Briefspiel:Rebenblut (8)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Herbst 1035 BF Schauplatz: Urbasi, besonders Palazzo Solivino Entstehungszeitraum: Februar 2014
Protagonisten: führende Mitglieder der Familie Solivino, dazu weitere Patrizier Urbasis Autoren/Beteiligte: Familie Solivino.png Dunkelklinge, Haus Urbet.png Gonfaloniere, Familie Zorgazo.png Toshy
Zyklus: Übersicht · Ausbrechender Bruderzwist · Briefe unter Geschwistern · In unruhigen Bahnen · Rahdrigos Rückkehr · Auf Kollisionskurs · Wie Eis und Feuer · Ist er tot? · Seines Bruders Blut · Bolzen und Dispute · Aufbruch

Seines Bruders Blut

Autor: Gonfaloniere

Auricanius konnte das, was sich direkt vor ihm auf offener Straße darbot, noch immer nicht recht erfassen. Hatte den Patriarchen jemand niedergeschlagen, gar überfallen? War er gestürzt? Oder war er gar mit einer Waffe angegriffen worden? Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er endlich Rahjalins letzten Worten lauschte. Und die verwirrten ihn eher noch mehr. Von was für einem Zorn sprach … halt, hatte er gerade „astral“ gesagt? Achso … „Astralleib“ … das Vokabular dieses Rahja-Dieners war ihm manchmal so fremd wie er selbst. In seiner offensichtlichen Sorge hätte der Hochgeweihte sich aber wohl auch selbst gerade kaum wiedererkannt, so scheinbar gelassen und souverän, wie er sonst auftrat.
„Ich bin mir sicher, dass eures Bruders Seele den Weg in die zwölf Paradiese finden wird … wenn es soweit ist“, versuchte Auricanius Rahjalin seine dringendste Sorge zu nehmen. „Aber ist er denn überhaupt tot?“
Die Frage richtete sich zwar an Rahjalin, doch eine Antwort erwartete Auricanius eigentlich nicht. Nicht solange der Bruder des Leblos-da-liegenden in der Verfassung war, die sich ihm gerade darbot. Der Praiot wandte seinen Blick vom Rahja-Geweihten ab, ließ ihn wieder über die Szenerie schweifen.
Eine Handvoll weiterer Personen umringte die beiden Geweihten mittlerweile – wie Auricanius wohl von den Schreien Rahjalins angelockt. Ehrliche Bestürzung zeichnete alle ihre Gesichter. Den am Boden liegenden Patrizier zu berühren wagte indes keiner von ihnen. Dann fixierte sich der Blick des Praios-Geweihten wieder auf den Patriarchen selbst. Er suchte den Körper rasch nach Zeichen ab, Wunden etwa, die ihm ein wenig mehr Aufschluss über das rätselhafte Vorgefallene geben könnten. Doch die gab es nicht. Jedenfalls nicht dort, wo er sie sehen konnte, ohne Rahdrigo selbst zu bewegen. Also tat er genau das.
Auricanius nahm zuerst den Kopf des Patriziers ein wenig zur Seite … und deckte für alle sichtbar eine feine Blutspur auf der gepflasterten Straße auf! ‚Nicht gut‘, war sein erster Gedanke, gefolgt von: ‚… vor allem für Rahjalins Gemütszustand …‘ Aber halt, hatte er auf seiner Hand – der, mit der er das Kinn Rahdrigos hielt – nicht auch einen schwachen Atemhauch gespürt? Schon wollte er Rahjalins Qualen erleichtern, ihm davon berichten, da hörte er Schritte sich schnell entfernen. Er sah auf.
Eine der Umstehenden, eine ältere Frau mit Schürze, lief längst nach Norden gen Renascentia-Platz. Und sie rief wild gestikulierend: „Oh, ihr Leute, was für ein Unglück! So ein Unglück! Der Tod ist zurück! Er hat sich den alten Solivino geholt! Auf offener Straße! Der liegt da in seinem eigenen Blut! So ein Unglück …“*


*Dass der ‚alte Solivino‘ so alt gar nicht ist, und jünger als sein Bruder, sei an dieser Stelle mal nicht verschwiegen. Die arme Frau hält Rahdrigo wohl gerade deshalb, weil er Familienpatriarch ist, für älter, als er eigentlich ist.


Autor: Dunkelklinge

Jedes einzelnes Wort hallte in Rahjalins Geist nach und brachte eine Klarheit, die ihn wieder erste, vernünftige Gedanken fassen ließ. 'Es konnte doch nicht wirklich sein. Die Dame musste sich getäuscht haben. Rahdrigo kann niemals tot sein.' Gerade hatte er doch noch die Wärme seiner Lippen gespürt, da war sich der Geweihte sicher. Hatte er sich dennoch getäuscht und war sein Bruder vor seinen Augen gestorben?!
Eben noch aufgestanden, fiel er wieder auf die Knie und befand sich nun rechts neben Auricanius, der den Kopf des schwarzhaarigen Rahdrigo gerade etwas zur Seite gedreht hatte. Der Anblick, der sich ihm bot, erschreckte ihn zutiefst: Ein breiter werdendes Rinnsal von weinrotem Blut sickerte aus den Haaren seines Bruders und besudelte dessen dunkles Gewand sowie die weißen Pflastersteine darunter. Bisher hatte er geglaubt, dass sich irgendetwas in die Atemwege seines Bruders gesetzt hatte und er deswegen eine solche bläuliche Verfärbung im Gesicht aufwies, doch sollte es etwa noch etwas anderes sein? Ohne großes Nachdenken griff er in den Schopf Rahdrigos mit der Absicht die Ursache der Blutung auszumachen. Der dunkelrote Lebenssaft klebte ihm auf der Haut, als er die Finger wieder zurückzog. Zwischen den dichten Strähnen war es nahezu unmöglich eine Stelle der Verletzung zu bestimmen, dachte der Signor verzweifelt.
Gerade wollte ihn die Hoffnungslosigkeit übermannen, da spürte er plötzlich einen leichten Lufthauch seinen Arm streifen, der direkt aus dem Mund seines Bruders zu stammen schien. Eine Funke erhob sich in seinem Inneren und laut rief er in die Menge, wie als wollte er sich selbst beschwichtigen:
„Nein, mein Bruder ist nicht tot, nur leicht gefallen, er lebt. Aber so steht doch nicht herum, holt mir einen Medicus, schnell ...“
Seine Worte wurden von einer auffordernden Handbewegung begleitet.
Dabei legte er die Innenfläche seiner Hände für die Augen der kreisförmig stehenden Populi offen. Weit in der hintersten Reihe erhaschte ein Neuankömmling die blutverschmierte Haut des Hochgeweihten und raunte leise zu einem nahe Beistehenden: "Ist das das Blut seines Bruders an seiner Hand ..."