Briefspiel:In guter Gesellschaft

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Sheniloneu3k klein.png Briefspiel in Shenilo Sheniloneu3k klein.png
Beteiligte (irdisch)
Familie Menaris klein.png Athanasius
Familie Brahl klein.png Brahl
Haus Carson klein.png OrsinoCarson
Familie Cordur klein.png Cordur
Haus della Pena aeH.png Dellapena
Familie Tuachall klein.png Lagoil
Familie Luntfeld klein.png Luntfeld
Familie di Asuriol.png Travin

Die Briefspielgeschichte In guter Gesellschaft stellt ein Ereignis gegen Ende der Ponterranischen Landherrenhändel dar. Von den vorrückenden Kräften Pertakis' bedroht sammeln sich zu Beginn des Boron-Mondes die Vertreter wichtiger Patrizierfamilien des städtischen Adels von Shenilo. Es gilt einen modus vivendi bis zur Abwendung der pertakischen Bedrohung - und angesichts des Zustandes des sheniloer Militärs eine Verteidigung in die Wege zu leiten.

Shenilo und die Ponterra im Boron-Mond 1033 BF

Einladungen und ungebetene Eindringlinge

Shenilo, 6. Boron 1033 BF, Palazzo Brahl

Absender...

"Ehrbare Patrizier unserer geliebten Heimat, geliebte Brüder und Schwestern,

zum dieswöchentlichen Tanzabend der Gesellschaft zum Silbernen Adler möchte die ehrenwerte Familie Brahl herzlich einladen. Wie üblich wird das Bankett zur Hesindestunde des ausklingenden Rohalstages beginnen. Alsdann alle feinen Damen und Herren gestärkt und vom Spiritus Vini beflügelt, wird es mir eine Freude sein, die Gesellschaft mit den sphärischen Harfenklängen der lieblichen Jeleyha von Toricum zu erfreuen. Im Anschluss wird zum Tanz gebeten.

Derweil die Huldigung unserer Göttin Rahja auch in diesen schweren Tagen kein Ende nehmen darf, so fordert doch die Lage des Sheniloer Bundes wider die zu unserer aller Erschrecken drohenden Pertakiser unsere Aufmerksamkeit. Auf eine Lösung dieser Konfliktsituation bedacht, möchte ich daher die ehrenwerten Oberhäupter der Ersten Familien Shenilos dringlichst darum bitten, sich nach dem Harfenspiel zum Diskurs zusammenzufinden. Insbesondere die Anheuerung von Söldnerkontingenten zur Verstärkung der Aufgebote unserer ponterrianischen Brüder und Schwestern soll Anliegen sein, aber auch weitere Vorschläge sind erwünscht. Ich selbst möchte mich mit einer Bitte bezüglich der Unterstützung unserer Verbündeten Carsons an Euch wenden.

Non respice sed prospice


Gezeichnet Cavalliere Daryl Brahl, Curator und Camerlengo Shenilos, Meister der Innung der Rebleute und Direktor der Weinhandlung Yaquiria Shenilo, am 6. Boron des 1034. Jahres nach dem Fall des tausendtürmigen Bosparan


Praesentia instanter peto"

Shenilo, Geronsplatz, 7. Boron 1033 BF

Ein unerwarteter Besucher

Eine schwache, abendliche Sonne tauchte die Purpurallee in dämmriges schwach rötliches Licht, mit dem Fortschreiten des Herbstes hatten die Blätter der Rotbuchen begonnen, sich wie die Stämme der namensgebenden Bäume zu färben. Hier am Geronsplatz schienen die Zerstörungen und die Gefahren der letzten Wochen fast unsichtbar, denn die Palazzi des Geronsviertels verdeckten den Blick gen Norden, die Mauern den Blick gen Süden, wo die Brände ausgebrochen waren. Aber die für diese Tageszeit ungewöhnliche Leere des Platzes und das Fehlen von Pilgern verrieten dem kundigen Blick, das Shenilo sich noch lange nicht von dem Schrecken des Mondes der Göttin des Herdfeuers erholt hatte. Fast schien es, als wolle der Blätterschein der Purpurallee die Flammen auch hierher bringen, die vor kaum zwei Wochen Porta Pertakia und Teile Nuovo Ruthors verheert hatten.
Valsinian Siltalenis blickte mit ungewöhnlich düsterer Miene in Richtung des Palazzo der Brahl, der prächtig wie immer an der Piazza Famerlor prunkte, als seien er und seine Bewohner die einzigen, die sich trotz der letzten Monate mit der gebotenen Würde aufrichten konnten. Für einen Augenblick tastete er nach der verborgenen Klinge, die er dieser Tage stets bei sich führte und ertappte sich dabei, wie er ein anderes, weniger subtiles Vorgehen in Erwägung zog. Würde sein Bruder seine Trauer um Flora, seine Tochter, vergessen, die in den Morgenstunden ihren Brandverletzungen erlegen war, wenn er ihm ein vom Blute der Brahl blutiges Stillet nach Hause brachte?
Der Majordomus der Familie Menaris, derzeit Hausherr eines verbrannten und fast leerstehenden Gebäudes, schüttelte den Kopf und straffte sich. Die Anweisungen aus Helas Ruh` waren eindeutig gewesen. Die Zeit für Vergeltung war eine andere, nun galt es die Heimat vor den Folgen der Händel zwischen Drache und Delphin zu bewahren, vor allem vor der Gefahr der Pertakken.

einige Zeit später...

„Es freut und ehrt mich, dass ihr mich empfangt, Secretaria Madanne." Den Umständen zum Trotz , dachte Valsinian. Die Leibsecretaria der Brahl und ihres Patriarchen war eine schlanke und noch junge Frau. Wiewohl der Majordomus und Madanne Luntfeld in den vergangenen Jahren durchaus aufeinander getroffen waren – als Anhänger einer gelehrten Familie wie der Menaris, die viele Schreibaufgaben selbst erledigte, waren die Aufgabengebiete eines Majordomus ansonsten mit denjenigen, die die Luntfeld zu verrichten hatte, vergleichbar – waren ihre Gespräche häufig auf der Ebene kühler Sachlichkeit abgelaufen.
Valsinian hegte keinerlei Antipathien gegen sein Gegenüber. Aber die sich in den letzten Jahren verstärkende Rivalität zwischen Menaris und Brahl hatte auch die Umgangsformen zwischen deren Klienten und Bediensteten beeinträchtigt, und in der Zeit der gemeinsamen Anhängerschaft für den Gransignore hatte es keine Gelegenheit zu einer Erwärmung des Verhältnisses gegeben. Die Secretaria beobachtete über ihren massiven, von Aktenstapeln, Geschäftsbüchern und begonnenen Schriftstücken bestückten Schreibtisch hinweg ihren Gast abwartend, äußerlich ruhig.
„In Abwesenheit meiner Dienstherren bin ich zum Sachwalter der ehrwürdigen Familie Menaris ernannt worden." Valsinian griff in die Dokumententasche und reichte der Leibsecretaria ein gesiegeltes Schreiben, ließ der Luntfeld einige Zeit zum Lesen.
Langsam und aufmerksam las Madanne Luntfeld den Brief durch. Im Grunde genommen stand da nicht viel mehr, als das was Valsinian ihr gerade gesagt hatte. Trotzdem würde sie das Schreiben später noch ihrem Herrn vorlegen: Bislang war sie noch viel zu wenig in die Niederungen der sheniloer Politik vorgedrungen, womöglich war ihr die Bedeutung dieses Briefs nicht bewusst. Allein die Tatsache, dass der Siltalenis sich mit einer solchen simplen Nachricht auf eigenen Füßen hierher bewegt hatte, hatte was für sich. Den Menaris waren doch durch den Brand nicht sämtliche Bediensteten abhanden gekommen und wenn, gerade jetzt gab es doch genügend Hände, welche für eine Hand voller Heller einen solchen Brief überbringen würden…
„Seid gedankt, Majordomus Valsinian," Madannes Lächeln erreichte ihre Augen nicht, „dass ihr euch in eigener Person hierher bemüht habt, uns diese Nachricht zu überbringen. Wir wissen eure Geste wohl zu schätzen." „Und wir trauern mit euch um euern Verlust." Madannes Stimme klang auf einmal etwas wärmer. „Falls es etwas gibt was wir für euch tun können..."

Der Majordomus antwortete nicht direkt. „Habt ihr die Flammen gesehen, den Rauch gerochen, Secretaria Madanne?" Valsinian blickte zum geschlossenen Fenster und sog die Luft ein, als könne er den Rauch noch immer riechen. „Es ist nur den tapferen Händen Studioras zu verdanken, dass der Brand nicht übergriff." Er blickte wieder zurück zur Secretaria.
„Habt ihr den Palazzo einmal besucht? Der Nandurianflügel ist am stärksten beschädigt, aber auch die Steine des Torre sind zum Boden hin rußgeschwärzt, im Garten stehen nur mehr die Kadaver tierischer Hecken. Die alte Blutulme hat alle Blätter verloren." Valsinians Stimme blieb bei diesen Worten tonlos.

„Bedaure, ich hatte nie die Ehre…" In Madannes nüchterne Stimme hatte sich ein Anflug aufrichtigen Bedauerns gemischt, so dass Valsinian irritiert blinzelte, bevor sie fortfuhr: „Doch das ist sicher nicht der Grund für Eure Anwesenheit. Eure Trauer in Ehren, doch beendet bitte das Geplänkel und kommt zur Sache. Unser beider Zeit ist in diesen Tagen kostbar und Ihr habt sicher viel zu tun."
Da war wieder die arrogante Madanne, die Valsinian so verabscheute. Er faltete also die Hände und beugte sich etwas vor. „Wie ihr wisst ist die Rechtslage in diesen Tagen alles andere als einfach: Die Iustitiarin Guiliana ist nicht ordnungsgemäß durch das Consilium ernannt worden, ihr Vorgänger Caron hat seine Amtszeit hinter sich und ich denke wir stimmen überein, dass einem Calven-Imirandi derzeit keiner die Rechtspflege überlassen mag.
"Sicher brennt Ehrwürden Praiosdan darauf, in diese Lücke zu drängen, aber können wir von ihm ein sachliches Verfahren erwarten?" Sein Unterton verriet, dass er selbst nicht daran glaubte.

Madanne zog eine Augenbraue hoch und entgegnete ziemlich verwundert: „Und weshalb kommt Ihr mit Euren Bedenken ausgerechnet hierher?"

„Der Familie Menaris sind schwere Schäden zugefügt worden. Es muss Wiedergutmachung geleistet werden." Wieder deutete die Betonung Valsinians Worte wenig Spielraum für Verhandlungen an. „Doch es sind Schäden angerichtet worden, die kein Silberling zu entschädigen vermag. Es ist Blut geflossen, Secretaria. Die Familie Menaris fordert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Cavalleristo der Brahl hat sich mit seinen Taten am Tod von Flora Siltalenis schuldig gemacht." Er bemerkte, wie sich Madannes Stirn kurz runzelte. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass er kein Wort über das Verscheiden Varsinia Menaris` verlor. Seine diesbezüglichen Anweisungen waren eindeutig gewesen.

Da ihr Gegenüber offenbar seine Gründe hatte diese Tatsache nicht zu erwähnen, beschloss Madanne ihn nicht eigens darauf hinzuweisen. Um Valsinians Selbstbeherrschung stand es offensichtlich nicht zum Besten, da wollte sie ihn nicht noch unnötig weiter reizen. Mit einem Kopfnicken bedeutete sie ihm, mit seinen Erläuterungen fortzufahren.

„Die Familie Menaris weiß, dass dies nicht der Tag noch die Stunde ist, Köpfe und Dukaten zu fordern. Wir brauchen jeden Kopf, unseren Feinden ein Schnippchen zu schlagen, jeden Arm, die Civitas zu verteidigen und jeden Dukaten, um den Angreifern ihre Unterstützung zu entziehen. Doch die Menaris wollen, dass die ehrenwerten Brahl eines wissen: Der ehrlose Akt kann und wird nicht vergessen werden. Er wird gesühnt werden. Auf die eine – oder auf die andere Weise." Seine letzten Worte waren von harter Stimme vorgetragen worden, wiewohl sein Gesichtsausdruck endlich die Sorge verriet, die ihn ob der Situation tatsächlich plagte. Wie konnte man eine Fehde beiseiteschieben um eine andere zu überstehen? Stand am Ende eines ungewissen Sieges nur ein weiterer Krieg? Die Ehre seiner Herren musste gewahrt bleiben, ihre Sicherheit gewährleistet bleiben. Doch bedeutete die Wahrung der Ehre des Einen nicht auch die Unehre eines Anderen? Der Schutz des eigenen Besitzes, des eigenen Lebens, bedeutete er nicht die Schädigung Anderer, die Bedrohung Anderer?

Endlich zeigten sich in Madanne stoischer Miene Risse, war sie nicht eine Spur bleicher geworden? Ihre Worte waren leise, aber dennoch deutlich und unmissverständlich: „Ihr geht wohl jetzt besser. Ich dulde keinen Gast, der Drohungen ausstößt!"

Valsinian Siltalenis erhob sich. Es war nicht an ihm, das Kommende zu entscheiden. Und es lag ebenfalls nicht in der Macht Madanne Luntfelds.
„Ich habe gesagt, was mir zu sagen aufgetragen wurde. Sprecht mir Euren Herren. Shenilo möge den Boron-Mond überleben." Er nickte der Secretaria ernst zu, bedankte sich noch einmal für ihre ‚Einladung` und schritt zur Tür. Seine Gastgeberin geleitete ihn immerhin bis zum Hauptportal, dafür zollte er ihr insgeheim Respekt. Eine Fremde war sie, ja, aber wenigstens die Gesetze der Etikette hielt sie strikte ein.

Vor dem Fenster

Auf einem Ast einer Rotbuche vor dem Palazzo der Brahl saß ein Vogel mit rötlich-blauem Gefieder. Ein vorbeifahrender Kutscher mit düsterer Miene sah ihn nicht und lenkte einen hinter einem Vorhang verborgenen Herren die Purpurstraße entlang. Aber der auf dem Kutschbock hockende Junge, nach seiner Tracht ein Diener des Kutschenbesitzers, zeigte mit dem Finger auf das Tier und lachte verdutzt. „Ist das nicht ein Eisvogel, Meister Onato? Wie sie die Menarischen gehegt haben sollen?" Der Angesprochene blickte über die Schulter zurück, schürzte verächtlich die Lippen und behielt seinen Gesichtsausdruck bei.
„Es ist zu früh im Jahr für derlei Tiere, Junge. Und die Vögel der Menaris hat sich alle der Herr Ingerimm geholt, das ist bekannt!" Als die Kutsche am Khönig-Khadan-Platz abbog und der junge Diener noch immer versonnen die Straße hinabblickte, wo längst kein Vogel mehr zu erkennen war, landete ein rötlich-blau gefiederter Vogel unbemerkt auf einem Bücherregal im Zimmer der Secretaria. Dann wartete der Eisvogel.

Ein Eindringling

Als die Leibsecretaria einige Stunden später den Stapel von Schriftstücken geordnet, die Leselampe ausgeblasen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, flatterte der Eisvogel aus seinem Versteck und landete in der Mitte des Raumes. Einige Zeit später hätte ein vorbeilaufender Diener, hätte es ihn denn gegeben, aus dem Studiolo Madannes unangenehme, knackende Geräusche und ein Geräusch gehört, das man ansonsten nur von der Zubereitung von Geflügel in der Küche des Palazzo gewohnt war.

Menarische Mutanda

Valeran Menaris spreizte die Arme und rieb sich die schmerzenden Gelenke. Wenn er länger die Gestalt wandelte, zumal, wenn er dabei in für den Menschen unnatürlicher Position verharrte, dann verspürte er in den vergangenen Jahren immer häufiger heftige Schmerzen nach der Rückverwandlung. Er schlich hinüber zur Tür und lauschte einige Augenblicke, vergewisserte sich, dass sich keine Schritte näherten und spähte dann im Zwielicht umher, in das der Schein des Madamals das Zimmer hüllte.
Am Lesepult am Fenster hing eine weit geschnittene Weste aus einfarbigem aber gut verarbeitetem Stoff, die der Magier sich überwarf. Zu keiner Zeit hatte er es geschätzt, welche seinem Kleidungsgeschmack entgegenstehenden Folgen eine Verwandlung zeitigte. Die Vorstellung, unbekleidet im Zimmer der Leibsecretaria angetroffen zu werden schreckte ihn mehr als der Gedanke daran, überhaupt entdeckt zu werden. Valeran blickte kurz zum nun wieder geschlossenen Fenster, er würde sich also einen anderen Weg hinaus suchen müssen. Aber er war es zufrieden, dass sein Eindringen nicht dem Wortlaut des Codex Albyricus zuwiderlief. Denn für einen Einbruch waren Zerstörungen notwendig, die der Vogel nicht hinterlassen hatte und zu einem Diebstahl würde es nicht kommen. Valeran schnipste und wandte sich den Dokumenten auf dem Schreibtisch zu, sobald eine kleine Lichtkugel über seiner Handfläche erschienen war, die ihn begleitete. Er begann sorgsam die Schriftstücke zu überfliegen, bemühte sich, sie nach der Lektüre wieder an Ort und Stelle zurückzulegen. Interessantere Dokumente wären sicher im verschlossenen Fach unter der Schreibtischplatte zu finden gewesen, aber dieses konnte er - wenn auch ohne Dietrich und mit Astralkraft - nur durch einen Einbruch öffnen. Daher musste er sich mit den gerade eingegangenen und noch nicht ausgegangenen Schriftstücken begnügen. Nach einiger Zeit fand er jedoch Zeilen, die seine Aufmerksamkeit erregten. Ein Schreiben aus Toricum mit der Unterschrift Purothea Brahls und eine Schrift an Potros Tuachall, die diesen für einen besonderen "Tanzabend" in den Silbernen Adler einlud.
Offenbar hatten die Brahl Informationen aus dem Süden erlangt, die sie zu teilen beabsichtigten. Der Name eines Condottiere in Purotheas Schreiben reichte Valeran um eine erste Vermutung anzustellen. Aber damit würde sich sein Vetter genauer befassen müssen. Er hatte jedenfalls genug gesehen. Valeran entfernte sich vom Schreibtisch, nachdem er noch einmal überprüft hatte, dass er nichts verändert hatte und hängte vorsichtig sein Kleidungsstück zurück an seinen Platz. Er konzentrierte sich und flüsterte "Nusquam appaream", begleitet von der korrekten Zaubergestik und wartete dann, bis sich der gewünschte Effekt einstellte. Dann horchte er an der Tür, bis er sicher war, dass niemand im Gang vor der Kammer der Secretaria war und vergewisserte sich, dass seine Befürchtung, richtig war: Die Tür war von Außen verschlossen. Er quittierte die Erkenntnis mit einem leisen Seufzen und flüsterte erneut, dieses Mal Claustrum se aperiat und öffnete in einem zweiten Versuch die Tür. Streng genommen war die Verwendung des Zaubers wiederum kein Einbruch, weil er sich ja nicht Zugang zu, sondern einen Weg aus einem Raum heraus verschaffte. Der Rest war nicht schwer: Keiner der wenigen Bewohner des Palazzo, die zu dieser späten Stunde noch nicht in Bishdariels Armen schlummerten sah den Unsichtbaren, keiner hörte ihn, dem schon seit der Akademiezeit einen sehr leisen Gang zu Eigen war. Ein nicht verschlossener Ausgang im Gesindetrakt war schnell gefunden und der Magus beeilte sich, aus der Herbstkühle herauszukommen.

...ein weiteres Einladungsschreiben

"Geschätzter Signore Travin,

...und Adressaten

die junge Göttin sei gepriesen, denn sofern ich mich auf die an den Nisselva dringenden Nachrichten aus unserer Heimatstadt verlassen kann, habt ihr die schrecklichen letzten Tage der Herrschaft Ludovigos sicher überstanden. Als er den Todesbefehl über meine Verwandten verhängte war ich sicher, dass auch die verbliebenen Sympathisanten des Hauses Dorén seinen Zorn zu erwarten hätten. Welch' schrecklichen Preis hat aber unsere Heimatstadt in Brand und Blut für seinen Untergang bezahlt?
Wir wissen jedoch, dass der Preis, der von Denjenigen, die mehr zu schultern vermögen, als die einfachen Bürger Shenilos, aber auch von der gesamten Bürgerschaft noch zu zahlen sein wird, erst noch zu bezahlen ist, damit die Wölfe, die den verletzten Hirsch umringen, vertrieben werden können. In diesen Tagen erreicht Euch daher mein verzweifelter Appell, das zu tun, was mir Körper und Ehre verbieten: Nehmt jene Einladung der schmeichelnden Brahl an, von der mir meine Augen und Ohren berichtet haben! Ich ahne, welche Gedanken Euch nun umtreiben oder Euch bereits plagen, seit der feiste Daryl Euch ohne Reue oder ein Wort der Entschuldigung zu sich rief, als sei allein er Derjenige, der die Rettung Shenilos im Herzen trägt. Und seid gewiss, dass wir um die vielfältigen Schmähungen wissen, die gerade Eure ehrenwerte Familie von den Brahl und ihren Speichelleckern in den vergangenen Dekaden zu erdulden hatte. Auch wir haben durch ihre Hand Leid erfahren, auch wir sind durch ihre Zunge befleckt worden. Deshalb wage ich es noch nicht, mich ohne Schutz in meinem geschwächten Zustand in ihre Hände zu begeben. Wer weiß, ob der Wahn Ludovigos nicht auch auf seine engsten Verbündeten übergegriffen hat?
Es mag Euch deshalb wie Hohn erscheinen, dass ich Euch dieser Gefahr auszusetzen trachte. Doch der Groll zwischen Asuriol und Brahl ist ein alter, von der Münze und der Rebe genährt, kein brennender Zorn, der jüngst im Blute gebadet wurde. Auch der eitle Daryl weiß, dass ein Angriff auf Euch die letzte Gelegenheit auf einen Bund des alten Stadtadels wider die Pertakken zerstörten würde. Und täuschen wir uns nicht: Die wahren Feinde in diesen Tagen sind und waren immer die Pertakken!
Deshalb bitte ich Euch: Schützt Euch, wie Ihr Euch zu schützen glauben müsst, aber nehmt die Einladung der Brahl an. Lauscht ihren Worten und sprecht und handelt nach Eurem Gewissen. Aber verhindert, dass sich die Brahl aus Schmach und Niederlage als Retter Shenilos gerieren!
Seid zuletzt versichert, dass auch die Familie Menaris das ihre dazu beitragen wird in jenen Stunden Phexens und Rondras Gunst wieder für Shenilo zu gewinnen. In diesem Augenblick harre ich der Mitteilung eines jüngeren Kindes unserer Civitas und, Hesinde möge mir helfen, sollte mein Vorhaben Erfolg haben, dann werden wir dabei helfen können, Shenilo zumindest die Gelegenheit zum Sieg zu geben und den liederlichen Brahl ihren falschen Triumph zu entreißen!
Phex und Hesinde mit Euch! Auf ein baldiges, gesundes Wiedersehen in unserer Heimat, möge sie heilen und heil bleiben.

Gegeben zu Helas Ruh am achten Tag des Mondes des Boron, im Eintausend und Dreiunddreißigsten Jahr nach dem Falle des Hunderttürmigen Bosparan
Monsingore Tankred Nandurian Menaris, Hoher Lehrmeister und Consiliere Naclador von Shenilo"

Angebot an einen Opernsänger

Shenilo, Erdstag, 8. Boron 1033 BF, Studiora

Im Südosten Studioras, des Gelehrtenviertels von Shenilo, stieg ein Mann mit dunkelbraunen Lederstiefeln aus einer Kutsche. Er richtete den Kragen, der ihn als Septimaner oder Bewohner von Nuovo Ruthor erscheinen ließ und blickte sich dabei entlang der Straße um. Vor dem Anwesen stand ein einzelner Mann im grün der Tempelgarde, der ihm zunickte, und sich entspannte als er den Majordomus der Menaris erkannte.
Valsinian Siltalenis griff dennoch ins Innere seines Wamses, wo in einer Lederschlaufe der Griff eines Stillets hing. Er befürchtete keinen Übergriff, aber Wachsamkeit war dieser Tage eine lebenswichtige Tugend jedes Mannes, auch und gerade für einen Klienten der Menaris.
Es war kaum zwei Wochen her, dass der Palazzo Carolani gelöscht worden war. Noch keine zwei Wochen waren vergangen seit seine Nichte ihren Brandverletzungen erlegen war. Keine zwei Wochen, dass wütende Menschen den Palazzo Luciano gestürmt hatten, um Odina von Urbet-Marvinko zu bedrohen. Und keine zwei Wochen waren vergangen, seit Porta Pertakia in ein Flammenmeer verwandelt worden war. Es war ein Wunder, dass überhaupt noch ein della Pena in Shenilo verblieben war.
Valsinian ging mit raschen Schritten auf das Stadthaus der della Pena an der Piazza Naclador zu, wechselte einige Worte mit dem Tempelgardisten - dieser war vielleicht der einzige Grund für die offenbare Unversertheit des Stadthauses und das Verbleiben der della Pena - und pochte dann mit den Fingerknöcheln an die Pforte. Er überprüfte den Inhalt der Korrespondenzentasche, die eine wichtige Nachricht seiner Herren trug noch einmal und wartete.

Datei:Tsaianodp.jpg
Ein Brief an den Opernsänger

Hochverehrter, lieber Signore Tsaiano,
wie schmerzlich stimmt es mich in diesen schweren Tagen an Euch heranzutreten, schmerzlich deshalb weil mir Zeit und Kraft fehlen Euch mein Bedauern darüber persönlich auszudrücken, dass ihr in Eurer neuen Heimat so traurige und finstere Ereignisse miterleben musstet. Wie Ihr wisst, hat meine Familie einen Teil des Leides, der über unsere Stadt kam, mitzuverantworten. Wir Ihr ebenfalls wisst, hat meine Familie bezahlt - blutig bezahlt. Wie Ihr wissen sollt, ist es in der Tat noch immer die Wunde der schändlichen Klinge, die mich ans Bett fesselt, doch gäbe ich leichten Herzens die Fähigkeit zu gehen ganz dahin, könnte ich dem Herren Boron die Seelen meines Vetters, meiner Base und meines Vaters noch für einige Götterläufe entwinden. Doch die Zwölfe haben es anders gefügt. Die Zwölfe haben ebenfalls gefügt, dass Ihr aus einer Stadt, die Leid und Tod hinter sich gelassen hatte, in eine Stadt kamt, der diese Erfahrung noch bevorstand. Doch der Glaube an die Zwölfe ist es, der mich wissen lässt, dass SIE diese Fügung wünschten. Vielleicht gar, um unsere Stadt durch Eure Hilfe vor Schlimmerem zu bewahren?
Erlaubt mir, dass ich nun zum Anlass meines Schreibens komme, denn noch immer verlassen mich die Kräfte rasch. Wie Ihr wisst, habt Ihr mich einst nach einer der frühen Druckfassungen der Sheniloer Annalen gefragt und um Einsicht in die Stammbäume des ehrenwerten Hauses Aurandis gebeten. Wir Ihr nicht wisst, aber ahnen könnt, hat dieses Euer Streben meine eigene Neugier geweckt, noch bevor andere Angelegenheiten meine ganze Aufmerksamkeit verschlangen. Ich glaube daher zu wissen, dass Ihr auf einen Zweig Eures Hauses gestoßen seid, der in der Ponterra Wurzeln geschlagen hat, einen Spross der den Lenden des Bruders Eures Großvaters, Cadron von Sfiriando, entsprang. Verschiedene Umstände lassen mich nun glauben, dass Ihr diesen Zweig zu seinem jüngsten Spross nachgeeilt seid, einem Spross, der bis zum Krieg der Drachen südlich des Yaquirs in dem kleinen Ort Paquirella blühte.
Es ist die Not unserer Stadt, die mich zum Folgenden bewegt: Wie Ihr wisst, sammeln sich die Feinde Shenilos aus der Yaquirstadt Pertakis um Stadt und Bund zu zerschmettern. Es bedarf nun unser aller Opferbereitschaft, um zu bestehen, denn der Feind ist einiger, wohlhabender und stärker als wir.
Solltet Ihr erfahren haben, wo jener Spross, jener Erbe von Paquirella verblieben ist, so muss ich Euch fragen: Teilt Ihr dieses Wissen mit uns und teilt Ihr es mit uns, ohne zu fragen, was mit diesem Wissen geschehen wird?
Lasst mich Euch nur versichern, es würde zum Wohle Eurer neuen, unserer gemeinsamen Heimat sein!
Erlaubt mir zum Abschluss eine Einladung auszusprechen: Es ist mir eine Freude, Euch zum 10. des Boron-Mondes in die Taverne zum Silbernen Adler einzuladen, wo die Familie Brahl zur Gesellschaft zusammenruft.
Ich bin sicher, dass sich die anwesenden Patrizier geehrt fühlen werden, Eurer gesanglichen Darbietung zu lauschen. Und wenn unsere Heimat die Prüfung Pertakis' besteht, dann werden dieser Einladung gewiss weitere folgen.
Damit verbleibe ich, unter Wünschung einer guten Gesundheit und entbiete Euch Hesindens Gruß

Monsignore Tankred Menaris, Cavalliere, Consiliere Naclador und Sohn Shenilos

Shenilo, 9. Boron 1033 BF

Tsaiano klimperte zum wiederholten Male die Caccia d’Alicorno von Cladante ya Vildari auf seinem Cembalo herunter. Eigentlich mochte er das beliebte Stück nicht besonders – zu sehr war es auf den publikumswirksamen Effekt hin getrimmt –, doch bereits seit frühester Kindheit gelang es ihm am besten sich zu konzentrieren und einen klaren Gedanken zu fassen, wenn er belanglose Musik exerzierte.
Und ein klarer Gedanke, der war jetzt bitter nötig: Er drohte als völlig unpolitischer Mensch hineingezogen zu werden in die schwer durchschaubaren Ränke der Machthaber Shenilos, die das beschauliche Städtchen in den letzten Monden in blutige Zwiste gestürzt hatten.
Die Anfrage des Oberhauptes der Menaris klang zunächst einmal harmlos, doch auch wenn Tsaiano kein so gewiefter Politiker wie seine Schwester Lutisana war, merkte er deutlich, dass mehr dahintersteckte. Die Frage nach dem Verbleib des jungen Horathio von Paquirella – und keinen anderen konnte Hochwürden Menaris meinen – hatte sicherlich größere politische Implikationen, als sich Tsaiano vorstellen konnte, doch in einem war er sich sicher: keinem ging es dabei um das Wohl des Jungen.

Gesucht: Horathio von Paquirella

Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in Shenilo hatte er begonnen den Spuren seines entfernten Verwandten Cadron della Pena nachzugehen. Der Autor des bekannten Romans „Ein Vagabund erzählt“ – Tsaiano liebte dieses Buch – hatte ein abenteuerliches Leben geführt, und es war Tsaiano ein Anliegen, soviel wie möglich über den Lebensweg des alten Herumtreibers zu erfahren und dabei Fakt von Fiktion zu trennen.
Die Bitte an das Haus Menaris, ihn bei diesen Recherchen zu unterstützen, war offenbar missverstanden worden: Man hatte ihm Stammbäume aus dem Hause Aurandis vorgelegt und die nicht gerade große Nachkommenschaft Cadrons präsentiert, die zudem zum großen Teil verschollen oder tot zu sein schien. Einzig Alvaro della Pena war sicher noch am Leben und hatte am Hof von Graf Horasio della Pena offenbar sein Glück gefunden, interessierte sich jedoch nicht mehr für seine Herkunft. Was die Menaris nicht verstanden hatten: Es ging Tsaiano überhaupt nicht um die Nachkommenschaft Cadrons! Weitläufige Verwandte hatte er genug und die meisten von ihnen konnten ihm gestohlen bleiben. Es ging ihm um das aufregende Leben Cadrons!
Einige Wochen hatte es gedauert, bis Tsaiano die Hinterlassenschaften Cadrons ausfindig gemacht hatte, denn der neue Herr von Sfiriando hatte sie einem Trödelhändler in Terrinda verkauft, der im Thronfolgekrieg ums Leben gekommen war. Zum Glück war der Besitzer des seitdem geschlossenen Trödelladens ein sehr gewissenhafter Mensch gewesen und hatte alle seine An- und Verkäufe sorgsam dokumentiert. So hatte es Tsaiano nur einige Wochen, viele Dukaten und unzählige wohlgesetzte Worte gekostet, den gesamten Hausstand Cadrons zurückzukaufen. Das meiste war den Göttern Lob noch immer im Trödelladen gewesen, so dass Tsaiano ihn kurzerhand gekauft hatte – glücklicherweise hatte er durch die Verpachtung des nunmehr instandgesetzten Ladens die Auslagen beinahe schon wieder zurückgewonnen.
Seitdem beschäftigte er sich, wann immer er dazu kam, mit der Durchsicht dieser Erbstücke und kam dadurch dem Leben seines berühmten Ahnen Stück für Stück immer ein wenig mehr auf die Spur. Er hatte gedacht, dass diese Hinterlassenschaften sein einziger Kontakt mit dem Erbe Cadron della Penas bleiben würde – schließlich war das Thema für ihn tatsächlich eher eine gepflegte Marotte als ein tatsächliches Anliegen–, doch im Ingerimm 1032 BF war es unverhofft anders gekommen: Er kehrte gerade von einer unerfreulichen Sitzung des Directoriums der Spielkartenmanufaktur heim, als ihn ein verwahrloster Halbwüchsiger vor der Türe ansprach.
Es stellte sich heraus, dass dieser Jüngling kein anderer als der im Thronfolgekrieg verschollene Horathio von Paquirella war, dem es seinerseits gelungen war den entfernten Verwandten Tsaiano aufzuspüren und nun um freundliche Aufnahme ersuchte. Auf seinen eigenen Wunsch hin wurde über die wahre Herkunft des Jungen Stillschweige bewahrt: einzig Horathio, Tsaiano, seine Gemahlin Flavia und der Majordomus waren in das Geheimnis eingeweiht. Seither lebte Horathio unter dem Namen Arn als Diener im Hause Tsaianos und war in den letzten Wochen ein enger Vertrauter der nur wenige Jahre jüngeren Tharinda geworden, die es ansonsten kaum in der Enge des Anwesens ausgehalten hätte, während aufgrund der politischen Querelen die Ausbildung bei ihrem Lehrmeister Valeran Menaris ruhte.
Und nun fragte das Oberhaupt des Hauses Menaris aus heiterem Himmel nach dem Verbleib ebendieses Knaben? Und ließ überdies noch durchblicken, dass darüber schweigen würde, was die Erteilung einer solchen Information für Folgen haben würde? Dies verhieß nichts Gutes für den Jungen.
Andererseits: Die Anfrage war verbunden mit einer Einladung in den Silbernen Adler und stellte weitere Einladungen in Aussicht. Dies wäre die Eintrittskarte in das Patriziat Shenilos und Tsaiano könnte so endlich in einer Weise für das kulturelle Leben der Stadt tätig werden, wie er es sich immer gewünscht hatte. Die Informationen über Horathio waren also ein Pfund, mit dem er wuchern konnte, doch durfte er dies dem Jungen antun?

Es war eine schwierige Frage und er war nicht gemacht für derlei Dinge. Andererseits konnte er keinen anderen mit diesem Problem konfrontieren ohne das Geheimnis des Jungen zu verraten.
Nachdem Tsaiano ein weiteres Mal den Schlussakkord der Caccia gehämmert hatte, fasste er einen Entschluss. Er ließ sich Feder, Tusche und Pergament bringen und begann einen Brief an den verletzt daniederliegenden Consiliere Naclador.

Geehrter Monsignore Tankred,

mich dauert eure Verletzung sehr und ich wünsche euch Peraines Segen, dass ihr bald wieder völlig genesen möget, doch wie viel mehr nehme ich Anteil an eurem Schmerz ob des Verscheidens so vieler enger Verwandter. Mögen sie gnädig Eingang finden in die Zwölfgöttlichen Paradiese, möge Boren euch alsbald den Schmerz vergessen lassen und möge Rahja euch die Freude am Leben wiederschenken.
Schon vielfach habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen ruhige und friedliche Zeiten offenbar nur schlecht ertragen können und darob Streit, Zwist und Fehde heraufbeschwören und sich damit ihr eigenes Unglück bereiten. Dies war in meiner früheren Heimat so, warum sollte es also in meiner neuen Heimat anders sein?
Ich habe meine Aufgabe darin gefunden mit den Geschenken der heitern Göttin die Wunden zu heilen, die in den Konflikten und Kriegen aufgerissen werden und gerne will ich dieses auch hier in unserer neuen Heimatstadt nach bestem Können und Wissen tun. Wenn die Stadt dies ebenso wünscht und mich in diesem Bestreben unterstützt, bin ich erfreut. Wie viel leichter wäre mir jedoch diese Aufgabe, wenn die Stadt einen offiziellen Zuständigen benennen würde, der sich um die Pflege der Künste und der heiteren Zerstreuung kümmern würde. Gransignor Ludovigo hat in seinen letzten Monden sicher einige falsche Entscheidungen getroffen, doch die Schaffung des Postens eines Oberstmusicus gehörte sicher nicht dazu, auch wenn es kurzsichtig wäre ein solches Amt nur auf eine Muse der Rahja zu beschränken.
Doch ich will Euch nicht länger langweilen mit den Träumen eines einsamen Verfechters der Heiteren, denn Ihr habt eine Anfrage an mich gestellt und ich will ohne Umschweife antworten:
Tatsächlich wissen wir um den jungen Spross aus dem Hause derer zu Paquirella, tatsächlich wissen wir auch um seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Tatsächlich ist uns aber auch am Wohlergehen des jungen Mannes gelegen, der im furchtbaren Krieg der Drachen bereits so viel verloren hat. Da ihr mir die Konsequenzen eines positiven Bescheides nicht mitteilen konntet, möchte ich an dieser Stelle nicht mehr sagen. Ich bin überzeugt, dass ihr als Diener der Zwölfe nur das Allerbeste im Sinne habt, doch angesichts der politischen Wirrnisse dieser Tage, die ich nicht auch nur im Entferntesten zu durchschauen vermag, muss ich Vorsicht walten lassen und daher scheint es mir geraten, den Aufenthaltsort des Sprosses nicht preiszugeben, ehe ich um die Folgen einer solchen Offenbarung weiß. Denn wie ein Vater sich um alle Kinder sorgen muss, die unter seinem Dach leben, bin auch ich als älterer Verwandter für den Jungen verantwortlich seit ich um ihn weiß.
Ich vertraue auf euer Verständnis und da ich um eure Weisheit und Verständigkeit weiß, bin ich mir sicher, dass ihr mit diesen Informationen geeignet verfahrt. Eure Einladung in den Silbernen Adler nehmen wir überdies gerne an und hoffen, diesen illustren Kreis mit unserem Gesang und unserer Anwesenheit bereichern zu können.
Mit den besten Wünschen um eine rasche Genesung und der Bitte um den Segen der heiteren Göttin verbleibe ich
Signor Tsaiano della Pena ä.H., Esquirio

Verschollene Erben und landlose Condottieri

Paquirella, am Abend des 9. Boron 1033 BF, am Fuß eines Eisvogels

Signore Colmar,
Mit krächzender Feder ritze ich in aller Eile diese meine drängenden Worte ins Pergament und hoffe inständig, sie mögen Euch noch rechtzeitig erreichen. Glücklicherweise erreichte uns jüngst die Kunde, dass Ihr und die Euren den weiten Weg vom Sikram unternommen habt, um in die krisengeschüttelte Ponterra zu gelangen. Ich fürchte jedoch, dass der Krieg, den Pertakis über Shenilo bringt, bereits Euer Heim ausfindig gemacht hat. Schon wird Paquirella bedrängt und droht genauso unter die Knute der Krämerseelen und ihrer bezahlten Hetzhunde zu fallen, wie zuvor Helametto, Mesaverde und vielleicht auch Côntris.
Doch sicher wisst Ihr um den Preis, den der Status eines foederatus Pertakis’ mit sich bringt und habt bereits erwogen, Eurem neuen Heim durch Vertragsschluss Frieden zu bringen. In diesen Stunden sammelt Shenilo all’ seine verbliebenen Kräfte, um einen solchen Knebelvertrag für die gesamte Ponterra zu verhindern. Alessandro ya Ilsandro, den ehrlosen „Gransignor“ von Stadtsäckels Gnaden, drängt es, die alte Domäne Pertakis, die Fürst Ralman von Vinsalt auflöste, wiederzuerrichten und sie gar, wie wir alle jetzt erkennen müssen, gen Süden auszudehnen. Ob er Eure Kriegsbeute Paquirella in Diensten dieses Restitutionsgedankens ebenfalls zu schlucken beabsichtigt oder sich ob Eurer militärischen Potenz mit Euch zu einigen beabsichtigt, wissen allein er und die Götter.
Da es mir nicht gelingen wird, Euch von der militärischen Sinnhaftigkeit eines Bundes mit Shenilo gegen Pertakis zu überzeugen, möchte ich Euch auf eine politische Nuance der derzeitigen Lage hinweisen. Wie Ihr besser wisst als ich, gelangte Euer ponterranischer Besitz in Eure fähigen Hände, weil der rechtmäßige Erbe des Hauses Paquirella im Krieg der Drachen verschwand und als verstorben zu gelten hatte. Jüngste Erkenntnisse erlauben mir indes die Feststellung, dass diese Vermutung verfrüht zur Tatsache erhoben wurde. Tatsächling gelangten vor nur wenigen Stunden handfeste Beweise über das Wohlbefinden und den Aufenthaltsort jenes Horathio von Paquirella in meinen Besitz. Ihr mögt mir angesichts der verzweifelten Lage meiner Heimat meine unverblümten Worte verzeihen, aber mir ist nur jene krächzende Feder gegeben um den Kampf der Schwerter zu gewinnen.
Ich bin bereit, mein Wissen um den Aufenthaltsort des Erben Paquirellas mit Euch zu teilen. Ich bin sicher, Ihr wertet wissen, was damit zu tun ist. Ich muss Euch in diesem Falle jedoch bitten, Euch zu einem Kontrakt in Diensten Shenilos wider die Pertakken bereit zu erklären. Solltet Ihr zustimmen, wird Euch mit der ersten Soldzahlung auch die Information über das Versteck Horathios zukommen. Erlaubt mir aber, die Gefahren aufzuzeigen, sollte ich mein Wissen nicht auf diese Weise mit Euch teilen können. Ich bin als Diener der Allweisen und als Kenner der Historie verpflichtet, die rechtmäßige Erbfolge in Paquirella zu gewährleisten und dem Comto Protector, der sich als Rechtswahrer versteht, mein Wissen mitzuteilen, solltet Ihr Euch dieses Wissens nicht annehmen wollen.
In der Hoffnung auf Euer Verständnis und Euren Schwertarm sowie baldige Nachricht über Euren Entschluss,
Gegeben zu Helas Ruh am 11. Boron des Jahres Eintausend und Dreiunddreißig nach Bosparans Fall
Monsignore Tankred Nandurian Menaris, Cavalliere und Consiliere Naclador Shenilos

Helas Ruh, in den frühen Morgenstunden des 10. Boron 1033 BF, auf dem Lesepult Tankred Menaris'

Feldzeichen der Cavallieri Colmar Luntfelds

Monsignore Tankred,

Seid gedankt für Eure Schilderung der Lage in der Ponterra in den letzten Monden, ich gebe zu wegen wichtiger Verpflichtungen in der Gerondrata nicht ganz informiert zu sein über all die Vorgänge, von denen Ihr so gräulich zu schildern wisst. Verzeiht außerdem einem einfachen Kriegsmann, wenn ich ob der von Euch geschilderten drängenden Umstände keine großen, hesindegefälligen Worte verliere.

Eure Worte zeichnen von dem weiland regierenden Gransignore Alessandro ya Ilsandro ein wenig schmeichelhaftes Bild. Andererseits reichen die Berichte über Mord, Todschlag und Tyrannei auch in eurer Vaterstadt Shenilo bis ins Silbertal. Trotz des komplizierten, einer Stadt der Hesinde würdigen Politgeflechts welchem ich als tumber Kriegsmann nur unzureichend folgen kann, so scheint es doch, als ob der Herr Gransignore Ludovico di Calven-Imirandi um keinen Kreuzer besser gewesen ist, als der von euch geschimpfte Ilsandro. Doch seid gewiss, dass ich mich, die meinen und das meine sehr wohl gegen jedwelche Angriffe zu verteidigen weiß.

Zu Eurem Angebot: Für die Summe von 1'500 Vinsalter Dukaten, wovon 500 bei Kontraktabschluss zu bezahlen sind, sowie einer vertraglichen Garantie meiner Eigentumsrechte am mir vom Comto Protector geschenkten Gut Paquirella durch die Stadt Shenilo biete ich Euch und ebenjener Stadt an, ab dem 15. Boron 1033 BF für die Dauer von 30 Tagen mindestens 100 Cavallieri unter meinem Kommando zur Verfügung zu stellen. Die genaueren Details des Soldvertrags folgen den üblichen Kodices.

Colmar Luntfeld, Esquirio, Herr von Paquirella

In guter Gesellschaft

Shenilo, 10. Boron 1033 BF, Taverne zum Silbernen Adler

Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf zwei im Eingang stehende Männer frei. Der vorne stehende, schwarz gekleidete schien der Größere der beiden zu sein, der kleinere war ganz in graue und braune Stoffe gehüllt, als hätte ihn bereits die noch nicht recht eingebrochene Herbstmilde schaudernd erfasst. Die Dielen der Taverne knarzten, als der erste, dem Augenschein nach ältere Mann mit grau-weißem Bart, das Haupt von einer ebenfalls schwarzen Haube bedeckt, seinen auffälligen Stab in den Raum pflanzte und eintrat. In der Beleuchtung der Stube konnte man nun erkennen, dass das Schwarz der Robe mit feinen grünen Stickereien versehen war, die ein erfahrener Blick als von arkaner Natur identifiziert hätte.
„Magister Valeran, welche Freude Euch wieder einmal hier begrüßen zu dürfen!“ Der Tavernenbesitzer, Robak Fredor, bemühte ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Habt Dank, guter Robak. Vielleicht mögt Ihr mir und dem Magister Ingvalidion hier ein warmes Getränk bereiten?“ Er wies auf eine etwas abgelegene, vor Blicken und allzu neugierigen Ohren geschützten Bereich der Taverne, aus dem ein kräftiger Männerbariton sanfte Klänge hinübersandte. „Aber bringt die Getränke zur Gesellschaft, es gilt keine Zeit zu verschwenden!“
Valeran Menaris setzte sich in Bewegung, dicht gefolgt vom zweiten Magister des Draconiter-Institutes. Während man die Schritte des Menaris trotz der knarzenden Dielen kaum vernehnmen konnte, schlurfte Haldoryn Ingvalidion hustend durch den Schankraum.

Einige Zeit später...

Als sich die erste Überraschung über Valerans Erscheinen gelegt hatte und die letzten, wenn auch wortkargen Lippenbekenntnisse zu hören waren, wonach sich alle über seine Anwesenheit freuten, brachte der Magister die Sprache auf den Anlass seines „Besuches“.
„Wie ich sehe, trafen die Gerüchte zu, dass Ihr, werter Cavalliere Brahl, eine Versammlung der Gesellschaft zum Silbernen Adler einberufen habt. Als rechtmäßiger Teil der Gesellschaft sollte auch die Familie Menaris davon nicht ausgeschlossen werden.“

„Dieses Schreiben“, Valeran griff in eine Dokumententasche und holte ein versiegeltes Schreiben hervor, „gibt mir als Mitglied des Rates der Verdienten meiner Familie die Autorität, in dieser Sache im Sinne der Menaris zu sprechen.“ Er blickte in die Runde während die Versammelten Patriarchen des Stadtadels das Dokument begutachteten, der ein oder andere verharrte länger bei der Unterschrift des Patriarchen, des Hohen Lehrmeisters Tankred, als ob er versuchte, einen verräterischen Schwung oder einen krakeligen Strich, ein Zeichen der wahren Schwäche des Familienoberhauptes der Menaris aus ihr herauslesen zu können.
„Ich will Euch nicht allzulange mit politischen Bekenntnissen oder Appellen langweilen, Cavallieri.“ Valerans Tonfall war nüchtern, nicht abfällig. „Wir wissen alle, dass es die Zähne der Pertakken an unserer Kehle und die Klauen des Popolo an unseren Herzen sind, die uns zur Zusammenarbeit drängen und nicht Vergebung oder gar Vergessen. Was vor einigen Wochen vor dem Palazzo Luciano und im Palazzo Carolani geschah“, Valeran blickte Daryl Brahl bei diesen Worten nicht an, „kann sich noch immer wiederholen, wenn der erste Schrecken in Nuovo Ruthor überwunden ist.“ „Ihr mögt mich korrigieren, Cavallieri, aber ich meine, dass die Pertakker schon erste Requirierungen auf den Feldern im Süden des Bundes durchgeführt haben. Es ist klar, dass Shenilo und mit ihr wohl der Bund dem Contado Pertakis’ zugeschlagen werden wird, wenn wir uns nicht als wehrfähig erweisen.“ Er griff erneut in die Dokumententasche und holte ein weiteres Schreiben hervor, das eine doppelte C-Sigille aufwies. „Die Familie Menaris hat ein Angebot erhalten, wie wir diese Wehrfähigkeit erhöhen können. Doch weder können wir alleine das Gold herbeibringen, das erforderlich ist, noch haben wir die nötige militärische Expertise in unseren Reihen, die Mercenarii zum Sieg zu führen. Was wir anbieten können“, damit wies er auf den am Eingang des abgetrennten Bereiches stehenden und scheinbar den Klängen Tsaiano della Penas lauschenden Magister Ingvalidion, „ist die Unterstützung derjeniger unter uns, die mit Madas Gabe gesegnet sind und die bereit sind, für Shenilo zu streiten. Die Scholaren des Institutes helfen nach ihren Fähigkeiten bei der Behandlung der Versehrten, bei der Wegschaffung der Trümmer, bei der Suche nach Opfern, aber die Magister werden beim Kampfe gegen Pertakis dabei sein. Um zu siegen brauchen wir jedoch eine gemeinsame Anstrengung des städtischen Patriziates – denn täuscht Euch nicht, Cavallieri: Siegt Pertakis, dann ziehen sich die Landadligen auf ihre Pfründen zurück, tjosten oder treten in den Dienst der Fürsten – doch die Signoria Pertakis’, der unsere wirtschaftliche Potenz missfällt und die uns unseren politischen Einfluss missgönnt wird uns die Luft zum Atmen nehmen, sollte Shenilo unterliegen.“ Er überreichte das Dokument an Daryl Brahl. „Nun habe ich doch appelliert. Ihr mögt es mir nachsehen.“