Archiv:Die Puntas und die Torrem (BB 28)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 28



Die Puntas und die Torrems
eine Erzählung aus dem Sikramgefild, allwo schöne Auen und doch auch Morast sich finden


Vor der Sicht der Cavaliera Aliesa von Sikras tat sich das Malurische Land auf. In schweren Hügelkämmen staute sich der dichten Wälder schwarzes Grün, davor sanfte Felder und Schafweiden aber, im trägen Lichte des Sommers stehend, wie breite Striche von hellem Gras vor Stämme und Blättertracht sich lagerten. Wollten hier nicht Travia und Hesinde selbst die Weilstatt nehmen, vereint im süßen Sung des Friedens? Ein bescheidener Weg querte entlang einer Anordnung von Pappeln die in sich verschlafene Landschaft, und allseits in jenem lieblichen Himmelsstrich regte sich allein ein schwebendes Allerlei von Schmetterlingen und Faltern, allwelche jedoch wie fremd und seltsam abwesend wirken wollten in jener ländlichen Stille und gar milden Ruhe. Nur der Hufschlag in dem Geleise klapperte ebenmäßig vom Kiesgrund des Weges herauf und schloß, durch das aus dem Grasessaum empordringende Zirpen der Grillen ergänzt, in einem leisen Schottern der fortspringenden Steinchen ab. Die Cavaliera, Abstand wahrend, wurde endlich nachgefolgt von einer Kutsche, die wundersam fern rumpelnd über den Weg fuhr, gesäumt von einigen berittenen Knechten in der roten Liberei der Puntas. Mochte es auch auch manchem unziemlich erscheinen, so genoss sie doch die Reise zu Pferde. Sie spürte den Wind in ihrem Haar, sog tief die frische, blütenduftschwangere Luft ein und spürte den wärmenden Praios zu spätem Tage auf ihrer zarten Haut. Wie sie die Ausritte auf dem Landgute vermisste, war es doch zuvor ihrem Gevatter zu eigen! Manchen Sommer hatte sie hier zugebracht, vereint mit ihrem geliebten Bruder Ruban. Ihr Blick aber wanderte nach hinten, die aufschließende Kutsche sichtend, in der sich, neben ihrer Leibzofe Isdara, nur noch ihr Kämmerling fand. Es ging gegen das turrianische Landgut zu Vendramin.
Indem sie eine Hügelkuppe gewahrte, hielt die Cavaliera von Sikras inne und zog mit weiblicher Bedacht die Zügel herum, das Roß zum Stehen zu bringen. Was sie erspähte, das also war ihr wohlvertraut. Dort, in einem mattroten und bräunlichen Schein von Ziegeln, von der hellen Praiosscheibe umgilbt, erhob sich mit wenigen Dächern die Ortschaft Vendramin. Ob man die Häusergruppe zwar auch als Dörfchen hätte bezeichnen können, so verlieh ihr doch ein kleines Schlößchen, welches gewiß für eine schlichte Herrschaft taugen wollte, zur linken Flanke eine sichere Prominenz auf dem Hügel, eine Geballtheit von hellem Mauerwerk, umsäumt von einer geregelten Terrasse. Endlich aber wich auch jenes Schlößchen im Abstieg des Hanges einer Obstpflanzung unter alten Bäumen und geduckten Stauden, bis das freie Gefild der Talsohle den Anblick wieder abschloß. Die Cavaliera nun, da sie nach Gebühr ansichtig, führte ihr Pferd erneut zu festem Gange herauf und lenkte das Tier in einem gemessenen, edlen und sich selbst bewussten Schritt gegen die kleine Ansiedlung. Wie nobel und edelgeboren mußte da wohl das Roß der Cavaliera Aliesa von Sikras erscheinen, da hier ein ansässiger Bauer mit seinem groben Paßgänger des Weges passierte, dort eine Glucke wie gehetzt und lächerlich davonsprang? Die Magion di Vendramin [Schloß zu Vendramin], da sie erreicht, schloß mit seiner Front beinahe übergangslos an den von ihm dominierten Dorfplatz an. Allein, eine kleine Freitreppe, welche sich kurz und mit entschlossenen Zügen in einen letzten Anstieg der Hügelkuppe und eines Erdaushubes fügte, stellte sich dem Zuritt entgegen und lenkte vielmehr einen schmalen und geschwungenen Weg an sich vorüber, allwo jener auf Hof und Wirtschaftsgebäude zustreben würde. So also ritt die Cavaliera, da sie die Freitreppe nicht wollte nutzen, allgemach an der Hauptfront aus glatter Mauerfügung und schwarzmarmornen Fensterreihungen entlang. An beiden Flanken des Gebäudes und auch im Zentrum, wo ein besonderes Gewicht zu thronen schien, ergänzte sich, turmartig abgesetzt, mit einem eher stillen Prunk ein zweites Obergeschoß. Die Fenster, dort wie bleiern und schwärzlich gegen die weiße Fassade opponierend, herunten aber zu ebener Erde auch in Gitter gefaßt, wollten wie schwarze Steinbrocken auf einer weißen und sonnenstarken Sandfläche erscheinen.
Bevor aber die Cavaliera, die sich etwas fragend umblickte, hätte passieren können, da eilte ihr aus Richtung des Portals ein Knecht des Anwesens hinterdrein, und er brachte bescheidene Zurufe vor.
- "Wohlgeboren, ach, dass ich submiss bitten darf -," sprach jener, ein alter Mann, und sodann ergriff er unter einer Verbeugung das Pferd am Zaume und avisierte der Cavaliera stumm den Haupteingang. Man kannte sich. Er, der schütterhäuptige Veltro, war ein alter Knecht eines ihrer Anverwandten, welcher vordem im Namen des Hauses Berlînghan über Vendramin geboten, bevor jene Besitzungen auf das Haus Torrem kamen. War es ihm durchaus eine Freude, die Cavaliera wiederzusehen? Er kannte sie doch von einst und noch aus ihren Kindertagen, bevor nach Vinsalt sie geschickt ward von ihrem Vater, die Juristerei mit Fleiß zu erlernen. Der Knecht aber verband sich noch immer mit diesem kleinen Schlösschen, wie auch ein Wurzelstock dem gewachsenen Stamme treu bleibt.
- "Veltro, ...," replizierte da die Cavaliera von Sikras, einen Zug von Süße in der Begrüßung, und sie schwang sich ganz unbefangen, die Miene vertraut, aus dem Sattel. Ob ihr in diesem alten Knecht, welcher vordem einem Punta gedient, ein erster Verbündeter schlummerte, und sei er auch schwach? Veltro, in einiger Dienstfertigkeit beflissen, dirigierte die junge Edelgeborene gegen das Hauptportal, indessen im Hintergrund der ferne Hufschlag verriet, wie die Pferde in die Stallungen geführt wurden. Von der Freitreppe aus jedoch, indem man sich umblickte, konnte man auf dem Dorfplatze einen kleinen Zug von Ziegen beobachten, und ein Knabe wollte sie mit einem festen Stecken lenken. Die Dächer, von mattrotem und bräunlichem Scheine jedoch, sie schwiegen.

Es mochte um den Boron crepuscularis sein [also zur Zeit der Abenddämmerung], dass der alte Veltro an die Türe des Gästegemachs pochte, darinnen die junge Cavaliera Aliesa di Punta zu nächtigen bestimmt war.
- „Der Herr, … mein Herr, der Herr von Toricum, also Wohlgeboren …, er bittet Euch zu trefflicher Unterredung. Es ist soeben, dass er von seinem Ausritte heimgekehrt, und so sucht er Euch die Zusammenkunft über mein geringes Erscheinen zu notifizieren.“ - Der alte Knecht, er bog den Mundwinkel zu einem etwas verlegenen Lächeln, verbeugte sich alsodann und fuhr sich wohl auch wie aus Versehen mit der Hand durch das schüttere Haar. Wurde er gewahr, wie sehr die Cavaliera Aliesa di Punta, einst ein ungestümes Mädchen, zur Frau gereift war? Wir wissen es nicht. Da aber stand sie, gehüllt in tiefblaue Seide, wo zuvor ein ledernes Reitgewand gewesen, und erstrahlte in einiger Pracht. Leise raschelte der Faltenzug der Schöße, da sie sich erhob, und gab das Schimmern des Kerzenlichtes wieder, dass auch einige güldene Stickereien sich hervorhoben. Glänzte seiden ihr Haar, gehalten nur von einem Haarnetz, gewirkt von Gold und Perlen. Mochte, da sich einige blonde Locken ringelten, der alte Knecht den Duft des Haares vernehmen? Eisblau übertraf ihrer Augen Funkeln den Widerschein der Juwelen, welche entlang einer Halskette sich über den ruhenden und schimmerden Busen legte. Gewahrte er wohl nicht recht, wie die Cavaliera ihn, längst in Erwartung weiterer Worte, lächelnd anblickte? Endlich, da er sie wohl einen langen Augenblick angestarrt, senkte er den Blick, verlegen.
- "Bringe mich doch bitte nun zu deinem Herren." Die junge Frau, sie lächelte noch immer.
- "Sehr wohl.", stammelte da der alte Veltro, gewiß erfreut ob der kleinen Indulgenz, dass die Cavaliera auf solche Unziemlichkeit nicht eingegangen war. Ob er an ihre Mutter sich erinnert fühlte, welche, ob sie zwar früh im Wochenbett verstorben, noch lange Zeit in Öl zu bewundern war? Zumindest aber war es, wie er wissen musste, still in der Magion di Vendramin geworden. - Man sagte, seit der Signore Reon Torrem die Herrschaft übernommen hatte, erfülle kein Kinderlachen mehr die Gänge, woge nicht mehr der Klang von herrschaftlichem Tanze aus den Mauern. Der Herr, er galt für genügsam und schwerblütig, darüber jedoch auch für seltsam hochfahrend und in Rondras Tugenden für sehr exaltiert. Hatte er sich nicht mit seinen Duellforderungen nach dem letzten Cron-Convent zum Gegenstand des Gespöttes gemacht? Und nun gar ging das Gerücht, er habe seine Gattin umbringen lassen, welche zudem eine Base des Herzogs von Methumis gewesen. Aliesa, obschon bewährt in vielem, würde nun also auf einen jener wilden Wölfe treffen, welche in kalter Wut durch den Tempelhain des Reiches strichen. Der Signore Reon Torrem war von äußerst übler Reputation. Wußte der Gransignore von Urbetien bei aller Durchtriebenheit noch die Form zu wahren, so war dieser hier, kauzig und finster, wahrlich kein Mann Vinsalts.
Cavaliera Aliesa di Punta folgte dem alten Veltro, welcher einen kleinen Kandelaber vorauftrug, durch die Gänge der Magion di Vendramin. Wenig nur hatte der neue Herr verändert. Lediglich das Bilderzimmer, wo vordem Aliesas Gevatter sich geschmückt, wirkte kahl und ausgestorben in seinen weißen Flächen. Dieser Mangel aber ließ die Gedanken der jungen Frau recht eigentlich zu den Orten ihrer ersten Kindheit schweifen, als ihr Leben noch unbeschwert und ohne jene Begebenheiten war, welche seither vorgefallen. Feucht schimmerten ihre Augen, da sie des ersten Balles an diesem Orte gedachte. Und wieder verspürte sie jenes warme Kribbeln, welches damals, als sie in die Gesellschaft eingeführt, ob des Anblickes eines jungen Edelmannes sie durchfahren hatte. Hatte damals doch ihr Herz gepocht, als jener Jüngling aus dem Hause Hohensteyn-Corden seinen Arm zum Tanze bot! Gab es auf jenem Balle denn einen hübscheren Edelmann? „O Maricio, warum haben sie dich so früh geholt, die Götter?“ sprach in Wehmut ihr Herz, dass ihr Busen in einem leisen Krampf sich rührte. Es hätten bittere Zähren über die Wangen rinnen können, - doch nicht jetzt. Und dennoch: Wie oft hatte sich die Cavaliera in Gedanken schon gewunden, war doch ihr Sohn das Einzige, was ihr von jenem ersten Gemahl geblieben. Und weiter schweiften ihre Gedanken umher, hin zu ihrem zweiten Gatten, zu jenem Silem Torrem. Kaum hatte sie ihn gekannt, stand doch allein der Zwang übler Begebenheiten und Händel mit ihnen vor der Frau Travia [BB#25]. Signor Reon Torrem! Den, der das gewirkt, sollte sie nun treffen! Doch war Silem nun, wie man mit Evidenz vermuten musste, zu Brabak tot mit seiner Mutter geblieben … - Hatte sie je um ihn getrauert? Nun, ganz unversehens war an seiner Seite sie zur Herrin von Sikras geworden. Ihre Tränen, die geflossen, sie hatten doch nur dem Witwenstand gegolten, der zum zweiten Mal sie traf, da sie erst 27 Götterläufe zählte. Ob nun aber der Signor Reon Torrem wahrlich so kalt geblieben war, wie man sagte, da er von seinem Sohne und von Boron hörte? Diesen Reon aber würde sie nun treffen, einen wilden Wolf in kalter Wut …

Man war die Treppen herabgeschritten, welche hinter dem kalten Hauptportal die Teile der Anlage verbanden, und verfügte sich, das Rauchkabinett anstrebend, durch den schweigenden Festsaal. Das Kleid rauschte. Doch ach! Ob es ein Fehler war, ein Ballkleid zu tragen, nicht die gebotene Trauergewandung? Nun, der Tod des Silem Torrem war ja noch keine Gewissheit, der Gemahl galt allenfalls für abwesend, bestenfalls für verschollen … Welch ein Trost!
- „Euer Wohlgeboren, ich empfehle mich.“ Der alte Veltro, indem er sich gegen die Cavaliera von Sikras verbeugte, öffnete einen Türflügel zum Kabinett. Das stärkere Licht einer Lumiere trat auf den Holzboden des Saales heraus. Aliesa jedoch atmete tief ein, besann sich abermals auf ihr prunkvolles Kleid, straffte sich und zauberte den Zug eines Lächelns auf ihr Antlitz. Mochte auch ihre Unterlippe etwas zittern, so ließ es doch ihre wahren Gefühle nicht erkennen. Kannte sie ihren Schwärvater überhaupt? Nur als strenges Familienoberhaupt hatte sie ihn kennengelernt, den wilden Wolf in seiner kalten Wut, und er schien Schwäche zu verabscheuen. Und was war das jüngst für ein Versuch gewesen, die Horasdomäne Sikras, ein Gut in ihrer Obhut, schlicht den Gütern der Torrems zu annektieren? Mochte es nun also in ihr aussehen, wie es nur mochte, so war sie zu Vinsalt doch in eine harte Schule gegangen: Eine konvenierende Erscheinung konnte man sich auch abzwingen, und sollte die Seele rebellieren. In Anspannung ob der Dinge also, welche sie bei dieser Zusammenkunft erwarten mochten, betrat sie das Raucherkabinett.
Der alte Torrem, was vordem nicht so gewesen, trug eine schwarze Klappe über dem linken Auge. Ob das der Preis für seine blindwütigen Duellforderungen war? Da grüßte wohl der vergangene Cron-Convent herüber … - Da der Signore die Cavaliera eintreten sah, erhob er sich in einem Ausdruck von Schwere aus seinem Holzsessel und deutete mit dem Haupte eine Verbeugung an. Wie man solche Geste zurückzugeben pflegt, erwiderte Aliesa mit einem leichten Knicks, und da Reon Torrem mit einigen Schritten herangenaht, bot sie ihren Handrücken dar. Sie lächelte über den Juwelen ihrer Halskette.
- „Wie es uns doch, Gnädigste, konveniert, Euch hier zu Vendramin begrüßen zu dürfen.“ - Auch in Belhankien freilich deutete man den Handkuß nur an, mochte er auch in abgelegenen Gegenden des Mittelreichs wörtlich genommen werden. Indessen sich die Türe des Kabinetts wie von selbst hinter der Cavaliera schloß, löste sich der Signore von Toricum wieder aus seiner leichten Verneigung. Ihm ziemte wohl nur ein einfaches, um die Ärmel in blauen und hellblauen Streifen sich abwechselndes Gewand, und ein weißer, steifleinener Kragen bedeckte die Schultern. Der vordem schwarze Haaransatz schien noch um einiges Grau gewonnen zu haben, - und dann war da wieder diese Augenklappe.
- "Seid gegrüßt, Wohlgeboren." replizierte die Cavaliera, mehr hauchend denn sprechend. Indem aber der Gegengruß dargebracht ward, hob sie alsogleich an, noch weitere Worte zu machen. - "Freude erfüllt mein Herz ob eurer Einladung, doch wird sie gar getrübt aufgrund ihrer Umstände in dieser Zusammenkunft. Es heißt, Dunkles ziehe dieser Tage auf, und fast vermag man den Schatten des Künftigen zu erahnen. Und doch freut es mich je mehr, dass ihr entschieden habt, den Weg des Wortes und nicht jenen des Schwertes zu beschreiten." - Und wieder wanderten Aliesas zur Erinnerung jenes Tages, an dem Reon Torrem versucht hatte, unter dem Prätext einer Obhutnahme das schöne Sikras zu annektieren, da er doch den Leitnamen des Hauses Torrem trage, Suprematie beanspruchen dürfe. So hatte er gesprochen, dies war der Gedanke ihrer Erinnerung. Mit einer fließenden, grazilen Bewegung nahm sie Platz zu Tische und erwartete den herannahenden Diener, welcher eiligst einen Trunk herbeibrachte. Trocken fühlte sich ihr Mund an, und sie zögerte den Moment des Trinkens ein wenig in die Länge, ihren Schwiegervater näher mit dem Auge zu erfassen. Was denn wollte er mit diesem Treffen bezwecken? Nun, wenn es stimmte, was man über ihn hörte, würde er wohl baldigst auf eine Ursache zu sprechen kommen. Als sie das Glas abgesetzt hatte, lag ein bezauberndes Lächeln auf ihren Zügen. - "Wie man mir zutrug, ward ihr auf einem Ausritte? Es freuet zu hören, dass wir anscheinend ein gemeinsames Interesse haben. Nur wenig ist mit der Schönheit der malurischen Lande im Spätsommer vergleichbar, allweil sie erst über einen Ausritt vollkommen offenbar wird."
- "Nun, da Ihr von Reiten sprecht, will ich gestehen, es auch in meinem Alter noch immer gerne zu tun. Müßte ich nicht im Borongedenken meines Weibes verharren, so tätigte ich noch weit öfter den einen oder den anderen Ausritt, - auch mit Euch." - Der alte Torrem, er schien mit betontem Ernst über die Frivolität seiner Replik hinwegtäuschen zu wollen. Mit etwas festeren Worten jedoch, die Cavaliera ob ihrer rednerischen Vorlage um einen Deut feist anschmunzelnd, fügte er an: "Was Euch betrifft, so scheint Euch die Frau Tsa für das Reiten wohldisponiert zu haben, und in der Tat bietet die malurische Landschaft mit ihren Hügeln einen gar frohen Anblick." - Die Cavaliera verharrte einen kurzen Moment in Stille ob der Dreistigkeit dieser Worte. Immerhin war das nicht ganz die Art, mit der man zu Vinsalt dezent schmeichelte und 'über die Dinge offen sprach, ohne über sie reden'. Am Ende aber wollte es gar scheinen, auch dieser Wolf, Reon Torrem, könnte den Seiltanz zwischen Dreistigkeit und Kompliment ein wenig beherrschen. Da leckte er sich nun, wie es gewöhnlich auch Hundetiere tun, etwas bleckend mit der Zunge am Mundwinkel entlang, und, den Arm ausgefahren, streichelte er etwas an der Tischkante entlang. Aliesa entschied sich, ein sanftes Lächeln auf den Zügen, den Kopf in gespielter Verlegenheit senkend, für die Auslegung nach Art eines Komplimentes. Konnte am Ende auch dieser Mensch höfisches Charisma entfalten? Sie würde mit mädchenhafter Unschuld eine Replik anbringen.
- "Nun, ein gemeinsamer Ritt - zu Pferde -," betonte sie mit sanfter Schärfe, "erscheint mir denn auch wenig geeignet in der von Euch gemeldeten Begebenheit." - Sie räusperte sich kurz, bevor sie anhob weiter zu sprechen: "Auch wenn mein Herz Euren Worten kaum glauben mag, so scheint Ihr doch wahrhaftig zu sprechen und es erscheint mir desto wahrer, was mir Schreckliches über Eurer werten Gemahlin Verbleib zu Ohren gekommen, über meiner teuren Schwärmutter Geschick in Tsa. Dies lässt mich gar Dunkles befürchten. Sagt, werter Schwärvater, wisst ihr etwas über die Weilstatt meines geliebten Gatten, Eures tapferen Primogenitus? Mein Herz, es geht schwer, umbittert von Sorge, und kaum vermag einen klaren Gedanken ich zu fassen, allwo sich eines düst'ren Schicksals Ahndung hineingeschlichen." - Nun, mit Wahrheit sprach Aliesa in zumindest diesem einen Punkte, nämlich, dass sie aufgewühlt war ob der Neuigkeit, und doch war es weniger eine Sorge um den Verbleib des Gatten, des ungeliebten, als noch eher die seelische Drangsal dessen, was da kommen würde. Und also zitterten, da sie einer Antwort harrte, kaum vernehmbar ihre Lippen.
- "Tatsächlich dachte ich an einen Ausritt zu Pferde, doch wäre ich, sollte es sich fügen, ganz gewiß an Eurem Einfallsreichtum interessiert. Darob würde mich kein Zweifel berühren." Reon Torrem lächelte nicht ohne grandezza und nicht bar jeder Höfischheit. - Endlich aber winkte er sanft ab, indem er sich, den Kragen mit der Handfläche straffend, erhob, gerade so, wie nun auch sein Gesicht den zarten Ausdruck des höfischen Wortgeplänkels ablegte, sich in Ernst fasste, verfinsterte. Bis neben das Vollwappen der Torrems schritt er, und flüchtig las Aliesa den Wahlspruch: "Semper fidele hostibusque adversum genus est Turrianorum", das ist: "Stets und immer treu, den Feinden zuwider, ist das Geschlecht der Torrems." - Da jedoch hub Reon, kaum war ein Moment des Schweigens verstrichen, abermals zu sprechen an: "Das Herzogshaus hat schlechte Berater. Kein Zweifel kann erhoben werden, es sei meiner Würde," so sprach er wie der Praiosscheibe lauteres Licht, "es sei unserer Würde zugänglich, der Meuchlerhände phexische Begier in Dienst zu nehmen. Meine Gemahlin habe nicht ich ermorden lassen, darüber leicht Beweis zu erbringen, da sie in heiklem Dreigespann mit meinem Sohne und mit Boron abgegangen. So wisst Ihr es nun." Er schwieg. Ob das lautere Licht der Praiosscheibe, wie Reon Torrems Gesicht verraten mochte, zugleich in Phex einen finsteren Schatten sollte geworfen haben? Wenigstens doch wollte dieses väterliche Charisma eine sonderbare Abscheu nicht recht widerlegen, strahlte es doch, bei Praios, diese horasische Ambivalenz zwischen Makel und ehrlicher Makulatur aus. Mit Eifer blätterte die Cavaliera im Buche ihres Lebens, und die Seiten von Menschenkunde warf sie zwischen die Mühlsteine ihrer Gedanken. - "So also seid Ihr, meine liebe Aliesa, mir in Trauer angebunden, wie in Travia Ihr zuvor mit meines Hauses Samen Euch vermischt. Und also darf ich, meine liebe Tochter," zögerte der Torrem mit einiger Väterlichkeit, "so darf ich hoffen, Ihr habet Euch im Fleische mit meinem Sohne vermischt, in Tsa einen Nachkommen im Leibe tragend."
- "Nein," gab die Cavaliera mit vollendeter Trockenheit zurück, ohnedem über die Anrede 'Tochter' im Herzen in das Empfinden von süß zurückbeißender Ironie versetzt. Mit einem leichten Schaudern gedachte sie der Nacht, dem Travienfeste folgend, als sie, die unbeholfenen Annäherungsversuche des Torremer Zierhundes nicht ertragend, diesen mit harschen Worten des Bettes verwiesen. Nun, mit einem vieldeutigen Lächeln, betrachtete sie noch einmal Silems Vater, dessen Anblick ihr bewusst werden ließ, woher Silem den Tone wohl bereits gekannt haben mag, der ihn zum Spuren brachte. Allerdings, da sie des Schwärvaters Regungen zu erforschen suchte, schien der alte Torrem auch nicht über Gebühr erstaunt. Dachte jener denn über seinen Sohn geradeso wie sie, Aliesa? Ein Zierhund war Silem gewesen, vorlaut kläffend und doch ... -
- "Ein Zierhund ist Silem gewesen, vorlaut kläffend und doch - kaum mehr als dieser Timor Firdayon." Reon Torrem lächelte, indem er diese Worte machte, sehr versöhnlich, bremste die aufatmende Antwort jedoch mit einem Handzeichen aus. Aliesas Blick folgte ihm, als der Wolf mit wenigen Schritten um den Tisch herum schritt, und, sich zu ihr herabbeugend, sanft flüsterte: "Wir müssen etwas leise sprechen und doch auch einige Sätze für meinen Diener herausstreichen," so räusperte er sich, "damit er dem Hause Berlînghan etwas zu übermitteln vermag, für das er hinter der Türe steht und lauscht. - Silem war ein junger Hund, bei den unsterblichen Göttern, und die Zeit der Welpen liegt hinter uns. Unter üblen Streichen wankt der Thron zu Vinsalt, und eine Gräfin braucht Belhankien. Was, meine liebe Aliesa, steht in Eurer Begier?"
Ebenfalls in gemäßigter Tonlage antwortete Aliesa: - "Nun, die Zeit der Welpen liegt fürwahr hinter uns. Doch saget, ein Spion, in eurem Hause? Ein Instrument Eurer, dem Hause Berlinghan Kunde zu übermitteln? Nun, wenn ich dem ehrenwerten Hause etwas zu übermitteln wünsche, befleißige ich meinen Secretarius, meine Worte zu Papier zu bringen." - Sie lächelte bei diesen Worten süffisant, um das gespannte Verhältnis beider Geschlechter wohl wissend. In ernsterem Tonfall fuhr sie fort: - "Doch Ihr fragtet nach meinem Begehr. Wie Ihr wisset, liegt zuvörderst die Sicherheit der Signorie Sikras in meinem Sinne. Nur zu leicht mag in den heraufziehenden Tagen manch einer glauben, sich der reichen Felder bemächtigen zu können. Die Verwaisung des Grafenthrones macht diese Lande nicht sicherer. Wie ihr wisset, strebt die Baronin nach diesem. Doch welches Sinnen bestimmet euch?"
- "Ihr wisst, dass einige meiner mehrfachen Urgroßväter gute Titel um Sikras zu führen pflegten," replizierte der Torrem, doch kaum hatte er, Atem holend, geendigt, fügte er im Ausdruck plötzlicher Jugend an, die Worte durcheilend, sonderbar beschwingt: "Mit Sinn für Kürze gesprochen: Wir lassen Euch Euer Sikras, und das Haus Puntas, wie zum Danke, stellt sich geschlossen hinter die Frau Elanor, derohalber die Torrems längst zum Pfand sich gegeben. Die Berlînghan freilich mögen sich ob solcher Wendungen der Grafenwürde und Eurer Gefolgschaft abstinent erweisen. Item möchte ich Euch bitten, eine kleine Empfehlung behufs meines Gunstgewinns zu Efferdas zu unterfertigen." Der Torrem, einen gefalteten Bogen aus dem Wams ziehend, ergänzte endlich mit neuer Gesetztheit: "Wie sehen wir uns doch endlich, wie die Läufte der Dinge uns obliegen, jüngst auf Fürsprecher verwiesen." - Die Cavaliera, kaum hatte sie das Papier entfaltet, las unter ihren Augen einen ausformulierten Brief. Sie sollte da, wie es sich las, eine Empfehlung unterschreiben, welche da an die Baronin sich wendete und im Schlußsatz explizierte: 'Zum Behufe solcher Idoneität in Rondra, welche da dem Herrn Reon Torrem, meinem Schwärvater, durch Schwert und Schlacht zu eigen, möchten wir zu Eurer Gnaden Gewinnst die Proposition vortragen, obgemeldten Signore von Toricum zu Ew. freiherrlichen Gnaden Feldhauptmann zu bestellen.' Die Cavaliera blickte auf, die Blicke trafen sich abermals. Der Torrem schmunzelte sanfte. Fast war die Spannung körperlich spürbar, der lauernde Blick des turrianischen Wolfes, der stolze Ausdruck in den Augen der Puntaischen Füchsin, einen endlos erscheinenden Augenblick verharrten beide, bis endlich die Stimme der Cavaliera die Stille durchbrach. Bitterkeit und verletzter Stolz klang in ihrer Stimme mit, als sie - mit scharfem Tonfalle - anhob zu sprechen:
- "So so, Ihr wollet uns also Sikras lassen. Sikras, das von Horaskaiserlicher Stelle in Gnaden dem Hause Punta zur Obhut überantwortet wurde. Und dafür sollen wir Euch Dank schulden? Nun, ich war mir nicht bewusst welche Höhen Ihr anstrebet, zu glauben, Ihr könnet in Zukunft über das Schicksal der Horasdomäne entscheiden, lieget dieses Privileg doch alleinig bei der Krone. Oder spielet ihr gar auf einen unrechtmäßigen Zugriff Eurerseits auf die Signorie an? Ich dachte, ich hätte bei unserem letzten Zusammentreffen meine Haltung deutlich gemacht, dass ich solches nicht dulden werde. Auch ist mir unverständlich, wie gerade ihr unsere Treue der Baronin gegenüber in Zweifel ziehen könnet. Gerade Ihr, dessen Eskapaden - auch wider die Baronin - weiland bekannt sind. Nicht ohne Grunde gehöret Ihr nicht mehr dem Aquamarinrate an, dem engsten Beraterkreis Ihro Hochgeboren. Und wiederum nicht ohne Grund ist mein Oheim Euch im Amte nachgefolgt. Tief lässt in Euer Herz blicken, dass alleine die Gegebenheit, dass mein werter Onkel im Namen der Berlinghan Horcastillio verwaltet, Euch gleich an Untreue denken lässt." - In versöhnlicherem Tonfalle fuhr sie fort: -"Doch solltet ihr meinem Hause ein Angebot unterbreiten können, dass die nähere Erörterung verdient, wäre auch eine Fürsprache diskutabel." Aliesa nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglase, die Antwort ihres Schwärvaters erwartend. Jener allerdings schmunzelte nicht mehr, und die ohnedem erzwungen wirkende Schmeichelei fiel von ihm ab wie eine Maske.
- „Wir sind abgeneigt, weitere Angebote zu unterbreiten. So schalte also jeder mit seinem eigenen Phex.“ Signor Reon Phalaxan XXIV. Torrem von Toricum, in conspectu einer solch offensiven Antwort sichtlich von Ernst durchfahren, leutete mit einem Tischglöckchen. Da der Diener erschien, der alte Veltro, gab er kund: „Avisiere die Reitknechte und die Bedeckung, dass wir den morgigen Tag uns gegen Toricum zu verfügen geruhen.“ Endlich sprach der Signore von Toricum, indem er sich mit den Fingerkuppen etwas über den Kragen fuhr, gewandt zu der jungen Cavaliera Aliesa di Punta: „Eure Worte waren sehr kühn, und ich bin ein Torrem.“ Die Cavaliera erhob sich bei diesen Worten. Ein ungutes Gefühl hatte sich in ihr breit gemacht. - "Es dauert mich, dass unser Gespräch nun ein solches Ende gefunden hat. Ich danke Euch für eure Gastfreundschaft. Mögen die Zwölfe mit euch sein." Aliesa verbeugte sich knapp vor ihrem Schwärvater und verließ das Rauchkabinett.

In aller Frühe machte sich die Cavaliera samt ihrem Gefolge auf den Weg gegen Sikras, und dieses Mal bevorzugte sie das herrschaftliche Gefährt. Eilig trieb der Kutscher die Pferde an, endlich froh war die Cavaliera, diesen Ort zu verlassen. Auf der Hügelkuppe, an der sie bereits auf der Hinreise Halt gemacht hatte, gebot sie, kurz innezuhalten. Aus dem Verschlag der Kutsche warf sie einen letzten wehmütigen Blick auf die Magion di Vendramin. In weiter Ferne lagen nun die Erinnerungen der glücklichen Momente ihrer Jugend und hatten den Sorgen einer unsicheren, gefahrvollen Zukunft Platz bereitet. Sie schüttelte die düsteren Gedanken ab und gab dem Kutscher den Wink, die Pferde wieder anzutreiben. Man würde noch zu Toricum die Brücke über den Sikram nutzen müssen, doch hatte sie, Aliesa, ebenso am Vorabend Toricum getrotzt.