Briefspiel:Südwärts!!/Prolog II

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Stadt Sewamund klein.png Briefspiel in Sewamund Uthuria Logo.png
Datiert auf: 1035 BF/1036 BF, ab Herbst 1046 BF (laufend) Schauplatz: Sewamund, Meer der Sieben Winde, Südmeer, Uthuria Entstehungszeitraum: Juli 2013-??? / ab November 2023
Protagonisten: viele (s.u.) Autoren/Beteiligte: Familie van Kacheleen.png van Kacheleen, Familie Luntfeld klein.png Luntfeld, Familie Degano klein.png Marakain, Haus di Piastinza.png DiPiastinza, Familie Cortesinio.png Cortesinio
Haus di Salsavur.png Rondrastein (nur 1035/36 BF), Familie Vesselbek.png Vesselbek (nur 1035/36 BF)
Zyklus: Übersicht - Uthuria-Fieber -

Fahrt ins Ungewisse - Neustrukturierung Uthuria-Konsortium


Südwärts!!   Uthuria-Konsortium   Cusimia   Perlhaven   Neu-Sewamund   Dairons Wacht   Uthuria-Expedition 1035/36 BF   Uthuria-Expedition 1046 BF  
Jährliche Uthuria-Flotten   Sanct Stordian   Sanct Brigon   Raubvogel   Liliendrache   Sturmschwalbe   Sanct Parvenus   Florina Weyringer   Stern von Mylamas   Bastan Munter   Alessandrian Arivorer    

„Die Jaguarinseln, und damit der direktest mögliche südliche Weg, sind also zugunsten eines Südsüdostkurses zu meiden, und jenseits von Porto Korisande beginnt das Unbekannte.“

„Welche Fahrtzeiten?“, hakte Holdur Degano nach. „Mindestens zwei Wochen ab Brabak, je nach Wind“, antwortete Leonardo Cortesinio. „Üblicherweise beständig Nordost, aber vor den Inseln der Risso kann es zu Windstille kommen, unter welchen Umständen, oder ob das jahreszeitlich festgelegt ist, weiß ich nicht zu sagen. Es wird zu den Aufgaben der Expedition gehören, hier verlässlichere Aussagen zu sammeln - oder selbst Erfahrungen zu machen! Und darüber, wie es jenseits des Gleichteilers aussieht, wissen wir nichts!“

„Also sind mindestens vier Wochen einzuplanen, besser sechs!“, folgerte Degano. „Nur für den Hinweg! Acht ab Brabak, mit der Möglichkeit, in Porto Korisande geringfügig aufzustocken. Dieser Hafen wird nicht mehr als nur ein kleines Nest sein! Das heißt: große Schiffe. Schivonen oder Karracken.“

„Karracken sind verwundbar“, wandte Amaldo di Piastinza ein. „Langsam und verwundbar, und wehe, sie geraten auf Untiefen! Mein Adjutant hat damit schlechte Erfahrungen gemacht, auf den keraldischen Sänden! Eine bornische Expedition war dort zu Ende, ehe sie richtig begonnen hatte! Wäre nicht eine Vielzahl von Karavellen dem vorzuziehen?“

Holdur Degano lachte laut auf. „Ihr dürft diese Vielzahl gern auf meiner Werft in Auftrag geben, wenn Ihr das nötige Kleingeld habt, Piastinza!“ Auch Khardan Luntfeld grinste jetzt breit. „Degano hat Recht, Piastinza! Ihr scheint nicht zu wissen, was Neubauten kosten!“ Er wandte sich an Holdur: „Weshalb Ihr, Degano, in Betracht ziehen solltet, Euer Geld zur Abwechslung mit Instandsetzung zu verdienen anstatt mit Neubau! Da wir auf dem Stand der Dinge auch einen Totalverlust nicht ausschließen können, brauchen wir nicht zwingend werftneue Schiffe, sondern nur solche, die in gutem Zustand sind. Neu kalfatert und mit einem frischen Anstrich gegen Bohrwürmer. Laufendes und stehendes Gut austauschen, soweit es morsch ist, nur die Segel könnten neu sein.“ Holdur verzog pikiert das Gesicht, oder spielte es, fügte eine Geste des Gewährens an, indem er die Handflächen nach oben kehrte und sagte mit Nachdruck: „Auch das können wir beitragen, was denkt Ihr! Es werden nicht die ersten Schiffe sein, die wir überholen! Welche Fahrzeuge habt ihr denn im Sinn?“

„Das wird sich im Einzelnen zeigen!“, erwiderte Khardan. „Denn angesteckt von der Euphorie Signor Amaldos – er nickte dem Gastgeber zu – sind wir bereits dabei den vierten und fünften Schritt vor den ersten dreien zu besprechen. Und die ersten Schritte in einem solchen Unternehmen heissen nun mal Geld, Geld und nochmals Geld.“ Er blickte in die teils fragenden, teils skeptischen Gesichter ringsherum und erklärte geduldig: „Eine Unternehmung dieser Größenordnung verlangt nach Zehntausenden von Dukaten Investition ohne die geringste Garantie auf einen Gewinn. Meine Dame, meine Herren, haltet inne, überschlagt kurz die finanzielle Situation eurer Familien und Unternehmungen und fragt euch dann: Seid ihr willens und in der Lage, für dieses Vorhaben Gold oder entsprechende Sachwerte, sein Blick ging in Richtung Holdur Degano, im Wert von fünf- bis zehntausend Dukaten aufbringen und gegebenenfalls verschmerzen zu können?“ Ich schätze unter 50'000 Dukaten Kapital brauchen wir uns um Schiffe und Vorräte gar nicht erst die Köpfe heiß zu reden. Zwischen Grangor und Belhanka wird sich sicher so oder so finden, was wir benötigen. Eine Schivone, als Kompromiss zwischen Laderaum und Feuerkraft, sowie eine, maximal zwei Karavellen für die Aufklärung, das ist mein Vorschlag! Mit einer Karracke halten wir uns nur auf, darin stimme ich Euch zu, Piastinza! Ob wir uns zwei oder drei Schiffe leisten können, hängt von den Einzelheiten der Kalkulation ab. Ich erbiete mich, im Anschluss an diese Unterredung eine solche anzufertigen. Fahrzeuge, Gehälter, Heuer, Proviantierung, Ausrüstung, etcetera etcetera. Aber zunächst müssen für mich die finanziellen Rahmenbedingungen festgelegt sein.“

Amaldo stimmte widerstrebend zu: „Ich werde Eure Aufstellung mit Spannung erwarten! Sie ist Voraussetzung, um eine sinnvolle Umlage der zu erwartenden Kosten auf die Mitglieder des Konsortiums vorzunehmen. Ich unterstelle, dass wir alle uns darüber im Klaren sind, dass wir über eine Aufteilung von Gewinnen erst dann werden reden können, wenn wir wissen, in welcher Form diese zu erwarten sind.“

„Damit können wir unsere Aufmerksamkeit nun auf die Frage nach der Besatzung richten.“

„Meint Ihr nur die Besatzung der Schiffe, oder auch die Besatzung einer Kolonie?“, erkundigte sich Aurelio van Kacheleen. Bei dieser Frage hob Colombino di Bellafoldi erwartungsvoll die Brauen, deutete ein Lächeln an und blickte, wortlos zu einer Antwort auffordernd, in die Runde.

Jetzt war Holdur Degano überrascht: „Ihr wollt gleich dort unten bleiben? Ohne zu wissen, wie groß die Entfernungen sind? Ohne die Küstensäume zuvor aufzuklären? Wollt ihr den erstbesten Ankerplatz nehmen? Ein Stützpunkt bindet Vorräte und Mannschaften auf längere Zeit im Ungewissen!“ „Das eine schließt das andere nicht aus!“, beschwichtigte Leonardo Cortesinio. „Auch das Land selbst will erkundet sein, nicht nur sein Küstensaum, und dazu muss eine Abteilung vor Ort verbleiben. Wenn wir einen geeigneten Standort finden, ist es verschwendete Zeit, die Erkundung des Landes erst mit einer weiteren Expedition zu beginnen. Und wenn nicht - nun, dann ist das Unternehmen ohnehin schwieriger, als wir alle derzeit hoffen!“

Hier schaltete sich Colombino di Bellafoldi ein: „Bevor Ihr einen Stützpunkt errichten könnt, müsst Ihr zunächst die See überqueren, wie mir scheint.“ Er lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück, fasste den vor ihm stehenden, gläsernen Weinkelch mit vier Fingern am oberen Rand und drehte ihn wie beiläufig in mehreren Dritteldrehungen um die eigene Achse. „Signor Holdur stellte Euch diese Frage bereits: wie kommt Ihr über das Feuermeer, Signor Amaldo? Es heißt, dort wehe kein Wind mehr, und die Hitze sei unerträglich! Wollt ihr die Karavelle durch eine Galeere ersetzen? Oder Elementare beschwören lassen? Wie bewahrt ihr die Moral Eurer Seeleute, wenn das Wasser in den Kesseln fault und die See glatt wie ein Spiegel ist?“

Auf diesen Einwand hatte Amaldo sich vorbereitet. „Ich würde das Feuermeer fürchten wie das Feuer selbst, Euer Wohlgeboren, wäre es, wie wir nun wissen, nicht bereits überquert worden. Und da auch alanfanische Granden eine Galeere nicht in ein hochseetüchtiges Fahrzeug verwandeln können, müssen wir annehmen, dass sie nach Uthuria gesegelt sind. Trotzdem können die Schiffe natürlich in einer Flaute liegen bleiben. Nun kann man auch ein Segelschiff durch Ruder fortbewegen, wenn man Duchten in die Bordwand schlägt, aber die erforderlichen Riemen sind für ein Schiff dieser Größe zu lang, um sie effizient zu stauen, und mehr als zwei oder drei Paare lassen sich nicht sinnvoll anbringen. Möglich ist das also nur auf sehr kurzen Strecken, und sehr mühselig obendrein. Die Schiffe sollten aber groß genug sein, um eine Jolle auf Deck mitzuführen. Dann haben wir die Möglichkeit, sie von den Beibooten durch die Kalmen schleppen zu lassen. Bei Windstille spielt ja der Seegang keine Rolle, auch die kleinste Nussschale kann da gefiert werden. Da können wir den Ruderern sogar ein Sonnensegel aufschlagen. Auch das Rudern kann dauern, ist aber besser, als zwei Wochen auf der Stelle zu liegen und mit unbekannten Strömungen abzudriften. Und genau das wird die Moral der Seeleute retten: solange sie rudern, können sie auf ihr Schicksal Einfluss nehmen. Jeder kommt an die Reihe, in Schichten von sechs Glasen, jeder leistet seinen Beitrag.“

Colombino nickte beifällig, als habe er nur prüfen wollen, ob Amaldo etwas von der Seefahrt verstand und auf seinen Einwand eine Entgegnung bereitliegen hatte. Er nahm einen Schluck aus dem Kelch und wedelte mit der Hand: „Fahrt fort!“ Zurück zur Personalfrage!“, erhob van Kacheleen die Stimme. „Setzen wir die Frage nach Mannschaften und Kolonisten vorläufig beiseite, so stellt sich zuerst die Frage nach den Offizieren und Spezialisten. Welche Kapitäne, Navigatoren, Geweihte und Magier werden sich zu einer solch gewagten Unternehmung bereit erklären? Wie finden wir Leute, denen wir auch vertrauen können?“ „Alle unsere Familien dürften einen oder mehrere Vertreter auf diese Fahrt entsenden wollen“, entgegnete Khardan Luntfeld. „Damit ist ein Teil des Bedarfs an Spezialisten bereits gedeckt. Für unser Haus werden Travinia und Amene Luntfeld teilnehmen, beide sind gestandene Seeleute und -Offizierinnen. Signor Amaldo beabsichtigt gleich drei Teilnehmer zur Verfügung stellen, wenn ich ihn recht verstanden habe?“

„In der Tat“, ergänzte Amaldo. „Als verantwortlichen Expeditionsleiter entsende ich meinen Neffen Rimaldo ...“ - Amaldo wies auf den Platz neben sich - „... einen fähigen Organisator mit Diplom der Universalschule zu Methumis. Ein Großneffe aus Phecadien, Signor Muracio, steht als Kartograph zur Verfügung, und mein Adjutant“, Amaldo wies auf Djurjin von Jergan, der an dem Bankett bislang schweigend teilgenommen hatte, „wird unsere Seesöldner anführen, die auch als Garnison einer möglichen Siedlung bereitstehen.“ Djurjin nickte mit einem förmlichen Lächeln wortlos in die Runde. Die anderen Familien mögen sich ebenfalls besinnen, ob sie Teilnehmer zu entsenden beabsichtigen.“

„Möglicherweise eine weitere Navigatorin, Avessandra Degano“, fügte nach kurzem Nachdenken Holdur Degano an, während Leonardo Cortesinio um Bedenkzeit für geeignete Teilnehmer bat, ehe Aurelio van Kacheleen das Thema wechselte: „Wie steht es dann um die Mannschaftsränge? Und wer wird sich am Ende als Kolonist bereitfinden?“ Khardan Luntfeld zuckte mit den Schultern: „Einen gewisse Zahl können wir aus den überall anzutreffenden Wagemutigen und Abenteurern anwerben, aber das wird möglicherweise nicht ausreichen. Nun sind aber nach den Wirren des vergangenen Jahrzehnts nicht nur die Boronsfelder, sondern auch die Kerkerzellen Horasiens wohlgefüllt. Sicher gibt es manche, die eine Gelegenheit ergreifen würden, ihren Namen in Uthuria wieder reinzuwaschen und zudem eine Chance auf Ruhm und Beute wahrzunehmen.“ Er wandte sich an Amaldo: „Sicherlich kann sich unser verehrter Herr Advokat einen Überblick verschaffen, in welchen Kerkern unseres Landes sich ein Versuch lohnen würde.“ Amaldo verzog das Gesicht: „Nun ja, unter dem Gesichtspunkt, dass solche immateriellen Angebote den Kostenfaktor für finanzielle Anreize senken dürften, ist dies ein ernsthaft zu verfolgender Vorschlag.“ Amaldo wusste, dass er diese Nachforschungen persönlich würde betreiben müssen, wenn er sichergehen wollte, dass sich nicht allzu viele Gerüchte verbreiteten. Außerdem kam es hier darauf an, die Würde seines Amtes als Justiziar der Stadt Sewamund in die Waagschale zu werfen. Diese Arbeit, die er andernfalls delegiert hätte, würde er selbst schultern müssen. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ich werde mich persönlich darum kümmern, Signor Khardan!“ „Gesprochen wie ein wahrer Kaufmann!“ lobte ihn dieser breit grinsend.

Eine kurze Pause trat ein, während der die Runde vom ersten zum zweiten Hauptgang wechselte: auf Hummer in Austernsauce mit Basiliskum (der berühmte „Hummer bethanisch“) folgten Stücke vom Aal an Maraskerinensauce mit Duftreis. „Eure Küche ist exquisit, Piastinza“, lobte Leonardo Cortesinio seinen Gastgeber, „aber eine deftige Brabaker Pescata ist auch nicht zu verachten: Meeresfrüchte in brauner Mehlschwitze mit Okraschoten, Staudensellerie, Paprika und Zwiebeln! Es gibt einfache und reichhaltige Varianten: wenn zu den vier Gemüsesorten noch vier Fischarten und vier Krustentiere hinzukommen, wird es Brabaker Zwölfgötter genannt.“ „Für unser nächstes Treffen ernenne ich Euch zum Gastgeber“, entgegnete Amaldo amüsiert. „Instruiert Euren Koch entsprechend! Die Zwölfgötter erscheinen meinem Rang angemessen!“ Die Sewamunder lachten, einander aus mancherlei städtischen Begegnungen vertraut und ein Stirnrunzeln der Efferdgeweihten geflissentlich übersehend, indes Colombino di Bellafoldi, einen Inbegriff des Unbeteiligtseins mimend, seinen Weinkelch prüfend gegen das Licht hielt, um sodann mit einem großzügigen Schluck einen etwas zu groß dimensionierten Reisklumpen hinunterzuspülen, der sich seinem Nahrungsschicksal zu widersetzen suchte. „Das ist kein grüner Wein, Bellafoldi, es ist die Farbe des Glases, die ihr missversteht!“, witzelte Aurelio van Kacheleen. „Nehmt nächstes Mal den Mund nicht so voll, das tun wir schon zur Genüge!“ Wieder lachte die Sewamunder Runde, jetzt an der Grenze zur Albernheit, was wohl am wohlschmeckenden und unverdünnten Wein lag.

In dieses Geplänkel vom Wein gelöster Zungen schnitt plötzlich die helle Stimme Yolande Aralzins, der Efferdpriesterin aus hohem Hause: „Erlaubt mir, edle Herren, eine simple Frage: was wollt Ihr dort unten in Uthuria?“ In einem Augenblick hatte sie die Aufmerksamkeit der ganzen Runde gewonnen, die ihr mit ebenso ernüchterten wie verständnislosen Mienen entgegenblickte. „Ihr gedenkt, die Gunst des Herrn EFFerd in erheblichem Maße auf die Probe zu stellen und wollt die Launen des Launenhaften zu Euren Gunsten ausschlagen sehen! Welches genaue Ziel ist diese Probe wert? Was an der Unternehmung ist des Herrn EFFerd gefällig, auf dass er seine Gunst Euch zuwende?“

Signor Colombino wurde bei diesen Worten schlagartig wieder aufmerksam und fixierte die Runde mit dem gespannten Blick eines Theaterzuschauers. Djurjin von Jergan beugte sich zu Rimaldo hinüber und raunte: „Ich dachte, sie vertritt hier ihre Familie, nicht die Kirche?“ „Sie ist Geweihte des Efferd, das kann sie bei diesem Thema nicht einfach ignorieren - und wir auch nicht!“, antwortete Rimaldo.

Signor Amaldo wiederum kannte die Aralzins gut genug, um zu wissen, dass man auch mit einer Geweihten aus diesem Hause keinen reinen Glaubensdiskurs führte, sondern in der theologischen Sprache einen machtpolitischen Subtext verbergen konnte. Als daher die Runde der Sewamunder, wohl aus Sorge, einen Fehltritt zu riskieren, mit einer Entgegnung zögerte, richtete er das Wort an seine entfernte Verwandte: „Erlaubt mir, zu antworten, Euer Gnaden! EFFerd ist Herr über die Meere, und Seiner Gunst sind wir für unsere Unternehmung zutiefst bedürftig! Und zugleich ist die Kenntnis der Meere eine Vertiefung in das Wunder Seiner Werke - sie zu befahren: eine tätige Versenkung in sie. Wir befahren das äußere Meer im Geiste des Äußeren Meeres!“ Das war ein Wortspiel, mit dem sich Amaldo auf den Standpunkt der als „Äußeres Meer“ bezeichneten pragmatischen Richtung der Efferdkirche stellte, für die weltliche Entdeckungsfahrten eine legitime Betätigung - auch von Geweihten - im Dienste des Gottes darstellten. Zugleich bekundete dieses Wortspiel nicht zufällig auch Vertrautheit mit den sprachlichen Gepflogenheiten der Geweihtenschaft. „Nach den Fahrten der Harika ni Coalgha im Meer der Sieben Winde vermag ein dauerhafter Erfolg im Südmeer ein ganzes Jahrhundert zum Ruhme des Launenhaften zu begründen! Indem wir darum bitten, unter der Protektion nicht nur des Unergründlichen zu stehen, sondern auch unter der seiner Geweihtenschaft vom Tempel zu Bethana, vermittelt durch Eure Person, erbieten wir uns auch, alles in unserer Macht stehende zu tun, um Eurem Wirken einen erweiterten Kreis der Betätigung in den südlichen Gestaden zu eröffnen. Es wird uns eine Ehre sein, Euch bevorzugt von allen maritimen Ereignissen und Erkenntnissen unserer Fahrt zu unterrichten und Euer Wirken auch an die Küstensäume Uthuriens zu tragen! Auch mag es hilfreich sein, von einer möglichen Ausbreitung des Einflusses charyptider Widersacher primäre Kenntnis zu erlangen.“ Was Amaldo hier in blumigen Wortgirlanden anbot, war ein simpler Handel: deckt unser Vorhaben, und der Bethaner Tempel (immerhin das Zentrum der ganzen Efferdkirche) wird aus erster Hand über alles Wissenswerte unterrichtet. „Zudem möchte ich Euch ersuchen, für unsere Schiffe auch Diener des Launenhaften zu entsenden, deren Aufwendungen wir der Kirche selbstredend erstatten werden.“ (Lieber qualifiziertes Personal direkt an der Quelle anwerben, hieß das, anstatt geweihte Abenteurer von niedrigem Rang und geringem Einfluss durchzufüttern.)

„Wohl gesprochen, Signor Amaldo!“ Yolande Aralzin vermochte es nunmehr, ein schmales Lächeln aufzusetzen. „Sollte es efferdgefällig sein, dass Menschen wie Wasser fließende Reden führen, so genießt die Zunft der Advokaten dabei ungebührliche Vorteile! Wir werden Euer Ersuchen prüfen!“ In Amaldos Verständnis kam diese Zusicherung einer Genehmigung schon ziemlich nahe. Andernfalls hätte die Geweihte zusätzliche Erwartungen geäußert.

Seitens der anderen Anwesenden ließ sich daraufhin ein gedämpftes Gemurmel vernehmen, in dem sich Erleichterung darüber auszudrücken schien, dass eine Konfrontation mit der Geweihten vermieden worden war. „Jetzt hat sie uns ganz schön erschreckt!“, raunte Rimaldo Djurjin zu. „Zum Glück kennt Onkel Amaldo sie und ihre Familie gut genug, um zu wissen, was ihr wirklich wichtig ist. Dann ist jetzt bald Zeit für ergänzende Themen.“ Auf diese letzte Bemerkung hin hob Djurjin fragend eine Braue und sagte nur: „Selem?“ Rimaldo nickte schweigend.

Der zweite Hauptgang neigte sich dem Ende zu, worauf Schalen mit Obst aufgetragen wurden. Aber die Debatte war noch nicht beendet. „Was ist eigentlich mit der Konkurrenz?“ fragte Leonardo Cortesinio nach. „Wir vernahmen eingangs, dass die ya Strozza von Belhanka aus ebenfalls nach Uthuria segeln wollen! Und dahinter steht die Macht des Südaventurienrates und der Serenissima! Mithin das ganze Schwergewicht Horasiens, soweit es das Südmeer betrifft! Denen sollten wir nicht in die Quere kommen - weder politisch noch auf See!“ „Mit etwas Wagemut und Gelassenheit könnte man einen Vorteil daraus ziehen“, meldete sich überraschenderweise Signor Colombino mit einem Ratschlag zu Wort. „Diese belhankische Unternehmung wird sich aufgrund des mutmaßlichen Umfangs ihrer Vorbereitungen und Ausführung nicht verheimlichen lassen, obwohl eine betreffende Absicht natürlich nirgends verkündet werden wird. Dennoch wird jeder, der sich etwas näher für die Sache interessiert, wissen, dass sie besteht. Und darum können wir sozusagen geradewegs im Schatten dieser größeren Expedition segeln. Niemand wird annehmen, dass das kleine Sewamund noch eine Expedition ins tiefe Südmeer vorbereitet! Jedenfalls, sofern die edlen Herren und Damen dieser Runde ihr Stillschweigen bewahren.“ Colombino faltete die Hände über seinem stattlichen Bauch und schien hoch zufrieden mit seinen eigenen Ausführungen.

„Dieses Im-Schatten-Segeln sollten wir nicht im nautischen Sinne buchstäblich nehmen“ sinnierte Holdur Degano laut. „Auf dem Meer brauchen wir Distanz zu denen. Am besten zeitliche Distanz - wir sollten also versuchen, im Auge zu behalten, wann die ya Strozza aufbrechen. Und beten, dass sie eine andere Route wählen als wir. Und im Übrigen haben wir bislang auch nicht die geringste Idee, was drüben am Perlenmeer, in Khunchom und bei den Dhachmani in Bezug auf Uthuria unternommen wird.“ „Alles, was in Khunchom geschieht, wird die Aufmerksamkeit des Rabenfelsen auf sich ziehen, und wenn Phex uns gewogen ist, diese Aufmerksamkeit auch binden“, mutmaßte Leonardo Cortesinio. „Auf der Westseite genießen wir den Vorteil, uns von Al’Anfa unbehelligt im Seegebiet der Goldenen Allianz zu bewegen. Bedenkt, dass Brabak und Horasien formell immerhin Verbündete sind! Jeder offene Angriff auf unsere Schiffe wäre ein Akt der Piraterie, das schützt uns innerhalb gewisser Grenzen auch vor den ya Strozza. Jedenfalls so lange, bis wir von einer brabakischen Hafenmole nach Süden ablegen. Ab dann müssen wir unser eigener Rechtsvollstrecker sein.“

„Welcher brabakische Hafen könnte das sein?“, erkundigte sich Amaldo bei Leonardo. „Zunächst natürlich Brabak selbst. Hier bieten sich die besten Möglichkeiten zur Ergänzung von Vorräten, und Schiffe unter Sewamunder Flagge fallen dort nicht weiter auf, wenn wir sie als Schiffe meiner Compagnie ausgeben. Für den Fall, dass der Aufbruch nach Süden von einer weniger belebten Stelle aus erfolgen soll, können wir zuvor von Brabak nach Chutal versegeln, das gehört zur Domäne der Familia de Cortes, unserem südlichen Familienzweig. Es ist zudem der südlichste Küstenpunkt westlich von Khefu. Auch dies lässt sich noch als Handelsfahrt der Cortesinio tarnen. Die größte Gefahr sehe ich im letzten Landgang der Matrosen: Deserteure, die in letzter Minute der Mut verlässt, betrunkene Plaudereien, die unser Ziel preisgeben, im schlimmsten Fall Anwerbung von Seeleuten als Informanten. In Chutal können wir das leichter kontrollieren als in Brabak. Andererseits wäre es sehr ungewöhnlich, in Brabak keinen Zwischenhalt einzulegen, und es könnte Verdacht erregen.“

„Bis es so weit ist, bleibt uns noch viel Zeit zum Nachdenken“, entgegnete Amaldo. „Wir werden nicht alle Probleme am heutigen Tage lösen. Vielleicht ist es an der Zeit für eine kurze Zusammenfassung: da diesem initiierenden Treffen noch einige weitere von praktischer und organisatorischer Natur folgen werden, möchte ich festhalten, wer bis dahin mit der Durchführung welcher Aufgaben betraut ist: Signor Khardan hat sich erboten, eine Kostenschätzung für unser Unternehmen aufzustellen. Die Signores Leonardo und Holdur werden Nachforschungen anstellen, welche Schiffe für unsere Expedition zum Ankauf in Frage kommen und sind ermächtigt, zum Schutze günstiger Gelegenheiten unter Rücksprache mit Signor Khardan kurzfristige Kaufzusagen zu treffen. Ich selbst werde mich um die Rekrutierung eines Teils der benötigten Mannschaften kümmern und zudem eine Charta entwerfen, welche die Rechte und Pflichten der Mitglieder unseres Konsortiums in Bezug auf die Expedition, eine mögliche Siedlung und eventuellen Güterverkehr beschreibt.“

„Wohlan, dann dürfen wir nun vollends Eure Weinvorräte leeren!“ Holdur Degano griff nach seinem Weinkelch. „Aus Eurer Auswahl der Sorten folgere ich, dass Ihr unlängst Shenilo reich und Euch selbst arm gemacht habt! Kommt nicht auf die Idee, diese Kosten der Expeditionskasse anzulasten!“ Amaldo lachte und hob seinen Kelch: „Auf meine Kosten! Auf den Erfolg, auf Uthuria, auf Sewamund! Vivat Septimana!“ „Vivat Septimana!“, deklamierten die Anwesenden aus vollem Halse. Nach den Vivatrufen und einem Schluck aus dem Weinkelch stellte Rimaldo di Piastinza diesen schnell auf dem Tisch ab und ergriff, das Verstreichen der letzten Gelegenheit des Abends befürchtend, mit lauter Stimme das Wort: „Verehrte Anwesende! Bevor der Wein zum abschließenden Thema des heutigen Abends wird, möchte ich der erlauchten Runde noch eine Denkwürdigkeit beisteuern, die mir von einer almadanischen Kommilitonin zugetragen wurde, die an der Universalschule zu Methumis unter anderem Nautik studierte - zu einer Zeit, als ich diese Institution bereits verlassen hatte, mit der ich jedoch weiterhin in Kontakt stehe.“ Die Runde war etwas überrascht, dass der rein gesellige Teil des Abends offenbar noch nicht erreicht war, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den plötzlich erwacht scheinenden Redner.

„In dieser Zeit hatte sie die Ehre, einem Gastvortrag des berühmten, vor wenigen Jahren leider verstorbenen Alessandrian Arivorer beizuwohnen - neben Bastan Munter der wohl berühmteste derografische Forschungsreisende unserer, ja vielleicht aller Zeiten. In Methumis sprach er zur Geschichte der Kartographie und ihrer historischen Quellen. Denn als Arivorer im Jahre 1030 BF ganz unerwartet aus dem Güldenland zurückkehrte, waren sieben Jahre der Erschließung liebfeldischer Altertümer an ihm vorübergegangen, die im Zuge der Renascentia betrieben worden waren. Insbesondere waren verloren geglaubte Schriften des zyklopäischen Derografen Levthax Leoptomias geborgen worden, die eine leider nur fragmentarische Weltbeschreibung aus der Zeit des Thuan-Horas enthielten, die so genannte „Derekundliche Anleitung“, ein zum Gebrauch als Handbuch erstelltes Ortsverzeichnis der damals bekannten Welt, welches die Ortsnamen in ein System von Koordinaten einfügte. Ein solches System muss das Problem lösen, wie sich Punkte, die sich tatsächlich auf einer Kugeloberfläche befinden, auf die Ebene eines Papiers oder Pergaments übertragen werden.“ Rimaldos hesindianischer Enthusiasmus war ebenso unübersehbar wie erbarmungslos - seine Zuhörer, denen sich der Punkt, auf den der Redner hinauswollte, noch nicht erschloss, bemühten sich um höfliche Aufmerksamkeit, die aufgrund des fortgeschrittenen Weingenusses zum Teil sichtbare Anstrengung erforderte. Auch Colombino di Bellafoldi, der solche Monologe zum Wohle des unfreiwilligen Publikums gerne abkürzend unterbrach, rang noch schweigend um die Einschätzung, ob Rimaldos Ausführungen bedeutsam oder belanglos waren.

„Selbstverständlich stürzte sich Arivorer wie ein ausgehungertes Tier auf diese überraschenden Dokumente und entdeckte in ihnen mehrere hoch interessante Merkwürdigkeiten“, fuhr Rimaldo fort. „Zum einen schienen die wiederherstellbaren Koordinaten, übertragen auf unser heutiges Wissen, eine Verzerrung zu enthalten, bei der nicht bekannt ist, ob sie auf einfache Kopierfehler zurückgehen oder einen inneren Zusammenhang aufweisen. Und zum anderen schien er ein weiteres Fragment zu kennen oder jüngst erschlossen zu haben, das er als Selemer Derografischen Kodex bezeichnete - und von dem er behauptete, dass es Koordinaten enthalte, die - und das waren seine eigenen Worte - die im Verhältnis zu den uns bekannten Orten eigentlich tief - sehr tief - im Südmeer liegen müssten!“ Ich möchte anfügen, dass mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind, denen zufolge Arivorer irgendwann zwischen seiner Rückkehr auf der Prinzessin Lamea und seinem Tod noch eine letzte Studienreise in die Silem-Horas-Bibliothek unternommen haben soll. Und besagte Vorlesung in Methumis fand so kurz vor seinem Ableben statt, dass diese Forschungsreise nach menschlichem Ermessen wenn überhaupt, so vor derselben stattgefunden haben muss.“

„Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: erstens besteht die Chance, dass besagtes Textfragment in der Silem-Horas-Bibliothek noch immer aufgefunden werden kann. Und zweitens muss ich meine erlauchten Zuhörer nicht darauf hinweisen, im Einflussbereich welcher bedeutenden Macht sich die Stadt Selem auch heute noch ebenso befindet wie in den Jahren vor dem Ausbruch des Kriegs der Drachen!“ Rimaldo machte eine erwartungsvolle Pause. Als nach einigen Sekunden des Schweigens niemand anderes das Wort ergriff, führte Colombino di Bellafoldi Rimaldos angedeuete Folgerung zu Ende: „Ihr wollt also behaupten, oder sagen wir: vermuten, dass der Rabenfelsen bereits vor vielen Jahren in Selem war, diesen Kodex kopiert oder exzerpiert und anhand dessen ein markantes Reiseziel in Uthuria ausgewählt hat!“ Rimaldo strahlte: „Ein Reiseziel, das wir möglicherweise nachvollziehen können, wenn meine Vermutung zutreffen sollte! Es ist ersichtlich, dass ein solcher Fund nicht nur derografische, sondern auch eminent militärstrategische Bedeutung hätte!“

„Eine interessante Idee, in der Tat!“, ergriff Khardan Luntfeld das Wort. „Aber entschieden zu zeitraubend und zu unsicher, um unsere eigene Unternehmung darauf zu stellen! Ganz abgesehen davon, dass ich kein Interesse daran habe, mit unserer Uthuria-Expedition ausgerechnet in Nachbarschaft der Al'Anfaner aufzutauchen.“ Das klang kategorisch. „Ich stimme Euch gänzlich zu, Signor Khardan!“, entgegnete darauf Amaldo di Piastinza. „Wie Ihr Euch sicherlich denken könnt, ist mir diese, nun ja, Spekulation Signor Rimaldos bereits bekannt. Ich habe mich daher entschlossen, zur Gänze unabhängig von den Vorbereitungen für unsere Fahrt eine Reisegruppe zusammenzustellen, die diesen Spuren nachgeht und überprüft, ob in Selem noch brauchbare Hinweise sichergestellt werden können. Erst dann, wenn wir damit Erfolg haben sollten, müssen wir überlegen, ob sich praktisch anwendbare Konsequenzen für unsere Fahrt daraus ergeben.“

Die geistige Spannkraft der Anwesenden fiel nach diesen letzten Worten Amaldos merklich in sich zusammen. Der produktive Teil der Versammlung neigte sich dem Ende zu. Wohlgenährt und vom Wein bereits leicht benebelt, waren die Sewamunder zu keiner weiteren Grundsatzdiskussion mehr aufgelegt. Die Bediensteten trugen Käse und Süßspeisen auf. Colombino di Bellafoldi begann, mit einer Schankmagd zu schäkern, und auch Yolande Aralzin stellte sich im Stillen selbst die Frage, welcher von den hier anwesenden Männern eigentlich als attraktiv zu bezeichnen wäre. Ihre Wahl fiel auf Amaldos maraskanischen Adjutanten. „Wie spricht man Euren Namen eigentlich aus, Offizier? Dschurdschin?“ „Nennt mich Don Gino, Euer Gnaden“, lächelte Djurjin höflich, „das tun meine Männer auch!“