Briefspiel:Eine Reise nach Shenilo

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Villa Bolburri, Unterfels im Yaquirbruch, Rondra 1032 BF

Geschäftig geht es zu, in der alten Villa Bolburri, die über gut vier Jahrhunderte, bis zum Umzug der Familie in den neuen Palazzo an der Piazza Timon vor kurzer Zeit, Hauptsitz der Familie Bolburri war. Nun dienen die Räume des ehrwürdigen Gebäudes in Sichtweite des Gildenhauses den Rechtsgelehrten der Familie Bolburri als Geschäftsräume. Seitdem Cassius Bolburri, Erbe des alten Patriarchen Bassiano, zum Kanzler Unterfels' ernannt wurde und nun der Verwaltung der Stadt vorsteht und diese von seiner Schreibstube im Palazzo della Signoria aus leitet, ist Cassius Sohn Bassiano d.J. Herr in der Villa Bolburri.
Bassiano saß an seinem Schreibtisch im großzügigen Kabinett. Die Unterlagen zum Casus Feorino lagen vor ihm; der Mandant bat um die Vollstreckung eines vertraglichen Anspruchs. "Nun, da die Dame Romeroza, unser 'geliebtes' Stadtoberhaupt, immer noch verschwunden ist,", so dachte er bei sich, "kann ich ja nicht so bald mit der Berufung zum Stadt-Advocat rechnen. Ich kann es also verantworten, die Verhandlung in Shenilo gegen die Feorinos selbst zu führen." Entschlossen griff Bassiano zur Feder: "Liebe Elanor, verehrte Tante, dringende Geschäfte der Advocatur Bolburri machen es notwendig, dass ich für einige Zeit in Shenilo weile. Ich bitte Euch, mir für die Dauer meiner Anwesenheit in Eurer schönen Stadt, Gastfreundschaft zu gewähren. Ich freue mich schon drauf..."

In der Geronsstadt Shenilo, eine Woche darauf

Curator Brahl hatte seinen Lakaien einige wichtige Anweisungen und Erläuterungen zu der Steuerlage von Côntris gemacht und verließ bereits schnellen Schrittes wieder die Amtsstuben des Magistratspalastes, als er an den Stufen des im Hofe liegenden Praiostempels innehielt. Ein durch den Kolonnadenumgang eilender Bote hatte ihn erspäht und lief nun eilends auf ihn zu, wagte es jedoch nicht ihn von fern zu rufen. Ungeduldig wartete der Camerlengo auf die unverhoffte Störung. Er hatte noch vor der Mittagsstunde in seinem Palazzo die führenden Mitglieder der Weinhandlung Yaquiria Shenilo zu empfangen, um die zukünftige Einbeziehung des Darylshofes zu besprechen - und Daryl Brahl ging nie unvorbereitet in etwaige Verhandlungen. "Verzeiht, verehrter Curator, aber man sagte mir, ich würde Euch hier antreffen. Ich habe einen Brief Eures geschätzten Vetters zu Horasia." Daryl nahm das schmucklose Schreiben entgegen, dankte dem Boten mit einem Nicken und öffnete den Brief mit dem brahlschen Siegel im Gehen. Im Palazzo Brahl angekommen, war sein kurzes Lächeln bereits wieder einer ernsteren Miene gewichen. Sein Vetter Horathio hatte ihm nebst der üblichen Grüße und Zahlen über die Hoflieferungen davon berichtet, dass der Sohn des Erben der ehrenwerten Familie Bolburri aus Unterfels, Bassiano d.J., in Bälde geschäftlich in Shenilo weilen würde. Das wäre sicher eine passende Gelegenheit die Beziehungen zu dem verschwägerten Haus zu vertiefen, überlegte Daryl. Leider weilte seine bezaubernde und unverheiratete Schwester gerade geschäftlich in Vendramin. Wenig später hatte er darob von seiner neuen Secretaria ein Schreiben aufsetzen lassen, welches seiner Tante Vilmire sicher Freude bereiten würde. Nun ja, ein wenig Selbstüberwindung würde er schon von ihr erwarten. Vilmire würde mit ihren beiden unversprochenen Töchtern, der widerspentigen Zerline und der jüngeren Fiora, von ihrem Landgut in die Stadt fahren, um einige unwichtige Details mit Ascanio von Calven-Imirandi über die von den Brahls nach einer mehr als unschicklichen Begebenheit erworbenen Weingüter zu besprechen. Derweil würden ihre bezaubernden Töchter am Ententeich im Hofe des Palazzo Luciano auf etwaige 'Zufallsbegegnungen' warten. Vilmire wird sehr gut wissen, wie solcherlei am Besten in die Wege zu leiten ist, dachte der schwer gewandete Curator, bevor er seine Secretaria in der Stube zurückließ und sich in das Empfangszimmer zu seinen wartenden Gästen begab.

Im Palazzo Luciano, Shenilo, einige Tage zuvor

„... und sende euch meine Grüße, Bassiano Bolburri d.J.“, so schloss das Schreiben aus Unterfels, das Elanor Bolburri zurück auf ihren Schreibtisch legte. „Besuch aus der Heimat.“, so dachte Elanor still für sich, als sie von ihrem Schreibtisch ans Fenster trat, „Nicht, dass sie Unterfels zu schmerzlich vermissen würde, aber Nachrichten von der Familie aus erster Hand sind doch kostbar. Nun, meine Schwägerin, diese eitle Rizzi hat es ja noch nicht geschafft, den nächsten Erben der Familie unter die Haube zu bringen. Es wäre dann doch ein Spaß...mal sehen, wann die Herrin die Möglichkeit hat, noch jemanden in ihrem Salon zu empfangen..“ Und mit einem schnellen Griff zur Feder war der Termin eingetragen. „Und eine passende Schönheit, die unserem jungen Neffen gut ansteht werden wir doch auch noch zu finden wissen.“

Einige Tage danach

Erwartungsgemäß zogen sich die Verhandlungen mit dem Schuldner hin, so dass es wohl auf eine Klageerhebung hinauslaufen würde. Bassiano seufzte, so lange wollte er sich eigentlich nicht von Unterfels fernhalten. Er wurde immer unruhig, wenn er an den Ausgang der Wahlen zum Kleinen Rat der Stadt dachte, denn einiges hing für ihn davon ab. Stadtadvocat zu werden hätte ihn nicht nur zum ersten Juristen Unterfels' gemacht, sondern neben dem damit verbundenen Prestige seine Schatulle gut gefüllt. Am Schreibpult stehend überflog er noch einmal die Anklageschrift und die beglaubigte Abschrift des Vertrages, auf dessen Erfüllung geklagt werden sollte. Ja, es hat seine Vorteile, dass Bassianos Vater nun Kanzler zu Unterfels ist, denn ein königliches Siegel wird man auch hier in Shenilo vor Gericht nicht anzweifeln können. Getröstet vom Gedanken an sein üppiges Honorar zeichnete er das Dokument ab und schloss die Aktenkladde. „Wollen wir doch mal sehen, welche Zerstreuungen Tante Elanor heute für mich bereithält. Ich hoffe, ich treffe wieder auf die reizende Fiora, denn mit ihr vergehen die Stunden in der Gesellschaft wie im Flug.“ Zufrieden lächelnd verlies er die Schreibstube und vergaß für diesen Nachmittag seine Geschäfte.

Am selben Nachmittag im Hofe des Palazzos

"Irgendwie waren doch alle ihre Schwestern gleich", dachte Zerline Brahl verärgert. "Hauptsache Frau Mama würde Gefallen an ihm finden. Und das tat sie natürlich, schließlich war er eine gute Partie. Wie sie dieses Denken verabscheute! Sicher, die kleine Fiora wähnte sich verliebt, entbrannt in Rahjas Sinne für alle Ewigkeit. Aber was wusste das junge Ding schon! Sechs Jahre wartete sie jetzt schon auf ihren Geliebten, beinahe sechs volle Jahre! Sie hätte ihn längst geheiratet - wenn der kluge Geron sie nicht überzeugt hätte, dass ein Warten auf das Ende seiner Ausbildung sicher verhindern könnte, dass der folgende Eklat in der Familie ausufern würde. Aber was verstand ihre Familie schon von wahrer Liebe! Kein makelloses Gesicht, eine pralle Börse und einen wohlklingenden Namen wollte sie heiraten. Liebe stand über diesen Dingen!" Laut seufzte Zerline bei dem Gedanken an ihren heimlich Verlobten. Da saß sie nun an diesem sonnigen Nachmittag im Innenhof des Palazzo der Calven-Imirandi, damit ihre Schwester diesen Schönling wiedersehen konnte. Verträumt spielte Fiora mit dem Wasser des kleinen Teichs. Ihre Mutter derweil besprach irgendetwas mit diesem Ascanio von Calven-Imirandi, als wäre nie etwas vorgefallen. "Da muss einfach mehr dahinter stecken. Hmm, mich würde es nicht wundern wenn bereits das erste Treffen mit diesem Bolburri geplant war." Endlich schien ebenjener von seiner Arbeit zu kommen und Zerline aus den Gedanken zu reißen - doch er war es nicht. Aus dem Schatten des Hauses trat ein junger Mann, gehüllt in die Robe eines Magiers. Sie hatte ihn noch nie gesehen.
Mit einem breiten Grinsen trat er auf Fiora zu, ihre ältere Schwester nicht beachtend. "Wenn Ihr gestattet, Gnädigste, Carolan Desiderio von Calven-Imirandi, Magus der berühmten Academia zu Bethana und Hofmagier des ruhmreichen Hauses Torrem, zu Ihren Diensten." Mit geschwollener Stimme und einer tiefen Verbeugung überraschte dieser Jüngling die liebenreizende Fiora, während er entgegen alle Etikette Zerline keines Blickes würdigte. Geschwind wie ein Wiesel saß er bereits zwischen ihnen am Ententeich und hatte die Hand der immer noch verblüfften Fiora ergriffen. Er schmeichelte ihr mit Worten, dass Zerline im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offenblieb. Dann beugte er sich gar zu ihr rüber und flüsterte einige Worte, auf dass Fiora errötete. Und als wäre all dies nicht schon unschicklich genug, legte er ihr auch noch eine Hand auf das dünne Tuch, welches ihre Schenkel bedeckte! Fiora wusste gar nicht wie ihr geschah, sie musste eingreifen! Schon war Zerline aufgesprungen, um den vom brünstigen Levthan verwirrten Mann wieder zur Vernunft zu bringen. Doch just in diesem Augenblick war Bassiano Bolburri erschienen und stellte den grinsenden und feixenden Rüpel mit hitzigen Worten zur Rede. Beinahe wäre es wohl zu Schmähungen oder gar Handgreiflichkeiten gekommen, doch gefolgt vom beleibter gewordenen Ascanio war soeben ihre Mutter, Vilmire Brahl in den Innenhof gelangt. "Was geht hier vor sich, werte Herren? Was soll dieser Aufruhr?"

Da war Zerline nun, auf einem 'Spaziergang' mit ihrer Mutter in dem kleinen Innenhof, während die letzten Sonnenstrahlen über dem Dach verschwanden. Noch immer sprachen Fiora und Bassiano Arm in Arm angeregt mit einander, als ob es kein Morgen geben würde. Nach dem Zwischenfall vor einigen Stunden hatten sich die beiden wohl viel zu erzählen. Die Sache ist noch einmal gut ausgegangen. Dieser dreiste Carolan wurde von seinem Vater zu einem Gespräch in seine Räumlichkeiten zitiert und musste wohl früher als geplant wieder nach Toricum abreisen. Ihre Mutter Vilmire war zuvor jedoch wutentbrannt zu unschönen Worten hingerissen worden. So hatte sie ihre Mutter noch nie erlebt. Nun ja, sie hatte auch wenig schöne Erfahrungen mit den Calven-Imirandi gemacht, da brachen alte Wunden wieder auf. Aber Ascanio hatte sich wohl so galant wie früher verhalten und konnte Vilmire schnell wieder besänftigen. Sicher auch ein Grund, weswegen sein Sohn seinen Urlaub in Shenilo abbrechen musste. Man sollte meinen, Zerline und ihre Mutter hätten nun gewissen Gesprächsstoff, aber es war nur Vilmire die ununterbrochen auf ihre Tochter einredete. Welch gute Partie dieser Bolburri wäre und dass sie doch ebenso einen angesehenen Mann finden müsse. Sie faselte von ihren Plänen für sie, aber so galant und, das musste sie zugeben, gut aussehend dieser Bassiano auch war - Zerlines Herz gehörte längst einem ganz anderen. Möge kommen, wer da wolle.