Briefspiel:Der Krieg der Farben/Lutisana 1041

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Weiße.png Geschichten am Rand des Kriegs der Farben Weiße.png
Datiert auf: 14. Rondra 1041 BF Schauplatz: Tafelbergfestung zu Urbet Entstehungszeitraum: Frühjahr 2018
Protagonisten: diverse Mitglieder des Hauses Urbet Autoren/Beteiligte: Haus Urbet.png Gonfaloniere

Lutisana 1041

„Dein Herr meint es heute gut mit uns.“
So lapidar diese Feststellung formuliert war, wusste Auricanius doch, wie er sie zu nehmen hatte: als neckische Provokation. Bevor er die Urheberin hinter sich ausmachen konnte, musste aber auch er, der Praios-Geweihte, sich erst ans blendende Sonnenlicht gewöhnen, das sie hier, vor dem Tempel der Heiligen Lutisana, zurück unter freiem Himmel begrüßte.
„Natürlich“, wandte er sich dann an Istirde, die Lapidare, „ich habe ja auch den ganzen Gottesdienst zu ihm gebetet. Aber pssst … nicht dass der alte Praetorin das erfährt.“ Sein Augenzwinkern ließ am Wahrheitsgehalt dieser Aussage, jedenfalls für seine Cousine, keinen Zweifel aufkommen.
„Der hat andere Probleme“, polterte von der anderen Seite Auricanius‘ jüngerer Bruder, der Valvassor dazwischen. „Habt ihr die Schweißperlen auf seiner Stirn gesehen? Die wird er sich erstmal abwischen müssen, bevor ihn seine Novizen so sehen. Dass das der Angstschweiß gewesen ist, können die sich wohl ausmalen …“ Die Bemerkung ließ Rondralio selbst auflachen. Als er merkte, dass ihm keiner der Umstehenden beipflichtete, verfinsterte sich seine Miene jedoch ebenso schnell wieder.
‚Wie ein lahmes Schaf zwischen einem Löwenrudel‘, dachte Auricanius für sich ans Gleichnis zurück, das ihm schon während des Gottesdiensts im kühlen Gewölbe des Tempels Panthino zugeflüstert hatte. Der oppositionelle Hochgeweihte hatte unter all den dieser Tage auf dem Tafelberg anwesenden Mitgliedern des Hauses Urbet wahrlich einen schweren Stand.
Vor dem Tempel hielten die meisten Familienmitglieder erstmal inne, ließen sich vom kräftigen Sonnenschein aufwärmen oder nahmen Gespräche wieder auf, die sie früher am Tag begonnen hatten. Vom Wettstreit der Zwillinge Poldoron und Potulino über die eigenen Erfahrungen während der Knappschaft – unter dem reisenden Nordmärker Koromar und der Chababierin Alia – schnappte Auricanius ein weiteres Detail auf: „… der Blauenburger hat uns in seinem Zelt empfangen. Der Blauenburger, Potu, der beste Ritter Weidens … beim Kaiserturnier in Gareth …“
Ihre jüngere Schwester Haldana hing den beiden an den Lippen. Die ältere Arissa, selbst bereits ausgebildete Kriegerin, rollte mit den Augen. Mit Panthinos Ältester, Fiona, tauschte sich Istirde schon wieder über Erlebnisse im Umfeld des Kronkonvents aus. Als Istirde bemerkte, dass der Geweihte sie gerade beobachtete, quittierte sie dies mit einem Lächeln, das auch ihre Gesprächspartnerin darauf aufmerksam machte. Auricanius nickte den beiden kurz zu. Was ihn eigentlich faszinierte, war aber eine andere Beobachtung; wie die (fast) erwachsenen Kinder Panthinos nämlich die innerfamiliäre Dynamik mittlerweile veränderten. Es schien gar, als könnten sie ihren Vater, den Baron selbst, endlich aus der Lethargie und Isolation führen, die seine Familienführung seit seinen Verlusten in der Feuernacht vor sechs Jahren überschatteten.
Die Zeiten, da Auricanius‘ eigene Geschwister, Rondralio und die mittlerweile irgendwo an der aventurischen Ostküste weilende Yandriga, sich mit Leichtigkeit über die Politik des Familienoberhaupts hinweg setzen konnten, mochten dadurch bereits bald vorbei sein. Und das musste, so sehr der Praios-Geweihte seine Geschwister auch liebte, in seinen Augen nichts Schlechtes sein.
Gleichzeitig machte es ihn neugierig auf die Zeit des Erbantritts von Travianos Tochter Rahjada, der in sechs Jahren das Erwachsenwerden einer weiteren Generation, dann hauptsächlich der Kinder seiner Geschwister – und seiner eigenen Tochter, der angehenden Magierin – einleiten würde. Ihren Weg zu formen und in die richtige Richtung zu lenken sah er vor allem als seine eigene Aufgabe an, bei der er nicht zuletzt auf das Wohlwollen seines Herrn, des Götterfürsten, hoffte … und vertraute.


„… und ich sage, wir zeigen nun ganz deutlich, dass wir Domaldos wichtigste Verbündete sind. Dass wir uns nicht in unserer Festung verkriechen wie das Kaninchen in seinem Bau, nur weil im Süden ein paar Salsavûrs stehen und im Norden der Baron von Aldan. Die Lutisaner brennen darauf, sich zu beweisen – geben wir ihnen endlich Gelegenheit dazu!“
Dem lautstarken Appell des Valvassors folgte (betretenes?) Schweigen, das nur ihn selbst nicht davon abhielt, beherzt das nächste Stück des aufgetischten Bratens mit wenigen Bissen in seinem Rachen verschwinden zu lassen … und dann mit einem kräftigen Schluck Wein nachzuspülen.
Dass das Thema während des vollbesetzten Familienbanketts – an der langen Tafel hier im Rahjadanspalast saßen anderthalb Dutzend Mitglieder des Hauses Urbet, so viele wie seit Jahren nicht mehr – auf die aktuellen politischen Verwicklungen des sogenannten ‚Kriegs der Farben‘ gekommen war, war unglücklich, wie Auricanius befand. Derlei wurde besser in kleinerer Runde, im Familienrat besprochen. Da Rondralio die abwartende Haltung Panthinos, des Familienoberhaupts, offen in Frage stellte, musste dieser sich jetzt aber herausgefordert sehen – und eine Einmischung seiner selbst zur Vertagung der Diskussion könnte ebenso sehr als Einmischung, als Bevormundung nicht nur Rondralios, sondern eben auch Panthinos gesehen werden. Das wollte Auricanius vor allem vor den Kindern des Barons, aber auch denen seiner Geschwister – und seiner eigenen – vermeiden.
Ancuiras‘ Auftauchen in Terubis hat das Machtgleichgewicht gerade erst erschüttert“, wandte schließlich Istirde ein, „da wäre es möglicherweise gefährlich, als Erster zu agieren. Denn auf die erste Aktion reagieren alle anderen. Und wir wissen bislang nicht, was Reon oder die Salsavûrs im Schilde führen.“
„Die Salsavûrs sind Mitläufer, die agieren gar nicht, wenn ihnen nicht jemand höheres sagt, was sie tun sollen“, entgegnete der Valvassor schmatzend, ohne auch nur aufzusehen. Auricanius konnte sich dabei ein leichtes Grinsen nicht verkneifen – nicht weil er am Betragen seines Bruders Gefallen fand, sondern weil der zumindest in dieser Hinsicht irgendwo Recht hatte.
„Das macht sie deswegen nicht ungefährlich oder vernachlässigbar“, gab sich Istirde jedoch nicht geschlagen. Und auch sie hatte damit Recht.
„Wohl wahr“, stimmte ihr Fiona, Panthinos Älteste zu. Auch Arissa, die Jüngere, nickte – und erwischte dabei genau den Augenblick, als Rondralio aufblickte. Der Valvassor musterte die jungen Frauen missbilligend, merkte aber, dass er hier ohne eigene Fürsprecher nicht weiter kommen würde. Suchend sah er sich unter den am Tisch Anwesenden um.
Die verschleierte Fürstenwitwe Preciosa lehnte sich nach vorne, schien für Rondralio intervenieren zu wollen – streifte dabei aber noch kurz den Blick Auricanius‘, der ihr mit einem nur minimal angedeuteten Kopfschütteln signalisierte, was er davon halten würde. Und zu seiner eigenen Überraschung zog sie darauf zurück. Panthino wartete wiederum ab.
So fiel Rondralios Blick schließlich direkt auf Auricanius: „Bruderherz, hat der Götterfürst zu diesem Thema keine Meinung?“ Dabei steckte er sich unverdrossen den nächsten Bissen in den Mund.
Der Praios-Geweihte hob das Weinglas, das er eigentlich gerade wieder abstellen wollte, demonstrativ in die Höhe. „Eine gute Frage, Rondralio …“ Nun spürte Auricanius, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Und er suchte nach einem Ausweg, der alle das Gesicht wahren ließ. „… wirklich eine gute Frage …“ Vielleicht so: „… eine Frage, die aber gar nicht ich beantworten muss. Das kann nämlich jeder hier am Tisch.“ Die Taktik, aus einem Disput eine Lektion zu machen, hatte sich Auricanius gegenüber den Studiosi in Methumis angewöhnt. „Selbst unsere Jüngste, Ignigenie, bestimmt …“ Dabei sah er plötzlich seine am anderen Ende des Tisches sitzende Tochter an, die in ihrer gemeinhin eher stillen Art von der sich so rasch ihr zuwendenden Aufmerksamkeit ziemlich überrascht war.
Auricanius bemühte sich, die Frage, die er ihr nun stellte, so einfach und eindeutig wie möglich zu formulieren, um sie nicht weiter zu verunsichern: „Ignigenie, was sagt uns der Herr Praios über den Krieg? Was hat er damit zu tun?“
Die Sechsjährige überlegte kurz.
„Ja, Iggi, was sagt der Herr Praios dazu“, schien die viereinhalb Jahre ältere Aureliana – ihre Halbschwester, auch wenn sie es selbst nicht ahnte – der Jüngeren Mut machen zu wollen.
„Nichts“, antwortete diese schließlich, und wirkte dabei sehr sicher, Rondra ist die Herrin des Krieges, nicht Praios!“
„Wohl wahr“, stimmte Auricanius ihr zu, nicht ganz unbewusst wiederum Fiona zitierend. An Rondralio gewandt, fügte er noch hinzu: „Aus den Kindern spricht die Wahrheit, Valvassor …“
Der rülpste jedoch nur, und entgegnete: „Manchmal aber auch die Dummheit …“ Dabei griff er nach dem nächsten Stück des Bratens. Als er sich das gerade in den Mund stecken wollte, fing es … Feuer! „Verflucht!“, entfuhr es ihm, da er es noch eben rechtzeitig zurück auf den Tisch, mitten auf die große Bratenplatte schmeißen konnte.
„Ich … bin … nicht … dumm!“
Ignigenie stand plötzlich kerzengerade an ihrem Ende des Tisches und betonte jedes Wort ihres empörten Protests einzeln.
Auricanius aber sah seine jüngere Tochter mit vor dem Mund zusammengeschlagenen Händen entgeistert an, da in ihm eine gänzlich unwahrscheinliche Erkenntnis Gestalt annahm: Er war – als Praios-Geweihter – nicht nur Vater einer magiebegabten Tochter … sie waren es beide!