Briefspiel:Hoher Besuch/Palaststürmer

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Beteiligte (irdisch)
Familie Menaris klein.png Athanasius
Haus Carson klein.png OrsinoCarson
Haus di Côntris.png Di Côntris
Haus di Matienna.png Di Matienna
Familie di Ulfaran.png Di Ulfaran
Haus ya Papilio.png Gishtan re Kust

Palaststürmer

Zadalon

Der Diurnist packte seine Utensilien in den ledernen Behälter, der Federn, ein kleines Messer zum Spitzen, Pergament und andere Dinge, die er täglich brauchte, enthielt. Für einen Augenblick war Zadalon Crassac versucht gewesen, hinter den beiden Gransignores herzuschleichen, um die Balkonansprache mit anzuhören. Aber seine Pflichten erlaubten dies nicht. Er hatte sich dabei ertappt, schon einige Schritte in die falsche Richtung gegangen zu sein. Nun blickte er noch einmal hinüber und lauschte dem Getöse auf dem Khadansplatz. Dann schüttelte er den Kopf und suchte nach der kleinen, hölzernen Treppe, die für die zahllosen Schreiber zwischen die Amtszimmer gezogen worden war, um nicht das Treppenhaus benutzen zu müssen. Vom Treppenabsatz kam ihm schwacher Kerzenschimmer entgegen – einer seiner Kollegen zweifelsohne.

Zadalon blieb verwirrt stehen. „Ich dachte, Ihr wäret gegangen.“ Ein Fluch ertönte, dann wurde der Schreiber an der Schulter gepackt und gegen die Wand gestoßen. Von unten drängten jetzt weitere Gestalten die Treppe nach oben, drückten sich an ihm vorbei. Noch bevor er sich zu wehren begonnen hatte, wurde eine dunkle Klinge vor seinem Augen aufgeklappt. Er erstarrte.

Odina

Mit einem Stoß der Kuse trieb der Bucklige die Doppelpforte des Saales nach Innen. Von dort ertönten erschrockene Rufe. Vor Odina drängten ein halbes Dutzend Männer und Frauen in den Verhandlungsraum, der zum Treppenhaus und zum Balkon führte. Im Hintergrund sah sie mehrere Augenpaare. Pfeffersäcke, dachte sie.

Zwei Saalwachen stellten sich ihnen in den Weg. Die Gerbermeisterin hielt die Luft an. „Jetzt gilt es!“ Sie öffnete den Mund, um die beiden zur Aufgabe zu bewegen. Sie hatten noch genügend Schnüre dabei – auch nachdem der Schreiber in ihre Hände gefallen war.

Da flog etwas an ihr vorbei und die vorne stehende Frau sank zusammen. Geschrei erhob sich und der andere Wächter sprang vor, die Kuse des Buckligen empfing ihn. Odina fluchte und packte ihren Knüppel fester. Über die Schulter warf sie einen Blick zurück auf den Werfer. Ein Mann mit breitem Gesicht, blondem Vollbart und kleiner Pelzkappe, gerade zog er einen Langdolch hervor. Wer ist das?

Einer von ihren Leuten riss sie aus den Gedanken. „Sie versuchen zu fliehen!“

Wut überwältigte Odina. Aus einem Fenster des Treppenhauses hatte sie soeben beobachtet, wie die Drachenreiter durch die Menschenmenge geritten waren, als pflügten sie Dreck auf einem Feld um. Niedergeritten von der eigenen Garde!
Sie winkte die mutigen Leute zu sich, die sie vom Khadansplatz begleitet hatten. „Sie wollen sich aus dem Staub machen.“ Sie grinste. „Lasst uns Ihnen zeigen wie man in Shenilo mit Verrätern umgeht!“

Goboneo

Gobo war schier erschlagen von der Pracht im Inneren des Magistratspalasts, von der ihm zuvor nur Cano erzählt hatte, nachdem dieser für einen Freskenmaler Wasser hineingeschleppt hatte. "Und der kleine Mann auf der Straße bekommt nichts vom Reichtum der Stadt ab", grollte er halblaut. Diejenigen, die ihn seit dem Eindringen durch die Mauer begleiteten, nickten grimmig. "Und jetzt wollen sie uns an die Pertakken verscherbeln, diese Verräter!", echote er den Ruf der Gerberin und stampfte mit dem Fuß auf. "Lasst sie nicht entkommen!"
Nach einem schnellen Blick in den Raum griff er nach einer dicken Kordel, die neben ihm an einem Wandhaken befestigt war. Sie löste sich und sauste schmerzhaft brennend durch seine Handfläche, emporgerissen durch das Gewicht eines Lüsters am anderen Ende. Ein Livrierter stieß eine Frau mit Schmetterlingswappen am Revers zur Seite, als der Deckenleuchter herabstürzte. Dieser verfehlte die Frau, zerbarst aber auf dem Schädel des Dieners, der in einem Schauer von Blut- und Glassplittern zu Boden ging. Schreie der Angst schallten durch den Saal, Musik in den Ohren jener, die sonst nur ein "Aus dem Weg, Abschaum!" zu hören bekamen. Gobo griff sich eine teure Vase, halb als Beute, halb als Waffe, und stürzte hinter Odina Jobornu her.

Einen Hahn zu rupfen und Pertakis den Hut zu nehmen

„Der Pöbel!“ – der Gedanke traf Orsino mit voller Wucht. „Er kommt. Er wird diesen Raum erreichen, voller Zorn, voller Waffen, schlecht, unehrenhaft und grobschlächtig damit herumfuchtelnd. Es werden viele sein, sie werden keine Rücksicht nehmen auf die diplomatische Gastfreundschaft, auf die heiligen Regeln der Politik. Sie würden sie hier und gleich alle zu Boden schlagen. Und es wäre der Gnade der Götter überlassen, wer je wieder daraus erwachen würde.
Ein unrühmliches Ende. Er würde als der Gransignore in die Annalen eingehen, der in Amt und Würden in seinem Amtssitz erschlagen wurde vom eigenen Volk. Nicht auf dem Feld Rondras von einem feindlichen Kämpfer. Unrühmlich, wie allzu unrühmlich... So durfte es nicht kommen! "Nie!“
Orsino straffte sich, er brachte seinen Körper in die vollendete Haltung des defensiven Erwartens eines gegnerischen Ansturms. Wie in Arivor erlernt. Meister Rondrigiano wäre hoch zufrieden. Perfekt… nur ein Makel… wie die meisten anderen Anwesenden war Orsino nahezu unbewaffnet und Rüstung konnte man sein brokatverziertes Wams auch nicht nennen. Nur ein kleiner Schmuckdolch, um seiner Kleidung einen leicht rondrianischen Anschein zu geben. Sein Blick fiel auf einige reich verzierte Waffen, die auf der gegenüberliegenden Seite an der Wand befestigt waren. „Verdammt, zu weit weg!“ Mit dem Dolch in der Hand und einem Serviertablett, von dem er die Weinpokale gewischt hatte, als Schild, erwartete er den Kampf. Ein Jüngling in zerschlissenem Hemd kam auf ihn zu, in der Hand ein einfaches Beil. Mit diesem schlug er Orsino gleich mit dem ersten Hieb das Tablett entzwei.

Andere jedoch standen auf der richtigen Seite des großen Tisches und griffen nach den Zierdegen und ziselierten Rapieren. Alessandro riss eine solche Waffe von der Wand und stellte damit einen der Hereinstürmenden, die mit ihren Waffen zunächst einige Stühle, Tischchen und Vasen zertrümmerten, ehe sie auf die Anwesenden eindrangen. Ein ungleicher Kampf entbrannte, grobe Waffen, geführt von unkundiger Hand, trafen in Überzahl auf elegante Schmuckwaffen, die jedoch von erfahrenen Kämpfern wirkungsvoll eingesetzt wurden. Guiliana di Matienna schlug einer Gesellin einen wuchtigen Hammer aus der Hand, als sie dieser mit einer schnellen Finte den Daumen abtrennte, Cusimo di Ulfaran war auf die Tafel gesprungen, hatte mit den Füßen den Angreifern mehrere Pokale, Karaffen und anderes Geschirr entgegen geschleudert und zog nach einem Dreh am Knauf seines Stockes nun einen Stockdegen, mit dem er weitere Angreifer erwartete. Kusminela Ager kroch unter die massive Tafel. Um sie herum entbrannten hitzige Zweikämpfe, manch einer musste sich auch gegen mehrere Gegner erwehren, andere von diesen schienen aber auch erst abzuwarten, immerhin handelte sich bei den Eindringlingen nicht um kriegserfahrene Streiter. Ein umher wirbelnder Schwertmeister auf dem Tisch konnte einer Lastenträgerin selbst dann gehörigen Respekt einjagen, wenn er mit einem Gehstock focht. Eine mutige Schankmagd bekam dies schmerzhaft zu spüren. Guiliana versuchte, während sie zwei Burschen mit einem merkwürdigen versilberten Degen auf Distanz hielt, die Anführerin dieser Horde ausfindig zu machen. Erst spät fiel ihr Odina Joburnu auf, die eben noch wütend die Verhandlung verlassen hatte. Offenbar war sie zurückgekehrt - an der Seite des Pöbels!

Cusimo sprang vom Tisch wieder hinunter, direkt in den Weg eines der Aufständigen. Dieser versuchte völlig überrascht den Schwertmeister mit seinem Messer zu treffen, was Cusimo behende abwehren konnte. Tänzelnd wich der Schwertmeister einige Schritte zur Seite aus. Eine schnelle Finte, gefolgt von einem geraden Stich in Richtung Brust des Angreifers und dieser Aufständige war keine Gefahr mehr für die Anwesenden. Mit einem schnellen Blick verschuf sich Cusimo einen Überblick über die Situation und trieb zwei Aufständische zurück, die versuchten Orsino in die Flanke zu fallen. Nachdem sie gesehen hatten wie mühelos der Schwertmeister ihren Kameraden erledigt hatte und dies scheinbar ohne zu zögern, war niemand mehr sonderlich erpicht darauf die Klinge mit dem Schwertmeister zu kreuzen und einen frühen Flug über das Nirgendmeer anzutreten.

Schritt für Schritt näherte sich Cusimo den anderen Hochgestellten der Stadt an, um so eine gemeinsame Front zu schaffen, was durch das heillose Durcheinander im Raum nicht gerade erleichtert wurde.

Lysadion di Côntris stand regungslos und mit müdem Blick am Kopfende der langen Tafel, unter dem Kusminela noch immer hockte. Dort sah sie, wie neben dem Tisch einen halbe Klinge herabfiel.

Alessandro sah entsetzt, wie ein Buckliger mit verschwitztem Gesicht in seine Richtung schaute, die abgebrochene Klinge seines Prunkrapiers bemerkte, kurz stutzte und sich dann mit einem gellenden Schreien auf den Maestro von Pertakis stürzte, die Spitze der Kuse auf Ilsandros Gesicht gerichtet.
„Stirb, du Blutsauger! Wegen dir verhungern Shenilos Kinder!“ Alessadro griff um sich, seine Linke fand die Lehne eines Stuhls, die Todesangst verlieh ihm Kraft – oder die Götter? – und er riss den Stuhl in einem Bogen vor sich her; krachend traf die Armlehne den Kopf des überrumpelten Angreifers und schleuderte ihn zur Seite. Der Bucklige strauchelte, sein Fuß verfing sich in einer Vorhangkordel, der andere stieß gegen ein Tischbein, die Hände glitten, suchend nach Halt, auf der glatten Tischoberfläche ab und seine Waffe blieb an einem Stuckornament in der Wand hängen. Halb im Fallen schlug sein Körper gegen den eines jungen Mitstreiters, der gerade sein Beil gegen den Gransignore erhob.

Orsino sah aus dem Augenwinkel, wie ein gedrungener Körper gegen seinen Gegner prallte, als der Jüngling ihm sein Beil in die ungeschützte Brust rammen wollte. Das Blatt des Beils schwang glänzend nach vorne und erzeugte ein abscheuliches Knirschen, als es sein Ziel traf. Orsino spürte jedoch nur einen Schlag gegen seinen linken Arm. Das Beil war an ihm vorbeigegangen, der Arm, der es führte war gegen seinen geschlagen. Geistesgegenwärtig ließ er mit der freien Hand den Dolch in die Schulter seines Kontrahenten fahren, woraufhin dieser blutend zu Boden ging.
Rondra! Das war knapp.“ Orsino sah sich um. Noch immer wurde überall gekämpft, nur in seiner Nähe befand sich niemand mehr. Sein Blick traf auf Alessandros, der verwundert zu ihm herüber sah. Dann hörte Orsino hinter sich ein Röcheln. Als er sich umdrehte, sah er Saggia di Pertakir, die hinter ihm Schutz gesucht hatte. Ihr dünner Leib lehnte verkrümmt gegen die Wand, die voller Blut war, ihr Brustkorb war eingedrückt, das Beil lag blutgefärbt vor ihren Füßen. Das Röcheln erstarb, die Pelzmütze fiel zu Boden, die Herrin der Yaquirbrücke war auf dem Weg über das Nirgendmeer. „Shenilo nahm ihr den Sohn, nun folgt ihm die Mutter…“, dachte Orsino, ehe er sich umsah. „Zeit zu gehen!“

Der erste Ansturm war gebremst, Ordnung war im Chaos erkennbar geworden: Im Saal war eine regelrechte Front entstanden. Nicht wenige der hohen Herren wandten sich zum Rückzug, gedeckt vom greisen Lysadion, gegen den niemand die Waffe erhob Nicht anders erging es dem Schreiber Zadalon Crassac, der an die Wand gepresst dastand, als wolle er vermeiden, selbst zum Ziel der Gewalt zu werden.

Die beiden Männer zu ignorieren stellte sich nun als Fehler heraus, wie zuerst der wieder auf die Füße gekommene Bucklige bemerkte. Der Mann drückte sich eben an dem Diurnisten vorbei, die Kuse wieder aus der Wand ziehend, um den Flüchtenden nachzusetzen. Da stoppte ihn mit einem Mal ein Federmesser in seinem Oberschenkel! Als der Bucklige sich schmerzbrüllend umwandte, hatte sich mit grimmigen Blick bereits der alte Maru hinter ihn geschoben. Mit dem Mute der Verzweiflung stieß Lysadion dem Buckligen den Griff der eigenen Kuse unter das Kinn. Mit einer Bewegung des kantigen Kinns bedeutete er dem Diurnisten, der ihm die nötige Zeit verschafft hatte, sich den Flüchtenden anzuschließen.

Kusminela kam unter der Tafel hervor, stieg über die Leiche einer der Saalwachen und hastete hinter Gransignore Carson aus dem Saal. Odina Jobornu und ein älterer Mann mit Holzzähnen stürzten ihr hinterher und wurden von der Kuse empfangen, die der einstige Signor von Côntris nun mit aller ihm verbliebenen Kraft im Kreis schwang. Kusminela blickte noch einmal über die Schulter, Lysadion war von Gegnern umringt. Zu der Gerbermeisterin und dem Holzzahn hatte sich nun der gedrungene Blonde mit der Pelzkappe gesellt. Der Einhändige, der den Kampf eröffnet hat, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Blick suchte den des greisen Signors. „Geht, Signora Kusminela!“ rief er. Dann zog sie der Diurnist durch die Tür.

So sehr es ihm widerstrebte, sah Cusimo ein, dass ein Rückzug das einzig Sinnvolle war. Er versuchte mit seinem Stockdegen so gut er eben konnte seine Mitkämpfer zu unterstützen und ihnen den Rücken freizuhalten. Bevor er sich umdrehte und ebenfalls zur Tür drängte suchte er den Blick Odinas und rief über den Lärm der Kämpfenden hinweg: "Das wird ein Nachspiel haben Jobornu, ich werde euch finden und dann mögen die Götter euch die Gnade gewähren, die ich Euch versage!"

Die Patrizier und die verbliebenen Schreiberlinge und Diener stürzten zu einer holzvertäfelten Tür an der Stirnseite des Saals, die in einen Seitenflur und von dort zu der Treppe führte, durch die Angreifer hineingestürmt waren, Cusimo schlug einen vorwitzigen Kahlköpfigen mit dem Knauf seines Stockdegens, zu Boden, der sich noch dort befand und dabei war, einen Schreiberling zu fesseln und zu verprügeln und dadurch einige Zähne verlor. Alessandro nahm dessen Säbel und drängte damit eine weitere Gegnerin zur Seite, so dass der Weg nach draußen frei war. Endlich zug jemand die Tür zu.
Odina Joburnu musste mit ansehen, wie der Kampf verebbte, während ihre Ziele entkommen waren. Ihre Mitstreiter begannen nun, das Mobilar zu zerschlagen oder übten sich darin, Wertvolles aufzustöbern, um es mitzunehmen. Die Verfolgung der Flüchtenden aufzunehmen, kam ihnen nicht mehr in den Sinn. Goboneo hingegen lächelte, als er sich mit Saggias Mütze einen Blutspritzer aus dem Gesicht wischte.

Rückeroberung des Palastes

Vor der Pforte

Alborn fand sich auf dem Weg zum Palast in unerwartetem Gedränge wieder, anscheinend hatten einige Drachenreiter ihre Richtung geändert, was dazu führte, dass ein Strom flüchtender ihm entgegen kam. Über die Köpfe der flüchtenden hinweg erspähte er eine kleine Gruppe, die den Magistratspalast durch den Haupteingang verließ. Den Gewändern nach waren es keine Aufwiegler, sondern die Delegierten, erkannte er doch mindestens einen Gransignore in der Gruppe. Konnten so illustre Gestalten nicht mit einem Haufen Gesindel fertigwerden? Dann fiel ihm ein, dass man zu Friedensgesprächen häufig unbewaffnet aufwartete. Erleichtert, dass Guiliana in der Gruppe war, pflügte Alborn einen kleingewachsenen Sheniloer um und fand sich einen Sprung später bei ihr wieder und hielt sie am Arm fest. Guiliana erschrak und verfehlte ihn nur knapp mit einer Art Zierdegen.


"Was macht du hier?"

"Ich habe mir Sorgen gemacht."

"Sie wüten im Palast."

Alborn überflog die Gruppe, in der Eile fiel ihm aber nicht ein, wer alles an den Verhandlungen teilnahm.

"Ist noch jemand dort drin?"

"Der Maru!"

"Wer sonst noch?"

"Weiß ich nicht."

"Bring dich in Sicherheit, ich hole sie da raus!"

Sie hatte nur wenige Schrammen, hatte zuletzt aber mehrfach ungewohnte Anfälle von Schwäche gezeigt, was Alborn Sorgen bereitete. Der Gedanke, jemand habe seiner Schwester Schaden zufügen wollen, ließ die Welt um ihn in Langsamkeit verfallen. Das Hufgetrappel, die Schreie, alles entfernte sich, nur der Magistratspalast kam auf ihn zu, bedrohlich, die Tür offen wie ein gieriges Maul. Gierig, schreiend, fordernd, besser konnte der Palast Shenilo nicht repräsentieren. Roter Dunst stieg aus dem Boden auf. Alborn bemerkte den Streitkolben, der sich plötzlich in seiner Hand befand.

Er würde jetzt dort hinein, einen nach dem anderen mit dem Streitkolben zermatschen, sich Lysadion unter den Arm klemmen und wieder hinausmarschieren, Lysadion am Rahjatempel ablegen, wieder zurück in den Palast und diejenigen massakrieren, die er beim ersten Mal vergessen hatte. Alborn hielt kurz inne. Eine Blüte, wohl vom Rahjatempel hergeweht, setzte sich auf seine Nase. Er musste niesen, was den roten Nebel vertrieb. Womöglich war es eine bessere Idee, nicht alleine dort hineinzugehen. Alborn sah sich nach möglichen Mitstreitern um.

In der Nähe sah er einen grobschlächtigen Kerl mit Glatze, der dennoch gut gekleidet und von der Art her zivilisierter als ein üblicher Sheniloer wirkte. Dann näherten sich noch einige Drachreiter, die die Oberhand zu gewinnen schienen, vielleicht ließ sich einer der ihren zum absteigen bewegen? Ein wenig entfernt irrte ein kauziger Mann mit Stab herum, ein Magier des Lehrinstituts, der Alborn schon öfter aufgefallen war, weil er ihn so an seine Zeit im firunwärtig ultramontanen erinnerte. Würde sich jemand auf die Schnelle bereiterklären, mit ihm den Palast zu durchsuchen?

Der Mann mit dem graublauen Schal um Kehle und Kinn zog einen niedergetrampelten Bürger an einer Hauswand hoch, und wünschte sich nicht zum ersten Mal seine Fertigkeiten in der Curativa stärker ausgebildet hätte. Dann schüttelte ihn ein heftiger Husten durch und er krümmte sich. Der Bürger, das Haar klebte ihm blutig an der Schläfe, blickte ihn mit halb glasigem Blick an. Dennoch fragte er: "Geht es Euch gut...Signore Magus?"
Haldoryn Ingvalidion lächelte schmal, was der Schal jedoch verbarg. Sein knorriger Stab half ihm auf. "Danke, guter Herr, nichts, was ich nicht schon lange kennen würde. Seht Ihr lieber zu, dass Ihr hier in Sicherheit bleibt." Er blickte hinüber zu dem bulligen Mann, der sich eben anschickte eine Handvoll Drachenreiter in den Magistrat zu führen. Der Magus schüttelte den Kopf. Was hat diese Frau nur angerichtet?
Er straffte sich, brachte den Stab nach vorne und hob sich den Schal an den Mund um ein neuerliches Husten zu vermeiden. "Signore...haltet ein, ich will Euch zur Seite stehen!" Es galt endlich etwas zu tun, bevor das alles noch viel schlimmer wurde.

Im Palast

Die beiden Plündernderinnen hörten den Mann mit dem Streitkolben und die Frau mit dem Reiterhammer nicht, als diese sie in den Raum stürmten. Eine aschblonde Frau mit einem halb zugeschwollenen Auge brachte ihre improvisierte Waffen gerade noch hoch, bevor der Streitkolben sie ihr aus der Hand prellte, schmerzerfüllt brüllend hielt sie sich die blutende Hand. Die andere Plünderin wurde vom Hammer eines Drachenreiters mitten auf die Brust getroffen, noch ehe sie sich ganz umgedreht hatte.
Die beiden Drachenreiter schafften die Frau zu den beiden anderen - zwei Handwerker, glaubte der Magus - die sie unterwegs aufgelesen und notdürftig mit Kleiderfetzen und Gürteln gefesselt hatten.
Haldoryn Ingvalidion blickte stur geradeaus und versuchte das Blut zu ignorieren, das von Alborn di Matiennas Waffe tropfte, als dieser sich ihm mit grimmigem Lächeln zuwandte. "Praktisch dieses Hexenwerk, Zauberer, das muss ich zugeben." Haldoryn hustete zur Antwort. Es muss sein, um das Blutvergießen zu beenden. Der Gedanke verschaffte ihm nur wenig Linderung. Er hatte vielmehr das Gefühl, einem Mordbuben dabei zu helfen, einen anderen zu überlisten.
"Das müssen die letzten sein", wiederholte der Arinkener, der so etwas wie die Führung übernommen hatte. Unterwegs hatte sich ihnen eine Gardistin mit Zahnlücke namens Thespia angeschlossen, die vermeldete, dass der Hauptmann dabei war, die Aufrüher auf dem Khadan-Platz einzukerkern oder auseinanderzutreiben. "Sobald er das geschafft hat, wird er die Garde in den Palast führen." Sie hatte das mit einem Grinsen gesagt, als stehe die Rettung unmittelbar bevor. Signore Alborn hatte darauf aber nicht warten wollen. Gemeinsam mit dem Glatzkopf und den Drachenreitern hatten sie den Magistrat durchkämmt und sich einzelne Gruppen von Plünderern vorgenommen. Haldoryn hatte Nebel und Lautlosigkeit eingesetzt, wo er es für geboten hielt, um den Kampf zu verkürzen.
"Bleibt noch der Ratssaal", sagte Thespia. Haldoryn unterdrückte ein Husten. Dort würde es enden.

Im Ratsaal

Die Tür zum Ratssaal schien blockiert und bewegte sich keinen Finger breit. Die verbliebenen Delegationsmitglieder mussten dort drin sein, denn den Rest des Palastes hatten er und seine Mitstreiter bereits durchsucht. Sicher hatten sie sich dort verbarrikadiert und waren somit unbehelligt geblieben, ging es Alborn durch den Kopf. Oder die Tür klemmte einfach. Er lauschte an der Tür, konnte jedoch nichts hören, auf sein Pochen hin geschah nichts. Alborn vergewisserte sich, dass seine Mitstreiter die Aufrührer, die nicht geflohen waren unter Kontrolle hatten für den Fall, die Garde würde jemals eintreffen. Dann ergriff er eine herumliegende Kuse und nahm Anlauf.


Einer der Türflügel hatte einen einarmigen Mann umgerissen, der daraufhin rücklings mit dem Kopf gegen einen schweten Stuhl schlug und liegenblieb. Alborn hoffte, dass es sich nicht um einen Pertakischen Abgesandten handelte, allerdings sah der Mann eher wie einer der Unruhestifter aus. Also waren sie doch in den Saal eingedrungen, seltsam. Alborns Kopf schmerzte noch von dem Stuhl, den ihm eine stinkende Gerberin übergezogen hatte. Er erblickte einen sehr alten Mann, der in einen Stuhl gesackt war und zu schlafen schien. Das musste der Maru sein. Etwas abseits erblickte er die Gildenmeisterin Odina, die er anscheinend beim Durchsuchen eines Papierstapels aufgeschreckt hatte. Richtig, sie war Mitglied der Verhandlungen, aber nicht unter den flüchtenden gewesen. Ihr Gesicht war bleich, die Augen aufgerissen. "Da seid ihr also!" waren die einzigen Worte, die Alborn auf die schnelle einfielen. Odina schien nach einer Waffe zu greifen. "Ist alles in Ordnung?" schob Alborn hinterher, um die Lage zu beruhigen. Gut möglich, dass er mittlerweile auch wie ein wildgewordener Sheniloer aussah. Die Zunftmeisterin rührte sich nicht von der Stelle. "Die Luft ist rein, wir haben das Verräterpack massakriert, ihr seid in Sicherheit." Er setzte ein Lächeln auf.

"Alle?"

"Ja, der Rest ist geflohen. Der Weg nach draußen ist frei."

"Äh, wunderbar, vielen Dank."

"Gern geschehen."

Alborn war an den Tisch getreten und versuchte, den alten Mann aufzuwecken. Wie er befürchtet hatte, schlief der alte Maru nicht, sondern hatte sich auf den Weg ans Nirgendmeer gemacht.

"Wie es aussieht bin ich zu spät für ihn gekommen. Kann ich sonst noch etwas für euch tun?"

"Nein, nicht nötig." Die Gildenmeisterin machte sich langsam rückwärts auf den Weg zur Tür, ohne Alborn aus den Augen zu lassen, während dieser in Schränken und hinter Wandteppichen nach weiteren Schurken suchte. Ihm gefiel dieser Blick nicht, als wäre sich die Maestra nicht sicher, ob er auf ihrer Seite sei oder nicht.

"Die Garde müsste jeden Augenblick hier sein." Nicht dass er wusste, ob es die Garde überhaupt noch gab, aber ihm gingen langsam die Ermutigungen aus. Er sah, wie sich die Maestra aus dem Staub machte. "Ich wünsche noch einen angenehmen Tag!", rief er ihr noch hinterher.