Briefspiel:Stille Wasser/Akt IIa

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Leibesschwachheiten   Ein Küchenunfall   Giftmischer und Quäker   Hinab!   Oben bleiben!    

Francidios Schüssel, halbvoll

Just in diesem Moment richtete sich Francidio di Côntris auf. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und tropften nun langsam von seiner Schläfe. Ungläubig richtete er seinen Blick auf das andere Ende des Saals. Schweren Atems beugte er sich über die Tafel, auf die er sich mit einem Arm stützen musste. Wie unter großer Anstrengung streckte er seinen Finger aus, so als wolle er auf etwas zeigen.
„Du verfluchte…!“, kam es ihm über die Lippen. Der Fluch blieb ihm jedoch im Halse stecken. Ein grauer Schwall von Erbrochenem stieß aus seinem Mund hervor und ergoss sich in seinen halbvollen Suppenteller, und darüber hinaus. Es folgte ein weiterer Strahl. Und ein weiterer. Mit jedem Mal zuckte der Pertakke krampfartig zusammen. Mit beiden Händen stützte er sich auf der Tafel auf um nicht abzurutschen und krümmte sich über seine Schüssel.

Leophex von Calven

Ungläubig blickte Leophex den ergrauten Gregoran an, der offensichtlich sein kleines Bäuchlein zu schnell oder zu reichlich mit Suppe gefüllt hatte. Der junge Mann musste jedoch zugeben, dass er in Belhanka schon exquisitere Belhancani gespeist hatte. Sündhaft teuer, gleichwohl eine leichte und wohlverdauliche Delikatesse, die auch der Koch seines Vaters mit den Fischen aus den heimischen Teichen nie so ausgewogen und geschmackvoll hatte zubereiten können. Nun hatte er aber genug an Suppe gedacht, sein gröbster Hunger war jedenfalls gestillt. Eigentlich hatte er vorgehabt, in aller Diskretion den Abtritt aufzusuchen. In seinem Magen rumorte es. Er wandte seine Aufmerksamkeit dennoch der unruhigen Alten im Türrahmen zu. Die Witwe seines Bruders – leider hatte er sie nie kennen gelernt – war verunglückt? Ein ausnehmend hübsches Ding sollte sie ja sein, aber mittlerweile wieder verheiratet. Ausgerechnet mit einem Vetter Gregoran Gabellanos, einem Forstbeamten. Ausgerechnet einem Forstbeamten! Wie schade. In Methumis hatte er gehört, auf den Zimtinseln dürften die Männer die Witwen ihrer Brüder übernehmen. Und Leophex hatte beschlossen, dass es Zeit sein könnte, sesshaft zu werden.
„Mein verehrter Herr Olwid...“, hub er zu sprechen an, wobei er sich erheben wollte. Er merkte jedoch, wie ihm die Beine schwer wurden. Um nicht eine allzu lächerliche Gestalt abzugeben, entschied er sich, seinen Plan, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, aufzugeben. Mochten doch andere in den Regen hinaus. Rondrens Donner nochmal, er fühlte sich wie ein Greis oder wie damals, als er im Drôler Hafenviertel mit Flinkem Difar darniedergelegen hatte. So konnte er jedenfalls Geronya nicht unter die Augen treten. Kaum jemand schien sich aber über seinen kleinen Schwächeanfall zu belustigen. Die übrigen Anwesenden schienen auch nicht eben das blühende Leben zu sein. Verdorbener Fisch? Danach hatte das Süppchen nun auch eben nicht geschmeckt...
In diesem Moment verteilte der ältere di Côntris seinen Mageninhalt auf der Banketttafel, ein unerfreulicher Anblick. Eine Vergiftung? Wer mochte den halben Adel der Ponterra vergiften...? Mitten in diesem Gedanken fuhr er herum. Eine schwere, kalte weiße Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt. Leophex‘ Hand wollte zum Langdolch an der Seite wandern. Da sah er, dass sich nur sein Gevatter Caron mühsam auf ihm abstützte. Sein massiger Leib war zur Seite gekippt, sein totenblasses Gesicht war zu Boden gerichtet und der beleibte Hals würgte vernehmlich, wofern es nicht von atemlosen Japsen unterbrochen wurde. Leophex konnte seine Stiefel gerade noch aus dem Gefahrenbereich ziehen, bevor sich ein bemerkenswert üppiger Strom aus anverdauter Fischsuppe auf den strohbestreuten Steinboden ergoss.

Rahjada ya Papilio

Rahjada ya Papilio hatte sich in dem Aufruhr, der gleichermaßen von den jähen Neuigkeiten wie von rebellierenden Mägen herrührte, so weit das irgendwie möglich war, in ihrem Stuhl zurücksinken lassen. Sie sah ihre Abneigung gegen Efferdsspeisen durch die Übelkeit der anderen Gäste bestätigt. Gut, dass sie nur aus Höflichkeit ein wenig von der Terrine genippt hatte. Sie sehnte sich nach einem Süßholz, um den Geschmack, nach einem Duftwasser, um den Geruch des Fischs zu überdecken. Ihr Bruder Horasio war auch beim Hereinplatzen der Büttelin ruhig sitzen geblieben, fiel ihr jetzt auf, ganz entgegen seiner Art. Ein Blick zu seinem sauber leer gelöffelten Teller, zu den über der Leibesmitte verkrampften Händen, zu seinem grau gefärbten Gesicht verrieten ihr sogleich den Grund. „Bruder, wie ist dir?“, fragte sie und erhob zum ersten Mal in diesem Raum die überraschend dunkle Stimme. „Muss ja...“, entgegnete er gepresst. „Hab schon... untern Tisch getrunken... in Methumis und Shenilo... so eine verdorbene Forelle... mich nicht...“ Aus einer der vielen kleinen Taschen seiner Weste zog er ein mit grüner Flüssigkeit gefülltes Fläschchen mit buntem Etikett, entfernte den Korken und hielt es Rahjada hin: „Auch ein Schlückchen?“, witzelte er mühsam.
Als die junge Frau das nach Alkohol riechende Getränk ablehnte, setzte er es an die Lippen und leerte es in einem Zug: „Wermut-Anis-Fenchel-Likör“, erklärte er. „Gut für den Magen.“ Rahjada fächelte den Geruch hinfort, der sich in den Gestank der Magensaftpfützen im Raum mischte und wünschte sich ein weiteres Mal in eine ruhige Schreibstube in Shenilo oder Vinsalt. Dann aber tippte sie Horasio hartnäckig auf den rundlichen Unterarm: „Signora Menaris, hast du gehört, vermisst eines ihrer Kinder und dessen Amme! Wie schrecklich! Jemand sollte eine Suche anführen!“ Ihre Stimme war während dieser Worte ständig lauter geworden, ohne dass sie es beabsichtigt hatte, bis sie auch im fernsten Winkel des Saals zu verstehen war. Etliche Augenpaare ruhten einen Moment auf ihr, zum Teil als ob man sie erst jetzt bemerkt hätte.
Die Schreiberin schalt sich innerlich, sich nicht besser beherrscht zu haben, und fügte erklärend hinzu: „Ich meine, sie ist eine Zauberin... hat sich in Amhallah mit Rat Gishtan... und natürlich auch Cavalliero Batiste... dem tyrannischen Herrscher entgegengestellt... Es muss etwas Schlimmes vorgefallen sein, wenn Adepta Geronya nicht in der Lage war, ihre beiden Kinder sicher bei sich zu halten. Man muss etwas tun!“ Horasio neben ihr nickte zustimmend und erhob sich schwankend: „Genau! Vielleicht hätte die Signora auch etwas zur Diskussion beizutragen, falls ihre Sorge um den Nachwuchs verflogen wäre. Ich...“ Der Rechtsgelehrte sprach nicht weiter, sondern hielt sich würgend die Hand vor den Mund. Eilig schob er seinen Stuhl nach hinten, der dabei umkippte, und hastete zur Tür, die zum Abort führte. Rahjada senkte die Augen zu Boden, um dann den versammelten Herren einen hilfesuchenden Blick zuzuwerfen. Ich kann ihnen doch nicht sagen, was sie tun sollen!, dachte sie.

Gorrada Altmeister

Eine Katastrophe! Wie damals, bei der Hochzeit der Herrin mit Signore Dego. Gorrada versuchte ihre Gedanken zu disziplinieren, hatte aber Schwierigkeiten. Nein, das hier ist schlimmer! Damals hatte eine junge Küchenmagd Salz und Zucker vertauscht und ein halber Truthahn und eine Tafel voller Windbeutel waren nicht angerührt worden. Sie verscheuchte die Erinnerungen an damals und blickte besorgt in das bleiche, schmerzverzerrte Gesicht des Abtes, den Erzprior Alexandrian nun behutsam auf seinem Mantel zu Boden gelegt hatte. Während um sie herum kaum einer die Suppe an sich halten konnte, schien der Abt tapfer seinen Willen gegen die Übelkeit zu stämmen. Die Suppe...Kann es sein...? Eben hatte der Signor von Banquiris zur Tür, hinaus auf den Flur des Rittertraktes gewiesen. Ihr kam ein ungeheuerlicher Gedanke. Dann seufzte sie tief. Zuerst galt es zu handeln.
Alexandrian di Selshed hatte sich über den Abt gebeugt und musterte ihn mit düsterer Miene, gerunzelter Stirn und erkennbarer Konzentration. „Erzprior, könnt Ihr helfen?“ Ohne aufzublicken nickte der Geweihte aus Selshed und griff mit beiden Händen nach Kopf und Nacken Olwids, auf seinen Lippen las sie den Namen des Herrn der Gezeiten und der Bewahrerin des Lebens. Gorrada richtete sich auf und suchte Magd und Gardistin mit ihren Blicken. „Vanossa, hole Schüsseln und Tücher und auch eine jener gelben Wurzeln, die so scheußlich riechen, aus der Küche. Eile dich!“ Scheuen Blickes blinzelte die Angesprochene auf Signore Boronello hinab. „Ich kümmere mich um Signore Halthera“, stellte Gorrada daher klar. Vanossa spritzte endlich in Richtung Tür davon. Die Haushofmeisterin wandte sich an die Gardistin. „Ucuria, informiert Barisan über das, was hier geschehen ist! Und findet Yelaya, wir brauchen ihr Wissen hier!“ Wenn der di Côntris und ich uns täuschen, kann sie vielleicht helfen. Wenn nicht wird sie sich zu verantworten haben!
Gorrada erhob zögerlich, dann entschlossen die Stimme und wandte sich an alle Anwesenden. „Ich bitte Euch, Signori und Signora Rahjada, behaltet die Ruhe. Kaum einer scheint in der Verfassung, in diesem Unwetter und ohne Praios helfendes Auge eine Suche anzuführen! Wir wollen erst sehen, dass diese ... unglückliche Magenverstimmung Behandlung erfährt!“ Wie um ihre Worte zu unterstreichen stöhnte mit einem Mal Alexandrian di Selshed auf. Der Erzprior presste beide Fäuste gegen seinen Leib und ein einzelner Atemstoß kam über seine Lippen. Alexandrian verkrampfte sich und sank dann neben dem Abt zu Boden. Gorradas Brust wurde von einer kalten Hand der Furcht zusammengedrückt. Abt Olwid hatte schwach die Augenlider aufgeschlagen, seine Brust hob und senkte sich langsam. Alexandrians Brust bewegte sich dagegen nicht mehr. Bei den Göttern, eine Katastrophe!