In Sachen Ramaúd/Das Aufeinandertreffen

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Dieser Text entstand im Rahmen des Briefspiels In Sachen Ramaúd und schildert die Geschehnisse am für das Duell zwischen Gishtan re Kust und Kalman von Schelfing vorgesehenen Morgen des 12. Rondra 1036 BF.


Das Aufeinandertreffen der Trabaccantes-Söhne

Noch in tiefer Dunkelheit der Sommernacht waren sie zu Pferde aufgebrochen: Baron Gishtan, seine beiden Sekundanten und all jene, die das Aufeinandertreffen der Halbbrüder bezeugen wollten. Die Brücke über den Bach war ihr Ziel gewesen, der zwischen Mesaverde und Pertakis den Mährenforst hinter sich lässt und in den Yaquir fließt. Diese hatten sie nun erreicht, da die Morgenröte durch die neblige Au drang und die Sonne bald über den Horizont steigen würde. Pappeln ließen ihre Zweige bis in das dahinplätschernde Wasser hängen, in Spinnennetzen glitzerte silbrig der Tau. Von der anderen Seite der Brücke waren gedämpfte Stimmen zu vernehmen. Orangefarbener Laternenschein zeichnete die Schatten einer kleineren Gruppe ab, die dort drüben wartete. Cavalliere Kalman, seine Sekundanten und Begleiter.

Auf der Brücke wartete bereits eine Person die die meisten der von Westen Nahenden sogleich erkannten: Arana von Shenilo, die Vorsteherin des Rondratempels. Sie war aus Shenilo aufgebrochen, um wie von der Familia Cordur empfohlen bei dem Duell als Schiedsrichterin zu fungieren. Zwei Stunden vor der Zeit war sie am vereinbarten Treffpunkt eingetroffen und von ihrem Pferd gestiegen. Sie hatte es ihrem Akoluthen überlassen, mit dem Auftrag es zu versorgen. Mit bedächtigen Schritten war sie auf die Brücke gegangen, auf deren Mitte stehen geblieben. Ruhig hatte sie ihr Weiheschwert aus der Scheide gezogen, um in einem Schattenkampf Zwiesprache mit ihrer Göttin zu suchen. Nun endlich waren alle eingetroffen, über deren Ehrenhaftigkeit sie in dem kommenden Aufeinandertreffen wachen sollte; selbst jener Belhanker Magier trat offen unter ihren Blick, von dessen Anwesenheit sie erfahren hatte. Er sollte nur wagen, etwas zu versuchen, was dem Willen der Leuin widerspräche...! Allerdings war selbst die Schiedsrichterin unsicher, ob die beiden Trabbacantes-Söhne tatsächlich gegeneinander blankziehen würden. Das hoffte mancher der Beobachter auf beiden Seiten offen oder insgeheim. Mancher rechnete nach den Ereignissen auf Gut Zweiflingen aber auch damit, dass Gishtan re Kust einen anderen Weg finden würde.

Der Duellant aus Shenilo hatte die Situation jenen, die ihn hierher begleiteten, bereits tags zuvor verdeutlicht: Von sich aus würde Kalman kaum zurückweichen. Dem stand sein offener Brief, der im Hesindeblatt zu lesen gestanden war, ebenso entgegen wie der noch nicht ausgeräumte Verdacht, der Erste Rat von Shenilo habe den gescheiterten Anschlag auf ihn gedungen. Zudem war er sicher von jenen in Pertakis zusätzlich angestachelt worden, die Shenilo die Fahnenschlacht und andere Zurücksetzungen in der Vergangenheit nicht verzeihen wollten. Das von manchen erhoffte Blutvergießen ohne Beteiligung großer Heere hatte in beiden Städten angeregte Diskussionen heraufbeschworen. Einige Bürger hatten sogar vorgeschlagen, das Duell in einem Immanstadion auszufechten. Dieser Teil der Debatte war erst verklungen, nachdem Bedenken aufgekommen waren, es sei kaum möglich, sich auf den Platz von Yaquirstein Shenilo oder Purpurblitz Pertakis als Austragungsort zu einigen. Das sei schließlich selbst bei den bisherigen Gesprächen über ein Wiederaufleben der Offenen Yaquiria-Meisterschaft nicht gelungen.

Einige Schritt von der Brücke entfernt hielten Gishtan und seine Begleiter an. Ciro ya Mornicala, sein erster Sekundant, stieg vom Pferd und band es mit dem Zügel an den Wegweiser, der unbeirrt nach „Mesaverde, Côntris, Shenilo“ (yaquirabwärts) und „Pertakis, Clameth, Arivor“ (yaquiraufwärts) zeigte. Der Signor ging zielstrebig auf die rondrageweihte Schiedsrichterin zu. Von der Gruppe auf der anderen Seite schritt ebenfalls ein Mann heran. Die Rondrafürchtigeren erkannten ihn sogleich als Leon ya Drusecco, Vorsteher des Tempels der Löwin zu Pertakis: „Das ist also Kalmans Sekundant“, bemerkte Orsino Carson. Der Baron von Gilforn war mit zum Duellplatz gekommen, während sein Neffe noch unter heilenden Händen ruhte. Dessen Platz als zweiter Sekundant hatte Endor Dorén eingenommen, der nun beim Rest der Gruppe darauf wartete, was Ciro, Leon und Arana vereinbaren würden.

Baron Gishtan ließ einen Blick über die Gesichter seiner Begleiter schweifen, die vom Orange der Laternen und dem ersten Rosa des Morgens beleuchtet wurden. Sein häufiger Trink- und Feierbruder Armato, still wie selten; ob er auf den Ausgang des bevorstehenden Kampfes gewettet hatte? Batiste, Thalion und Karinor, Männer vom Fach, was das Fechten betraf; ihre kundigen Ratschläge wollte er notfalls beherzigen, zumal die Anwesenheit der beiden Geweihten jede „unrondrianische“ Führung des Duells oder auch nur exotische Waffen ausschloss; doch jeder von ihnen wäre ein besserer, aussichtsreicherer Gegner für Kalman gewesen. Dartan, Sybaris und Lamea, Vertreter dreier einflussreicher Sheniloer Familien; noch dazu aus der Generation, die den Sheniloer Bund nach dem Rückzug dessen Gründer fortführen und bewahren würden. Ilora, die nüchterne Beobachterin aus Efferdas; ihr Haus war ohne Emotionen in alle Sheniloer Belange eingebunden, und trotzdem könnte sie auf lange Sicht Bedeutung gewinnen. Cassian, der zufällige Bekannte durch eine andere Bekannte; der Zauberkundige hatte die Geschehnisse in einer kleinen, aber bedeutungsvollen Sache in eine Richtung gelenkt, die nun dazu beitragen mochte, Kalman zu besiegen, ohne über ihn zu triumphieren. Guiliana, die listenreiche Ratgeberin; über ihre Anwesenheit war Gishtan tatsächlich erstaunt, doch ihr Leibwächter, der wachsam immer einen Schritt hinter der Signora stand und ging, bewies dass sie kein Risiko eingehen wollte. Orsino, der oft und gern in die Ferne reiste, nun gar nicht weit seines Herrschaftsgebiets und noch immer ob Gianbaldos Verletzung erbost; seine Anwesenheit mochte eine Provokation gegenüber den bei Gilforn Unterlegenen sein – ihm, Gishtan, aber gerade dadurch einen weiteren Vorschlag gegenüber Kalman verschaffen. Die überraschend am Vorabend eingetroffene Richeza, der er nicht allein wegen manch gemeinsam bezwungener Gefahr mehr vertraute als allen anderen hier; falls notwendig, wäre die heißblütige Almadanerin in Wort und Stahl gleichermaßen eine weitere, wichtige Verbündete. Schließlich Endor und seine Gemahlin Yasinai, er stets darum bemüht, das Ansehen seines Hauses durch edle Hilfe zu verbessern, sie die Stille Kraft an seiner Seite; von den stillschweigenden Sicherheitsvorkehrungen der Doréns hatte der Duellant nur geflüsterte Kunde und war froh darüber, obgleich er hoffte, dass diese ohne Anlass bleiben würden.

Diese Überlegungen fanden mit der Rückkehr des Ciro ya Mornicala ein Ende. Wie zuvor vereinbart nahm der Sewamunder Gishtan re Kust zur Seite und schilderte in kurzen Sätzen, wer auf der anderen Seite als Begleiter Kalman von Schelfings wartete. Mit jedem seiner bedachten, leisen Worte schien sich Gishtans Miene ein Stückchen aufzuhellen. Schließlich trat Ciro vor die gespannt Wartenden hin: „Die Kontrahenten sind anwesend, ihre Sekundanten bereit, eine Rondrageweihte wird über den Kampf wachen. Das Duell kann beginnen, sobald die Sonne über den Yaquir steigt“, gab er förmlich bekannt. Die Zuhörer blickten rahjawärts, wo die noch hinter den Goldfelsen verborgene Morgensonne den Himmel in Blutrot tauchte. „Die Duellanten und Sekundanten werden an den Enden der Brücke warten. Ihr als Beobachter sollt in zwölf Schritt Entfernung stehen.“ Unter Gishtans Begleitern schwoll Gemurmel an. Ciro ließ sich davon nicht beirren und erklärte weiter: „Signor Gishtan hatte die Wahl der Waffen und wird daher mit Degen und Linkhand fechten. Seinem Gegner hat er dies freigestellt – Signor Kalman wählt den Reitersäbel.“ Das Raunen wurde noch lauter: Der Geforderte hatte zu der von ihm zu erwartenden Waffe gegriffen – und war bereit, den Vorteil aus der Hand zu geben, diese, ungewohnt, auch seinem Gegner in selbige zu legen!? Die Waffen hatte sein erster Sekundant von Arana prüfen lassen.

Auf ein Zeichen Ciros trat nun auch Endor Dorén zu dem Sheniloer Rat, nickte diesem und dem Mornicala wortlos zu. Die drei wirkten bereit, Gishtan sogar zuversichtlich – was mehr als einen der Zuschauer verwunderte. Seinem Gegner ging der Ruf eines fähigen Zweikämpfers voraus, zudem war Kalman ein gutes Stück jünger, von der Statur kräftiger. Den alternden Diplomaten hingegen hatte man in Shenilo zuletzt vor Jahren mit einem Stockdegen fechten sehen. Trotzdem zauderte er jetzt nicht: „Dann wollen wir mal.“ Das Trio tat die ersten Schritte auf die Brücke zu, als sich Gishtan noch einmal umdrehte und seine auf das nahe Morgenrot wartenden Freunde ansah: „Danke, dass Ihr mit hierher gekommen seid. Ich hoffe, durch Euch werde ich siegreich sein.“ Er zögerte noch einen Moment, in dem nicht eindeutig war, ob er einen Einzelnen besonders vertraut ansah oder auf letzte, aufmunternde Worte der Versammelten wartete.

Endor Dorén drehte sich ebenfalls noch einmal um, trat an die rechte Seite des Barons von Ramaúd, so dicht dass sich die Schultern und Oberarme der beiden Männer berührten. Sein Blick wanderte über die Anwesenden, hin zum blutroten Morgenhimmel, wo gleich die Sonnenscheibe aufgehen würde, das Licht des himmlischen Richters, des Königs der Götter, des Gotts des Kaisers und der Könige. Etwas überraschend begann Endor leise aber gut verständlich zu sprechen. Sein Blick blieb dabei gen Himmel gerichtet. Einige Freunde Gishtans, die etwas weiter weg standen, mochten glauben er spräche ein Gebet zu sich selbst. „Gisthan, ich wünschte ich könnte an Eurer Statt dieses Duell bestreiten, aber ich kenne Euch zu gut, so weiß ich, Ihr würdet dieses Angebot nur ablehnen. Gelegentlich geht mein Temperament mit mir durch und einige Worte scheinen unbedacht, so hoffe ich, dass Ihr mir dies nachseht. Auch wenn es so scheint, habe ich kein leichtes Erbe angetreten, als ich meinem Vater Nestor nachfolgte. Ich habe viel verloren und wenig gewonnen. Die Götter mögen so manche Überraschung für uns während unserer Zeit auf Dere geplant haben und ich hoffe heute eine weitere solche zu erleben.“ Er machte eine kurze Pause. „Nicht dass ich kein Vertrauen in Eure Fechtkunst hätte, aber hier tritt ein Schakal gegen einen Shenilesen an.“ Sein Blick verharrte immer noch am Himmel, er sprach die Worte ohne Signor Gisthan anzuschauen. „Ich tue dies nun aus reinem Eigennutz, irgendein ehrenwerter Signore muss mir ja eine Zuppa Belhancani im schönen Ramaúd spendieren“, nun grinste der Landvogt den Ersten Rat breit an. „Seht! Dort!“, rief Endor da, so laut, dass es diesseits der Brücke alle vernommen haben mussten, und zeigte mit der Hand in Richtung des Himmels über dem nahen Wald. „Nehmt dies, Gisthan, schnell“, bevor sich Eure Freunde wieder umdrehen“, fügte er leise hinzu. Endor reichte Gishtan ein kleines, grünes Fläschchen, auf dem ein Storch im Relief zu sehen war. „Dies haben die besten Alchemisten Kusliks gebraut, und es hat mich ein kleines Vermögen gekostet. Trinkt es heimlich, sobald Euch die Kraft verlässt, und lebt!“ Gishtan nahm das Geschenk mit unbewegtem Gesicht entgegen und steckte es mit einer flüssigen Bewegung aus dem Handgelenk in eine Brusttasche seiner Weste. Als sich die ersten aus der Gruppe wieder zu den beiden umdrehten, verwundert, was Signor Dorén wohl gesehen haben mochte, meinte dieser nur beiläufig: „Ein Falke, bestimmt ein Weibchen.“ Seine Gemahlin Yasinai schmunzelte ob der Worte ihres Mannes.

Baron Gishtan drehte sich endgültig um und schritt zügig auf die Brücke. Es wurde Zeit: Schon zeichnete sich der obere Rand des Praiosauges über den Yaquirwellen ab. Als er, Ciro und Endor Arana erreichten, standen die Vertreter der Gegenseite bereits bei der Geweihten. Leon ya Drusecco und die zweite Sekundantin, deren Namen Gishtan nicht kannte – und zwischen ihnen sein Gegner. Kalman hatte mehr als er selbst die gedrungene, kräftige Statur ihres verstorbenen Vaters Kusmaro. Er würdigte Gishtan keines Blicks. Hinter dem Grüppchen war eine kleine, erwartungsvoll wirkende Schar von Schaulustigen aus Pertakis zu erkennen.

Nachdem sich die vier Sekundanten wortlos die Hände geschüttelt hatten, erhob die Rondrageweihte ihre befehlsgewohnte Stimme zu den das Duell einleitenden Worten: „Der Ort ist hier, der Augenblick nah, der Fordernde und der Geforderte versammelt. Nun nehmt die gewählten Waffen. Sobald die Praiosscheibe sich ganz über den Horizont erhoben hat, möge der Kampf beginnen. Wer von Euch dem anderen zuerst den dritten Schnitt zufügt, sei Sieger vor Rondra und erhalte Ehre und Recht in Eurem Streit.“ Ciro und Leon nahmen die Kisten, in denen die zuvor von Arana geprüften Klingen bereitlagen und öffneten diese, um sie Gishtan und Kalman zu reichen. Mit geübten Bewegungen nahm Gishtan Linkhand und Degen auf. Drei Schritte entfernt ließ Kalman den schweren Säbel durch die aufklarende Morgenluft zischen, erst mit einer, dann mit zwei Händen.

Da erhob Gishtan plötzlich die Stimme. So laut, dass auch die Zuschauer verstanden, was er sagte: „Cavalliere Kalman, Bruder, ich bin gekommen, um dir zu begegnen, weil ein Ehrenmann die Behauptung nicht unwidersprochen lassen darf, er habe einen Mordanschlag arrangiert. Erst recht nicht, wenn das Ziel dieser Tat vom gleichen Blut gewesen wäre. Ich bin gekommen, um der Ehre und Wahrheit zu dienen. Nicht aber, um dich in die Knie zu zwingen, nicht im Duell und nicht auf andere Weise. Höre mir zu, wir müssen nicht unser Blut vergießen.“ Zum ersten Mal blickte Kalman ihm direkt in die Augen. Überraschung zeigte seine Miene, dann schüttelte der Pertaker unwillig den Kopf: „Ich ahnte, dass du nicht zu kämpfen willig bist. Reden und Ränke sind dein Handwerk, hat man mir gesagt, und dass stimmt offenbar.“ Nun schüttelte Gisthan den Kopf, verneinend: „Ich bin bereit zu kämpfen. Wenn du mich zwingst, dann auch mit der Klinge. Lieber aber mit Worten, das ist wahr. Mit Worten, die die Lügen und Intrigen zerschneiden, mit denen wir beide gegeneinander aufgebracht wurden. Ich habe Beleg dafür, dass eine dritte Partei nach unser beider Leben getrachtet und dieses Duell aufgestachelt hat, um unabhängig von dessen Ausgang der wahre Sieger zu sein. Höre mir zu!“ Seine Körperhaltung ließ keinen Zweifel daran, dass er bereit wäre, Kalmans Angriff abzuwehren, doch schien er nicht zuerst in die Offensive gehen zu wollen. Kalman hielt den Säbel beidhändig. „Hoch Pertakia! Hoch Kalman!“, erscholl da ein Ruf aus dem Grüppchen hinter ihm. „Streckt den Sheniloten nieder!“, ein anderer. Gishtan fuhr eilig fort: „Es hat nicht nur einen versuchten Anschlag auf dein Leben gegeben, sondern, erst vor wenigen Tagen, auch auf das meine. Dieser wurde von jemandem aus Ramaúd angestiftet. Die Beweise dafür will ich dir vorlegen. Der Verdacht liegt nahe, dass auch das misslungene Attentat auf dich von der betreffenden Person bezahlt worden ist.“ In Kalmans Gesicht arbeitete der Zweifel: „Weshalb sollte jemand aus Ramaúd uns beide töten wollen?“, fragte er, „oder gutheißen, dass einer den anderen niedersticht? Wer sollte das wollen? Welchen Nutzen hätte jener? Wie willst du das beweisen?“ „Ja, Beweise für die Fantasterei!“, klang erbost die Forderung aus den Reihen der Begleiter Kalmans. Gishtan ignorierte den Zwischenrufer: „Ich habe die Indizien in vertrauenswürdige Hände gelegt, um diese für dich bereitzuhalten. Hinter mir stehen zwölf Zeugen, die bestätigen werden, dass ich über die Ereignisse der vergangenen Tage auf Gut Zweiflingen die Wahrheit spreche. Die offensichtlichen Gründe, weshalb der Anstifter aus der Küstenstadt einen Kampf zwischen Kusmaros Söhnen will, des letzten Signors von Ramaúd, und auf verschiedene Weisen befördert hat, dass wir uns gegenüber stehen, sage ich dir: Sollte einer von uns den anderen tödlich treffen, halbierte sich die Zahl derjenigen, die qua Abstammung Anspruch auf Stadt und Land erheben, ohne Zutun dieser dritten Partei. Wieviel leichter würde es dann fallen, die Ansprüche des Verbliebenen weiter zu verzögern der gar direkt zurückzuweisen! Oder ihn mit einer weiteren Bluttat aus dem Weg zu räumen? Wem das nützte? Jenen, die in Abwesenheit eines formal anerkannten, über Ramaúd herrschenden Barons insgeheim die Macht über die Stadt an sich gezogen haben und diese seit Jahren ohne Berechtigung ausüben. Unter diesen ist derjenige zu finden, der versucht hat, mich mit Gift und dich aus dem Hinterhalt zu meucheln. Schau hinter mich, mit welch namhaften Vertretern die Geronsstadt Anteil an unserer Begegnung nimmt. Mit diesen Freunden und Unterstützern muss ich keine Furcht davor haben, mich einem Kampf zu stellen. Schau hinter dich, welche Schar dich begleitet, und wer deinem Befehl folgen würde. Jedes weitere Blutvergießen wird die Spannungen zwischen Shenilo und Pertakis weiter anfachen, der Städte, deren Exponenten wir sind. Solange wir gegeneinander stehen statt Schulter an Schulter, solange sind unsere Kräfte – und die Aufmerksamkeit Shenilos und Pertakis' - gebunden, können weder der Aussöhnung dienen noch den Blick auf gemeinsame Ziele richten.“

Gishtan senke Linkhand und Degen: „Bruder Kalman, es ist deine Entscheidung, ob wir tatsächlich kämpfen und in jedem Fall beide verlieren, weil das Duell dann jenen dient, die zu feige sind, sich unseren Klingen zu stellen. Ließest du mich dir hingegen die Beweise dafür zeigen, dass der wahre Gegner in Ramaúd lauert, könnten wir beide siegen: Gemeinsam werden die Söhne Kusmaros diesen Widersacher überwinden.“ Er stieß die Degenspitze ins weiche Holz der Brücke, dass sie zittern darin stak, und streckte Kalman die ausgestreckte Rechte entgegen. Dann vielen die ersten Sonnenstrahlen auf die beiden Männer. Das Praiosauge blickte auf sie und die beiden Zuschauergruppen, die ganz still geworden waren. Arana von Shenilo senkte ihr Schwert und erhob ihre Stimme: „Der Tag ist angebrochen. Ihr mögt beginnen.“

Orsino Carson blinzelte in Richtung der aufgehenden Sonne. Aranas Worte hallten in seinen Ohren. Sollte Gishtan kämpfen? Sein Tod wäre ein Verlust. Aber die Worte Aranas waren die Stimme Rondras und der Tradition. Was war richtig, was falsch? Was, wenn die dritte Parteiung nun in namenlos anmutendem Lächeln die Szenerie überblickte? So viel war ungewiss. So viel konnte sich als Fehler erwiesen. So klar strahlten die Klingen im Licht der aufgehenden Sonne. Klar und rein, eine klare Entscheidung. Richtig oder falsch? Orsino schwieg und wartete, verärgert über die ihm ungewohnte Zauderei, die die letzten Jahre in ihm hatten wachsen lassen. Karinor Degano stand ziemlich weit hinten. Zum einen weil der raue Condottiere sich nicht sonderlich gut mit den meisten verstand. Zum anderen weil er immer noch mit einem Hinterhalt rechnete und er die anderen daher gerne als Schutzschilde verwendete. Noch einmal vergewisserte er sich ,dass seine Brigantina richtig saß und die Trillerpfeife an ihrem Ort war. Mit ihr konnte er sein knappes Dutzend Männer rufen die sich in gut 100 Schritt Entfernung hinter ihnen im Wald versteckten. Der Andergaster war auch noch am Pferd wo er sein sollte und so verspürte er das Gefühl, bestmöglich vorbereitet zu sein. Geduld zählte allerdings nicht unbedingt zu seinen größten Eigenschaften und daher zischte er, nachdem die beiden Duellanten bereits einige Worte gewechselt hatten: „Nun fang endlich an! Seinen Bruder abstechen wird nicht einfacher wenn man vorher viel redet...“ Er spürte einen musternden Blick von der Seite. Ilora Changbari schaute ihn an, und Karinor merkte, dass er gerade so laut gesprochen hatte, dass sie ihn verstanden hatte. Doch die Changbarische lächelte. Auch sie schien zu hoffen, dass der Kampf nun endlich begann.

Gishtan zählte seine Atemzüge, während er auf die Erwiderung seines Halbbruders wartete. Als er bei 14 angekommen war, ließ Kalman den Säbel eine Handbreit sinken: „Du bist ein Mann der Worte, daran besteht kein Zweifel. Aber als Mann, der andere sein Handwerk für sich erledigen lässt, wurdest du mir nie beschrieben. Ich kenne dich eigentlich gar nicht. Ich muss mir tatsächlich anhören, was du mir zu sagen und zeigen lassen, welche Beweise für deine Unschuld du vorzulegen hast.“ Ein enttäuschtes „Oh...“ erklang, laut von der pertakischen, deutlich leiser von der sheniloer Seite. Unwillkürlich blickten die beiden Duellanten zu Arana, der Rondrageweihten, deren Miene bei den Worten Kalmans den bekannten Ausdruck von Missbilligung angenommen hatte. Schelfing schüttelte bedauernd den Kopf: „Aber eine Forderung zur Ehre ist eine Forderung vor Rondra. Daran führt kein Pfad vorbei.“ Er trat einen Schritt zurück, um re Kust die Gelegenheit zu geben, wieder den Degen zu ergreifen. Dessen Stimme klang nicht betrübt, als er genau das tat: „Pro honore, pro forma.“ Kalman nickte verstehend und ließ seine Klinge herab sausen. Gishtan wicht mit einem tänzelnden Schritt zur Seite aus, lenkte Kalmans folgenden Rückhandschlag mühevoll mit dem Degen an sich vorbei. Die Kampferöffnung erschien den kundige Beobachtern langsam und vorsichtig. Trotzdem wirkte es bald so, als treibe der Pertaker den Sheniloer mühelos von einer Seite der Brücke zur anderen. Mit schnellen Schlägen von oben und den Seiten versuchte er zum ersten Treffer zu gelangen. Mehrfach fing Gisthan den Säbel gerade noch mit dem Linkhanddolch ab, der Arm zitternd vor Anstrengung. Immer mehr geriet er in die Defensive, bis Kalmans beherrschter Gesichtsausdruck einem überlegenen wich. Der Cavalliere drängte auf den Treffer und zog einen beidhändigen Streich von rechts oben nach links unten. Doch diesen Angriff, der die Verteidigung weit öffnete, hatte sein Gegner geahnt. Gishtan schlug mit der Fehlschärfe die gegen seine Brust gerichtete Spitze nach unten, wo sie harmlos ins Holz biss, drehte sich seitlich in die Attacke und nutzte überraschend den Parierdolch zu einem Stoß gegen Kalmans Unterleib. Dessen Spitze bremste er jedoch unmittelbar vor dem Leder des Beinkleids, ohne Schelfing zu verletzen. Sogleich stieß dieser ihn auf Klingenlänge weg, sichtlich verärgert über die eigene Vernachlässigung der eigenen Deckung. Dann ging es schnell. Scheinbar geschwächt von den kräftigen Säbelhieben stolperte Gishtan nach hinten und hob den linken Arm zu langsam, um einen wohl eher als Finte gedachten Schlag abzuwehren. Die Säbelspitze streifte seine Schulter, und im hellen Licht der vom Yaquir reflektierten Morgensonne sprühten einige hellrote Tropfen davon. „Blut ist geflossen!“, verkündete Arana und klang darüber erfreut. Dann fiel Gishtans Dolch zu Boden. Den Degen streckte er zur Seite, als Zeichen dafür, dass er den Kampf aufgebe. „Bis zum dritten Blut!“, heulte eine enttäuschte Stimme auf pertakischer Seite auf, die aber rasch zum Schweigen gebracht wurde. Die Sekundanten traten sogleich mit gezogenen Klingen zwischen die Duellanten. Nachdem das Grüppchen auf der Brücke einige für die Zuschauer nicht zu verstehende Worte miteinander gewechselt hatte, schob die Rondrageweihte ihr Schwert mit einer rituellen Geste zurück in die Scheide: „Vor Rondra war der Zweikampf gefochten. Vor Rondra ist die Ehre des Cavalliere von Schelfing wiederhergestellt.“ Dann winkte sie trotz erkennbaren Missfallens Adeptus Cassian heran, der sogleich Gishtans Schulterwunde verband. Über den zufriedenen Gesichtsausdruck der Halbbrüder wunderte sich dieser vielleicht, sagte aber kein Wort.

Derweil tauschten sich die Begleiter Gishtan re Kusts aus – mancher erstaunt, mancher in seinen Erwartungen bestätigt. „Welches Geschehens Zeugen sind wir soeben geworden?“, verwunderte sich etwa Lamea Cordur. „Gishtan re Kust hat das Duell verloren, aber trotzdem gewonnen“, erklärte Richeza von Scheffelstein den Kampf und wirkte dabei überrascht und erleichtert gleichermaßen. „Wie das?“ „Er hat genau die Schwäche Kalmans offenbart, die Esquirio Gabellano auf Gut Zweiflingen vorausgesagt hatte“, führte Batiste d'Imirandi aus. „Aber er hat sie nicht genutzt, weil ein Treffer in die Lenden in einem ehrenvollen Zweikampf nicht gut angesehen ist...“ „...und Kalman womöglich mancher Rahjafreuden geraubt hätte“, ergänzte Armato della Pena verstehend. „Ein Hoch auf Baron Gishtan und diese Rücksichtnahme!“, rief der Logenvorsitzende aus. „Ganz zu schweigen davon, dass der „Kaiman“ nach einer Fehlgeburt seiner Gemahlin noch ohne Erben ist“, wusste Yasinai Neethling. Vielsagend hoben sich in der Runde die Augenbrauen. Orsino Carson nickte anerkennend: „Mit dieser rondrianischen Geste hat unser Freund seinem Halbbruder erlaubt, den Kampf zu gewinnen – dieser war erkennbar der stärkere Kämpfer.“ Guiliana di Matienna schüttelte zweifelnd den Kopf: „Stärker ja, aber vielleicht hat Baron Gishtan auch nur Schwäche gezeigt? Aus seiner Position heraus wäre es sinnvoller gewesen, die Erbfrage so oder so zu lösen – am besten, bevor sie sich überhaupt stellt.“ „Ihr solltet nicht vergessen das auch der Vogt von Zweiflingen keinen Erben hat, noch nicht einmal verlobt ist“, erwiderte Thalion Gabellano. „Ist es da nicht besser, die Möglichkeit zu bewahren, dass Ramaúd zumindest im Besitz der Familie bleiben kann? Und gesiegt hat er trotzdem, wie Domna Richeza richtig sagt: Das Duell wurde nicht um die Herrschaft über Stadt und Land Ramaúd geführt, sondern über den Vorwurf, Gishtan habe den Anschlag auf Kalman befohlen.“ „Wofür aber, wie wir alle wissen, Kastellan Pandolpho Weyringer verantwortlich war“, fügte Guiliana an. Orsino ballte die Fäuste:„Dieser Giftmischer!“ „Kalmans Ehre ist wieder hergestellt“, erinnerte Lamea an die Worte der Rondrageweihten. „Dennoch besteht die Erbfolge weiter – mit Gishtan an der Spitze“, sagte Sybaris Dorén. Thalion nickte: „Nachdem der Ehrenstreit ausgeräumt ist, kann er Kalman die Beweise dafür unterbreiten, dass eine dritte Interessengruppe, die in Ramaúd so oder so etwas zu verlieren hat, sie beide gegeneinander ausgespielt hat.“ „Blut ist dicker als Galle“, brummte Karinor Degano, noch immer etwas verärgert, weil er eine Wette verloren hatte. Dartan di Côntris blickte den Haudegen leicht verwirrt an: „Ja... und das bedeutet, dass die beiden sich zusammentun und gemeinsam dem Bösewicht die Klinge auf die Brust setzen werden, nicht?“ Einhelliges Nicken der Versammelten war die Antwort. Dann drehten sich die Häupter gen Brücke, auf deren anderer Seite die Begleiter Kalmans nicht weniger angeregt über den Ausgang des Kampfes zu sprechen schienen. Man schaute sich einen Moment lang schweigend an, dann hielt Orsino fest: „Wir werden darauf achten müssen, dass Pertakis bei den Unterstützern dieser Unternehmung kein Übergewicht gewinnt.“ Einhelliges Nicken der Mitglieder der Sheniloer Bunds stimmte auch ihm zu.

Wenig später trat Gishtan re Kust mit Cassian di Salsavûr-Torese zu der Versammlung. Aus seiner Gürteltasche fischte er eine Cigarille, blickte erst das in der Mitte geknickte Rauchwerk an, dann in die Runde seiner Freunde, und warf den Qualmstängel dann über seine Schulter: „Ich wollte ohnehin aufhören.“ Nachdem er jedem wortlos die Hand geschüttelt, den Damen Handküsse gehaucht, Armato und die Almadanerin zu deren sichtlicher Überraschung jedoch umarmt hatte, stand er vor einem Halbkreis gespannt Wartender. „Dank Euch, dass Ihr mich zu dieser Statt begleitet habt. Dieser Kampf ist zuende, und ich bitte um Nachsicht für etwaige Verluste beim Wetten, die ich dem einen oder anderen durch dessen Ausgang bereitet haben mag. Den nächsten Kampf werde ich nicht mit Muskeln und Stahl, sondern mit Worten und Verstand führen: In zwei Tagen wollen Kalman und ich einander an einem neutralen Ort treffen.“ Armato trat an ihn heran und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Gishtan grinste befreit und nickte: „Sehr gut. Das verhindert auch, dass irgendjemand eine in seinen Kleidern verborgene Waffe zur Unterredung führt. Also im Rahjatempel zu Horasia - ich kann mir ebenfalls kaum einen geeigneteren Platz vorstellen.“ Mit etwas mehr Ernst fuhr er dann fort: „Dieses Gespräch werden Kalman und ich unter vier Augen führen. Bis dahin seid Ihr alle mir weiter als Gäste auf Zweiflingen willkommen, auch wenn ich noch einiges vorbereiten muss.“ Er sog nach einer unbedachten Bewegung der verletzten Schulter hörbar die Luft ein, ehe er schloss: „Bis hierher war es ein weiter Weg. Ich werde nicht vergessen, dass Ihr alle mich ein wichtiges Stück darauf begleitet habt. Als Baron von Ramaúd werde ich mein Bestes tun, Euch in schwieriger Lage beizustehen, wenn es einmal notwendig werden sollte. Und ich hoffe, die meisten von Euch spätestens im kommenden Frühjahr als Gäste bei der Feier anlässlich meines Traviabunds wiederzusehen.“

Ende


(wus und viele Spieler aus Shenilo, dem Horasreich und Almada)