Benutzer:Turani/Aventurische Texte zum Götterurteil des Hauses della Turani

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Die Verkündung des Götterurteils

Die Anspannung im Speisesaal war für jeden Anwesenden beinahe körperlich zu spüren. Genau hier hatte es sich abgespielt, das „Tsatags-Drama“, wie man es in der Stadt inzwischen nannte. Fast schien es, als wären die Beleidigungen und das Scheppern geworfenen Geschirrs noch immer im Hintergrund zu hören. Heute aber sprach niemand. Sie saßen und warteten.

Schließlich, endlich, betrat Amathea della Turani den Raum. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten sie nervlich und körperlich ausgezehrt, was ihr deutlich anzumerken war. Gebückt, sich auf einen Stock stützend, durchmaß sie den Raum zum Kopf der Tafel, gefolgt von ihrem Bruder Parsilius. Erst, als sie Platz genommen hatte, wurde die Stille durchbrochen.

„Am heutigen Tage spreche ich im Namen meiner Schwester, Baronessa Amathea, zu euch. Sie selbst findet angesichts eurer zahlreichen Verfehlungen kein Herz, euch auch nur eines Wortes zu würdigen“, sprach Parsilius mit lauter, harter Stimme. Niemand, nicht einmal Malvolio, wagte ein Widerwort. „Es ist jedem der heute Anwesenden bewusst, aus welchem Grund und zu welchem Behufe wir uns zusammengefunden haben. Eure Taten bringen Schande auf das Haus della Turani. Nicht einen Tag länger darf es so weitergehen!“

Seine Stimme war so laut und durchdringend, dass manch einer der Anwesenden zuckte.

„Meine Schwester sieht und erkennt, dass diese Verfehlungen allein ihr anzurechnen sind. Sie ist es, die zu lange milde und nachsichtig, zu lange freundlich und geduldig war. Es ist die Frage ihrer Nachfolge, die uns alle entzweit, wo wir einig zusammenstehen sollten gegen die Welt. So bleibt uns in logischer Konsequenz nur eines, nämlich den würdigen Erben zu benennen und für aller Augen festzuschreiben, damit die Wurzel des Zwists zerstört wird und unser Haus seinen Frieden wiederfinden kann.“

Parsilius sah mit all der Strenge und Würde, welche die Jahrzehnte ihm verliehen hatten, in die Runde, und besah sich ihre Reaktionen.

„Mutter, ich…“ Es war Yarums Stimme, die sich erhob, doch schnell erstarb, als er der Reaktion des Onkels gewahr wurde.

„Es ist nicht die Zeit für dich zu sprechen, Neffe!“ Die Stimme des alten Praiosgeweihten klang wie ein Donnergrollen. „Es ist die Zeit, demütig zu schweigen! Und du!“ Nun wandte er sich Malvolio zu, der die Zurechtweisung seines Bruders mit einem süffisanten Grinsen gewürdigt hatte. „Du hast ebenso wenig Grund, dein Gesicht zu einer grinsenden Fratze zu verziehen! Denkt irgendjemand, diese Angelegenheit wäre amüsant? Ist jemandem zum Lachen zumute angesichts des drohenden Niedergangs unserer Familie?“

Ein Messer hätte die Luft in jenem Moment schneiden können. Parsilius atmete einmal durch und tauschte einen kurzen Blick mit seiner Schwester.

„Ihr seid Kinder, ihr alle. Ungezogen, ohne Scham und Anstand. Eure Sorglosigkeit und Gier treibt diese Familie an den Abgrund, sodass allein die Götter sie zu retten vermögen. Ihr seid alle unwürdig, das Erbe meiner Schwester anzutreten.“

Diese Worte sackten nur langsam in das Bewusstsein der Anwesenden. Sie alle? Kein Erbe? Ungläubige Blicke wurden ausgetauscht.

„Aber… irgendjemand wird euch nachfolgen müssen, Mutter“, wandte Pamina schließlich zögerlich ein.

Parsilius nickte streng. „Und sie wird einen Erben benennen. Unwürdig habt ihr euch durch eure Taten gezeigt, so sollen es nun eure Taten sein, die euch von dieser Schuld reinwaschen und als würdig auszeichnen. Die Götter sollen entscheiden, wer das Haus dereinst führen wird. Aus diesem Grund hat meine Schwester in Absprache mit der Kirche des Herrn Praios ein Götterurteil ersonnen, welches ihren Erben bestimmen wird.“ Ein Raunen ging durch den Raum.

„Jeder von euch, der es wagt, sich für würdig zu erachten, unterziehe sich drei Prüfungen unter den Augen jener Götter, die das Haus della Turani seit jeher besonders schützen: Praios, Rondra und Hesinde. Derjenige, der sich in diesen Prüfungen als würdig erweist, soll das neue Oberhaupt des Hauses della Turani werden“, erklärte Parsilius. „Also sprecht: Wer von euch wähnt sich oder einen anderen hier Anwesenden würdig?“ Das Murmeln im Raum wurde lauter, bis nach einigen Augenblicken Malvolio aufstand.

„Ich“, sagte er überzeugt. „Ich werde euch beweisen, dass niemand geeigneter ist, diesem Haus vorzustehen, als ich, Mutter.“

Keine zwei Herzschläge später war auch sein Bruder aufgestanden, und für einen Augenblick stand zu befürchten, dass wieder haltlose Beschimpfungen zwischen ihnen hin- und herfliegen würden, doch Yarum räusperte sich respektvoll.

„Ich lege es in die Hände der Götter zu beweisen, dass die Familie unter meiner Führung gedeihen wird, und ich lobe euch, Mutter, für diese weise Entscheidung.“

Alle Augen wanderten nun zu ihrer Schwester, die nie denselben Eifer gezeigt hatte und doch als scharfe Konkurrentin galt. Langsam erhob auch sie sich.

„Demütig erkenne ich meine Fehler an, Mutter, doch ich verspreche euch, dass ich mich unter den Augen der Götter als würdig erweisen werde“, sagte sie mit vor Ehrfurcht zitternder Stimme.

Parsilius nickte streng und sah erneut zu seiner Schwester. Entgegen aller Befürchtungen schien nun einmal alles nach Plan zu laufen. Amathea wirkte sichtlich erleichtert. Dann aber ging ein aufgeregtes Raunen durch den Raum. Die Neugier in Parsilius‘ Blick wurde zu Entsetzen, als er erkannte, wer sich soeben erhoben hatte. Die rote Seide fiel weich um ihre schlanke Silhouette und ihre grünen Augen funkelten maliziös. Selten hatte sich Viviona della Turani so lebendig gefühlt wie in jenem Moment, als atemloses Entsetzen und blanke Verachtung ihr entgegen schlugen.

„Du wagst es…“ platzte Yarum hervor.

Ein Lächeln zog Vivionas Mundwinkel nach oben. „Ich nominiere meinen Bruder Carolan della Turani, an den Prüfungen teilzunehmen.“

Etwas zerbrach in diesem Moment. Die angespannte Ruhe wich sofort hitziger Erregung. Jeder sprach plötzlich, Wortfetzen und Beleidigungen flogen durch den Raum, während Viviona sich schmunzelnd setzte.

„Unerhörte Frechheit…“

„Nur logisch, immerhin haben sich Amatheas Kinder alle ungebührlich verhalten…“

„Diese Schlange will doch nur neuen Zwist sähen…“

„Ruhe!“

Es war Parsilius‘ Stimme.

„Ruhe!“ Er sah seinen Großneffen direkt an. „Carolan, wir werden deine Worte dazu hören. Es ist vor aller Ohren ausgesprochen, also sprich auch du: Erachtest du dich selbst für würdig? Wagst du es, dies vor den Göttern zu behaupten?“

Alle sahen nun Malvolios Sohn an. Malvolio selbst lächelte zufrieden, denn er wusste, dass sein ältester ehrenhaft und loyal war. Carolan erhob sich langsam. Welcher Widerstreit der Ehre in diesem Augenblick in seiner Seele tobte, welche Gedanken und Argumente ihn letztendlich zum Handeln bewegten – niemand wird es je wissen. Er räusperte sich und erwiderte Parsilius‘ Blick.

„Großmutter, euer Gnaden, ich werde mich den Prüfungen der Götter stellen.“

Fassungslose Stille. Niemand nahm Notiz vom Hauch des Triumphs, der sich in Vivionas Lächeln geschlichen hatte, als sie das entsetzte, wütende Gesicht ihres Vaters beobachtete. Die Entscheidung ihrer Großmutter war wirklich ein Geschenk des Himmels. Jetzt, endlich, war der Zeitpunkt für ihre Rache an Malvolio gekommen. Sie verließ lächelnd den Raum, während hinter ihr Geschrei und Gezeter erneut aufflammten. Lass sie schreien, dachte Viviona. Es gibt viel vorzubereiten. Der Anfang vom Ende ist endlich gekommen.