Briefspiel: Die Raloffkrise/Akt 2/Boronsbrot

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Briefspielgeschichte aus: Briefspiel in Efferdas
Zyklus: Übersicht - Akt 1 - Akt 2 - Akt 3
Datum (aventurisch / irdisch): 14. Efferd 1033 BF bis Travia 1033 BF / 2012
Beteiligte (aventurisch / irdisch): Patriziat und Nobilitat Efferdas, Bürger und Einwohner der Republik / Familie Slin.png Count, Familie Kanbassa.png Kanbassa; Haus di Camaro.png Dajin, Haus Efferdas.png Elanor, Haus di Onerdi.png di Onerdi, Familie Varducchio.png Varducchio, Familie Vinarii.png Vinarii, Haus di Piastinza.png/Haus Thirindar.png di Piastinza
Schauplatz: Senat von Efferdas, Stadt Efferdas und Umland


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Auf Hylailos werden Nahrungsvorräte inspiziert.

Garén auf Hylailos

Maiordomus Berytos, der den Thirindar in dritter Generation als Verwalter ihrer hylailischen Besitztümer diente, folgte seinem mißmutigen, schnaufenden Begleiter durch die breite Straße, über die zum Hafenbecken von Garèn hinunterführenden Stufen hinab, bis zu dem Gebäude, das die Kopfsteinfläche des Hafens linkerhand abschloss, und bis vor das schwere, eichene Tor, welches das Lebensmittellager der Seesöldner verschloss. Berytos trug die zusammengefaltete Depesche noch in seiner Brusttasche. Er hatte darauf bestanden, dass die Angelegenheit trotz der Mittagshitze keinen Aufschub duldete und seinem Begehren durch eine Handvoll Silber zu Händen eines diensthabenden Offiziers Nachdruck verliehen – eine großzügige dorodókema, die den ungeschriebenen Regeln gemäß keine Fragen zuließ. Dieser hatte daraufhin einen Soldaten aus der Wachstube herausgebellt und ihm zur Verfügung gestellt: "Prüft nach, welche Mittel wir haben, den Wunsch unseres ehrenwerten Besuchers zu erfüllen!"

Der Gemeine hatte mit Seitenblick auf Berytos eine Miene der Verachtung gezogen, aber gehorsam die Faust auf die Brust geschlagen: »Malista, lochagos!« Dann hatte er eines der Schwertgehänge ergriffen, die während der Mittagsruhe an der Waffenhalterung hingen, und es sich im Hinausgehen umgeschnallt, denjenigen, den er begleiten sollte, keines Blickes würdigend und nicht darauf achtend, ob er Schritt hielt. Berytos hatte Schritt gehalten: trotz seines fortgeschrittenen Alters – er zählte über fünfzig Sommer – war er von zäher, asketischer, drahtiger Körperverfassung und konnte es bei Bedarf an Missmut mit jedem aus der Mittagsruhe gerissenen Stratioten aufnehmen. Auf diese Weise strahlten Berytos und der Seesöldner auf dem Weg zum Lagerhaus gemeinsam eine solche Eile, Dringlichkeit und Verdrießlichkeit aus, dass die wenigen Passanten, die zu dieser Tageszeit unterwegs waren, ihnen geflissentlichst den Weg freigaben und darauf achteten, ihnen nicht zu nahe zu treten.

Derjenige, der ihnen nicht aus dem Weg gehen konnte, war der Lagerverwalter. Der Stratiot, nachdem ihm vor dem Tor eingefallen war, dass nur dieser über den erforderlichen Schlüssel verfügte, ließ nun seine schlechte Laune an ihm aus, einem angestellten Zivilisten, den er mit Hilfe eines ebenso unhöflichen wie einschüchternden Auftretens vom Mittagstisch seiner Familie im Obergeschoß des Nachbarhauses riss, indes die drei Kinder ängstlich und die Gattin giftig auf die beiden Eindringlinge starrten. "Schwing' Deinen Hintern hinunter zum Lagerhaus und vergiss den Schlüssel nicht!" blaffte er ohne Anrede und andere Anzeichen des Respekts. Berytos empfand ein gewisses Unbehagen dabei, denn er spürte wohl, dass sie hier unbeteiligte Kinder in Angst versetzten, gedachte aber nicht, seine standesgemäße Distanziertheit aufzugeben, um ein paar ermunternde oder beschwichtigende Worte zu sprechen. Was wichtig war, war wichtig, und das Volk, welches über kein großes Urteilsvermögen verfügte, hatte sich zu fügen!

Der Lagerverwalter eilte schnellen Schrittes und mit schicksalsergebener Miene die Außentreppe hinunter zum Tor des Lagerhauses, drehte einen großen Schlüssel im Schloss, bis es laut klackte, schob mit beiden Händen den rechten der beiden schweren, eichenen und stahlbebänderten Türflügel auf, bis die Sonne einen Lichtkegel ins Innere werfen konnte, und trat dann schweigend beiseite, um seinen unangenehmen Begleitern ungestörten Zutritt zu gewähren. Die Lagerhalle war wohl an die vier Schritt hoch und mit großen und kleinen Kisten und Fässern aufgefüllt, die in rechteckigen Grundflächen mit gut schrittbreiten Gassen dazwischen organisiert waren und auf stabile Weise gestapelt schienen. Im Sonnenlicht tanzte der Staub. Die Luft war trocken, es roch nach Holz, Stein, Teer und Stroh, und da die Wände nur von wenigen schmalen und hohen Fenstern durchbrochen waren, war die Temperatur des Lagerraums angenehm und beinahe kühl. Der Stratiot wandte sich an Berytos und knurrte kurz angebunden: "Wonach sucht Ihr?"

Dass die Seesöldner gut bevorratet waren, war kein Geheimnis, und solange keine größere Unternehmung bevorstand und ihre Mindestbestände nicht unterschritten wurden, war es nicht unüblich, dass sie mit einem Teil ihrer Lagerhaltung Handel trieben – meistens dann, wenn es aufgrund von Lieferengpässen zu kurzfristigen Verknappungen kam. Da sie über ihr eigenes Versorgungswesen verfügten, welches den üblichen Marktschwankungen in geringerem Maße unterworfen war, weil es nicht dem unmittelbaren Verbrauch diente, erfüllten sie faktisch die Funktion eines Zwischen- und Reservespeichers, auf den vom Zivilleben zu Ausgleichszwecken zurückgegriffen werden konnte. In diesem Fall war die Verknappung keine lokale Angelegenheit, sondern betraf die Stadt Efferdas, in deren Patriziat die Thirindar seit einem Jahr vertreten waren. Was immer sich dort abspielte – die Nachricht, die am frühen Vormittag mit der Postbarke eingetroffen war und die das Siegel der Hausherrin Halca trug, klang dringlich: "Sendet kurzfristig größere Mengen Lebensmittel und scheut dazu keine Ausgaben. Es darf sich um gewöhnliche Kost handeln, sofern sie nahrhaft und unverdorben ist. Tausend Menschen sollten eine Woche lang ernährt werden können." Das war eine anspruchsvolle Zielsetzung, die aus einer Quelle allein nicht zu decken war.

"Einfach, nahrhaft und reichlich." antwortete Berytos dem Seesöldner. "Nehmen wir an, es gibt eine Vielzahl zusätzlicher Mäuler zu füttern!" "Also wie Kriegsgefangene!" mutmaßte der Soldat. "Die hatten wir zuletzt ..." Er brach den Satz ab und verfiel in eine Denkpause. Dann wandte er sich erstmals in sachlichem Tonfall an den Lagerverwalter. "Wo sind die Beutefässer? Die alten meine ich, nicht das armselige Zeug vom letzten Piratenfang!" "Im Keller, Herr!" antwortete dieser. "Hat niemand angefasst, ausser dem Teil, der gleich danach an die Gefangenen ausgegeben wurde. Ist aber genug übrig geblieben.« »Was genug ist, entscheidet unser Besucher!" knurrte ihn, schon wieder ungehalten, der Soldat an. "Ihr müsst mir mit der Luke helfen!" entgegnete der Verwalter. Zu zweit hoben der Stratiot und der Verwalter einen Flügel einer zweiteiligen, großen Bodenluke an, über der ein Kranbalken mit Flaschenzug angebracht war. Eine steile, breite hölzerne Treppe führte hinab. Der Verwalter entzündete zwei Laternen, die an Nägeln im senkrechten Kranbalken hingen, händigte eine davon an Berytos aus und ging voran.

Das etwa drei Schritt Höhe messende Untergeschoss war kein reiner Keller, denn in der zum Hafenbecken weisenden Wand befand sich ein weiteres großes Tor mit schweren, aufgenieteten Eisenbändern, das im Türrahmen zusätzlich ausgepolstert oder besser: abgedichtet war, denn es öffnete sich auf Höhe des Hochwasserspiegels nach draußen, musste aber dichthalten, wenn die Flut höher als gewöhnlich stieg. Da die Hafenmauerwerke an eine abfallende Felswand angelehnt waren, deren Gestein kein Wasser zog, blieb aber auch der Kellerraum trotz gelegentlicher Springflut noch zureichend trocken. "Auf der rechten Seite, hier, diese vier!" Der Verwalter wies auf eine Zeile von Stapeln, die aus Fässern in standardisierter Größe errichtet waren. Berytos schien es, als befände sich auf einigen davon ein schattenhafter Umriss, der an einen Vogel erinnerte. "Was ist da drin?« fragte er. "Wenn ihr so freundlich sein wollt, die Leiter aufzustellen?" antwortete der Verwalter. Er wies auf eine Klappleiter, die an der Wand lehnte, und griff sich von einem Werkzeugbord an der Frontseite des Kellerraums eine Brechstange. Als die Leiter stand, stieg er zur obersten Lage Fässer hinauf, stellte die Laterne ab und öffnete eines davon mit lautem Knarren und Quietschen: diese Fässer enthielten keine Flüssigkeiten, sondern waren vernagelt. Er legte den Deckel des Fasses auf dessen Nachbarn, griff hinein und stieg mit einem runden, flachen Gegenstand wieder hinunter. "Das sind die richtigen Fässer!" teilte er dem Soldaten mit und übergab Berytos die entnommene Probe.

Der flache, runde Gegenstand erwies sich als leicht, trocken und hart. Im Licht der Laterne konnte man erkennen, dass er eine gewellte Unterseite hatte und auf der Oberseite eine umrisshafte Form ähnlich der auf den Fässern trug. Berytos erwartete unwillkürlich, den horasischen Adler zu identifizieren, aber diese Form, die offenbar einer Model entstammte, stellte ziemlich eindeutig einen Raben dar. "Wie alt ist das denn?!"entfuhr es Berytos, in dem eine Ahnung aufstieg. "Vor dem Peraine Tausenddreißig jedenfalls!" knurrte der Stratiot dazwischen. "Aber stellt euch nicht so an! Die Alanfaner backen ihren Schiffszwieback genau so haltbar wie wir auch!"

Auf dem Meer zwischen Garén und Efferdas

Tamm-tamm Tumm!

Zum Glück war das Wetter schön und der Seegang schwach. Efferd war der Reise gewogen. Der Taktgeber der Sienna schlug mit dumpfem Schlag den anapaistos, den Rhythmus der Marschierenden und Ruderer, und zusammen mit dem Knarren der Riemen in den Duchten, dem Platschen und Rauschen des Wassers beim Eintauchen und Herausholen der Ruderblätter, dem Atmen und Ächzen der Ruderer und dem Zyklus von Beschleunigung und Geschwindigkeitsverlust, in dem die Galeere vorwärtsgetrieben wurde, übertrug sich diese vielstimmige Rhythmik wie der harmonische Zusammenklang eines Orchesters auf die Reisenden. Auf dem hinteren spatio, der Freifläche bei den Heckrudern, stand Lyitisanija Thirindar mit verschränkten Armen und genoss die Gelegenheit, wieder einmal selbständig ein Schiff führen zu können. Als Obristin der Seesöldner gehörte sie nicht zum seemännischen Personal, und als Kommandantin einer Karavelle oder Schivone wäre sie fehl am Platz gewesen. Aber Galeeren waren etwas anderes: für die Schwarzbunte Schar waren sie ein schnelles Transportmittel, bei dem sie sich nur auf sich selbst verlassen mussten, und Seegefechte wurden, von den Rammversuchen abgesehen, praktisch als modifizierte Landkämpfe ausgetragen. Das Rudern gehörte zur Grundausbildung der Seesöldner, und obendrein diente es der Stählung des Körpers. Eine zehnstündige Marschfahrt mit voller Zuladung von Garèn an die Küste der Coverna war eine anspruchsvolle, aber keine einzigartige oder gar unmögliche Übung, solange das Wetter mitspielte.

Tamm-tamm Tumm!

Die Sienna war eine Kriegsbeute der Hylailer Seesöldner. Sie war als Zithabar Teil von Leif Opatos Flotte bei Phrygaios gewesen, hatte nach dem auf dessen Schlachtentod folgenden "Separatfrieden" mit dem Rest der Mengbillaner die Flagge gestrichen und war als Prise eingebracht worden. Sie war ein stattliches Schiff von vierzig Schritt Länge bei nur sechs Schritt Breite, schnell, schlank und elegant, das von 168 Mann in der klassischen Weise a terzarolo gerudert wurde, also auf Ruderbänken mit jeweils drei Ruderern, von denen jeder einen Riemen zwischen zehn und elf Schritt Länge führte. Das ergab in diesem Fall 28 Ruderbänke pro Seite. Während die Riemen im Verhältnis zur Schiffslänge lotrecht hinauswiesen, waren die Ruderbänke in einem flachen Winkel ausgerichtet, um eine Versetzung der Ruderer einer Bank zueinander zu erzielen. Die klassische Methode stellte dabei hohe Ansprüche an die Mannschaft, weil nicht nur insgesamt der Takt gehalten, sondern auch die drei Riemen pro Bank, die unterschiedlich lang waren und in unterschiedlichem Winkel zur See geführt wurden, miteinander koordiniert werden mussten. Somit war es ein ideales Schiff für die Hylailer, die stolz auf ihre Ausbildung und ihre Ruderkünste waren. Die Mengbillaner hatten das Schiff überwiegend mit Sklaven besetzt gehabt, wovon noch die zahlreichen in die Decksplanken eingelassenen Eisenringe zeugten, durch welche die Ketten geführt worden waren. Anders als gefesselte Sklaven konnten ihre Leute bei Bedarf aus dem Takt aussscheren, um ein Bedürfnis zu verrichten oder eine Ration zu verzehren. Aber auch hier musste das geplant sein: kurze Pausen wurden stets für Paare von Backbord- und Steuerbordbänken gleichzeitig gewährt, um einen gleichmäßigen Vortrieb auf beiden Seiten zu erhalten. Es waren somit stets sechs benachbarte Ruderer gleichzeitig, die eine Erholung von wenigen Minuten genießen konnten. Und alle 168 Plätze waren besetzt.

Tamm-tamm Tumm!

Auf den Sklavengaleeren war das anders: als Lyitisanija ihnen bei Phrygaios in der Schlacht begegnet war, nach mehreren Tagen anhaltenden Ruderns und Manövrierens, stanken sie zum Himmel! Nach der Kapitulation hatte man die Mengbillaner Rudersklaven auch zunächst nicht losketten lassen, wie diese wohl gehofft hatten - zur Erleichterung der Unteroffiziere, die sich aus Angst vor der Selbstjustiz ihrer "Untergebenen" schon fast in die Hose gemacht hatten. Zunächst hatte man dafür gesorgt, dass sie grobe Seife erhielten, um nicht nur sich selbst damit zu waschen, sondern auch die Decks ihrer Schiffe gründlich vom Unrat freizuschrubben, anschließend hatte man sie mit Lebensmitteln und grundlegender medizinischer Hilfe versorgt. Es waren so viele gewesen, dass man sie unmöglich einfach hatte freilassen können. Mengbilla war als "Stadt der Tausend Verbote" zwar dafür berüchtigt, dass man auch aus nichtigen Gründen auf die Galeere geschickt werden konnte, aber bei einer in die Tausende gehenden Zahl "erbeuteter" Rudersklaven hatte man nicht riskieren können, die echten Mörder und Halsabschneider unter ihnen einfach laufen zu lassen. Also hatte man aus Methumis ein halbes Dutzend Hellsichtmagier kommen lassen, die einer Befragung assistieren sollten. Unter deren Aufsicht hatte man die an Bord mitgeführten Mannschaftslisten ausgewertet und die mengbillaner cumitu und suttu-cumitu zu ihren ehemaligen Gefangenen befragt. Am Ende waren sieben von zehn Gefangenen per Schiff nach Drôl übergesetzt und dort in die Freiheit entlassen worden, und einer von zehn hatte auf den Zyklopeninseln Arbeit gefunden. Es war aber dennoch ein gutes Hundert Kapitalverbrecher dabei gewesen, die umgehend in die zyklopäischen Minen geschickt worden waren. Auch in den Blei- und Silberstollen ihrer Kusine arbeitete wohl ein halbes Dutzend von ihnen. Bei den einfachen Dieben hatte man Gnade vor Recht ergehen lassen. Lyitisanija hatte später gehört, dass die Freigelassenenquote unter den alanfanischen Rudersklaven, die einem ähnlichen Verfahren unterzogen worden waren, niedriger gelegen hatte.

Tamm-tamm Tumm!

Die meisten von ihnen waren den Schrecken der Galeerenstrafe damit entronnen. Sie konnte des Hass der Thorwaler auf die Sklaverei gut verstehen. Bei Phrygaios hatten sich Szenen in ihr Gedächtnis eingebrannt, die sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen würde. Das Entsetzliche war in ihren Augen, dass diese armen Schweine weder fliehen noch sich zur Wehr setzen konnten - sie waren im Tod so wenig Herren über sich selbst wie im Leben. Wer bei einem Rammstoß an die falsche Ruderbank gekettet war, wurde zu einer blutigen Masse zerstampft wie eine Tomate im Mörser, und wer hier noch Glück hatte, würde dennoch ans eigene Schiff gefesselt ersäuft oder verbrannt werden. Für jeden einzelnen dieser Fälle hatte Lyitisanija aus unmittelbarer Nähe Beispiele beobachten können. Auch ihr eigenes Schiff war zur Ursache solchen Elends geworden, und dennoch hatten sie diese ausgelieferten Menschen töten: zerquetschen, ersäufen und verbrennen müssen, um die Schlacht zu gewinnen. In manchen Nächten träumte sie immer noch von dem, was die schrecklichste Erfahrung ihres Lebens gewesen war. Sie atmete tief durch.

Tamm-tamm Tumm!

Ungeachtet seiner Vergangenheit liebte Lyitisanija dieses Schiff. Wie ihre Männer und Frauen verachtete auch sie die überdimensionierten Großkampfschiffe, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden und in Mode gekommen waren. Die Alanfaner hatten schon um die Jahrhundertwende damit begonnen, mit anderen Rudereinrichtungen zu experimentieren - weil sie Sklaven rudern ließen, ließ bei ihnen die Ausbildung oft zu wünschen übrig, was auch durch drakonische Körperstrafen bei Fehlleistungen nicht grundsätzlich behoben werden konnte. In dem neuen Verfahren, das in der Schwarzen Armada a scalucciu genannt wurde, wurden die Ruderbänke exakt lotrecht zur Schiffslänge ausgerichtet und drei bis fünf Ruderer an einen einzigen überdimensionierten Riemen gestellt. Das verringerte die Ansprüche an die Koordination, ermöglichte mit dem Größenwachstum der Riemen zugleich ein solches der Schiffe und hatte der Flotte des Rabenfelsens seit dem Khômkrieg eine Reihe neuer Großgaleeren hinzugefügt. Dies wiederum hatten die Liebfelder nicht auf sich sitzen lassen und das neue Prinzip mit hesindianischer Gründlichkeit bis an seine Grenzen ausgereizt: das Resultat war die Galeasse oder Kusliker Galeere, ein schwerfälliges und langsames Ungeheuer, das weit über dreihundert Ruderer benötigte, aber nicht mehr Rotzen an Bord nehmen konnte als eine moderne Schivone. Und doch waren nicht weniger als zwölf Exemplare dieses Monstrums gebaut worden, die nun an verschiedenen Orten des Seekönigreichs aus Mangel an Besatzung und Beweglichkeit ungenutzt vor sich hin dümpelten. Das Garèner Exemplar, die "Murak-Horas", war aufgeslipt und hinter einem Bretterzaun verborgen worden, als ob die Stadt sich ihrer schämte. Der Name des Schiffs war Gegenstand von Witzen der Art: "Mit Murak-Horas erreichte der horasische Schiffsrumpf seine größte Ausdehnung!" Selten hatte Horasien so viele Dukaten so sinnlos verpulvert wie beim Bau dieser Ungetüme - darin war man sich bei den Hylailer Seesöldnern einig. Mochten sich die Schwarzen Säbel von Kuslik hinter deren Schanzkleid verstecken und im Sklavenstil rudern, wenn dieses Vieh schon "Kusliker Galeere" hieß - die Hylailer hätten eher gemeutert, als sich darauf abkommandieren zu lassen.

Tamm-tamm Tumm!

Am späten Nachmittag kam die Küste der Coverna in Sicht - nur noch ein Dutzend Meilen also. Die heutige Übung war friedlich und würde ihrer Einschätzung nach in Efferdas schlimmstenfalls zu ein paar Raufereien führen, denn sie vertraute dem abschreckenden Ruf ihrer Untergebenen. Das Schreiben ihrer Kusine hatte auf eine gewisse Verstörung schließen lassen - aber Lyitisanija war sich bewusst, dass Halca sich auf dem politischen Parkett von Efferdas noch unsicher fühlte und zu Übertreibungen neigte. Dennoch schien es ihr ernst zu sein: trotz der verwandtschaftlichen Bande und dem geringen Risiko für Leib und Leben würde sie dieser Einsatz der Seesöldner nicht ganz billig kommen, vom Preis für die Lebensmittel abgesehen. In dem, was dem Schreiben zufolge eine politische Krise mit wirtschaftlichen Folgen zu sein schien, wollte sie offenbar an Engagement für ihre neue Heimatstadt nicht hinter anderen zurückstehen. Dass es sich bei dieser Stadt um eine Vasallin der Serenissima handelte, entbehrte nicht der Ironie! Halca und "Republik"? Da würde sie noch vieles lernen müssen! Auf den Zyklopen war man loyal oder illoyal, etwas Drittes gab es nicht! Wobei man, wie die Seesöldner, innerhalb der Loyalität seine Freiheiten haben konnte, wenn man den gebührenden Respekt an die Obrigkeit entrichtete - ein "Respekt", der auch eine sehr materialistische Gestalt annehmen konnte.

Am Horizont wurden im Schattenriss der Stadt einzelne Gebäude erkennbar. "Vorbereiten auf Landemanöver!" brüllte sie und eilte über den corsio, den Laufsteg zwischen den Ruderbänken, zum vorderen spatio. Auf den ersten zwei Ruderbänken an Backbord und Steuerbord fixierten die Ruderer die Riemen und legten ihre Rüstungen an. Sie würden als erste von Bord gehen, gegebenenfalls den Kai sichern und die Festmachetaue legen. Da es sich zumindest theoretisch um eine militärische Landeübung handelte, wollte Lyitisanija die erste sein, die das Schiff verließ. Mit scharfem Blick versuchte sie, frühzeitig die Situation an den Kais zu erfassen und hielt nach einem möglichen Liegeplatz für ihr Schiff Ausschau.

Autor: di Piastinza