Briefspiel:Stille Wasser/Akt Ie

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Übersicht   Prolog   Akt I   Akt II   Epilog  
Graue Himmel und Grablegen   Ankunft im Regen   Albträume im Bergfried   Testamentsverlesung und Verlesungen im Testament   Auslegungssache   Suppengenuss   Suppensucht   Suppengift    

Horasio ya Papilio

Horasio Madarin legte einen seiner flinken, rundlichen Finger vor die Lippen, wie um nicht vorschnell zu sprechen, und ließ die Augen durch die Runde wandern. Er hüstelte, um das ihm unangenehm werdende Schweigen der Versammelten zu durchbrechen, lächelte "Großonkelchen" Olwid gewinnend an und ergriff das Wort: "Ich will rasch die wesentlichen drei Punkte für diejenigen noch verständlicher wiederholen, die nicht wie Magister Leophex und meine Wenigkeit von Haus aus mit der Rechtsgelehrtheit vertraut sind: Erstens, Abt Olwid wacht über das gesamte Testamentsverfahren, und damit ein Geweihter der Travia - ein gutes Zeichen für Zusammenhalt, Eintracht und Ordnung. Zweitens, als Gesamterbe überantwortet unsere betrauerte Tante Ismiane das Haus Halthera mit allen Besitztümern, Rechten und Pflichten, insbesondere gegenüber dem Kloster zu Wanka, ihrer Schwägerin Atroklea ya Papilio. Von dieser Erbschaft ausgenommen ist drittens als gesondertes Vermächtnis, über welches der in diesem Raum als versammelt zu betrachtende Erbenrat zu entscheiden haben wird, jedoch die Fuldigorsfeste. Dies nur ganz knäpplich zur Zusammenfassung der Testamentsschrift - über diesen dritten Punkt werden wir nun also ausführlich zu beraten haben."
Rahjada, seine stille, in dieser Gesellschaft durch ihre schlichte Tracht erst recht unscheinbare Schwester, schien nach seinen Worten noch blasser zu werden und sich danach zu sehnen, einfach in der Rückenlehne ihres Sessels zu versinken.

Leophex von Calven

Leophex beugte sich kurz zu seinem Oheim hinüber. Dieser nickte unwillig, nachdem einige getuschelte Worte getauscht waren, und leerte den Kelch in seiner Hand hastig. Der junge Rechtsgelehrte beugte sich - so wie er es für wirkungsvoll hielt - vor und hob mit ruhiger Stimme (obgleich er sein Herz bis zum Halse pochen hörte) an zu sprechen:

"Weise gesprochen, Horasio!" Leophex hatte sich noch rechtzeitig erinnert, dass er mit dem jungen Papilio im Halbdunkel einer methumischen Schenke vor Jahren manchen Becher Wein geleert hatte; vielleicht ein wenig spät, allerdings war die Zahl seiner Zechkumpanen in Studientagen nicht gering gewesen. "Gelehrter Herr, meine ich natürlich. Weise gesprochen - und doch... Sollte sich nicht auch eine andere Deutung dem Kundigen aufdrängen? Ich will gar nicht sprechen von manchem gravierenden maculum formale, welche bedeutsame Zweifel an der Wirksamkeit dieser Verfügung mortis causa erwecken mögen. Noch weniger will ich Ruf und Ehre der ursprünglichen Testamentszeugen angreifen, obgleich sie als Teilbegünstigte eine solche Stellung more jurisque bosparanici einzunehmen nicht in der Lage waren. Dächte man sich da einen Vertrag, gälte doch alteri stipulari nemo potest!"

"Was ich jedoch nicht unwidersprochen lassen kann, ist die interpretatio voluntatis , die mein Collega Horasio hier vortrug. Dass also der Erbenrat nur über die Fuldigorsfeste entscheiden möge, nicht aber über den Rest des Erbes, deucht mich doch eine verwegene Auslegung des Testaments. Vielmehr muss man doch lesen: Der Erbenrat solle das über das Erbe entscheiden“, Leophex machte eine Kunstpause und warf einen intensiven Blick in die Runde – schade, dass so wenig Weibsvolk anwesend war – bevor er fortsetzte, „und, ja und auch über den Kastellan zu Fuldigorsfeste beraten.“
„Der Gelehrte Herr ya Papilio scheint mir jedoch letzteres überzubewerten. Die Rechte, die dem Hause ya Papilio im Testament zunächst eingeräumt werden, sind auch nicht jene, welche im codicillum posterior garantiert werden.“ Er schaute abermals Horasio an und trank einen Schluck Wein. „Das Hochachtbare Haus derer ya Papilio, zunächst zum Erben eingesetzt, wird lediglich nicht enterbt, seine Mitglieder behalten also ihre Rechte als Erbe nachrangiger Ordnung und können fürderhin bei einem erneuten Erbfall diese Rechte geltend machen. Die unmittelbare Erbeinsetzung im Testament ist durch die letzte Bestimmung allerdings nichtig. Allenfalls sollte eine Verwahrung für den letztgültigen Erben ihr Recht und ihre Pflicht sein.“
„Was die Besetzung des Erbenrates angeht“, er hatte den Ellenbogen Carons in der Seite gespürt und wusste, dass er zum Ende kommen musste, „so stimme ich Hochwürden Olwid insofern zu, als die Anwesenden, welche Erbrechte haben und geltend machen können, diesen bilden sollten.“

Zufrieden lehnte sich Leophex zurück, als er den gleichermaßen verwirrten wie dankbaren Blick Carons auf sich ruhen spürte. Er steckte sich ein Cigarillo an und genoss es. Wie gern er sich selber reden hörte...

Dozmano Kaltrek

Dozmano blickte nachdenklich auf seine Finger, die er sorgsam einer genauen Prüfung zu unterziehen schien. Eigentlich wollte er dem Anstand nur Genüge tun und der Verstorbenen seine Aufwartung machen und den Verwandten seine Anteilnahme bekunden. Das, so war er sich sicher, hätte sein Vater von ihm erwartet. All die Jahre hatte dieser die Fürsorge, die die Herrin von Wanka ihren Untergebenen entgegen brachte, gelobt. Sein gutes Verhältnis zu ihr beteuert und immer wieder betont, was Wanka dieser Frau zu verdanken habe. Wäre nicht der offensichtlicher Standesunterschied gewesen, hätte man sonst was denken können. Trotz allem war Dozmano sich aber sicher, dass seinen Vater mehr mit der Kastellanin der Fuldigorsfeste verband als offensichtlich war. Nun, das war jetzt Geschichte, in Zukunft würde es in Wanka nicht leichter werden. Ihn selbst mochte das nicht stören, doch seine ganze Familie lebte hier – nein, nicht seine Ganze, schoss es ihm durch den Kopf, nicht dieser hochnäsige Wankara. Er blickte sich langsam im Kreis der Anwesenden um. Schmeißfliegen allesamt, warten nur darauf Ihre Eier in den kaum erkalteten Leib zu legen. Ihnen allen stand unter ihrer Arroganz die blanke Gier ins Gesicht geschrieben und jeder von ihnen geiferte nun nach einem Stück des Kuchens, nachdem dieses unsägliche Testament ihnen etwas zum Streiten gegeben hatte. Zu schade nur, dass für Ihn nichts dabei abfallen würde. Schon wollte er sich erheben und den Erlauchten Kreis zu verlassen, gehörte er doch offensichtlich nicht zum Kreis der Erben, als ihm eine Idee kam.
Nachdenklich zwirbelte er seinen Schnurrbart, dann sprach er in die aufkommende Stille hinein. „Ich bin mir sicher, meine Herren, dass sich diese unterschiedlichen Auffassungen schnell klären lassen, sobald man sich darüber im Klaren ist um was es hier geht. Der Titel eines Kastellans mag wohl einiges an Gewicht haben und die Fuldigorsfeste ist sicher sehr geschichtsträchtig und so bin ich mir sicher, dass der Erbenrat eine weise Entscheidung treffen wird.“ Er machte eine kurze Pause und sah in die ihn herablassend musternden Gesichter. „Das Leben auf der Feste, eigentlich müsste man wohl eher Ruine sagen, kann doch recht entbehrungsreich sein und nicht jedem ist es gegeben einer solch geistig und gesellschaftlich kargen wie auch an Annehmlichkeiten mangelnde Zukunft entgegen zu blicken. Seht, ich komme aus Wanka und kenne das Leben hier auf dem Lande, das ist nicht jedermanns Sache!“ Mit ausholender Geste wies er zum Fenster und das Grauschwarz, das sich dort hinter verbarg. „Aber da erzähle ich Euch ja nichts Neues, habt Ihr doch alle den Weg hierher gefunden. Auch der Umgang mit den Leuten ist so gänzlich anders als man es aus den Städten gewohnt ist. Insbesondere wenn jetzt, nach dem ominösen Ablebens meines Vaters, die leitende Hand fehlt. Aberglaube und Fremdenfeindlichkeit sind leider noch recht verbreitet. Nun ja, glücklicherweise ist Euch ja nicht vorgegeben jemanden aus Eurem Kreis zu benennen, sollte sich kein Freiwilliger finden...“

Francidio di Côntris

„Signores!“, erhob sich der ungeladene Gast aus dem Haus di Côntris. Jetzt da er seinen gewachsten Mantel abgenommen hatte, war er in ein schlichtes schwarzes Wams im grangorer Stil gekleidet. Sein markantes Gesicht mit der zyklopäischen Nase war den meisten Gästen aus Shenilo wohlbekannt, war er doch für viele Jahre Schöffe des Domänengerichts von Pertakis gewesen. Beliebt war er jedoch aufgrund seiner Parteinahme für die Landstadt Pertakis im Krieg der Drachen jedoch bei den wenigsten.
„Es ist ein seltsamer Umstand, dass die Herrin von Wanka so kurz vor ihrem Tode einen Sinneswandel gehabt zu haben scheint.“ Mit ernstem Blick wandte sich Francidio seinem Schwager, dem Herrn von Elmantessa zu.
„Mit Verlaub, es sollte geprüft werden ob die Änderung des Testaments auch rechtmäßiger Natur ist. Ich wage es kaum auszusprechen, doch möglich ist, dass der Zusatz in diesem Testament nicht nur post scriptum, sondern auch post mortem verfasst wurde.“ Der von Kerzen nur spärlich beleuchtete Ribatsaal wurde kurz vom Licht eines Blitzes erhellt. Kurz darauf ertönte ein donnerndes Grollen. „Ist dieses Kräuterweib zugegen, um Auskunft über den Sinneswandel der Signora Ismiane zu geben?“ Ein rasselnder Husten löste sich aus Francidios Lungen.