Briefspiel:Roter Mann/Epilog

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Sheniloneu3k klein.png Briefspiel in Shenilo Sheniloneu3k klein.png
Datiert auf: Phex 1038 BF Schauplatz: Shenilo und die Ponterra Entstehungszeitraum: ab März 2016
Protagonisten: der Rote Mann, Horasio Madarin ya Papilio, Francidio di Côntris, Dozmano Kaltrek, Ingalfa Dalidion, Ilsandor von Hauerndes, Geronya , Kvalor und Valeran Menaris, Sulman Schattenfels und weitere Autoren/Beteiligte: Athanasius, Calven, Di Côntris, Gishtan re Kust, Randulfio
Zyklus: Übersicht · Vorspiel · Resident und Vogt · Horasios Vademecum · Horasios Verschwinden · Auf der Spur des Roten Mannes · Brand im Kloster Helas Ruh · Erste Entdeckungen · Kriegsrat · Totgeglaubte · Magokrat und Dorén-Halle · Am seidenen Faden · Epilog



Der Epilog beschließt die Handlung um den Roten Mann, Drugon Menaris und begleitet Valsinian Siltalenis und Fiaga Menaris auf neue und letzte Reisen.

30. Rahja 1038 BF, Palazzo Carolani in Shenilo

Eine neue Matriarchin

Valsinian beobachtet die Zeremonie mit Skepsis

Das schwarze Gewand mit den feinen, silbrigen Linien passte der Magierin immer noch wie angegossen, auch wenn sie es zuletzt vor mehreren Jahren getragen hatte. Geronya Menaris schob den Hals durch den Kragen des Asmodenengewandes, das in der Familie Menaris eine lange Tradition hatte. Heute sollte es aber wohl an ihre Rolle als Consiliera Menacor, als oberste Magierin der Stadt erinnern. Nachdem ihr Vetter Asteratus Menaris ihr in das Gewand geholfen hatte, reichte ihr dessen Vater, Canyzethius, einen knotigen Stab, der ganz in weiß schimmerte, sonst aber keine Verzierungen aufwies.
Valsinian Siltalenis wusste, dass es sich dabei um den ersten Magierstab Carolan Schlangenstabs handelte, der vor bald einer Dekade in Almada wiederentdeckt worden war. „Nehmt diesen Stab und führt ihn und Familie gleich seinem letzten Träger“, intonierte der Medicus. Valsinian stieß unterdrückt die Luft aus. Wer hat sich denn das noch eilig überlegt. Geronya hatte selbstverständlich einen eigenen Magierstab. Aber vermutlich wollte man rasch eine neue Tradition schaffen, tunlichst eine, die an einen Vorfahren von gutem Leumund erinnerte und die allzu lebhafte Erinnerung an einen Magier von weitaus berüchtigteren Ruf vergessen machen könnte.
Hinter den Familienmitgliedern standen Vertreter einiger Familien des Sheniloer Bundes: Zwei Geschwisterpaare, Horasio und Rahjada ya Papilio sowie Meryama und – ein gutes Stück weiter entfernt – ihr Bruder, der Gransignore, Randulfio Aurandis. Dazu kamen Francidio aus dem Hause di Côntris sowie Leophex von Calven und einige weitere. Viel interessanter als die Anwesenden waren ohnehin diejenigen, die fehlten: Da waren natürlich zunächst Potros Tuachall, Endor Dorén und die Anderen, die dem Magokraten zum Opfer gefallen waren. Aber als auffälliger empfand Valsinian die Abwesenheit von mehreren Familienmitgliedern der Menaris. Tankred Menaris hatte sich nur vor und zu Beginn der Zeremonie kurz sehen lassen und dann den Palazzo verlassen, Valeran war gar nicht erst erschienen und Angrond Menaris weilte, soweit es der Majordomus wusste, schon seit mehreren Wochen nicht mehr in der Ponterra. Canyzethius hatte sich inzwischen wieder zu seinem Sohn und dessen Frau Fylinia, die ihre Hand an den prallen Bauch presste, zurückgesellt. In den Gesichtern der drei lag ein kaum verborgenes Lächeln.
Valsinian verzog angewidert das Gesicht. Sein Bruder war hingerichtet, seine Nichte verbrannt, aber die Familie Menaris berauschte sich am Ende des Magokraten und der bevorstehenden Geburt eines Kindes in die fast kinderlose Familie. Die neue Matriarchin begann gerade eine huldvolle Rede ihrer künftigen Genesungspläne für Familie und Stadt. Er hatte genug gesehen. Der Majordomus des Palazzo Carolani verließ die Empore der Stiege hinauf in die höheren Ebenen des Turms. Das Haus war so voller Leute an diesem Tag, dass nicht einmal Valsinian alle erkannt hatte. Sein Fehlen würde auch nicht weiter auffallen. Als die Matriarchin sich vor der Zeremonie mit den Papilio, den Aurandis, dem di Côntris und dem Calven zurückgezogen hatte, zweifellos um über die Ereignisse der vergangenen Wochen zu diskutieren, war seine Anwesenheit auch nicht „vonnöten“ gewesen. Er suchte seinen Weg zur schmalen Pforte und klopfte. Die Bewohnerin hatte der Zeremonie ebenfalls nicht lange beigewohnt.

Fiagas Reise

Die Klinge lag noch immer gut in ihrer Hand. Sie machte einige Bewegungen und lächelte, obwohl sich alles etwas schwerfällig anfühlte. Die Handgriffe waren nicht vergessen, wenn auch die Hand, die sie führte, weitaus älter geworden war.
Fiaga Menaris steckte das Rapier in die alte Scheide schwarzen Leders, die ihr Kvalor einst geschenkt hatte. Dann schnallte sie sich die Waffe um: Wer weiß, wann ich sie das wieder brauchen werde. Sie hatte die Entscheidung unten getroffen, als Geronya den Mitstreitern und dem Gransignore von ihren Erkenntnissen berichtet hatte. Nach dem was Geronya und Torvon Gilindor d.J. in Wanka herausgefunden hatten – Fiaga musste immer noch über den Einfall ihrer Tochter lächeln, ausgerechnet einen Gilindor zu den Nachforschungen hinzuzuziehen – hatte Drugon dort den Schleier zwischen der Welt der Geister und der Lebenden durchbrochen. Offenbar hatte er während der Heldenprozession am 12. Peraine vor drei Jahren einen Teil der Bewohner der Fuldigorsfeste und des Dorfes Wanka ums Leben gebracht, um selbst dem Tode zu entrinnen. Die Austrocknung der jahrhundertealten Feuchtwiesen um die Burg hatte einen ähnlichen Ursprung. Als Valeran Menaris ausgeschickt worden war, um die Vorgänge zu untersuchen, war er unter den Bann Drugons gefallen. Ausgerechnet Valeran, der sich für einen der begnadetsten Herrschaftsmagier des Landes hält.
Wie Drugon dem Gefängnis seines Leibes in Terinis entronnen war, war dagegen schwerer zu klären. Allerdings konnte hier der Wettermagier Haldoryn Ingvalidion einige Hinweise geben, indem er an die Überschwemmungen und immensen Regenfälle einige Jahre zuvor erinnerte. Vermutlich hatte Drugons Geist also damals das „Magusbad“ verlassen und schließlich seinen Weg nach Wanka gefunden.
Für Fiaga besonders bitter waren die Darlegungen über Kvalors angebliche Rückkehr gewesen. Nachdem Torvon und Geronya mit Ilsandor von Hauerndes, dem Condottiere der Darpatengarde, gesprochen hatten, konnte dieser bestätigen, was ihre Tochter schon vorher vermutet hatte: Kvalor war mitnichten gemeinsam mit der Darpatengarde aus der Wildermark nach Shenilo zurückgekehrt, wie er es 1035 BF vor der Eteria behauptet hatte. Die Begegnung mit dem Magus im Mittelreich war eine falsche Erinnerung, die dem Condottiere der Darpatengarde von Drugon eingegeben worden war.
Was genau er in den zwei Jahren getan hatte, nachdem er die Herrschaft über die Familie seinem „Bruder“ Tankred entrissen hatte, war schwerer zu ermitteln gewesen. Die Totenmasken, die man an der Spitze des Torre Carolani in einer Art Schrein gefunden hatte, bestätigten jedenfalls die Theorien Horasio ya Papilios: Drugon hatte die Antlitze jener Männer und Frauen gesammelt, die er für seinen Tod vor zwei Jahrhunderten verantwortlich machte, um sich dann an deren Nachfahren zu rächen. Deshalb der Hass auf seinen „Bruder“ Tankred, weil er den Verrat seines wahren Bruders Silem bestrafen wollte, deshalb die Ermordung Lysadion di Côntris' und Saggia Chamera di Pertakirs während des von ihm mitinszenierten Aufstands 1037 BF, um diejenigen zu töten, die seine Hinrichtung befohlen und ihn schließlich hingerichtet hatten.
Seine Macht über den Geist seiner Opfer war offenbar so stark gewesen, wenn er es wollte, dass er die zur Raserei getriebenen Besucher des Theaters Zur Maske dazu gebracht hatte, dem Schauspieler des Kaufmanns von Methumis die Maske vom Gesicht zu reißen. Zweifellos hatte er diese vorher so präpariert, dass der Mann dadurch zu Tode gekommen war. „Die Hexen des Arinkelwaldes haben bestätigt, dass es sich bei dem Mann um einen der ihren gehandelt hat, der die Anzeichen für die Rückkehr Drugon Menaris‘ erkannt und sich an dessen Fersen geheftet hatte.“ Mehr hatte ihre Tochter dazu nicht gesagt und von den Hexen hatte man seit dem Kampf um die Dorén-Halle nichts mehr gesehen.
Während sie im Geiste dies und manches Andere durchging, hatte sie ihren alten Reisesack fertiggepackt. Jetzt holte Fiaga eine Kiste unter dem Bett hervor, öffnete sie und nahm ein paar alter Stiefel in die Hand. Zum Glück waren ihre Knöchel und Waden das einzige, was in den vergangenen Jahren unter zwei Schwangerschaften und der Bequemlichkeit eines Patrizierlebens nicht gelitten hatte – die Stiefel passten noch immer.
Es klopfte an der Tür. „Signora Fiaga?“ Sie bat den Majordomus herein. „Mir schien es geboten, nach Euch zu sehen. Nachdem ihr die Zeremonie verlassen hattet.“
Nachdem Valsinian sie dem Patriarchen übergeben und sich Valeran daraufhin eingehend mit ihr „befasst“ hatte, schien der Majordomus eine eigentümliche Verantwortlichkeit für sie entwickelt zu haben. „Ihr scheint es dort auch nicht allzulange ausgehalten zu haben, Valsinian.“ Fiaga lächelte schmal.
Er setzte zu einer Antwort an, dann erkannte er, was sie im Begriff war, zu tun. „Ihr...geht...“ Das schien ihn zu enttäuschen. Fiaga seufzte, dann nickte sie. „Ich gehe.“
Erst jetzt, das erkannte sie, war die Entscheidung endgültig. Valsinian trat ein und setzte sich auf einen einfachen Stuhl. Fiaga stutzte, seine Enttäuschung wirkt echt. „Sicher wollt Ihr Euren Sohn suchen.“ Fiaga hörte sich „Ja“ sagen. Dann schüttelte sie den Kopf und wandte den Blick zum Fenster. „Wisst Ihr, in den vergangenen Wochen habe ich lange überlegt, wie das alles passieren konnte. Ich hatte ja genug Zeit, im Kerker.“ Sie schürzte die Lippen und sah aus dem Augenwinkel, wie er zusammenzuckte. Die Spitze hättest du dir sparen können.
Sie drehte sich wieder zurück, blickte dem Majordomus ins Gesicht. „Dabei habe ich eines begriffen. Ich trage auch einen Teil der Schuld. Ich habe meine eigenen Mann nicht erkannt!“ Ihre Stimme war wütend. Siltalenis machte eine ausholende Handbewegung. „Signora, wir alle wurden getäuscht, die ganze Stadt stand unter seinem Zauber!“
Fiaga winkte ab. „Ich weiß das, Valsinian. Aber ich habe es ihm leicht gemacht!“ Siltalenis machte einen fragenden Gesichtsausdruck. „In all den Jahren, seit mein Mann im Osten verschwand, hat ein Teil von mir immer geglaubt, dass er eines Tages zu mir zurückkehren würde. Diesen Teil hat der Magokrat ausgenutzt, indem er mir das Gefühl gab, diesen Wunsch zu erfüllen. Sicher, ein Teil war Zauber, aber ich wollte ihm auch glauben!“
Sie steckte den Fuß in den zweiten Stiefel und zog ihn an. „Nun, damit ist nun Schluss.“ Der Majordomus hob den Kopf. „Ihr glaubt, dass Ihr Kvalor finden könnt, dass er noch lebt?“ Fiaga zuckte die Schultern und lächelte dann breit. „Ich weiß es nicht. Aber das Warten hat ein Ende.“

Valsinians letzte Reise

Valsinian hatte noch eine Weile alleine in der Kammer Fiagas gesessen, als diese gegangen war. Sie war seine letzte Hoffnung gewesen. Er hatte gehofft, sie werde sich für ihn einsetzen. Noch vor kurzer Zeit hatte sein Wort in den Kammern des Palazzo Gewicht gehabt. Nun gehorchte ihm nur noch die Dienerschaft. Valeran Menaris hatte sich in den halb abgebrannten Turm droben beim Institut zurückgezogen, Canyzethius wurde vor Glück über sein Enkelkind schier aufgefressen und der Patriarch – Valsinian weigerte sich noch, von ihm als „Drugon“ oder „Der Magokrat“ zu denken – war nicht mehr. Und nicht einmal die Dienerschaft schien es so genau mit seinen Wünschen zu nehmen, denn der breite Schrank, in dem er all seine Gewänder aufbewahrte, stand einen Spalt offen, als er sein Zimmer wieder erreichte.
Nach dem närrischen Artikel von Gedra und ya Aragonza fragte sich natürlich halb Shenilo, ob der Magokrat nun wahrhaftig tot war. Die Reise, die Geronya und dieser Gilindor nach Wanka unternommen hatten, hatte da wenig geholfen. In der Welt der Magier mochten die Aussagen eines Gilindor besonderes Gewicht haben, wenn sie Vermutungen der Menaris untermauerten, waren die Familien doch seit Jahrhunderten Rivalen, aber in der Welt des Popolo war das alles nur Geschnatter von Zauberern. Allerdings hatte Gransignore Randulfio am 12. Peraine, dem Cordovanstag, mitten auf dem Geronsplatz die Leiche des Magokraten mit großer Geste verbrennen lassen.
Ein kluger Einfall von Randulfio. Soviel hätte Valsinian dem Mann gar nicht zugetraut. Die Menaris hatten sogar eine Totenmaske und das Bildnis des Magokraten beigesteuert, um die Illusion perfekt zu machen. Valsinian hatte seine Kontakte benutzen müssen, aber er war sich sicher, dass vom Magokraten gar kein Leichnam übriggeblieben war. Allerdings erzählte das natürlich keiner der Eteri auf offener Straße.
Der Geruch frischen Bratens drang von unten zu ihm hoch. Mit der Planung des Abendessens hatte ihn Geronya noch betraut. Der Majordomus ging hinüber zum Fenster, riss es auf, und atmete tief durch. Draußen was es schwül. Er ging hinüber zu seinem Schreibtisch und schenkte sich aus einer Karaffe ein großes Glas des guten Roten ein, den ihm Canyzethius zu seinem letzten Namenstage geschenkt hatte.
Nach der Verbrennung waren Ermittler von Burg Naumstein eingetroffen, die gemeinsam mit dem Gilindor die Befragungen von Valeran und Geronya Menaris sowie den anderen Magiern des Institutes durchgeführt hatten. Cyrene Arkenstab war ohne schwere Strafen davongekommen, ohne Zweifel hatte Teucras di Solstono seine schützende Hand über sie gebreitet. Valeran Menaris hatte, Beherrschungsopfer hin oder her, wohl keine große Zukunft in der Gilde mehr zu erwarten. Noch weniger Glück würde der Nostrier Ingvalidion haben, denn ihn wollte irgendwie keiner schützen.
Dann waren da natürlich noch die Blutaare, bei denen wohl kein Sheniloer ein Problem hatte, sie für schuldig zu halten. Allerdings waren sie abgezogen, der Rat hatte ein Kopfgeld auf ihre Ergreifung ausgesetzt. Glück auf für alle, die glauben, sie würden sie vor Angrond finden. Der Schwertgeselle hielt Salterer, den Condottiere der Blutaare für einen Verräter und hatte sich den Söldnern an die Fersen geheftet, nur wenige Stunden nach seiner Genesung von den Wunden, die er im Kampf vor der Dorén-Halle erlitten hatte.
Wenn Geronya auch nur den Hauch der Weisheit ihres Onkels gehabt häte, dann säße Valsinian nun nicht an seinem Schreibtisch, sondern würde irgendwo in einem Kerker versauern oder an einem Galgen baumeln. Zum Glück für Valsinian war dem nicht so.
Ein Krächzen ließ ihn hinüber zum Fenster blicken. Dort saß eine große Krähe mit silbrig-grauem Gefieder an Kopf und Hals. Fast wie eine Kappe, dachte Valsinian. Der Majordomus runzelte die Stirn. Das Tier kam ihm bekannt vor. Er stand auf und blickte auf das Weinglas hinab. Viel zu gut für dieses Tier. Er stellte das Glas ab und wedelte mit beiden Händen. „Schuh...Verschwinde, du hässlicher Vogel!“ Der Rabenvogel reagierte nicht weiter, sondern blickte ihn ungerührt aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Dann krächzte er, diesmal lauter. Es wirkte fast...triumphierend. Der Majordomus wurde wütend. Er nahm ein Buch, einen dicken Wälzer, der auf seinem Schreibtisch gelegen hatte, irgendwelche Rechnungen und warf es nach dem Vogel. Das Buch prallte einen Spann zu niedrig von der Wand ab und blieb, halb geöffnet, am Boden liegen. Valsinian fluchte.
Das Knarzen hinter ihm hörte er nicht. Erst als das Tuch sich um seinen Hals legte, ließ er ab von dem Vogel. Der Mann mit der Schlinge war grau- fast weißhaarig, aber er war viel stärker als der Majordomus. Er röchelte und wand sich, erschlaffte schließlich.
Der Vogel krächzte ein drittes Mal. Dann spreizte die Gespensterkrähe die Schwingen und flog hinaus in die anbrechende Nacht.