Archiv:Das Testament des Trodinars (BB 17)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 17, Seiten 28-29
Aventurisches Datum: 1. Praios 1022 BF



Das Testament des Trodinars


Rangkrone
Wappen

Erzherzogtum Chababien

Neetha/Ehzm. Chababien. In der Sala Alverana des Chababischen Palastes waren Adel und Klerus des Wilden Südens versammelt. Punkt Mittag betraten der Erzherzog von Chababien und die Witwe des Trodinars den Raum. Die Granden und Geweihten wichen zur Linken und Rechten zurück, und Timor wie Lutisana schritten schweigend durch die Gasse. An der Spitze ihres Gefolges trug ein blutjunger Kaballero auf erhobenen Händen ein silbernes Tablett, auf dem ein mehrfach gefaltetes, leicht verdrücktes, braun beflecktes und rot gesiegeltes Schriftstück lag.

Der Prinz und die Madonna gingen bis zum vergoldeten Thron der Markgrafen und Erzherzöge und wandten sich zu den Versammelten um. Ein Moment der Stille folgte. In der ersten Reihe standen die Kinder des Toten und die Pagen der Witwe mit ihrer Mutter Delhena-Naila und ihrer älteren Nichte Durnah, der Halbschwester der Halbwaisen. "Friede den Menschen, Treue den Fürsten, Gehorsam den Göttern!" erscholl der Ruf der Granden. Auf dem Gesicht des Prinzen spielte ein Lächeln. Denn er war es, der hier der Witwe die Rechte zum Handkuß darbieten durfte.

Mit dem zweifachen Kniefall und den Handküssen der Granden und Infanten war die obligate Huldigung zur Sommersonnenwende dargebracht. Das erste Staatsgeschäft des neuen Jahres betraf nun den Nachlaß des Trodinars von Chababien. "Tarsim von Hussbek", wies die Witwe auf den jungen Träger des Schriftstückes, "war der letzte Knappe meines Gatten. Er barg den Leichnam mit eigener Hand und fand an ihm das Testament des Trodinars." Kaballero Tarsim leistete einen Eid auf die Wahrheit seiner Aussagen. Drei Zeugen prüften das Dokument und befanden das Siegel mit dem doppelten Drachen für echt und unverletzt.

So brach der Prinz als höchster Richter des Landes das Siegel und las: "Cedor Khelianada, Trodinar von Chababien, Graf von Thegûn, Signor von Eskenderun, Träger der Topaslöwin. Feldlager in der Trollpforte, den 22. Ingerimm 1021 nach Bosparans Fall. Ich werde sterben. Am Vorabend der Schlacht verfüge ich deshalb meinen letzten Willen. Als Erben setze ich meine Söhne Tizzo und Tilfur ay Oikaldiki ein. Sie sollen als Zwillingsbrüder gemeinsam Graf von Thegûn sein." Aufgeregtes Flüstern wanderte durch die Reihen. Graf Tizzo und Tilfur von Thegûn? Zwillingsgrafen, Grafenzwillinge?

"Item anerkenne ich meine erstgeborene Tochter Durnah, das Kind Chamirahs und Kindeskind Delhenas. Sie soll Signora von Eskenderun sein. Auch bitte ich sie, den Namen Khelianada weiterzuführen." Da schwoll das Geflüster zu einem Getöse an. Ein älteres Kind, ein Kegel? Das Mädchen da vorn, seine Tochter, sein Bastard! Durnah stand erschrocken da, Delhena-Naila legte schützend ihre Hand um sie. Die chababischen Granden wichen von beiden zurück, um sie ins Auge zu fassen, um die unerwartete Erbin und Signora von Eskenderun zu sehen! Tizzo und Tilfur blieb der Mund offen stehen, und selbst Lutisana erblaßte leicht, als sie den Blick auf die natürliche Tochter ihres Gatten und seine letzte Geliebte heftete.

Doch der Prinz gebot mit einem Heben der Rechten Ruhe. "Item sollen Tizzo und Tilfur meinen Kindern Tilliana, Chaliane und Celissa zur Hochzeit eine Mitgift geben, wie ich es getan hätte. Um Jung-Phrenos' Teil sollen Messen für seine unschuldige Seele gelesen werden." Erinnerungen an die rote Keuche wanderten durch die Sala. "Item vermache ich die Topaslöwin dem Tempel des Sieges unter der Bedingung, daß er mir ein öffentliches Denkmal errichte." Die Topaslöwin war Borbarads Erben in die Hand gefallen. "Item vermache ich die Kleider meiner treuen Dienerschaft. Item soll meine Gemahlin Lutisana in Burg Eskenderun wohnen dürfen, so lange es ihr gefällt. Sie, die ich über alles geliebt habe, bestelle ich zur Vollstreckerin dieses Testaments. Cedor." Prinz Timor sah von dem Pergament auf. "Am unteren Rand steht eine mit Hast angefügte Nachschrift: Rahja, in deine Hände lege ich meinen Geist." Er legte das Testament in die Hand der Witwe und richtete sich auf.

"Geliebte Untertanen", sprach er, und seine Worte waren sorgfältig gewählt, "Wir haben den letzten Willen des Trodinars von Chababien vernommen. Wir erkennen das Testament des Trodinars für echt und gerecht. Wir anerkennen seine Verfügungen betreffend die Grafschaft Thegûn und die Signorie Eskenderun. Allerdings...", hoch horchten die Granden auf, "vermissen Wir den letzten Willen für die Waisen: Tizzo, Tilfur und Tilliana. Es ist Unsere Pflicht als Landesherr, alle Waisen in Schutz zu nehmen, und Unsere Pflicht als Lehensherr, die Erziehung und Vormundschaft dieser Knaben in Unsere Hände zu nehmen."

"Nein! Euer Kaiserliche Hoheit...", bremste Lutisana ihre rasenden Gedanken zu gezielten Worten ein, "wir Chababier danken Eurer liebenden Fürsorge für meine Kinder, doch das ist zuviel des Guten! Diese Kinder haben eine Mutter. Ich bin ihr Vormund, ihr Familienhaupt, die Witwe ihres Vaters..."

"Ihre Mutter? Nein, Madonna, die ganze Welt ist Unser Zeuge, daß diese Zwillinge keine Eltern mehr haben. Ihre Mutter Idra ist seit langem tot, und Ihr wißt, wie sie starb. Wir nehmen Unser Recht wahr, darein werdet Ihr Euch fügen."

Rebellion lag in der Luft. Niemand in der Sala Alverana bewegte sich. Lutisana faßte einen Entschluß: "Chababier..."

"Haltet ein", trat Baronin Delhena dazwischen, "Tizzo und Tilfur sind Pagen in meinem Haus, und ich werde ihre Erziehung fortsetzen und sie niemandem ausliefern, bis dieser Streit nicht durch die Gerichte der Königin oder einen gütlichen Vergleich entschieden ist. Erlaubet mir darum, Kaiserliche Hoheit, Donna Lutisana, Neetha zu verlassen und meine Güter aufzusuchen - mit den Kindern." Wohl oder übel blieb nichts übrig, als sich damit zu bescheiden. Die reiche Baronin von Ankram und Onjaro ist keine Untertanin des Prinzen. Die umfehdeten Infanten dienen auf Burg Ankhelet in Ankram. Ein Prozeß vor dem Ucuri-Hof zeichnet sich ab. Doch niemand sollte erfahren, was Lutisana hatte sagen wollen.

Michael Hasenöhrl