den Schultern, „eher noch kann ich gewinnen. Als Schwert und Schild bleiben mir nur Furcht und Terror, um mir und den Meinen die Feinde vom Leibe zu halten. Mein Angebot ist eben dies, lasst das, was euren Ruf bedroht, von denen erledigen, die nichts zu verlieren haben. Sollte also eure Geduld am Ende sein, und der Weg steiniger als erwartet, dann wisst ihr, an wen ihr euch wenden könnt.“ Also spielte auch Guiliana mit offenen Karten, Gishtan wollte schon antworten, da kam sie ihm noch einmal zuvor: „Seid euch außerdem dessen bewusst, dass Dankbarkeit genauso wenig im Tageslicht ausgedrückt werden muss, wie sich das mit Hilfsangeboten verhält.“

Der Erste Rat Shenilos verbarg sein Erstaunen über diese Worte nicht: „Ihr seid weiter sehr offen zu mir, Euer Hochgeboren. Habt Dank dafür, ich will Euer Vertrauen nicht enttäuschen. Mir scheint dass Ihr mehr Erfahrung darin und Willen dazu habt, Ziele nicht nur anzustreben, sondern dies auch mit allen notwendigen Mitteln zu tun, wie es Rabenmund in seinem „Streitenden Herrn“ so trefflich beschreibt. Ich denke, ich könnte darin von Euch lernen.“ Gishtan lehnte sich zurück und atmete schwer ein: „Im Moment fechten wir beide mit den Waffen, die allein uns, nicht aber uns allein, zur Verfügung stehen. Meine Zwänge kennt Ihr nun zu großen Teilen, mir ist in Grundzügen offenkundig, was Euch vorantreibt. Auf lange Sicht soll dies uns beiden nicht schaden, im Gegenteil. Die Wege Phex sind leiser und weiter als jene Praios' und Rondras, doch können alle ans Ziel führen. Es ist gut zu wissen, dass Ihr bereitstehen und warten wollt, mich auf einem der Wege im Mondschein zu begleiten, wenn es die Umstände erfordern, oder gar ein Stück des Pfads für mich zu gehen.“ Gishtan re Kust erhob sich und hielt Guiliana die Rechte hin: „Für heute ist genug gesprochen. Mag auch noch mancher Mond und Sommer ins Land ziehen, es wird sicherlich der Tag kommen, an dem der eine dem anderen mit jenen Mitteln zu helfen vermag, über welche der andere nicht gebietet.“


(ue, wus)