Briefspiel:Eteria 1036 BF/Ulfaran und Papilio

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(Shenilo, 15. Rondra 1036 BF)

Cusimo stand vor dem Eingang der Dorén-Halle. Die Sitzung der Eteria war nach langer Zeit endlich vorbei. Cusimo streckte sich, denn die Zeit auf dem harten Stuhl hatte ihm nach dem langen Ritt nach Shenilo doch mehr zugesetzt als er dachte. Bevor er sich allerdings auf den Weg in das Gasthaus machte, wollte er noch mit Signora ya Papilio reden. Er sah sich gerade auf dem Platz um, als er aus den Augenwinkeln eine kurze Bewegung wahrnahm. Er blickte sich um, doch erst als er wirklich konzentriert suchte, erkannte er Rahjada. Er hatte sie zunächst tatsächlich für eine alte Frau gehalten - wie peinlich doch zum Glück waren seine Gedanken ja nicht öffentlich. Er ging einige schnelle Schritte um zu Rahjada aufzuschliessen. „Verzeiht Signora, hättet Ihr eventuell einen Augenblick Eurer Zeit, den Ihr erübrigen könntet?‟

Die unscheinbare, auf den zweiten Blick zumindest nicht hässliche Patriziern wirkte im ersten Moment erschreckt. Dann aber erkannte sie den höflichen Mann, der sie da angesprochen hatte. „Signor Cusimo‟, sagte sie leicht verlegen, obwohl ihrem Gegenüber der Grund dafür nicht einsichtig war, und reichte ihm die Linke zum Handkuss. Überrascht nahm er war, dass der leichte Hauch eines zweifellos teuren Duftwassers sie umschwebte. „Wie kann ich Euch zu Diensten sein?‟, fragte die junge Dame mit etwas kräftigerer Stimme als er diese im Sitzungssaal gehört hatte.

Cusimo nahm die Linke Rahjadas sanft in seine rechte Hand, wärend er mit seiner Linken seinen Hut vom Kopf zog und vor die Brust führte. Mit einer eleganten Verbeugung hauchte er Rahjada einen Kuss auf den Handrücken. „Es ist mir eine große Ehre und ein Vergnügen Eure Bekanntschaft zu machen, Signora.‟ Mit freundlichem Lächeln erhob sich Cusimo und setzte seinen Hut wieder auf, penibel darauf bedacht, dass die ausladende Pfauenfeder korrekt ausgerichtet war. „Bitte erweist mir die Ehre, Euch zu einem Abendessen in die Vinsalter Stube einzuladen. Die Sitzung war lang und ich bin mir sicher, dass es mir gleich noch einmal so munden wird, wenn ich in solch reizender Gesellschaft speisen darf. Auch würde ich mich Euch gerne ein wenig bekannter machen, reite ich doch mit einer Eurer Anverwandten gen Calven. So könnt Ihr ihr etwas über mich berichten und ich erfahre ein wenig über sie und, so es Euch nicht zu vermessen erscheint, auch über Euch.‟ Cusimo bot Rahjada den rechten Arm zum Geleit und machte mit dem linken eine einladende Geste. Das Lächeln, das er dabei zeigte, hätte man auch im Gesicht eines um einiges jüngeren Mannes nicht als unpassend empfunden, wirkte es doch voller Lebensfreude und Freundlichkeit.

Zögernd hakte Rahjada den galanten Fechtmeister unter, um die Strecke vom Magistratspalast zu dem bekannten Hotel zu gehen. Aus ihrer steifen Körperhaltung schloss Cusimo, dass sie es nicht gewohnt war, geführt zu werden. Oder lag es womöglich an ihm als Person? Die Secretaria beobachtete ihren unerwarteten Begleiter aus den Augenwinkeln. Wie gut, dass ihr Liebster nicht in der Stadt weilte – was hätte dieser sonst von ihr denken mögen? Sie räusperte sich verlegen und sprach schließlich doch, als sie die Piazza Branibor entlang schritten: „Dem letzten Eurer Anliegen kann am leichtesten nachgekommen werden: Ich bin weder wichtig noch interessant. In der Eteria habe ich lediglich meine Tante Sharane vertreten, die ansnsten Mitglied dieses Gremiums ist, und damit unser Haus. Womöglich wäre es für Eure Belange ohnehin günstiger, mit meinem Bruder Horasio zu sprechen, welchselbiger der hiesige Resident des Hauses ya Papilio ist.‟

Cusimo sah Rahjada ein wenig verwirrt von der Seite an, während die beiden weiter auf dem Weg in die Vinsalter Stube waren. „Verehrte Rahjada, gerne werde ich mit Eurem Bruder reden. Einzig kann ich Eure Selbsteinschätzung nicht teilen. Ich kenne Euch zwar noch nicht gut, doch bin ich davon überzeugt, dass Ihr nicht uninteressant seid. Ich denke Ihr seid eher wie ein Schmetterling. Momentan seid Ihr vielleicht noch verpuppt aber es wird die Zeit kommen, da Ihr erkennt, dass Ihr Euch längst aus Eurem Kokon befreit habt und alles andere als langweilig seid.‟ Rahjada errötete erneut und schalt sich innerlich dafür: ‚Du bist hier als Stellvertreterin Sharanes, die dir mehr Zurückhaltung zutraut als dem leichtherzigen Horasio, nicht als Backfisch, der sich den Hof machen lässt.‘ Ohne ihre Gedanken zu kennen lächelte Cusimo freundlich. Er meinte seine Worte durchaus ernst, doch war er auch verwundert, hatte er doch selten einen Menschen mit so wenig Selbstvertrauen getroffen. Aber vielleicht gab sie es auch nur vor, damit sie ihn aus der Reserve locken konnte?

Die beiden hatten die Piazza Branibor hinter sich gelassen und erreichten bald das Hotel. Die Vinsalter Stube pflegte ihren Ruf als beste Unterkunft innerhalb der Mauern Shenilos. Nicht jeder Gast wurde dort eingelassen - er musste erst dem prüfenden Blick des breitschultrigen Türöffners standhalten, dessen Uniform viel zu klein wirkte. Der Mann musterte Signor Ulfaran von oben bis unten, ehe dessen Begleiterin das Wort ergriff: „Das hat seine Richtigkeit, Dornfried Presser.“ Überrascht blickte der Diener zu ihr: „Bitt‘ um Entschuldigung, Signora Papilio“, hab‘ Euch übersehen.“ Diensteifrig hielt er dem Paar die Türe auf. Drinnen wurden Rahjada und Cusimo von einem anderen Diener ohne weitere Worte zu einem Tisch in einem Winkel des Speisesaals geleitet, der durch eine aranische Wand abgeteilt war. Nachdem die beiden etwas zu trinken bestellt hatten und auf die Speisenempfehlung warteten, wagte die Schreiberin zum ersten Mal wieder, ihrem Begleiter direkt in die Augen zu blicken: „Ihr seid so wortgewandt und höflich... das kann man nicht über alle sagen, die in der Eteria gesprochen haben. ‚Weniger reden, mehr zuhören‘, scheint euer Weg zu sein. Aber erzählt dennoch etwas mehr über Euch, und sagt mir dann, was Ihr über Cousine Aldare wissen wollt.“

Diesmal war es an Cusimo, verlegen zu sein. Er trank einen Schluck des wirklich hervorragenden Weines, um zu verbergen, dass sich diesmal seine Wangen leicht röteten ob des Komplimentes, welches Rahjada ihm machte. „Ich danke Euch für Eure freundlichen Worte, Signora. In der Tat versuche ich mehr zu hören, bevor ich mir eine Meinung bilde.‟ Cusimo lächelte schüchtern, er schien es nicht gewohnt zu sein von sich zu erzählen: „Über mich wünscht Ihr etwas zu hören, also gut. Geboren wurde ich im schönen Vinsalt, wo ich dann auch aufgewachsen bin. Ausgebildet wurde ich von Signore Essalio ya Fedorino. Nachdem ich die Ausbildung abgeschlossen hatte, zog es mich für eine Weile in die Ferne. Von Gareth bis nach Brabak führte mich das Leben und ich lernte viel, vor Allem über das Fechten. Als ich wieder in die Heimat kam, war es vor allem der Krieg, der mich beschäftigt hielt. Angefangen bei der Schlacht auf den Schwarzen Marschen bis hin zum Krieg der Drachen. Nun hoffe ich, dass die Zeit des Friedens anhält und ich mich niederlassen kann. Ich will mein Wissen weiter geben, denn auch die nächste Generation muss angeleitet werden." Cusimo nahm noch einen Schluck Wein. "Was ich über Signora Aldare wissen möchte ist, ob sie einer bestimmten militärischen Denkrichtung angehört oder es Dinge gibt die man in ihrer Gegenwart vermeiden sollte. Ich möchte nicht aus Versehen Unmut auf mich ziehen, weshalb ich mich lieber vorher über Besonderheiten informiere.‟

Nachdem Rahjada ihre Lippen mit etwas Limonenwasser benetzt hatte, antwortete sie: „Euer Leben klingt gefahrvoll und spannend. Ihr würdet wohl manche Gemeinsamkeit mit dem Ersten Rat der Stadt entdecken. Dass Ihr trotz Eurer Vergangenheit Frieden und ein Dasein als Privatlehrer anstrebt, das könnte Euch einen Platz in Shenilo eröffnen. In der Stadt scheut man nicht vor Konflikten zurück, aber diese werden zumeist nicht mit dem Schwert ausgetragen. Hoffentlich gilt das auch für die Unruhe im Norden, wohin Ihr, Aldare und manch anderer von hier reiten sollen. Welcher Denkrichtung die Cousine folgt, wollt Ihr erfahren? Wie sollte ich das wissen? Meine Welt sind Archive und Schreibstuben, nicht der Exerzierplatz oder die Schlachtlinie. Ich weiß nur, dass Aldare schon beim Staatsorden für „beste Effizienz‟ und „kleine, unabhängige Einheiten‟ plädierte. Und einmal hat sie sich förmlich mit einem Rondrianer gestritten, weil sie den Einsatz von Arbalonen und Granatäpfeln als „angebracht, wo sinnvoll, wo nützlich‟ bezeichnet hat. Hilft Euch das weiter?‟ Cusimo fiel ein Stein vom Herzen, als er von der Diskussion Aldares mit einem Rondrianer hörte. Dies bedeutete, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Grundsatzdiskussion erheblich gesunken war. Erleichtert lächelte Cusimo Rahjada an: „ Wisst Ihr, ich scheue den Kampf nicht. Allerdings muss ich gestehen, dass zuweilen der Sinn manches Konflikts verschwimmt und man nicht weiß, ob die Gefallenen einen Zweck erfüllten.‟ Cusimos Blick schien sich kurz zu verschleiern, als wäre er mit den Gedanken woanders, doch schon nach wenigen Augenblicken sah er wieder Rahjada an, lächelte kurz und trank den letzten Schluck Wein aus seinem Becher. „Allerdings, ist mir die Welt der Archive und Schreibstuben ebenso wichtig. Gelehrsamkeit und Wissen können ebenso viel Macht ausüben wie eine geschickter und starker Schwertarm. Ich denke, dass kaum etwas wichtiger ist, um Erfolg zu haben, als Bildung - aber woher das Wissen nehmen, wenn es nicht vorher von fleißigen und belesenen Archivaren und Schreiberinnen niedergelegt wurde? In gewisser Weise ist die Arbeit dieser beiden sogar wichtiger als die des Heerführers oder gar Herrschers, denn wer würde sich an die Größten der Geschichte erinnern, wenn ihre Taten nicht niedergeschrieben worden wären?‟ Cusimo lächelte Rahjada wieder an. Er mochte die Schreiberin ganz ohne Zweifel und hoffte, dass dies nicht nur von ihm so empfunden wurde. „Ihr sagtet, ich würde Parallelen zum Ersten Rat der Stadt in meinem Leben haben. Ist das nicht Signor re Kust? Ich habe von ihm gehört, doch erinnere ich mich nicht daran, ihm je begegnet zu sein. Ihr scheint ihn allerdings zu kennen. Wisst Ihr, wann man ihn antreffen kann? Ich würde mich ihm gerne vorstellen.‟

Als Cusimo Gishtan re Kust erwähnte, huschte ein seltsamer Ausdruck über Rahjadas Gesicht. Teils erfreut, teils besorgt, teils... verliebt? Der Fechtmeister war sich nicht ganz sicher. Doch sogleich antwortete sie, wieder gänzlich beherrscht: „Der Erste Rat ist derzeit nicht auf seinem Gut, der Casa Zweiflingen, vor den Toren der Stadt. Zwar vertritt er dieser Tage nicht die Interessen Shenilos im Haus der Edlen, wie es sonst seine Aufgabe ist. Doch weilt er seit kurzem in Sachen seines Familienerbes in Horasia. Die Parallele zu Euch sehe ich in seiner Vergangenheit: Signor Gishtan lernte das Fechthandwerk – zu Vinsalt, falls ich mich richtig entsinne – und bereiste Aventuriens Süden, nur um schließlich eine neue Heimat in Shenilo zu finden.‟ Nun fiel der Secretaria wohl auf, dass sie viel über den Ersten Rat redete und wechselte wieder das Thema: „Ich selbst verstehe vom Kampf sehr wenig und bin froh, dass ich nicht wie Tante Sharane entscheiden muss, wen aus unserer Familien oder wen unserer Klienten ich in die Gefahr eines Gefechts schicken muss. Cousine Aldare kann auf sich aufpassen, sonst wäre sie keine Capitanya. Ihr solltet mir Ihr auskommen, wenn Ihr keine unnötigen Risiken eingeht. Das ist nicht die Art unseres Hauses.‟

Cusimo nickte Rahjada lächelnd an. Obwohl sie scheinbar nicht viel Selbstvertrauen besaß, war sie doch selbstsicher genug, um diskret zu sein, dachte Cusimo bei sich. Er hätte zwar gerne noch mehr über den Ersten Rat erfahren, doch wollte er Rahjada damit auch nicht verstimmen, sodass Cusimo es dabei bewenden ließ. Endlich wurden die bestellten Speisen aufgetragen und Cusimo versuchte durch einfaches Plaudern noch einen schönen Restabend mit Rahjada zu verbringen, was nicht sonderlich einfach war, denn Plaudereien gehörten nicht eben zu den Stärken dieser schüchternen Person. Nachdem Cusimo und Rahjada das Essen mit einem vorzüglichen Dessert abgeschlossen hatten, zahlte Cusimo für beide die Rechnung. Das quittierte der Tischdiener mit einem raschen verwunderten Blick zu der Landadeligen, doch sie nickte nur. „Wenn Ihr erlaubt, Signora, würde ich es vorziehen Euch nach Hause zu geleiten. Mir wäre nicht wohl und ich würde keine Ruhe finden, wüsste ich Euch nicht sicher in Eurem Heim.‟ Mit diesen Worten bot Cusimo Rahjada abermals seinen Arm zum Geleit und informierte den bulligen Türöffner darüber, dass er bald zurück kehren werde, da ein Zimmer auf seinen, Cusimos Namen reserviert sei. Die Signora schlug das höfliche Angebot nicht aus, und der Fechtmeister gewann den Eindruck, dass sie sich zunehmend wohlfühlte. Am Ziel angekommen, der Stadtvilla der ya Papilios, hielt sich Cusimo bewusst ausser Sicht der Türe und der Fenster, wollte er Rahjada doch nicht in Verlegenheit bringen, schliesslich war er gerade erst in der Stadt angekommen und er und Rahjada kannten sich kaum. Im Schatten einer Mauer hauchte Cusimo Rahjada einen Kuss auf den Handrücken. „Ich wünsche Euch wohl zu ruhen, Signora. Ich hoffe Ihr empfandet den Abend ebenso anregend und kurzweilig wie ich es tat. Vielleicht ergibt sich bei Zeiten die Möglichkeit dies zu wiederholen.‟ Rahjada nickte ein letztes Mal verlegen und konnte gerade noch „es war mir ein Vergnügen sagen‟, ehe Signor Ulfaran sich von ihr trennte. Cusimo zog seinen Hut vom Kopf, verbeugte ich und ging die ersten drei Schritte rückwärts, bevor er sich umdrehte und im Dunkeln der Nacht verschwand.

Epilog: Im Foyer des Palazzo Papilio traf die Secretaria nicht nur auf einen Hausdiener, der ihr die Ratsrobe abnahm, sondern auch auf ihren Halbbruder Horasio. Der Resident des Hauses ya Papilio in Shenilo richtete sich gerade, um mit einer Handvoll junger Einheimischer ins Nachtleben der Stadt zu tauchen. „So spät noch auf, Frau Schwester?‟, scherzte er. Rahjada nickte: „Ich folgte einer Einladung‟, gab sie bekannt und schob schnell nach: „Rein gesellschaftlich, im Zusammenhang mit der Eteria-Sitzung." Horasio zog halb überrascht, halb foppend die Augenbrauen hoch: „Doch nicht etwas der Einladung eines der Eteri? Schwesterchen, denk an deinen Ruf!‟, schalt er sie im Spaß. Rahjada errötete, obwohl es dafür keinen Grund gab: „Ich nehme den Auftrag der Tante ernst. Mach mir keinen Vorwurf daraus, dass es ein angenehmer Gesprächspartner war, du Schalk.‟ „Im Gegenteil‟, lachte Horasio. „Es wird Zeit, dass du mal aus deinen Büchern schaust. Ich nehme Sharanes Auftrag auch ernst – und repräsentiere unser Haus im Leben Shenilos. Magst du nicht mitkommen? Ich will gerade zum Mondlichtkonzert im Schäfersruhsstadion.‟ Einen Moment lang war Rahjada bereit, über diesen Vorschlag zumindest nachzudenken. Dann aber schob sie ihn eilig beiseite, rechnete ihre kurze Schwäche dem leichten Hochgefühl zu, das das gute Essen und die wohlgewählten Worte Cusimo di Ulfarans bei ihr hinterlassen hatten. Sie würde zuerst einen Bericht für Tante Sharane über die Sitzung schreiben, dann eine Notiz für Cousine Aldare und schließlich einen Brief an – ihr Herz schlug schneller – ihren Liebsten aufsetzen. Jetzt wusste er ja, von wem diese Schreiben stammten. „Nein danke, Horasio, ich muss noch arbeiten‟, sagte sie. Der Resident zuckte mit den Schultern und griff nach seinem Barett. Er hatte mit nichts anderem gerechnet. Diese alte Stubenhockerin würde sich nicht so schnell ändern.


(bho, wus)