Briefspiel:Hoher Besuch/Prolog

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17. Boron, Dorlenstag, 4. Jahrestag der Fahnenschlacht von Gilforn

Die Krähe schlug krächzend mit den Flügeln und glitt über den See, über dem bräunliche Wolkenfetzen im Licht der Sonne zu zerfleddern begannen. Ein schmackhafter Geruch trieb sie nach Norden. Weit unter ihren Klauen rannten zwei Jungen lachend über ein Feld und zogen einen roten Windsack hinter sich her, der vom Drachenfest übrig geblieben sein mochte. Die Krähe flog über dicht beieinander stehende Häuser, die bis an den Rand des Sees und teilweise in diesen hinein gebaut waren. An manchem Stein, in manchem Gebälk waren noch Spuren jenes bitteren Feuers zu erahnen, das das Viertel vor einigen Götterläufen heimgesucht hatte.
Überall waren Menschen auf den Beinen, vor allem vor dem Tor, das die Mauer zur Stadt schützte. Dort hatten zwei Gestalten mit langen, eigentümlichen Waffen Aufstellung genommen und wurden von einer wütenden Menge beschimpft, die offenbar erfolglos in die Stadt zu kommen hoffte. Im Schatten des linken Torturmes erspähte der Vogel eine Gestalt in einem dunklen Umhang, bevor er, sich seinem Ziel nähernd, über die Mauer flog. Die eigentliche Stadt war nicht minder bevölkert, auch hier war Aufregung, wenn auch nicht vergleichbar zornig, zu spüren. Die Krähe querte eine Hauptstraße und kam flatternd auf der Spitze eines Erkers zum sitzen, und putzte sich kurz das Gefieder. Der Herbst hatte bereits begonnen die Blätter der Rotbuchen, an denen vorbei der Vogel nun auf einen großen Platz spähen konnte, rötlich zu färben. In regelmäßigen Abständen hatte jemand grün-rote und blau-weiße Wimpel gehängt, die für irgendeinen Menschen bestimmt irgendeine Bedeutung haben würden. Der Krähe war es gleich - die Sonne ließ alles, Bäume, Blätter und Wimpel in hellen, warmen Farben erstrahlen. Nur das Gefieder der Krähe blieb so schwarz wie in der Nacht.
Auf dem Platz hatten sich ebenfalls bereits Menschen zusammengefunden, deren Gesichter alle in eine Richtung blickten, als gäbe es dort besondere Beute zu machen. Dort war ein Balkon, verschlossen mit einem rötlichen Vorhang – von Beute keine Spur.
Die Geschichte auf dem König-Khadan-Platz: König-Khadan-Platz
Am Rande des Platzes und zu Füßen eines großen langen Gebäudes, auf dem die Krähe schon manches Mal ihre Flügel ausgeruht hatte, ohne bisher jeden Stein kennengelernt zu haben, erkannte der Vogel weitere Männer mit den großen Waffen aber auch einige Reiter, die links und rechts der Ostmauer des Gebäudes Aufstellung bezogen hatten.
Die Geschichte im Magistratspalast: Magistratspalast
Die Krähe krächzte kurz und schwang sich dann auf, ihre kurze Rast zu beenden und trieb nun weiter gen Norden bald den Platz und die raunende Menschenmenge hinter sich lassend, entlang der roten Buchen, die die Straße säumten. Der Vogel segelte nun über eine weitere Piazza, die eine halboffene Säulenhalle im Osten abschloss. Ein steinernes Halbrund war von vielen sitzenden Menschen, Männern und Frauen, angefüllt. Einige erhoben sich nun, um besser auf das Podest sehen zu können, wo soeben eine Gestalt hinter den Vorhängen hervorgekommen war. Der Mann trug einen pelzverbrämten Kurzmantel, ein rotes Wams mit Silber- und Goldstickereien sowie eine ebenfalls rote Kniebundhose unter der schwarze Strümpfe zu erkennen waren. Auf dem Kopf saß ein schwarzer Hut mit weißer Feder. Das Gesicht der Person war hinter einer Maske verborgen, auf die man aber mit Rußfarbe einen Schnurr- und Kinnbart gemalt hatte.
Die Geschichte im Theater: Theater
Der Vogel rief einen undeutbaren Laut, der im aufbrandenden Gemurmel der Zuschauer ohnehin unterging und schraubte sich mit kräftigen Schlägen hinauf. Das Rot der Bäume war dunkler geworden, rostrot. Voraus war etwas, ein Hauch, der das Gefieder der Krähe nicht berührte und sie doch krächzend einen Bogen fliegen ließ. Die Spitze eines Turms kam in Sicht, aufragend vor dem finster werdenden Hintergrund. Auf diesem stand ein Mann in wallenden, weiten Gewändern in blauer Farbe. Für einen Augenblick spürte das Tier den stechenden Blick des Menschen auf sich ruhen, bevor dieser sich wieder anderem zuwandte. Der Vogel umrundete mit eiligem Flügelschlag den Turm und blickte aus dunklen Augen zurück, als ihn ein aufkommender Wind davonzutragen begann. An der Mauerkrone, zu Füßen der Gestalt, lagen vier hölzerne, tote Gesichter.
Der Mann auf dem Turm: Feuerteufel
Ein zweiter Turm kam in Sicht, drinnen knisterte ein Feuer und Frauen und Männer in Roben, spitzen Hüten und knorrigen Stäben versammelten sich um ein Brett mit Spielsteinen, das ungeahnte Faszination auf sie auszuüben schien. Die Krähe begann einen Sinkflug, über die nördlichen Mauern der Stadt, näher zu ihrem Ziel.
Die Geschichte im Magierturm: Magierturm
Aus dem Süden drückte der Wind über den Gerbersee. Er erfasste den papiernen Drachen und riss ihn davon, die beiden jungen Besitzer blieben mit erschrockenen Gesichtern zurück. Der Wind blies weiter, die Haare und Kleider der Menschen aus Porta Pertakia, die vor den Toren Shenilos Einlass begehrten, durcheinander. Die von den Leondrisgardisten bewachten, verschlossenen Tore hinderten sie daran zum König-Khadan-Platz zu strömen, wo in diesem Augenblick der Gransignor von Pertakis, Alessandro ya Ilsandro, erwartet wurde. Der Wind hieb auch jener Gestalt in einer dunklen Ecke des Torturmes den Hut vom Kopf und den Umhang zur Seite. Hätte es einen Beobachter gegeben, so hätte er den breiten Dolch in der Linken des Mannes gesehen und den Stumpf, der dort war, wo einst die Rechte sich zur Faust geballt hatte.
Auf dem zentralen Platz inmitten der Stadt fuhr der Wind durch Gewänder und wirbelte die ersten rötlichen Blätter auf, die von den Bäumen auf die Pflastersteine gesegelt waren. Ein heftiger Windstoß riss eine Plane von einem Dach am südlichen Ende des Platzes. Einige Gestalten, die sich in deren Schutz gemeinsam mit hölzernen Leitern versteckt hatten, bemühten sich, alles wieder zu verbergen.
Im Theater jubelte die Menge, als ein Mann mit antlitzloser Maske auf die Bühne trat, dem Kaufmann von Methumis zu begegnen, der von seinem vom Winde aufgebauschten Mantel zu Boden gedrückt wurde.
Die Krähe näherte sich schließlich, von den Winden überrascht, dem Boden, wo der Mühlbach jetzt zunehmend düster dahinfloss. Ein Krächzen verkündete, dass sie endlich ihre Beute gefunden hatte. Auf der Wasseroberfläche trieb ein mächtiger Fisch, den die Menschen einen Wels hießen. Flügelschlagend ließ sich der Vogel am Ufer des Baches nieder und schlug sogleich den Schnabel in das noch frische Fleisch. Es fehlte ein wenig, Gräten waren zu sehen, aber es blieb genug für mehrere gute Mahlzeiten. Mit den Krallen zog die Krähe den Fisch aus dem Wasser hinaus. Ein Stück Schnur an seiner Schwanzflosse hatte sein Davontreiben verhindert. Während der Wind stetig anschwoll, machte sich die Krähe über ihre wohlverdiente Speise her.
Zufrieden verschlang der Vogel ein mächtiges Stück und knabberte dann eine Weile an einer der Barteln entlang, die am Oberkiefer des Fisches entsprangen. Die Krähe legte den Kopf schief. War da nicht etwas gewesen, im Gebüsch auf der anderen Uferseite. Sie spannte die Flügel. Für einen Augenblick riss die Wolkendecke auf und die Sonne schimmerte im Wasser. Der Vogel krächzte und blickte kurz zum Licht auf den Wellen hinüber. Das Gold schien zum Greifen nah, nur ein Flügelschlag und ein Griff mit den Klauen und es konnte ihr gehören. Ein dumpfes Geräusch, Gefieder wurde gekrümmt, ein schwarzer Leib fiel auf die Böschung und ein triumphierender Ruf hallte über den Bach. Während das Blut der Krähe ins Gras sickerte und ein dreckiger Bursche mit triefender Nase seine Schleuder wegsteckte, um über den Bach zu schwimmen, verschwand der Schimmer der Sonne aus den schwarzen Augen des Vogels.