Briefspiel:Feuernacht (12)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: ab 7. Rondra 1035 BF, abends Schauplatz: Stadt Urbasi, besonders Palazzo Casciano Entstehungszeitraum: Juni bis Dezember 2013
Protagonisten: Haus Urbet und viele zum Fest geladene Patrizier Urbasis Autoren/Beteiligte: Familie Aspoldo.png Aspoldo, Haus della Pena aeH.png Dellapena, Haus di Onerdi.png Di onerdi, Haus Doren.png Dorén, Haus Urbet-Marvinko.png Gonfaloniere, Haus della Pena jH.png Horasio, Familie ya Ranfaran.png Ranfaran, Haus di Salsavur.png Rondrastein, Familie Dalidion.png Storai, Haus di Tamarasco.png Tamarasco, Familie Zorgazo.png Toshy, Haus della Turani.png Turani, Familie Carasbaldi.png ZarinaWinterkalt


Im Feuer gestorben, im Feuer geboren

Autor: Toshy

Das kleine Glöckchen, das immer auf dem Tischchen neben dem Bett der ehemaligen Matriarchin stand, klingelte zwischen den Fingern seiner Besitzerin. So lange hatte Varosja Zorgazo noch nie klingeln müssen, bis eine ihrer Zofen an ihr Nachtlager geeilt kam. Doch in dieser Nacht tat sich nichts. Ein unheimlicher, roter Schein erhellte die eine Hälfte des Raumes und endete genau am Fußende des Bettes. Er kam durch die beiden Fenster, auf die Varosja wie gebannt ihre Augen richtete. Wütend darüber, dass keine ihrer Zofen zu ihr eilte, wedelte sie erneut mit dem Glöckchen in ihrer Hand und warf es schließlich entnervt in Richtung der Tür ihrer Kammer im obersten Stockwerk des Familienpalazzos.
„Verdammt noch mal“, entfuhr ihr ein lauter Fluch und sie wollte sich grade selbst erheben, als sie hastige Tritte auf der Treppe vernahm.
„Verzeiht, Signora.“
Mit gesenktem, demütigem Blick eilte eine blondgelockte Zofe an die Seite ihrer Herrin.
„Warum seid ihr nicht in euren Gemächern nebenan zu dieser Stunde?“, fuhr Varosja ihre Zofe herrisch an. „Und was im Namen aller Zwölfe ist hier eigentlich …“ Sie stockte, als sie den panischen Blick in den Augen ihrer Dienerin sah. Ohne weitere Zeit mit Fragen zu vergeuden, deutete die ehemalige Matriarchin der Familie Zorgazo an, dass sie sich zu erheben wünschte.
Die Zofe wollte mit sanftem Protest antworten, doch der entschlossene Gesichtsausdruck auf Varosjas Gesicht erübrigte jegliche Diskussion. Eine weitere Zofe mit schönem, schwarzen Haar und einem rahjagefälligen Äußeren eilte ebenfalls mit demütig gesenktem Blick zur Tür herein. Ihr Gewand war schlampig zugeknöpft und entblößte zur Hälfte eine der Schultern.
„Mädchen, was ist nur los mit euch?“
Varosja schüttelte verächtlich den Kopf und reichte der zweiten Zofe die Hand. Gemeinsam geleiteten die Dienerinnen ihre Herrin zu einem der Fenster.

„Im Namen aller Zwölf“, entfuhr es der alten Dame und mit geschicktem Griff und ohne auf die schmerzenden Gliedmaßen zu achten, riss sie das Fenster auf. Sofort stieg ihr der Geruch von Rauch entgegen und ein Stimmengewirr drang von den Gassen unter ihr empor. Noch nie hatte sie so viele erhellte Fenster gesehen wie in dieser Nacht. Ganz Urbasi schien aus dem Schlaf gerissen. Und über der Kulisse erhob sich vom Theaterplatz der unheimliche rote Schein. Eine Rauchsäule stieg zu Mada auf und wurde von züngelnden Flammen angestrahlt.
„Holt Abelmir“, fuhr Varosja die schwarzhaarige Zofe an, die den Befehl mit einem fragenden Blick beantwortete, sich dann aber mit einem Knicks verabschiedete und zur Tür hinauseilte.
Durch die geöffnete Zimmertür drang Stimmengewirr. Auch der Palazzo Zorgazo war erwacht. Die alte Dame begann zu zittern und ihre Füße gaben dem Gewicht des Körpers nach.
„Herrin ...“
Der Griff der verbliebenen Zofe nach dem Arm Varosja Zorgazos kam zu spät. Wie ein Mehlsack sank die alte Dame in ihrem weißen Nachtgewand vor dem geöffneten Fenster zu Boden. Sofort war die Zofe an ihrer Seite und versuchte ihrer Herrin mit ganzer Kraft auf die Beine zu helfen. Doch diese rührte sich nicht, sondern blickte mit weit geöffneten Augen auf dem Fenster. Ein huschender Schatten im Augenwinkel irritierte die Zofe. Sie wendete den Kopf, doch sah nichts als hellen roten Schein, der bedrohlich den Nachthimmel erhellte. Als sie ihren Blick soeben wieder auf ihre Herrin richtete, deren Arm um den Hals der Zofe gelegt war, vernahm sie erneut einen Schatten vor dem Fenster.
Ein Rabe tänzelte auf dem Fenstersims. Noch bevor die Zofe einen erschreckten, leisen Schrei hervorbringen konnte, landete ein zweiter Rabe direkt neben dem ersten.
„Im Feuer gestorben, im Feuer geboren.“
Die Worte Varosja Zorgazos klangen unwirklich und leise. Die Zofe, die auf den Namen Leonore hörte, blickte ihre Herrin an. Doch der Blick Varosjas war leer und die Augen verdreht. Erneut entfuhr der Zofe ein Schreckschrei, genau in dem Moment, in dem Abelmir Zorgazo zur Tür herein stürmte und die Raben hinter ihr aufflatterten und das Weite suchten.

„Mutter, die Stadt brennt. Ich habe jeden verfügbaren Mann mit einem Eimer losgeschickt und ...“
Abelmir blickte in die verdrehten Augen seiner Mutter. Die zweite Zofe kam hereingeeilt und tauschte ein paar Blicke mit der Zofe Leonore und hielt sich dabei entsetzt die Hand vor den Mund.
„Steht nicht rum“, fuhr Abelmir sie an, „weckt schon den Medicus.“
Mit starkem Griff hob er seine Mutter vom Boden auf und trug sie zum Bett. Ihr Körper war schweißnass und ihre Stirn glühte. Plötzlich riss sie die Augen auf und starrte ihn an.
„Im Feuer gestorben, im Feuer geboren“, schrie sie ihn förmlich an. „Im Feuer gestorben, im Feuer geboren!“
Sie griff mit ihren Händen in den Stoff an Abelmirs Schulter und starrte ihn wirr an. Dann lächelte sie.
„Du bist wieder da.“
Ihr Blick ging durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht da. Leonore stand daneben und hielt sich entsetzt die Hände vors Gesicht.
„IM FEUER GESTORBEN, IM FEUER GEBOREN!“
Varosja schrie Abelmir an. Dieser wurde zurückgewirbelt, war einen Moment wie versteinert. Ein Schrei riss ihn zurück ins Hier. Er hielt sich den Kopf, weil er viele Schritte rückwärts geworfen wurde und mit dem Hinterkopf unter dem Fenstersims gegen die Wand geprallt war. Er schüttelte den Kopf erneut. 'Blödsinn', dachte er. Der Medicus, den Abelmir seit vielen Jahren kannte, und der seine Anstellung dem Erstgeborenen Varosjas verdankte, blickte seinen Gönner mit aufgerissenen Augen an.
„Was habt ihr da eben gesagt?“, entfuhr es ihm.
„Ich habe gar nichts gesagt“, antwortete Abelmir verdutzt.
Dann ertönte erneut ein Schrei. Die Zofe Leonora war aufs Bett gesprungen und hatte geschrien, sie kniete über dem leblosen Körper Varosja Zorgazos.
„Mutter!“
Abelmirs Schrei klang verzweifelt, begriff er doch sofort die Situation. Die blonde Zofe, drängte den immer noch wie versteinert da stehenden Medicus aus dem Türrahmen und stürzte ebenfalls schluchzend zum Bett.
Abelmir Zorgazo versuchte sich zu erheben, doch seine Beine versagten ihren Dienst und er knickte in sich zusammen, versuchte sich erneut hoch zu ziehen, torkelte ein paar Schritte und brach erneut vor dem Fuß des Bettes zusammen. Er fühlte sich kraftlos. Leer. Wie ausgesaugt. So musste sich ein Schock anfühlen, dachte er, und seine zitternde Rechte griff zu dem Fuß seiner verstorbenen Mutter.

****

Am Fuß des Palazzos knarrte die Tür, die von den Verwaltungsräumen zum Innenhof führte. Tremante Morales, den greisen Verwalter der Zorgazo, den man wegen seines hohen Alters nicht mehr alarmiert hatte um beim Löschen des Feuers zu helfen, blickte verwirrt in die Nacht. Er trug sein Nachtgewand und hielt eine brennende Kerze in der Hand. Er war durch den Lärm erwacht, da er bei offenem Fenster schlief, doch hatte es ewig gedauert, bis er seinen greisen Körper aus dem Bett erhoben und, auf seinen Gehstock gestützt, durch die Schreibstube zum Innenhof gelangt war.
Nun stand er auf der obersten Stufe und blickte in den erhellten Himmel. Über dem Dach des mit einem Rosenstrauch überwucherten Gebäudes ihm gegenüber, züngelte eine grelle Flamme in den wolkenverhangenen Nachthimmel, so als wäre der Teil eines brennenden Gebäudes in sich zusammengestürzt und würde nun die Flammen aufwirbeln. Das Krächzen von Raben riss ihn aus seinem gebannten Blick und er wandte sich dem Geschlechterturm zu und blickte empor. Erneut traute er seinen Augen nicht. Der ganze Turm war eingehüllt von Federvieh. Es mussten hunderte von Raben oder Krähen sein, die im Kreis um die obersten Stockwerke flogen. So etwas hatte Tremante in seinem langen Leben noch nicht gesehen. Ein Schauder lief ihm über die Schulter. Doch wirklich beängstigen tat ihn in diesem Moment etwas Anderes.
Durch die brennende Stadt und die Anwesenheit der Rabenvögel war ihm etwas gänzlich Anderes, Furchteinflößenderes entgangen. Es hatte nichts mit etwas schrecklich Anwesendem zu tun. Im Gegenteil. Etwas viel Schrecklicheres fehlte! Tremate begann zu zittern, seine Füße versagten ihren Dienst und er sank auf der Treppenstufe zusammen. Die Kerze fiel aus seiner Hand, kullerte die Treppenstufen hinab und erlosch. Die rechte Hand des Verwalters griff an seine Brust und er begann in schnellen Atemstößen nach Luft zu ringen. Seine aufgerissenen Augen waren starr auf eine Stelle gebannt.
Dort wo eben noch die Schnitterin, eine Bronzestatue, den Innenhof des Palazzos geziert hatte, war nun nur noch der leere Sockel. Die menschengroße Statue aus Bronze, die noch aus der Zeit Savinya Zorgazos stammte, war verschwunden. In weiter Ferne vernahm Tremante einen markerschütternden Schrei. Dann spürte er etwas Feuchtes, dass sein schreckensblasses Gesicht traf und vernahm das Geräusch, dass Wassertropfen von sich geben, wenn sie einen gepflasterten Platz treffen.
'Regen', dachte er. Dann wurde es um ihn herum dunkel.